Sturmflut
Trostlosigkeit im Sucher
Heute nachmittag griff ich die DSR des Gatten und radelte zum nächstgelegenen Friedhof. Friedhöfe geben ja eigentlich immer etwas her, was Motive betrifft. Ich war noch nie dort gewesen, denn mein Großvater und die Nachbarin sind am anderen Ende der Stadt begraben. Allerdings bin ich ein paarmal an der Buchenhecke entlanggefahren, die die Südseite des Friedhofs begrenzt.

An der Spiegelreflex wollte ich mich längst mal versuchen. Diese Aufnahmen sind dabei allerdings purer Probiererei entsprungen. Wir lernen uns noch kennen, die Kamera und ich.



Dieser Friedhof als Spielwiese hat mich allerdings eher enttäuscht. Friedhöfe sind in meiner Heimat so fade. Hier und da waren frische Stiefmütterchen zu Füßen der Granitgrabsteine gepflanzt. Reihengräber, einige Familiengräber, ein kleines Mausoleum für einen örtlichen Fabrikanten - das war's.

Vor allem gibt es sehr viel freie Fläche, unaufgeräumt und uneben. Man sieht, dass unterschiedliche Gräber zu unterschiedlichen Zeiten aufgehoben wurden. Der ganze hintere Teil des Friedhofs wirkt unbevölkert, was man für einen freudigen Umstand halten kann, aber mich deprimiert es irgendwie.



Plastikblumen und unsäglich kitschige Engel aus Kunststein zieren die Gräber, Steckvasen aus dunkelgrünem Kunststoff gähnen leer, hinter den Steinen liegt Gartenwerkzeug versteckt und auf noch nackter Erde verwelken bedruckte Schleifen.



Mitten auf dem geplündert wirkenden Feld türmt sich ausgehobenes, sandiges Erdreich, daneben ein leeres Grab. Ich gehe drumherum. Oben auf dem unbedeckten Haufen liegt ein menschlicher Wirbelknochen. Das macht mich nicht weiter sentimental, im Gegenteil. Es harmoniert auf eigenartige Weise mit dem Plastik gewordenen Gedenken auf den Gräbern, das ich nicht verstehen kann.



Das zarte Rosa der Zierkirschen, die am Hauptweg blühen, wirkt wie ein tröstlicher Kontrast, der einzige Hauch von Frische. Der Frühling, der hier binnen einer Woche hervorgebrochen ist wie eine kleine Sensation, scheint nämlich diesen Friedhof ansonsten sorgsam ausgespart zu haben. Beinahe, als habe er eine Ahnung, das hier wirklich kaum noch etwas atmet.



Ich bin irgendwie froh, zu gehen. Motive für die Spiegelreflex finden sich auch anderswo.