Sturmflut
Erdung
Es erstaunt mich, wie mich in sandiger Erde knieend am Samstagvormittag unverhofft eine innere Ruhe einholt. So, als wärme der Garten (das Ungetüm!) meine Seele, ohne dass ich zuvor einen Antrag habe stellen müssen. Der Geruch nach Erde, der mir in die Lungen steigt, der laue Wind und die tropfenden Stimmen der Vögel legen sich wie eine Balsamschicht über mich. Mein Herzschlag beruhigt sich, ich atme tiefer und denke klarer.

Es ist eine eigenartige Sache, dass sich meine Probleme zwar nicht gelöst haben, ich mich aber trotzdem besser fühle. Ganz gleich, ob es dafür eine biochemische Erklärung gibt, die mit Licht und Stoffwechselvorgängen zu tun hat, ich nehme es als Wunder. Eins von den kleinen, die man erst beim zweiten Hinfühlen bemerkt.

Ich könnte nicht ohne das. Neu werden geht nicht ohne das. Nachdem ich mich so wundgescheuert habe an Anforderungen, tut unerwartetes Streicheln so unendlich gut.

Auch, wenn der Zusammenhang ein vollkommen anderer ist, denke ich an Wolf Biermanns Zeilen.

Nun atmen wir wieder, wir weinen und lachen
die faule Traurigkeit raus aus der Brust
mensch, wir sind stärker als Ratten und Drachen
– und hattens vergessen und immer gewußt.


Mein Herz greift nach diesen Zeilen wie nach einem Strohhalm, ich will mich ganz voll tanken mit der Wärme dieser Tage und das Atmen nicht vergessen.