Verächtlicher Jargon
Am 18. Jan 2011 im Topic 'Deckschrubben'
Neulich habe ich ein neues Wort gelernt:
"Integrationsresistenter Kunde"
Ich musste zuerst überlegen... Bis ich begriff, dass die sogenannten Arbeitsagenturen ihre "Fälle" heute als Kunden bezeichnen. Eine einzigartige Konstruktion, diese Zusammenstellung, wirklich. Integration (das Buzzword des Jahres 2010) gilt gemeinhin als etwas Gutes. In Sachen Resistenz kommt es schon drauf an: Eine regenresistente Jacke ist was Feines, ein (gegen welche Bearbeitung auch immer) resistenter Mensch eher nicht. Der Knüller im Gesamtkunstwerk ist aber das Wort "Kunde". Da denke ich in erster Linie an sinnentleerte (und inzwischen breitgetretene) Marketing-Sätze wie "Bei uns ist der Kunde König!"
Wenn sich einer also nicht integrieren lässt, in diesem Fall in den Arbeitsmarkt, dann ist er resistent. So weit, so wenig gut schon an diesem Punkt. Dazu später. Der Knoten in meinem Kopf rührte zuerst einmal aus folgender Unvereinbarkeit: Der arbeitssuchende Mensch ist auf dem Arbeitsmarkt eine Ware, genaugenommen, seine Arbeitskraft ist es. Also ist die Arbeitsagentur als vermittelnde Stelle ein Arbeitskraft-Händler. Manche Ware ist auf dem Arbeitsmarkt allerdings etwas schwer loszuwerden, was frustrierend für den Händler ist. Also redet er sich ein, der Arbeitssuchende sei eigentlich ein Kunde, der etwas von ihm will, und die Arbeit, die es zu tun gibt, eine begehrenswerte Ware. Dabei mangelt es nicht an Arbeit. Und der sogenannte Kunde bezahlt auch nicht für die Arbeit, die er bekommt. Kann er gar nicht.
So hübsch es sich also erst mal anhört, so hofiert und königlich - der "Kunde" ist kein solcher. Er ist ein Arbeitsloser, ein Bittsteller - punktum. Einen Kunden würde man auch nie als integrationsresistent bezeichnen. Jemand, der sich nicht einfügen will oder kann, es aber eigentlich nach Ansicht mancher Leute tun müsste, ist meilenweit davon entfernt, Mitglied einer umschwärmten Zielgruppe zu sein. Selten war innerhalb eines einzelnen Begriffs der Widerspruch größer.
"Integrationsresistenter Kunde" oder kurz "IR-Kunde" ist wieder mal ein Beispiel für wortgewordene Verächtlichkeit. Mit schöner Regelmäßigkeit werden neue Worthülsen kreiert, um Ausdrücke zu vermeiden, die im Verlauf der Zeit negativ besetzt worden sind. "Behinderte" ist so ein Wort, heute heißt es politisch korrekt "Menschen mit besonderen Bedürfnissen". Aus den "Geistesgestörten" sind "Psychisch Kranke" geworden (wobei das Wort schon wieder auf der Kippe steht), bei Koriander fand ich einen thematisch entsprechenden Artikel über die Verwendung des Begriffes "Nigger" in den Werken Mark Twains... Ginge mit dem Begriffswandel auch eine Änderung der inneren Einstellung einher, dann wäre das alles ja schön und gut. Aber letztlich versuchen wir nur, nette Begriffe zu finden für Gruppen von Menschen, die wir eigentlich verachten und zu denen wir den Kontakt möglichst vermeiden wollen.
Auf diese Weise mutieren auch die - vielleicht in bester Absicht - neu gewählten Begrifflichkeiten schnell zu Schimpfwörtern. Wenn meine Schwester beispielsweise das Wort "Migrationshintergrund" benutzt, dann ist die Gehässigkeit deutlich spürbar. Es wäre nicht einen Deut verletzender, wenn sie "Ausländer" oder "Fremde" sagte.
Der Ausdruck "integrationsresistenter Kunde" fällt in genau dieselbe Sparte. Ähnlich wie medizinische Fachbegriffe Ärzten die Möglichkeit bieten, sich über einen Sachverhalt (wahrscheinlich auch oft wertend) zu äußern, ohne dass der anwesende Patient etwas davon versteht, hat der Begriff "IR-Kunde" für den Fallmanager den Vorteil, dass möglicherweise zumindest ein Teil seiner Klientel nicht weiß, wer oder was gemeint ist. Darüber hinaus ist aber die Abwertung bei aller Schönfärberei doch so auffällig, dass sich mir die Nackenhaare sträuben.
Die Wirtschafts-, Wohlstands- und Fortschrittsgläubigkeit in diesem Land geht so weit, dass sie das Prinzip "Jeder ist seines Glückes Schmied" auf die Spitze treibt und dem Langzeit-Arbeitslosen pauschal Widersetzlichkeit und Unverbesserlichkeit bescheinigt. Wenn es jemand beim besten Willen nicht packt, dann ist das einzig denkbare Fazit, dass er einfach nicht will. In diesem Kontext gebraucht sich das Wort "integrationsresistent" synonym für "stinkfaul". Damit fällt es in dieselbe Schublade wie der fröhlich-unbekümmert überstrapazierte "Sozialschmarotzer". Arbeit zu haben und Geld zu verdienen ist das höchste Ziel von allen, und wer das nicht lebt (egal, ob er nicht kann oder nicht will), wird schneller zur Randfigur erklärt, als er "Hartz IV" sagen kann.
Das Wort "integrationsresistenter Kunde" kann nur einer Denke entspringen, die die Struktur als solche unangetastet lässt und sich die Welt des Kapitalismus auf Teufel komm raus schönredet. Der nicht vermittelbare Mensch wird selbst als einzig mögliche Quelle seines eigenen Elends wahrgenommen. Dass auch das System unwürdig und erniedrigend sein könnte, darauf kommt man nicht. Ich persönlich würde lieber in einer Welt leben, in der ich die Arbeit erfolgreich in mein Leben integrieren kann, als dass ich mich und meine Arbeitskraft als Ware in ein Verwertungssystem integrieren lassen muss. Dass das naiv ist, ist mir bewusst, aber ich halte es für wichtig, andere Zustände als die aktuellen zumindest zu denken. Das Leben anders zu denken ist wenigstens die Grundlage für eine gesunde "Integrations-Resistenz", die sagt: "Stopp!! Lass Dich nicht schlucken, lass Dich nicht verbiegen und entwürdigen!"
Ich glaube, der Mensch hat eigentlich einen natürlichen Hang dazu, zu arbeiten, zu denken, sich zu engagieren. Wenn jemand nicht "funktioniert", dann muss der Fehler nicht zwangsläufig bei ihm liegen. Vielleicht spürt er, unbewusst und nur ganz subtil und ohne es benennen zu können, dass eine Verwertung des eigenen Ich in der Maschinerie der Gewinnmaximierung den Menschen in ihm unberücksichtigt und ungesehen lässt. Und stemmt alle Viere in den Türrahmen, um nicht in diese Tretmühle gestoßen zu werden. Da ist "Integrations-Resistenz" schon beinahe eine Auszeichnung für die menschliche Seele, die sich auch mit den schönsten Wohlstandsversprechen nicht verarschen lässt.
"Integrationsresistenter Kunde"
Ich musste zuerst überlegen... Bis ich begriff, dass die sogenannten Arbeitsagenturen ihre "Fälle" heute als Kunden bezeichnen. Eine einzigartige Konstruktion, diese Zusammenstellung, wirklich. Integration (das Buzzword des Jahres 2010) gilt gemeinhin als etwas Gutes. In Sachen Resistenz kommt es schon drauf an: Eine regenresistente Jacke ist was Feines, ein (gegen welche Bearbeitung auch immer) resistenter Mensch eher nicht. Der Knüller im Gesamtkunstwerk ist aber das Wort "Kunde". Da denke ich in erster Linie an sinnentleerte (und inzwischen breitgetretene) Marketing-Sätze wie "Bei uns ist der Kunde König!"
Wenn sich einer also nicht integrieren lässt, in diesem Fall in den Arbeitsmarkt, dann ist er resistent. So weit, so wenig gut schon an diesem Punkt. Dazu später. Der Knoten in meinem Kopf rührte zuerst einmal aus folgender Unvereinbarkeit: Der arbeitssuchende Mensch ist auf dem Arbeitsmarkt eine Ware, genaugenommen, seine Arbeitskraft ist es. Also ist die Arbeitsagentur als vermittelnde Stelle ein Arbeitskraft-Händler. Manche Ware ist auf dem Arbeitsmarkt allerdings etwas schwer loszuwerden, was frustrierend für den Händler ist. Also redet er sich ein, der Arbeitssuchende sei eigentlich ein Kunde, der etwas von ihm will, und die Arbeit, die es zu tun gibt, eine begehrenswerte Ware. Dabei mangelt es nicht an Arbeit. Und der sogenannte Kunde bezahlt auch nicht für die Arbeit, die er bekommt. Kann er gar nicht.
So hübsch es sich also erst mal anhört, so hofiert und königlich - der "Kunde" ist kein solcher. Er ist ein Arbeitsloser, ein Bittsteller - punktum. Einen Kunden würde man auch nie als integrationsresistent bezeichnen. Jemand, der sich nicht einfügen will oder kann, es aber eigentlich nach Ansicht mancher Leute tun müsste, ist meilenweit davon entfernt, Mitglied einer umschwärmten Zielgruppe zu sein. Selten war innerhalb eines einzelnen Begriffs der Widerspruch größer.
"Integrationsresistenter Kunde" oder kurz "IR-Kunde" ist wieder mal ein Beispiel für wortgewordene Verächtlichkeit. Mit schöner Regelmäßigkeit werden neue Worthülsen kreiert, um Ausdrücke zu vermeiden, die im Verlauf der Zeit negativ besetzt worden sind. "Behinderte" ist so ein Wort, heute heißt es politisch korrekt "Menschen mit besonderen Bedürfnissen". Aus den "Geistesgestörten" sind "Psychisch Kranke" geworden (wobei das Wort schon wieder auf der Kippe steht), bei Koriander fand ich einen thematisch entsprechenden Artikel über die Verwendung des Begriffes "Nigger" in den Werken Mark Twains... Ginge mit dem Begriffswandel auch eine Änderung der inneren Einstellung einher, dann wäre das alles ja schön und gut. Aber letztlich versuchen wir nur, nette Begriffe zu finden für Gruppen von Menschen, die wir eigentlich verachten und zu denen wir den Kontakt möglichst vermeiden wollen.
Auf diese Weise mutieren auch die - vielleicht in bester Absicht - neu gewählten Begrifflichkeiten schnell zu Schimpfwörtern. Wenn meine Schwester beispielsweise das Wort "Migrationshintergrund" benutzt, dann ist die Gehässigkeit deutlich spürbar. Es wäre nicht einen Deut verletzender, wenn sie "Ausländer" oder "Fremde" sagte.
Der Ausdruck "integrationsresistenter Kunde" fällt in genau dieselbe Sparte. Ähnlich wie medizinische Fachbegriffe Ärzten die Möglichkeit bieten, sich über einen Sachverhalt (wahrscheinlich auch oft wertend) zu äußern, ohne dass der anwesende Patient etwas davon versteht, hat der Begriff "IR-Kunde" für den Fallmanager den Vorteil, dass möglicherweise zumindest ein Teil seiner Klientel nicht weiß, wer oder was gemeint ist. Darüber hinaus ist aber die Abwertung bei aller Schönfärberei doch so auffällig, dass sich mir die Nackenhaare sträuben.
Die Wirtschafts-, Wohlstands- und Fortschrittsgläubigkeit in diesem Land geht so weit, dass sie das Prinzip "Jeder ist seines Glückes Schmied" auf die Spitze treibt und dem Langzeit-Arbeitslosen pauschal Widersetzlichkeit und Unverbesserlichkeit bescheinigt. Wenn es jemand beim besten Willen nicht packt, dann ist das einzig denkbare Fazit, dass er einfach nicht will. In diesem Kontext gebraucht sich das Wort "integrationsresistent" synonym für "stinkfaul". Damit fällt es in dieselbe Schublade wie der fröhlich-unbekümmert überstrapazierte "Sozialschmarotzer". Arbeit zu haben und Geld zu verdienen ist das höchste Ziel von allen, und wer das nicht lebt (egal, ob er nicht kann oder nicht will), wird schneller zur Randfigur erklärt, als er "Hartz IV" sagen kann.
Das Wort "integrationsresistenter Kunde" kann nur einer Denke entspringen, die die Struktur als solche unangetastet lässt und sich die Welt des Kapitalismus auf Teufel komm raus schönredet. Der nicht vermittelbare Mensch wird selbst als einzig mögliche Quelle seines eigenen Elends wahrgenommen. Dass auch das System unwürdig und erniedrigend sein könnte, darauf kommt man nicht. Ich persönlich würde lieber in einer Welt leben, in der ich die Arbeit erfolgreich in mein Leben integrieren kann, als dass ich mich und meine Arbeitskraft als Ware in ein Verwertungssystem integrieren lassen muss. Dass das naiv ist, ist mir bewusst, aber ich halte es für wichtig, andere Zustände als die aktuellen zumindest zu denken. Das Leben anders zu denken ist wenigstens die Grundlage für eine gesunde "Integrations-Resistenz", die sagt: "Stopp!! Lass Dich nicht schlucken, lass Dich nicht verbiegen und entwürdigen!"
Ich glaube, der Mensch hat eigentlich einen natürlichen Hang dazu, zu arbeiten, zu denken, sich zu engagieren. Wenn jemand nicht "funktioniert", dann muss der Fehler nicht zwangsläufig bei ihm liegen. Vielleicht spürt er, unbewusst und nur ganz subtil und ohne es benennen zu können, dass eine Verwertung des eigenen Ich in der Maschinerie der Gewinnmaximierung den Menschen in ihm unberücksichtigt und ungesehen lässt. Und stemmt alle Viere in den Türrahmen, um nicht in diese Tretmühle gestoßen zu werden. Da ist "Integrations-Resistenz" schon beinahe eine Auszeichnung für die menschliche Seele, die sich auch mit den schönsten Wohlstandsversprechen nicht verarschen lässt.