Sturmflut
Dienstag, 25. Januar 2011
In too deep...
Manchmal komme ich um Aufräumarbeiten nicht herum. In meinem Zimmer stand noch eine Kiste mit allerhand Papieren drin, und ich brauchte den Platz. Ich hätte das Zeug einfach unter dem Vermerk "Nicht jetzt...!" auf den Dachboden verschieben können, aber mit dabei war ein großer Stapel Zeitschriften, den ich nicht da heraufschleppen wollte, und außerdem wusste ich nicht, ob noch etwas Wichtiges drin ist. Und auf der Kiste lag außerdem ein großer Stapel Papier, der ebenfalls unbedingte Aufmerksamkeit verlangte und schon regelrecht zu quengeln begann. Also habe ich alles ins Wohnzimmer getragen, Haufen gemacht, gelocht, geheftet, Aktenordner neu beschriftet, mehrere Kisten mit Altpapier gefüllt - kurzum: Ordnung gemacht. Durchaus auch erfolgreich.

Die unmittelbaren Folgen dieser Ordnungsaktion waren sichtbar und hätten mich eigentlich gut fühlen lassen können: Platz für das neue Sofa, nie wieder Lohnabrechnungen suchen, keine wackeligen Stapel mehr, alles Wichtige beieinander... Die nicht sichtbaren Folgen spürte ich indessen diffus drei Tage lang, bevor ich sie genauer in Augenschein nehmen und verstehen konnte. Ich hatte Kopfschmerzen und ein Gefühl, im falschen Film zu sein, und innerlich meinte ich, gar nicht richtig aufgeräumt zu haben. Ich fühlte mich fremd in meinen eigenen vier Wänden. Etwas stimmte nicht.

Vergangenheit in Kisten ist etwas, das einem wirklich den Tag verderben kann, und zwar schleichend, ohne dass man es wirklich greifen kann. Der Inhalt präsentierte mir meine eigenen Unfähigkeiten, mein Scheitern. Da waren Belege und Bescheinigungen für meine eigene Unzulänglichkeit, Mahnungen, die mich mit der Heftigkeit eines Holzhammers an meine Versäumnisse erinnerten. Wie Gerüche und Geräusche drängten sich Eindrücke wieder auf, die mich in die Vergangenheit hinabzogen, und das Heute spielte auf einmal gar keine Rolle mehr. Ich war wieder das Mängelexemplar, das nicht einmal die einfachsten Dinge hinbekommt (Formalitäten erledigen, Dinge rechtzeitig machen, Rechnungen zahlen, Ordnung halten). Während ich knietief in Papier watete, schrie eine Stimme in mir: "Na, da haben wir's ja wieder, Du Versagerin, Du Null, Du Niete!" Ich schämte mich in Grund und Boden, aber das war mir inmitten dieser Wühlaktion nicht klar.

Schlimmer noch. Wann immer ich mich danach fragte, was denn nun eigentlich los sei, sagte mir die Stimme in meinem Inneren: "An der Aufräumaktion kann es nicht liegen. So ein bisschen Papieresortieren bringt einen nicht derart durcheinander. Das kann gar nicht sein."

Drei Tage später, beim Spaziergang am Fluss, schmiegte ich mich im Dunkeln an meinen Mann und weinte seine Jacke nass. Da erst hatte ich begriffen, was mir so schwer auf den Schultern lastete, den Kopf und die Seele zerfraß. Erst, nachdem ich das verstanden hatte, konnte ich sagen: "Das ist vergangen!" Heute ist das Leben anders. Die Art, wie ich damals die Dinge erledigt habe, war meine einzige Möglichkeit, mich über Wasser zu halten. Mehr war nicht drin, weil ich so sehr damit beschäftigt war, zu überleben.

Es ist vorbei, es ist vorbei... - das ist der größte Trost, den es gibt. Ich gehe vorwärts, nicht rückwärts. Daran können auch Gefühlsspuren und Erinnerungen in Kisten nichts ändern. Gespräche und liebevolle Hände holen mich zurück in die Gegenwart. Das einzige, was ich tun muss, ist akzeptieren.

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