Sturmflut
Dunkel
Jeden Abend wird es etwas früher dunkel. Meistens packt mich ein etwas klammes, unwohles Gefühl. Spätestens, wenn die Dämmerung vorbei ist. An den tatsächlichen vierundzwanzig Stunden des Tages ändert sich nichts, aber wo der Sommer die süße Illusion langer, lebendiger Tage schenkt, greifen sich Herbst und Winter einfach die letzten Stunden. Wenn die Dunkelheit sich ausbreitet, ist es unmissverständlich, dass sich der Tag dem Ende neigt, selbst wenn ich noch nicht ins Bett gehe.

Mich wundert nicht, dass der Brauch der Laternenumzüge in diese Zeit fällt. Eine Laterne kann man nun einmal gut brauchen im Dunkeln. Auf meinen Wegen von und zur Arbeit umfängt mich inzwischen beinahe vollständig die Dunkelheit. Die kleine Funzel vorn an meinem Fahrrad dient mehr dazu, dass ich gesehen werde, als dass ich sehe. Es wird dunkel bei uns, richtig dunkel.

Das ist ja inzwischen beinahe so etwas wie eine Seltenheit. Auf meinem Weg am Kanal ist es zappenduster. Man kann hier zwischen den orangen Lichtkegeln zweier Straßenlampen verloren gehen. Und so fühle ich mich auch manchmal. Trotzdem, die Dunkelheit ist auch faszinierend. Sie umhüllt mich wie ein Mantel und lässt mich mehr raten als wissen.

Licht ist da so tröstlich. Die kleine Laterne auf dem Fensterbrett. Ich begreife, wenn ich Behagen will, muss ich es mir behaglich machen. Auf dem Herd blubbert ein Eintopf. Grünkohl, ein Geschmack aus meiner Kindheit, warm und erdig und würzig und einfach. Sonntags mit dem Gatten Waffeln backen.

Bevor Winter und Weihnachten ist und das Geglitzer und Gezappel kommt, ist erst einmal Herbst. So richtig, mit aller Tristesse, mit Regen und Düsternis. Mir kommt's vor wie Atemholen, wie Leisetreten, mit Schauern auf dem Rücken und Laub, das auf Asphalt klebt. Mit dem sirrenden Geräusch des Dynamos und Stille unter dem Wind. Mit gelbgrünen und orangen Lichtstreifen zwischen Wolken wie nasse Federbetten.

Es ist gut wie es ist.