Was wir sind.
Oder: "Du bist genau so wie..."
Oder: "Du bist genau so wie..."
Am 19. Nov 2012 im Topic 'Tiefseetauchen'
Mein Kopf schwirrt von Eindrücken, die zu ordnen mich noch eine Weile beschäftigen wird. Wenn ich von einem Besuch bei meiner Schwester heimkehre, dann bin ich immer sehr erleichtert, meine ganz persönliche "Normalität" wiederzuhaben.
Was nun normal ist, darüber lässt sich bekanntermaßen streiten. Fest steht lediglich, dass um meine Schwester und ihre Familie herum eine Aura der Verkrampftheit herrscht, die ich in meinem eigenen Leben auf gar keinen Fall ertragen könnte. Sie hat sich für alles mögliche tausendmal entschuldigt. Dafür, dass sie uns im Bademantel und mit Handtuchturban auf dem Kopf die Tür öffnete. Dafür, dass mein Schwager nicht da war, weil er noch Dienst in der Klinik hatte. Als wir schließlich am Sonntagabend wieder fuhren, entschuldigte sie sich dafür, dass so viel Chaos gewesen sei, mit Kuchenbacken und Gästen. Das nächste Mal...
Dabei waren es gerade diese ganz alltäglichen Dinge, die mir am Samstag gut gefallen hatten. Das erhoffte Mehr an Nähe ließ sich in manchen Momenten tatsächlich finden. Als wir gemeinsam Kuchen buken und uns um das Drumherum kümmerten, das für die Geburtstagsfeier von Klein J. anstand. Als wir uns am Sonntag gemeinsam darüber freuten, dass die Torte tatsächlich wie geplant gelungen war und darüber hinaus noch gigantisch gut schmeckte. Nähe habe ich gespürt, als sie mit einem warmen Lächeln in den Augen aus der Drogerie kam, vor der ich mit meinem Neffen im Buggy und meiner Nichte auf dem Schoß auf sie gewartet hatte. Diese Nähe fühlte ich besonders, als wir am Samstagabend am Bett meiner Nichte gemeinsam "Weißt du, wieviel Sternlein stehen?" sangen. Da musste ich mir eine Träne der Rührung verkneifen. Da war tatsächlich meine Schwester als Mensch, als wir uns verabschiedeten und sie mich aus der Umarmung (zum ersten Mal, wenn ich mich recht erinnere) nicht wieder entlassen wollte und mir sagte, sie habe sich gefreut. So, dass ich es ihr ohne Umschweife glauben konnte.
Ich habe durchaus gemerkt, dass sie die eine oder andere Spitze an diesem Wochenende gegen mich abfeuerte. Dieses Verhalten kam mir reflexhaft vor, antrainiert, wie ein sorgsam aufgebauter und gepflegter Panzer, hinter dem sie sich versteckt. Getroffen hat sie mich damit nicht wirklich, denn gerade die Erkenntnis über die Reflexhaftigkeit hat mich begreifen lassen, dass nicht ich es war, die gemeint war. Einmal war sie nah dran. Als sie begann, über Lehrer zu lästern, weil diese nun einmal ein eigenartiger, nerviger Menschenschlag seien, habe ich ihr Einhalt geboten und zu Bedenken gegeben, dass meine Freundin I. und ihr Mann S. beide Lehrer seien und nun einmal meine Freunde, und dass ich an ihnen derlei Eigenheiten bislang nicht habe beobachten können.
Ich erzählte, dass I. ihres Chronic Fatigue Syndroms wegen nicht arbeiten könne. Die schlagartige, undurchdachte Antwort meiner Schwester darauf lautete: "Ach ja, Depressionen. Stimmt, die sah auf eurer Hochzeit auch schon so depressiv aus!" Ich gebe zu, da kochte mir schon ein wenig das Blut in die Ohren. Nein, stellte ich klar, mit Depressionen habe das CFS nichts zu tun und im Übrigen kennte ich mich so gründlich mit Depressionen aus, dass ich sie erkennte, wenn ich sie sähe. Die Schulmedizinerin in meiner Schwester konnte einfach nicht umhin, diese Menschen, die sie überhaupt lediglich einmal in ihrem Leben gesehen hatte, im Rahmen ihres Erfahrungshorizontes anhand dieser groben Eckdaten zu bewerten.
Bewertung, damit ist sie ständig beschäftigt. Genau das ist es, was mich irritiert. Es trifft mich nicht mehr, aber ich finde es ausgesprochen anstrengend und rigoros. Der einzige Punkt, an dem sie mich tatsächlich verletzte, war, als sie nach einem etwas eigenartigen Dialog zwischen meinem Mann und mir sagte: "Du bist echt genau wie Mama. Da hast du jetzt wortwörtlich genau das Gleiche gesagt, wie sie immer bei Papa sagt, wenn sie nicht zu Wort kommt. Echt - genau wie Mama!" Stimmt, da war ich konsterniert, war getroffen, konfus, verletzt.
Mir zu sagen, ich sei wie meine Mutter, grenzt in meinen Augen an Beleidigung, zumindest in dieser Hinsicht. Vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Kenntnisse über unsere Mutter musste ihr auch bewusst gewesen sein, wie wenig schmeichelhaft war, was sie sagte. Meine Mutter ist eine äußerst passive Person, die niemals für sich fordert, aber umso mehr darüber jammert, dass sie dauernd zu kurz kommt. In Sachen Redezeit ebenso wie bei Zuwendung, Anerkennung, Respekt, Liebe. Und so sollte ich nun sein? Und möglicherweise noch mein Mann wie mein Vater? History repeating?
In meinem Kopf ging eine Lawine los. Ich sagte meiner Schwester deutlich, wie wenig freundlich ich das fand. Erwartungsgemäß nahm sie das nicht ernst. Im Gegenteil, sie schien sich zu freuen, dass ich mich ärgerte. Das Geröll in meinem Kopf fiel brockenweise. Zuerst donnerte es in mir: "Du brauchst dich nicht zu ärgern. Du brauchst dich nicht zu ärgern. Du brauchst dich nicht zu ärgern. Darüber bist du hinaus!" Dann irgendwann, einige Teppichspiele mit den Kindern und Geschirrspüldurchgänge später: "Richtig, du ärgerst dich. Könnte sein, dass du einen Grund dazu hast. So ist das!" "Das war nicht nett, das mit meiner Mutter", flüsterte ich dem Gemahl in einer ruhigen, unbeobachteten Minute zu, und er nickte.
Der letzte Brocken, der durch meine Gedanken rauschte, war: "Bitte tu dir den Gefallen und überprüfe, ob es der Realität entspricht, was sie sagt!" Was ich tat. Damit hatte die Lawine ein Ende.
Sie tut es überall. "Du bist genau so wie..." ist ein Satz, den man häufig von meiner Schwester hört. Er ist eine Spezialform ihres ausgeprägten Hanges, alles und jeden zu bewerten. Sie weiß, wie die Nachbarn sind und warum sie so sind, wie sie sind. Sie weiß, was die Leute über sie denken. Sie teilt die Menschen im Einkaufszentrum in "asoziale Leute in Billigklamotten" und "Etepetete-Typen". Das Modul "Bist du wie ich oder bist du anders?" läuft auf Hochtouren. Sie kennt die Kinder ihrer "Freunde" (über die sie hinter deren Rücken lästert) besser, als diese sie selbst kennen. Sie hat auf alles eine Antwort.
Innerhalb der Familie lautet das Credo dieser Bewertungsmaschinerie "Du bist genau so wie...". Ihre Tochter ist, schenkt man der Aussage meiner Schwester Glauben, genau so wie sie selbst - unsportlich, grobmotorisch, ordentlich und brav. Ich bin demzufolge im Kommunikationverhalten mit meinem Angetrauten genau so wie meine Mutter. Unser beider Ordnungsverhalten ist ihrer Meinung nach auf das Erbe unserer Großmutter mütterlicherseits zurückzuführen. Das entnahm sie der Tatsache, dass ich ihre Backformen unaufgefordert der Größe nach ineinander stellte. Ich fand das lediglich logisch. Sie schloss aus der Beobachtung, dass ihre Schwiegermutter es nicht so macht, dass es sich dabei um ein für die weibliche Linie unserer Familie spezifisches Verhalten handeln muss. Ich finde die Theorie zumindest fragwürdig. Ihr Sohn, so findet meine Schwester, hat genau dieselben Augenbrauen wie ich als Kind. Und an diesem Wochenende sprach sie ihre Tochter mit meinem Namen an.
"Du bist genau so wie unsere Mutter!" - das muss mich nicht verletzen, das wird mir immer klarer. Denn ich sehe das anders. Ich finde nicht, dass ich es bin, und wenn am Kommunikationsverhalten zwischen mir und dem Gemahl etwas reparaturbedürftig sein sollte, dann merke ich das schon selbst.
"Du bist genau so wie..." - das erfüllt aber auch eine Funktion. Das verstehe ich jetzt. Es ist sicherlich der Wunsch, Gemeinsamkeit herzustellen. Ich nehme an, sie spürt, dass wir sonst nicht viel gemeinsam haben, und genau so zu sein wie jemand aus der Familie, das macht uns zu Schwestern. Die gemeinsamen, vermeintlich "ererbten" Merkmale stiften die Sicherheit, aus demselben Nest zu kommen und also dieselben Macken und Vorzüge zu haben. "Gehörst du zu mir?" lese ich zwischen den Zeilen meiner Schwester.
Ihr ständiger Abgleich zwischen sich und anderen und das Finden unterscheidender oder gemeinsamer Merkmale sind in meinen Augen Spiegel einer enormen emotionalen Unsicherheit. Im Grunde ist in all dem nicht die Kernfrage, wer und wie die anderen sind. Mir wird klar, sie fragt sich eigentlich: "Wer bin ich?"
Was mich wieder zurückbringt zu meinem Traum davon, was wir sein können. Vielleicht scheint es nicht so, als hätten wir allzu viele Möglichkeiten. Es steht fest, dass wir Schwestern sind, und das wird sich über den Tod unserer Eltern und über unseren eigenen hinaus niemals ändern. Darin allein besteht schon die Verbindung. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir darüber hinaus alle Möglichkeiten haben, unseren Umgang miteinander zu gestalten. Ich kann es annehmen und mich darüber freuen, dass sie mich offensichtlich nah haben will, und ich kann es ausdrücken, wenn ich mich über sie ärgere. Es liegt an uns, ob wir in der Lage sind, Gemeinsamkeiten zu schaffen und ob wir den Wunsch hegen, mehr voneinander und füreinander zu wollen und zu sein, als jetzt der Fall ist.
Etwas ist gewachsen. Anderes ist gestorben. Das ist, was wir jetzt gerade sind.
Was nun normal ist, darüber lässt sich bekanntermaßen streiten. Fest steht lediglich, dass um meine Schwester und ihre Familie herum eine Aura der Verkrampftheit herrscht, die ich in meinem eigenen Leben auf gar keinen Fall ertragen könnte. Sie hat sich für alles mögliche tausendmal entschuldigt. Dafür, dass sie uns im Bademantel und mit Handtuchturban auf dem Kopf die Tür öffnete. Dafür, dass mein Schwager nicht da war, weil er noch Dienst in der Klinik hatte. Als wir schließlich am Sonntagabend wieder fuhren, entschuldigte sie sich dafür, dass so viel Chaos gewesen sei, mit Kuchenbacken und Gästen. Das nächste Mal...
Dabei waren es gerade diese ganz alltäglichen Dinge, die mir am Samstag gut gefallen hatten. Das erhoffte Mehr an Nähe ließ sich in manchen Momenten tatsächlich finden. Als wir gemeinsam Kuchen buken und uns um das Drumherum kümmerten, das für die Geburtstagsfeier von Klein J. anstand. Als wir uns am Sonntag gemeinsam darüber freuten, dass die Torte tatsächlich wie geplant gelungen war und darüber hinaus noch gigantisch gut schmeckte. Nähe habe ich gespürt, als sie mit einem warmen Lächeln in den Augen aus der Drogerie kam, vor der ich mit meinem Neffen im Buggy und meiner Nichte auf dem Schoß auf sie gewartet hatte. Diese Nähe fühlte ich besonders, als wir am Samstagabend am Bett meiner Nichte gemeinsam "Weißt du, wieviel Sternlein stehen?" sangen. Da musste ich mir eine Träne der Rührung verkneifen. Da war tatsächlich meine Schwester als Mensch, als wir uns verabschiedeten und sie mich aus der Umarmung (zum ersten Mal, wenn ich mich recht erinnere) nicht wieder entlassen wollte und mir sagte, sie habe sich gefreut. So, dass ich es ihr ohne Umschweife glauben konnte.
Ich habe durchaus gemerkt, dass sie die eine oder andere Spitze an diesem Wochenende gegen mich abfeuerte. Dieses Verhalten kam mir reflexhaft vor, antrainiert, wie ein sorgsam aufgebauter und gepflegter Panzer, hinter dem sie sich versteckt. Getroffen hat sie mich damit nicht wirklich, denn gerade die Erkenntnis über die Reflexhaftigkeit hat mich begreifen lassen, dass nicht ich es war, die gemeint war. Einmal war sie nah dran. Als sie begann, über Lehrer zu lästern, weil diese nun einmal ein eigenartiger, nerviger Menschenschlag seien, habe ich ihr Einhalt geboten und zu Bedenken gegeben, dass meine Freundin I. und ihr Mann S. beide Lehrer seien und nun einmal meine Freunde, und dass ich an ihnen derlei Eigenheiten bislang nicht habe beobachten können.
Ich erzählte, dass I. ihres Chronic Fatigue Syndroms wegen nicht arbeiten könne. Die schlagartige, undurchdachte Antwort meiner Schwester darauf lautete: "Ach ja, Depressionen. Stimmt, die sah auf eurer Hochzeit auch schon so depressiv aus!" Ich gebe zu, da kochte mir schon ein wenig das Blut in die Ohren. Nein, stellte ich klar, mit Depressionen habe das CFS nichts zu tun und im Übrigen kennte ich mich so gründlich mit Depressionen aus, dass ich sie erkennte, wenn ich sie sähe. Die Schulmedizinerin in meiner Schwester konnte einfach nicht umhin, diese Menschen, die sie überhaupt lediglich einmal in ihrem Leben gesehen hatte, im Rahmen ihres Erfahrungshorizontes anhand dieser groben Eckdaten zu bewerten.
Bewertung, damit ist sie ständig beschäftigt. Genau das ist es, was mich irritiert. Es trifft mich nicht mehr, aber ich finde es ausgesprochen anstrengend und rigoros. Der einzige Punkt, an dem sie mich tatsächlich verletzte, war, als sie nach einem etwas eigenartigen Dialog zwischen meinem Mann und mir sagte: "Du bist echt genau wie Mama. Da hast du jetzt wortwörtlich genau das Gleiche gesagt, wie sie immer bei Papa sagt, wenn sie nicht zu Wort kommt. Echt - genau wie Mama!" Stimmt, da war ich konsterniert, war getroffen, konfus, verletzt.
Mir zu sagen, ich sei wie meine Mutter, grenzt in meinen Augen an Beleidigung, zumindest in dieser Hinsicht. Vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Kenntnisse über unsere Mutter musste ihr auch bewusst gewesen sein, wie wenig schmeichelhaft war, was sie sagte. Meine Mutter ist eine äußerst passive Person, die niemals für sich fordert, aber umso mehr darüber jammert, dass sie dauernd zu kurz kommt. In Sachen Redezeit ebenso wie bei Zuwendung, Anerkennung, Respekt, Liebe. Und so sollte ich nun sein? Und möglicherweise noch mein Mann wie mein Vater? History repeating?
In meinem Kopf ging eine Lawine los. Ich sagte meiner Schwester deutlich, wie wenig freundlich ich das fand. Erwartungsgemäß nahm sie das nicht ernst. Im Gegenteil, sie schien sich zu freuen, dass ich mich ärgerte. Das Geröll in meinem Kopf fiel brockenweise. Zuerst donnerte es in mir: "Du brauchst dich nicht zu ärgern. Du brauchst dich nicht zu ärgern. Du brauchst dich nicht zu ärgern. Darüber bist du hinaus!" Dann irgendwann, einige Teppichspiele mit den Kindern und Geschirrspüldurchgänge später: "Richtig, du ärgerst dich. Könnte sein, dass du einen Grund dazu hast. So ist das!" "Das war nicht nett, das mit meiner Mutter", flüsterte ich dem Gemahl in einer ruhigen, unbeobachteten Minute zu, und er nickte.
Der letzte Brocken, der durch meine Gedanken rauschte, war: "Bitte tu dir den Gefallen und überprüfe, ob es der Realität entspricht, was sie sagt!" Was ich tat. Damit hatte die Lawine ein Ende.
Sie tut es überall. "Du bist genau so wie..." ist ein Satz, den man häufig von meiner Schwester hört. Er ist eine Spezialform ihres ausgeprägten Hanges, alles und jeden zu bewerten. Sie weiß, wie die Nachbarn sind und warum sie so sind, wie sie sind. Sie weiß, was die Leute über sie denken. Sie teilt die Menschen im Einkaufszentrum in "asoziale Leute in Billigklamotten" und "Etepetete-Typen". Das Modul "Bist du wie ich oder bist du anders?" läuft auf Hochtouren. Sie kennt die Kinder ihrer "Freunde" (über die sie hinter deren Rücken lästert) besser, als diese sie selbst kennen. Sie hat auf alles eine Antwort.
Innerhalb der Familie lautet das Credo dieser Bewertungsmaschinerie "Du bist genau so wie...". Ihre Tochter ist, schenkt man der Aussage meiner Schwester Glauben, genau so wie sie selbst - unsportlich, grobmotorisch, ordentlich und brav. Ich bin demzufolge im Kommunikationverhalten mit meinem Angetrauten genau so wie meine Mutter. Unser beider Ordnungsverhalten ist ihrer Meinung nach auf das Erbe unserer Großmutter mütterlicherseits zurückzuführen. Das entnahm sie der Tatsache, dass ich ihre Backformen unaufgefordert der Größe nach ineinander stellte. Ich fand das lediglich logisch. Sie schloss aus der Beobachtung, dass ihre Schwiegermutter es nicht so macht, dass es sich dabei um ein für die weibliche Linie unserer Familie spezifisches Verhalten handeln muss. Ich finde die Theorie zumindest fragwürdig. Ihr Sohn, so findet meine Schwester, hat genau dieselben Augenbrauen wie ich als Kind. Und an diesem Wochenende sprach sie ihre Tochter mit meinem Namen an.
"Du bist genau so wie unsere Mutter!" - das muss mich nicht verletzen, das wird mir immer klarer. Denn ich sehe das anders. Ich finde nicht, dass ich es bin, und wenn am Kommunikationsverhalten zwischen mir und dem Gemahl etwas reparaturbedürftig sein sollte, dann merke ich das schon selbst.
"Du bist genau so wie..." - das erfüllt aber auch eine Funktion. Das verstehe ich jetzt. Es ist sicherlich der Wunsch, Gemeinsamkeit herzustellen. Ich nehme an, sie spürt, dass wir sonst nicht viel gemeinsam haben, und genau so zu sein wie jemand aus der Familie, das macht uns zu Schwestern. Die gemeinsamen, vermeintlich "ererbten" Merkmale stiften die Sicherheit, aus demselben Nest zu kommen und also dieselben Macken und Vorzüge zu haben. "Gehörst du zu mir?" lese ich zwischen den Zeilen meiner Schwester.
Ihr ständiger Abgleich zwischen sich und anderen und das Finden unterscheidender oder gemeinsamer Merkmale sind in meinen Augen Spiegel einer enormen emotionalen Unsicherheit. Im Grunde ist in all dem nicht die Kernfrage, wer und wie die anderen sind. Mir wird klar, sie fragt sich eigentlich: "Wer bin ich?"
Was mich wieder zurückbringt zu meinem Traum davon, was wir sein können. Vielleicht scheint es nicht so, als hätten wir allzu viele Möglichkeiten. Es steht fest, dass wir Schwestern sind, und das wird sich über den Tod unserer Eltern und über unseren eigenen hinaus niemals ändern. Darin allein besteht schon die Verbindung. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir darüber hinaus alle Möglichkeiten haben, unseren Umgang miteinander zu gestalten. Ich kann es annehmen und mich darüber freuen, dass sie mich offensichtlich nah haben will, und ich kann es ausdrücken, wenn ich mich über sie ärgere. Es liegt an uns, ob wir in der Lage sind, Gemeinsamkeiten zu schaffen und ob wir den Wunsch hegen, mehr voneinander und füreinander zu wollen und zu sein, als jetzt der Fall ist.
Etwas ist gewachsen. Anderes ist gestorben. Das ist, was wir jetzt gerade sind.