Sturmflut
Montag, 17. Dezember 2012
Panik, perpetuiert.
Nach der Schießerei an der amerikanischen Grundschule in Newtown wird jetzt wieder öffentlich über das Waffenrecht debattiert. Mein Tipp ist, dass das ungefähr eine Woche anhalten und sich danach auch nichts ändern wird. Aber das ist selbstverständlich meine eigene bescheidene Meinung. Meine eigene bescheidene Meinung ist auch, dass sich eine Menge ändern müsste.

Ich las kürzlich anderswo im Netz eine andere bescheidene Meinung, die sinngemäß lautete: Warum den Waffenbesitz stärker sanktionieren, wenn ohnehin das Töten von Menschen bereits verboten ist und bestraft wird? Wer töten will, wird töten, gleich welches Mittel er dazu benutzen muss.

Vordergründig betrachtet mag das sogar stimmen. Eine Waffe kann alles sein, und wenn einer in Rage einen anderen mit den bloßen Fäusten und Fußtritten so verletzt, dass er stirbt, dann ist derjenige genau so mausetot wie jemand, der eine Kugel zwischen die Augen bekommt. Fäuste kann man nicht verbieten. Holzknüppel auch nicht. Küchenmesser auch nicht (auch wenn das Herumlaufen mit einem Küchenmesser in der Tasche je nach Länge der Klinge durchaus als das Tragen einer Waffe gewertet wird und daher dann strafbar wäre). Klar kann auch einer seine biestige Ehefrau vergiften, wenn er die Nase voll von ihr hat. Oder ihr einen Föhn ins Badewasser werfen.

Aber es gibt etwas, das Schusswaffen deutlich von anderen Waffen unterscheidet, und das kam (ob bewusst oder unbewusst, lasse ich dahingestellt) nicht zur Sprache. Wenn ich jemanden beispielsweise mit einem Messer töten möchte, dann muss ich nah ran. Dann muss ich es verstehen, damit umzugehen, um mein Gegenüber mindestens so zu verletzen, dass es mich nicht überwältigen und mir das Messer abnehmen kann. Ich muss all das Blut ertragen können und das Ausmaß der Verletzung, die ich dem anderen zufüge, den Blick in seinen Augen. Ich muss mit meinem Scheitern rechnen, wenn der andere sich wehrt. Ich muss darauf achten, mich nicht selbst mit der scharfen Klinge zu verletzen.

Eine Schusswaffe ermöglicht das Töten auf Distanz. Ich muss im wahrsten Sinne des Wortes lediglich den Finger krumm machen, um jemandem das Leben zu nehmen. Irgendwo da hinten fällt dann jemand um, das muss mich nicht berühren. Mein Magazin voller Patronen erlaubt es mir, das auch schnell mehrere Male hintereinander zu tun. (Die Opfer von Newtown wurden jeweils von bis zu elf Kugeln getroffen.) Eine Schusswaffe ist schnell, effizient und unpersönlich. Dafür wurde sie erfunden. Warum man also den Besitz von Schusswaffen erheblich schärfer kontrollieren und sanktionieren sollte, liegt auf der Hand.

Ich persönlich sehe überhaupt nicht den geringsten Grund, warum irgendwer eine Schusswaffe benötigen sollte und bin durchaus auch der Ansicht, man könnte in Deutschland gern alle Schützenvereine zumachen und all die "Sportschützen" versuchen für den Dartsport zu begeistern. Oder für Volleyball, Leichtathletik, Yoga. Ein gern strapaziertes Argument ist das der Selbstverteidigung. Also, wenn da jemand kommt und meine Familie bedroht, dann muss ich mich doch wehren können. - Dies ist, so schlüssig das auch auf den ersten Blick wirkt (und hübsch emotional unterfüttert durch das magische Wörtchen "Familie"), lediglich ein Scheinargument. Das Vorhandensein von Waffen, festgeschrieben durch die Verfassung, führt überhaupt erst zu der Notwendigkeit, sich verteidigen zu müssen. Dahinter steckt eine abgewandelte Kalte-Kriegs-Logik. Außerdem ist "Verteidigung" ein sehr dehnbarer Begriff, und die Auslegung desselben waffentragenden Normalbürgern zu überlassen, kommt faktisch einer Aufforderung zur Selbstjustiz gleich (gesehen beispielsweise im Fall Trayvon Martin). Solcherlei laxe Regularien sind einer sich selbst freiheitlich-demokratisch nennenden Gesellschaft unwürdig. Alles dreht sich letztlich um Angst und Ohnmacht, den Wunsch nach "Sicherheit" und die Interessen einer überaus mächtigen Lobby.

Gegen Missbrauch der Schusswaffe hilft auch kein noch so gründlicher Background-Check. Im Grunde ist jeder Ge-brauch dieses tödlichen Instruments bereits ein Miss-brauch. In einer Gesellschaft, in der das Tragen einer Waffe so selbstverständlich ist, ist der Einwand "Aber hinter jeder Ecke könnte ein Böser sein, der mir ans Leder will - da muss ich doch..." beinahe so etwas wie ein natürlicher Reflex. Denn es stimmt ja. Bei dieser Form staatlicher Erlaubnis kann tatsächlich jeder Mensch zum todbringenden Amokläufer werden. Und auch die, deren Gesinnung auf den ersten Blick rein und lauter erscheint, stehen nicht unverrückbar auf der Seite der "Guten". Auf wessen Seite wer steht, ist lediglich eine Interpretationsfrage.

Die amerikanische Hausfrau, die ich neulich in einer Dokumentation im Garten hinter ihrem Haus auf dem Bauch liegen sah, hielt in ihren Händen mit lackierten Nägeln die Waffe und übte das Zielen. "Wenn einer kommt und mir was will, dann wehre ich mich!" Sie hatte in ihren Augen diesen leicht irren Glanz, es spiegelte sich die Freude an der Waffe, die aus dem Gefühl der Macht resultiert. Macht über die Unwägbarkeiten des Lebens, Macht über die Angst, die Unkontrollierbarkeit, Macht über das Leben und Sterben anderer. Sie fühlte sich sichtbar stark, und das ist ein probates Mittel gegen das Gefühl von Ohnmacht - sei es nun von Interessenverbänden geschickt eingeflüstert, sei es biografisch begründet. Ich vermute, meistens ist es eine Mischung aus beidem.

(Durchaus auch andere Länder, aber am augenfälligsten) Amerika leidet unter einer ansteckenden, kollektiven Angstneurose. Eine Schusswaffe ist ein Gerät, das ausschließlich zum Zwecke des Tötens entworfen wurde. Wer sich eine zulegt, zeigt, dass er die Option, ein anderes Menschenleben auszulöschen, zur Selbststabilisierung benötigt. Ein Amoklauf ist lediglich die bis zur allerletzten Konsequenz auf die Spitze getriebene Version dieses Prinzips.

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