Sturmflut
Was zählt
Als wabernde Wolke in Gelb-, Orange- und Dunkelrottönen wandert die Unwetterzone über die Landkarte auf dem Schirm meines Laptops. Sie beschreibt eine dezente Kurve gegen den Uhrzeigersinn und sollte uns gegen 23 Uhr erreichen.

Irgendwann an diesem Abend leuchten dann die ersten Blitze durch die Kronen der Eichen am Grundstücksrand, und wir hören Donner. Ich liebe Gewitter. Der Gatte und ich schalten alles aus und ziehen die Stecker aus den Dosen. Im Haus ist es dunkel, die Unterhaltungsmedien sind stromlos. Was machen wir jetzt? "Lass uns das Gewitter angucken", schlage ich dem Gatten vor.

Die ersten schweren Regentropfen klatschen auf das Zwischendach hinter dem Haus, aber ein stürmischer Sturzregen wie am Nachmittag bleibt aus. Dafür blitzt es ununterbrochen und geräuschlos im Südosten, der Himmel ist beinahe nie dunkel.

Wir lehnen uns gegen die warme Ziegelwand des Schuppens und schauen hinauf. Die Giebel der Häuser heben sich schwarz gegen den bläulich und rosafarben leuchtenden Himmel ab, der Wind fährt in die umstehenden Bäume und Büsche und lässt den Rock um meine Knie flattern. Jetzt grollt es auch ab und an, und manchmal ist es so hell, dass es blendet. Durch die fallenden Tropfen huscht uns eine Fledermaus vor den Gesichtern entlang und ist so schnell wieder weg, wie sie kam.

So zu stehen und zu schauen und den Geruch der Luft einzuatmen und den Gatten im Halbdunkel neben mir zu wissen, das ist einmalig.