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Sonntag, 22. Mai 2011
Kein Monster unter dem Bett
Am 22. Mai 2011 im Topic 'Hoch- und Niedrigwasser'
Gestern war ein strahlender, sonniger Tag. Der Gatte und ich fuhren mit leicht geöffneten Fenstern, Sonnenbrillen auf der Nase und lauter Musik mit dem Auto in den Ort meiner Kindheit. Wir waren gut gelaunt, fast euphorisch, aufgekratzt und haben gelacht. Der Mann meiner Cousine hatte zu einer Gartenparty geladen, Anlass war sein fünfzigster Geburtstag.
So habe ich mir das nicht vorgestellt. Schon während der Abfahrt über die Landstraße durch frühsommerliche Kornfelder waren wir so frei, gelassen und entspannt wie selten zuvor. Und das, obwohl auch mein Mann morgens noch im Bad gestand: "Du, ich hab' zum ersten Mal seit längerem auch wieder von Deinem Vater geträumt!" Es war glasklar, dass auch meine Eltern auf dieser Party sein würden. Dennoch hatte ich beschlossen, hinzufahren. Auch indirekt schreibt mir niemand mehr vor, wo ich mich blicken lasse und wo nicht. Und ich wusste (und spürte es dann auch vor Ort): Meine Cousine und ihre Familie würden sich freuen, wenn wir kämen. Nichts anderes zählte.
Wir wurden mit herzlichen Umarmungen begrüsst, uns wurde gleich etwas zu Essen und Trinken vorgesetzt und wir waren willkommen. Ehrlich und aufrichtig willkommen. Keine Spur von den Vorwürfen, Schuldgefühlen und dem großen "Aber...!", die ich aus meiner Herkunftsfamilie kenne. Statt dessen war in jedem Wort, jeder Geste Liebe und Wertschätzung enthalten. Ich frage mich schon beinahe, wer denn hier wohl eigentlich Geburtstag hatte.
Schließlich saßen wir im Zelt, der Gemahl und ich, vor unseren leergegessenen Tellern, da tauchten meine Eltern aus dem hinteren Teil des Gartens auf. Meine Mutter konnte nicht umhin, mich zu umarmen. Zum Glück ließ sie irgendwann auch wieder los. Mein Vater streckte mir die Hand hin, mit bettelndem Blick, und wollte die meine auch nicht loslassen, sondern mich in eine Umarmung hineinziehen, ganz ähnlich, wie es meine Mutter getan hatte. Ich ließ ihn nicht, der Widerwille war zu groß. Er setzte sich mir gegenüber auf die Bierbank, immer wieder den Blick suchend, und ich weigerte mich, ihn zu erwidern. Der Jüngste meiner Cousine kam mit einer Flasche Schnaps und goss ein. Mein Vater legte den Kopf schief und fragte: "Na, trinkste einen zusammen mit mir?" "Wenn sich's nicht vermeiden lässt...!" antwortete ich und schluckte den Alkohol. Keine Lust, so zu tun, als sei alles in bester Ordnung, als hätten wir uns erst gestern gesehen und als sei alles "wie früher". Ich ging mein Glas auffüllen. Als ich wiederkam, hatte mein Vater es begriffen und sich umgesetzt und textete anstatt mich meinen armen Gatten zu.
Mein persönliches Glück dieses Tages lag in der vollkommenen Abwesenheit von Angst. Abscheu habe ich gefühlt, ja. Widerwillen, ja. Tiefe Antipathie gegen diesen Mann, der sich so hartnäckig weigert, erwachsen und ein anderer zu werden. Aber auch die Gewissheit, dass ich eine andere geworden bin. Dass mir dieser Mann keine Panik mehr einjagt. Dass genügend Menschen um mich herum sind, die mich stärken und die mich schätzen, ohne dass ich dafür Bedingungen erfüllen muss.
Ich habe keinen Vater mehr. Der Mann, von dem ich mir in meinem Leben mehr als alles andere Liebe, Anerkennung und Respekt erhofft habe, ist endgültig tot. Der Mann, von dem meine Existenz vollkommen abhing, ist tot. Der Mann, der schlug, schrie und missbrauchte, spielt in meinem Leben keine Rolle mehr, weil ich ihn aussperren und dafür sorgen kann, dass er mich niemals mehr verletzt. Ich habe ihn deutlich geschrumpft. Ich habe an diesem Abend nicht einmal gedanklich etwas mit ins Bett genommen, was mich an ihm ärgerte. Ich habe nur festgestellt, er ist immer noch derselbe. Mein Vater ist er nicht mehr - nur der Mensch, der mich zufällig gezeugt hat. Keine Schwere, keine Verzweiflung mehr in meinem Herzen, allenfalls noch eine gesunde Portion Wut, die sich ausgezeichnet zur Wahrung meiner Grenzen verwenden lässt, mich aber nicht mehr auffrisst. Mein Leben ist wirklich ein besseres ohne ihn.
So habe ich mir das nicht vorgestellt. Schon während der Abfahrt über die Landstraße durch frühsommerliche Kornfelder waren wir so frei, gelassen und entspannt wie selten zuvor. Und das, obwohl auch mein Mann morgens noch im Bad gestand: "Du, ich hab' zum ersten Mal seit längerem auch wieder von Deinem Vater geträumt!" Es war glasklar, dass auch meine Eltern auf dieser Party sein würden. Dennoch hatte ich beschlossen, hinzufahren. Auch indirekt schreibt mir niemand mehr vor, wo ich mich blicken lasse und wo nicht. Und ich wusste (und spürte es dann auch vor Ort): Meine Cousine und ihre Familie würden sich freuen, wenn wir kämen. Nichts anderes zählte.
Wir wurden mit herzlichen Umarmungen begrüsst, uns wurde gleich etwas zu Essen und Trinken vorgesetzt und wir waren willkommen. Ehrlich und aufrichtig willkommen. Keine Spur von den Vorwürfen, Schuldgefühlen und dem großen "Aber...!", die ich aus meiner Herkunftsfamilie kenne. Statt dessen war in jedem Wort, jeder Geste Liebe und Wertschätzung enthalten. Ich frage mich schon beinahe, wer denn hier wohl eigentlich Geburtstag hatte.
Schließlich saßen wir im Zelt, der Gemahl und ich, vor unseren leergegessenen Tellern, da tauchten meine Eltern aus dem hinteren Teil des Gartens auf. Meine Mutter konnte nicht umhin, mich zu umarmen. Zum Glück ließ sie irgendwann auch wieder los. Mein Vater streckte mir die Hand hin, mit bettelndem Blick, und wollte die meine auch nicht loslassen, sondern mich in eine Umarmung hineinziehen, ganz ähnlich, wie es meine Mutter getan hatte. Ich ließ ihn nicht, der Widerwille war zu groß. Er setzte sich mir gegenüber auf die Bierbank, immer wieder den Blick suchend, und ich weigerte mich, ihn zu erwidern. Der Jüngste meiner Cousine kam mit einer Flasche Schnaps und goss ein. Mein Vater legte den Kopf schief und fragte: "Na, trinkste einen zusammen mit mir?" "Wenn sich's nicht vermeiden lässt...!" antwortete ich und schluckte den Alkohol. Keine Lust, so zu tun, als sei alles in bester Ordnung, als hätten wir uns erst gestern gesehen und als sei alles "wie früher". Ich ging mein Glas auffüllen. Als ich wiederkam, hatte mein Vater es begriffen und sich umgesetzt und textete anstatt mich meinen armen Gatten zu.
Mein persönliches Glück dieses Tages lag in der vollkommenen Abwesenheit von Angst. Abscheu habe ich gefühlt, ja. Widerwillen, ja. Tiefe Antipathie gegen diesen Mann, der sich so hartnäckig weigert, erwachsen und ein anderer zu werden. Aber auch die Gewissheit, dass ich eine andere geworden bin. Dass mir dieser Mann keine Panik mehr einjagt. Dass genügend Menschen um mich herum sind, die mich stärken und die mich schätzen, ohne dass ich dafür Bedingungen erfüllen muss.
Ich habe keinen Vater mehr. Der Mann, von dem ich mir in meinem Leben mehr als alles andere Liebe, Anerkennung und Respekt erhofft habe, ist endgültig tot. Der Mann, von dem meine Existenz vollkommen abhing, ist tot. Der Mann, der schlug, schrie und missbrauchte, spielt in meinem Leben keine Rolle mehr, weil ich ihn aussperren und dafür sorgen kann, dass er mich niemals mehr verletzt. Ich habe ihn deutlich geschrumpft. Ich habe an diesem Abend nicht einmal gedanklich etwas mit ins Bett genommen, was mich an ihm ärgerte. Ich habe nur festgestellt, er ist immer noch derselbe. Mein Vater ist er nicht mehr - nur der Mensch, der mich zufällig gezeugt hat. Keine Schwere, keine Verzweiflung mehr in meinem Herzen, allenfalls noch eine gesunde Portion Wut, die sich ausgezeichnet zur Wahrung meiner Grenzen verwenden lässt, mich aber nicht mehr auffrisst. Mein Leben ist wirklich ein besseres ohne ihn.
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