Sturmflut
Brennende Augen und: Geld oder Leben
Alles heute zum letzten Mal gemacht. Die vertrauten Arbeitsschritte, den Kaffeebecher ausgewaschen, den Bürostuhl an den Tisch gerückt, den Kippschalter an der Steckerleiste gedrückt. Aus.

Eine Reihe von Banalitäten. Dennoch fängt jetzt etwas ganz anderes an.

Ich habe mich mit brennenden Augen bemüht, meine Gefühle nicht zu zeigen. Ich wollte es nicht. Geheuchelte Abschiedslitaneien von Leuten, mit denen ich nichts anfangen kann, Beileidsbekundungen über einen Zustand, der weder höherem Schicksal geschuldet ist noch dem Umfang meiner Fähigkeiten, sondern lediglich der Borniertheit des Chefs. "Es ist einfach so unfair!", sagte der Gatte, und Recht hat er.

Geschenkt bekommen habe ich von dem einzigen Menschen, der mir abgesehen vom Gatten wirklich etwas bedeutet in dem Laden, nämlich meinem direkten Vorgesetzten, eine warmherzige Umarmung, die Zusicherung, mich auch weiter voll zu unterstützen, wenn ich das möchte, das Angebot, als Referenz zu dienen - jederzeit. Feuchte Augen. Wirklich so zu nennender Abschiedsschmerz.

Aus der Buchhaltung die Zusicherung, ein super Arbeitszeugnis zu bekommen und aufmunternde Worte, ich werde sicher ganz bald wieder etwas Gutes finden. Dazu eine gehörige Prise Humor, die einfach nur gut tat.

Und vom Gatten und von Freund J. viel, viel Verständnis und Rückenstärkung.

Vor die Wahl gestellt, im Juni doch noch zu arbeiten und mir den Urlaub finanziell abgelten zu lassen, musste ich erst einmal ganz schön in mich hineinhorchen. Ich hätte das Geld gut brauchen können, aber es war eine totale Entweder-Oder-Entscheidung, die mir niemand abnehmen konnte. Geld oder Leben. Ich habe mich für Leben entschieden.

Allmählich stellt sich Erleichterung ein. Jetzt wird erst mal durchgeatmet.