Sturmflut
Heimat
"Hm, ja", denke ich, als ich mit dem Rad den Kanal überquere und über die frühlingshafte Landschaft schaue, "das hier ist tatsächlich meine Heimat." Atme tief und fühle mich gut. In der Luft hängt eine Mischung aus der Honigsüße der blühenden Bäume und Büsche und der Jauche, die die Bauern auf die Felder fahren.

Ich befinde mich in den Niederlanden, aber die Staatsgrenze ist für mein Heimatempfinden beinahe irrelevant. Beinahe deshalb, weil ich mich "drüben" sehr wohl fühle und diese Art Zweistaatlichkeit, in die ich bereits geboren wurde, mein Gefühl von Heimat entscheidend mitbestimmt.

Auf unserer Seite der Grenze sind die Leute irgendwie eigen. Konservativ, protestantisch, neugierig auf die Nachbarn, selbst aber verschlossen und hausbacken. Und ein bisschen der Zeit hinterher, ein bisschen langsam. Trotzdem bin ich gerne hier. Ich kann gar nicht sagen, wieso. Aber wenn ich mit dem Fahrrad morgens unterwegs bin und es nach Maissilage riecht und nach feuchter Erde, dann stellt sich das Gefühl von Heimat ein. Und vielleicht tatsächlich auch ein bisschen, wenn ich mal wieder den bollerigen Filialleiter des nahegelegenen Supermarkts zwischen Kartons quer im Gang stehen sehe und höre, wie er sich derb lachend mit einem Kunden unterhält.

Ich mag es, mich verwurzelt zu fühlen. Aber als ich die fünfzehn Kilometer aus dem niederländischen Nachbarort wieder zurück nach hause radele, schießt mir durch den Kopf, wie es sein muss, wenn diese Wurzeln abgeschnitten werden. Wenn man einen Ort, an dem man sich so zuhause fühlt, zwangsweise verlassen muss. Das erleben Tag für Tag weltweit viele Menschen. Aus meiner Verbundenheit zu meinen Heimatort erwächst auf einmal wirkliches Verstehen.

Und wie wäre es, wenn man sein Leben lang an einem Ort bliebe? Ist es nicht auch eine Art Vertriebenwerden, wenn sich Heimat schleichend so verändert, dass man sie irgendwann nicht wiedererkennt? Passiert einem das nur, wenn man sich selbst nicht mitverändern kann oder will? Muss man nicht zwangsläufig flüchten, wenn sich Orte so verändern, dass sie nicht mehr mit der eigenen Seele gleichklingen?

Heimat. Das ist auch so ein eigenartiges Wort. Mir geht Volkstümelei und Schland-Begeisterung ab. Ich bin meinem Landstrich mehr verbunden als meiner Nation. Ich bin sogar meiner Nachbarnation mehr verbunden. Aber vor meinem inneren Auge taucht auch kein röhrender Hirsch auf, da sind keine rauschenden Wälder und keine prall gefüllten Wiesn-Dirndl beim Stichwort Heimat. Ich weiß trotz allem fehlenden Nationalstolz, dass mein Land schön ist - sogar in Bayern. Aber mein Heimatgefühl ist regional eng begrenzt.

Ich werfe üblicherweise keine Stöckchen. Aber zum Thema Heimat gehen mir so viele Fragen durch den Kopf, auf deren Beantwortung durch andere Menschen ich völlig neugierig bin. Gleich, wer sich angesprochen fühlen mag. Ich notiere sie hier, in der Hoffnung, dass sich jemand angesprochen fühlt.

1. Haben Sie eine Heimat?

2. Was beeinträchtigt Ihr Gefühl von Heimat?

3. Was bestärkt es?

4. Können Sie sich vorstellen, heimatlos zu sein?

5. Würde es Ihnen etwas ausmachen?

6. Wo liegen die Grenzen Ihrer Heimat?

7. Hat Heimat in Ihren Augen eine Zukunft, ist die emotionale Bindung an einen Ort überhaupt sinnvoll?

8. Was macht Heimat für Sie aus?

9. Ist es möglich, eine Heimat zu suchen und zu finden, wenn man noch keine hat?

10. Wofür würden Sie Ihre Heimat verlassen?

11. Kann man Heimat überhaupt verlieren?

12. Kann man mehr als eine haben?

13. Stimmt es, dass man seine Heimat einmal richtig verlassen muss, um im Guten wieder zurückkehren zu können?