Sturmflut
Samstag, 28. April 2012
Und außerdem...
...vorgestern auch noch so nette Post bekommen. Von Herrn Pastiz, der ein wenig weiter reist, als ich das so im Allgemeinen tue. Diesmal nach Kuba.



Ich habe mich so gefreut! Vielen Dank!

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Zu Fuß
Wenn S. und ich zu Studienzeiten gemeinsam in irgendeinem Café oder in meiner Wohnung bei einem Glas Wein saßen oder auf der Decke am nahegelegenen See, fabulierten wir gern darüber, wie es wohl wäre, mal gemeinsam den Jakobsweg zu wandern. Nicht aus religiösen, sondern eher aus Entschleunigungsgründen. Zur Schaffung gemeinsamer Erlebnisse, zum Verbringen gemeinsamer Zeit, zu einer neuen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und generell zum Durchatmen. Was natürlich auch Blasen an den Füßen, unbequeme Betten und das Schleppen von Rucksäcken mit eingeschlossen hätte. Ein paar Wochen hätten wir dafür schon investieren müssen. Ein Zeitraum, der zu Studentenzeiten längst nicht so verschwenderisch üppig erschien wie jetzt, da wir beide Bekanntschaft gemacht haben mit der Realität des Arbeitslebens und der Neubewertung von Freizeit. An Zeit hatten wir damals reichlich, was uns heute fehlt. Dafür haben wir heute finanzielle Möglichkeiten, an denen es damals mangelte. Das scheint so etwas wie ein höheres Gesetz zu sein.

Also scheiterte die erträumte Wallfahrt seinerzeit am leeren Portemonnaie, aber auch daran, dass sich schließlich zumindest geografisch unsere Lebenswege trennten und wir kaum Möglichkeiten für gemeinsame Pläne hatten. S. war ständig in der Weltgeschichte unterwegs, promovierte und veröffentlichte, hielt Seminare. Bis hin zum Burn-Out, der schließlich zu ihrem Entschluss beitrug, ihre Stelle zu kündigen und aus dem Wissenschaftsbetrieb auszusteigen. Jetzt ist sie arbeitslos und also frei, was die Zeitgestaltung betrifft, schreibt natürlich auch weiterhin Bewerbungen und sucht nach einer neuen Richtung. Ich meinerseits war damit beschäftigt, mich parallel zum schlecht bezahlten Werksstudentendasein durch die Tiefe meiner Vergangenheit zu wühlen, Wunden zum Heilen zu bringen und manchmal auch nur damit, mich einfach über Wasser zu halten, was eher dem reinen Überleben als wirklichem Leben glich. Komisch, dass S. und mich so gegensätzliche Umstände wieder näher zueinander bringen - sie arbeitslos, ich mit Festanstellung.

Sie rief an und sprach mit meiner Antwortmaschine. Wir hätten doch schon so oft übers gemeinsame Wandern gesprochen und jetzt - naja, ob ich nicht Lust hätte? Nicht gleich nach Santiago de Compostela, sondern in erreichbarem Umkreis, aber dennoch auf den eigenen zwei Beinen, gemeinsam mit ihr, eine Woche lang. Vielleicht Ende Juni?

Es freut mich besonders, das aus S.' Mund zu hören, weil ich mir nie sicher war, ob sie so viel Zweisamkeit und Langsamkeit eigentlich wirklich möchte. Grundsätzlich ist sie ja doch eher der Typ Mensch, der flüchtet und nirgends ankommt. Aber vielleicht ist das gerade der Grund, warum sie es vorschlägt. Gerade jetzt, weil sich bei ihr und in ihr so viel verändert. Weil sie weiß, wir zwei haben uns immer noch etwas zu sagen nach all der Zeit, würden es problemlos miteinander aushalten und vielleicht ein wenig näher kommen - zueinander, zu uns selbst und zur Natur. Also rief ich zurück, und wir begannen, Pläne zu schmieden. Das Zielgebiet und die Route sollen gegen Mitte, Ende Mai feststehen. Vom Fortgang der Planungen werde ich sicher immer wieder hier berichten.

Es wird nichts Großes, nichts Weites, es wird Deutschland bleiben. Zwanzig oder fünfundzwanzig Kilometer pro Tag, vielleicht manchmal mehr, manchmal weniger.

Wie aufregend sowas sein kann, erfuhr ich im Wortsinne bereits schon mal, als ich mit dem Gemahl im Sommer eine dreitägige Fluss-Radtour machte. Wir kannten die Gegend, wir fuhren von W. aus einfach mit dem Rad nach hause. Es war faszinierend, was mit der Zeit geschah. Sie schien sich plötzlich zu dehnen, obwohl man doch immer sagt, dass die Zeit fliegt, wenn man Spaß hat. Wir haben den Tagen mehr Leben gegeben (auch wenn ich diesen Spruch eigentlich etwas kitschig finde, trifft er doch zu). Die drei Tage waren gefühlt wie eine Woche und der Erholungswert ohnehin unbezahlbar.

Es ist etwas besonderes, morgens loszufahren, wenn der Nebel noch über den Feldern liegt. Sich im Gewitterregen unter ein Scheunendach zu ducken, nachdem man einige Kilometer weit ziemlich eilig den dunklen Wolken davon gefahren ist. Nach einem Tag im Fahrradsattel in einen Baggersee zu springen und die Kühle zu genießen. Schließlich abends in einem Biergarten zu sitzen mit Kies unter den Füßen und einem eiskalten Bier vor der Nase. Es schläft sich anders, es isst sich anders, es atmet sich anders. Der Blick auf die Landschaft ist anders. Diese Art des Reisens abseits der Autobahnen und Bundesstraßen erschließt einen vollkommen anderen Blick auf die Landschaft und die Natur. Man sieht Viecher, die man sonst nicht gesehen hätte und bleibt an Plätzen stehen, die sonst unbeachtet an einem vorbeigestreift wären.

Ich weiß nicht, in wie weit meine Vorstellung des gemeinsamen Wanderns mit S. von der Realität entzaubert werden wird. Ob uns möglicherweise schmerzende Füße, Dauerregen und Mückenschwärme piesacken werden. Aber ich muss sagen, dass ich mich auf die Erfahrung über alle Maßen freue. "Wer weiß," meinte S. schließlich am Telefon, "vielleicht gehen wir nächstes Jahr dann zwei Wochen, übernächstes drei und schließlich doch noch nach Santiago!" Wer weiß. Jede Tradition findet irgendwo ihren Anfang.

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