Sturmflut
Vom Essen
Es scheint genau zwei Arten zu geben, über Essen zu bloggen. Entweder in Food-Styling-Manier - was im Endeffekt nichts anderes bedeutet, als dass man aufwändig kocht, das Resultat in Szene setzt und nachher mit Handy oder Kamera so lange um das Essen herumtanzt, bis es kalt geworden ist. Oder im ständigen Hinblick auf die Sorgen, die einem das Essen bereitet. Was man isst, könnte ungesund sein oder zu viele Kalorien haben. Oder beides.

Ich finde, wir haben ein verschrobenes Verhältnis zum Essen. Zu sagen, dass man gern isst, kommt schon beinahe Blasphemie gleich. Besser nimmt man sich in acht, denn die Antwort darauf könnte lauten: "Das sieht man!"

Ich erinnere mich lebendig an einen Besuch bei meiner Ärztin, die nach einem Rundum-Check-up einen erhöhten Spiegel "bösen" Cholesterins bei mir feststellte und mich gleich darauf fragte: "Essen Sie gern deftig?" In Anbetracht der Tatsache, dass ich die Woche zuvor Sauerkraut, Kartoffelpüree und eine schöne Scheibe Kasseler auf meinem Teller hatte, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich weiß heute, dass der erhöhte Cholesterinspiegel andere Ursachen hatte. Aber es steckt so fest in den Köpfen: Gut und gern essen ist auf jeden Fall schädlich.

Ich gebe unumwunden zu: Ich mag Rahmjoghurt und würde nicht im Traum daran denken, dieses labberige Zeug mit 0,5 Prozent Fett zu kaufen. Ich mag geschmolzenen Käse. Ich mag Frikadelle zu Pommes. Und während ich das schreibe, habe ich das Gefühl, hinzufügen zu sollen: Mein Körpergewicht und BMI sind völlig normal. Nur mal ehrlich, wieso dieser Rechtfertigungsdruck?

Wenn meine zierliche und beinahe schon drahtige Cousine mir bei einem Treffen im Bistro erzählt, sie könne sich kaum erlauben, zu sündigen, weil sich immer alles sofort räche, dann schwant mir, dass etwas nicht stimmt. Essen ist ein Thema. Nicht nur meine Cousine zerbricht sich den Kopf darüber. Manche haben es ganz schwer und kasteien sich wegen jedes Knäckebrots, und andere überlegen sich, ob sie lieber Paleo- oder Kohlsuppendiät machen sollen. Nur unbefangen isst irgendwie kaum noch jemand.

Ohne das herablassend zu meinen: Ich habe kein Problem mit dem Essen. Und das finde ich schön. Wenn ich koche, dann kommt sehr selten etwas dabei heraus, das es lohnen würde, abgelichtet zu werden. Inszenierungen sind überflüssig. Aber zelebrieren, das kann ich. Mich freut, wie Dinge schmecken. Mich freut, wie sich die Gänsehaut anfühlt, wenn ich merke, wie die Energie dessen, was ich gegessen habe, in mein Blut übergeht. Diese Erfahrungen sind zu schade, um durch ein schlechtes Gewissen zerstört zu werden. Kalte Kalkulationen über Brennwert und Zusammensetzung würden mir den Spaß verderben. Das tue ich mir nicht an.

Aber ich bin auch ein robuster Esser. Ich brauche keine Spitzfindigkeiten an edler Soße, ein frisches Stück Brot tut es auch. Andererseits kann ich Junkfood nicht ausstehen. Dieses Zeug, das uns zum Fressen bringt, Presshuhn in Panade mit einer Prise Glutamat. Vom allgegenwärtigen Fruktose-Glukosesirup kriege ich Blähungen.

Essen ist so ein Thema zwischen Maßlosigkeit und Zwang, ein extremes Thema. Ich habe meine Gründe, dass ich wenig darüber schreibe. Essen ist irgendwie auch Gegenwart. Du genießt es, oder Du tust es einfach. Aber zuviel Heckmeck tut dem Essen nicht gut. Es ist viel leichter, "Hmmmm, lecker!" zu sagen als über Röstaromen zu schwadronieren. Belassen wir's dabei.