Sturmflut
Friesland: Wind und Wetter
Vom Wetter hing alles ab. Bevor ich in Richtung Harlingen aufgebrochen bin, habe ich immer wieder die Wettervorhersage geprüft und einfach gehofft, die Prognosen träfen nicht zu. Vorhersageungenauigkeit.



So den einen oder anderen Schauer hält man ja auch irgendwie aus. Hauptsache, es gibt ein paar Wolkenlücken. Hauptsache, das Zelt lässt sich im Trockenen auf- und abbauen. Wird schon nicht so schlimm werden. Und überhaupt, wieso sich den Urlaub dadurch verderben lassen?

Der ganz große Sturm ist mir zum Glück entgangen. Unterwegs erzählten umgefallene Bäume und abgerissene Äste von dem kräftigen Wind, der über Friesland hinweggefegt war. Aber der Sonntagmorgen begann eigentlich ziemlich sonnig und gab Anlass zur Hoffnung.

Als ich in Harlingen aus dem Zug stieg, gelang es mir allerdings nicht mehr so recht, die schwarze Wolkenwand zu ignorieren, die im Nordwesten zu sehen war. Aber ich weigerte mich, die Flinte ins Korn zu werfen, schulterte den Rucksack und schwenkte hinter dem Bahnhof rechts ab über eine kleine Brücke in die Stadt. Ich wollte noch etwas Umgebung zu Gesicht bekommen, bevor ich mich dann daran machen würde, die zwanzig Kilometer der Tagesetappe entlang der Nordseeküste und dem IJsselmeer in Angriff zu nehmen.



Ich war bloß ein paar Meter gegangen, als es bereits zu regnen anfing. Ich schlüpfte also in einer Snackbar mit dem klingenden Namen "De Kombuis" unter und besänftigte den knurrenden Magen mit einer Pommes Mayo, während es draußen zusehends nasser wurde. Das war eine sehr nette Snackbar, aber trockener wurde es nicht. Also zog ich das Regencover über den Rucksack, die Regenjacke bis unters Kinn zu und fasste den wilden Entschluss, Harlingens Gassen und Häuschen trotzdem zu genießen.

Eine Aufgabe hatte ich außerdem noch auf dem Plan: Am Hafen zu stehen und einmal sehnsuchtsvoll in Richtung Terschelling zu schauen, vielleicht sogar dem ablegenden Fährboot und den Plattbodenschiffen hinterherzuwinken und es mit inständiger, sauberer Traurigkeit zu bedauern, nicht ebenfalls auf die Insel zu können. Ein Foto schießen für den daheimgebliebenen Gatten.



Der Gott des Wetters war missgünstig, zog einen rauschenden Vorhang aus Platzregen vor den Horizont und drehte mir eine lange Nase. Irgendwann steckte ich die Kamera zurück in die Tasche, damit sie keinen Schaden nehmen würde, und beschloss stattdessen, die Schultern hochzuziehen, die Kapuze aufzusetzen und loszugehen. Sightseeing würde die Sache eben auch nicht bessern, geschweige denn Spaß machen.

Binnen Minuten war meine Hose beinahe komplett durchnässt. Der Gedanke, einen Bus zu nehmen, schlich sich leise in mein Hirn. Aber ich hatte auch keine Lust, auf der Suche nach einer Bushaltestelle durch die Pfützen zu tappen und ging dann einfach.



Mit dem Ergebnis, dass sich am "Stenen Man" plötzlich der Regen legte und ich die gesamte Strecke an der Nordsee entlang bis Zurich in warmer Luft schwamm, die vom Meer kam und mir das Gefühl gab, bloß noch die Flügel ausbreiten zu müssen, um abzuheben. Die trocknete auch so ganz nebenbei meine Hosen.

Apropos Hose: Eine ebenso nasse Hose bekam ich dann noch am Horizont zu sehen. Und las davon am übernächsten Tag im "Leeuwarder Courant".





Wasser sollte allerdings mein engster Begleiter in den noch folgenden zwei kurzen Tagen werden. Ich glaube, ich hatte Regen niemals so satt wie jetzt. Ich kann ihn einfach nicht mehr sehen. Jemand sagte mal, dass man viel direkter in Kontakt mit den Elementen kommt, wenn man draußen unterwegs ist. Wahr gesprochen. Gar so direkt hätte der Kontakt meinetwegen aber nicht sein müssen.

Es war hinterm IJsselmeerdeich, als es wieder zu schütten begann. Ich sah die ersten Häuser von Makkum auftauchen, als neben mir ein schwarzer Kombi anhielt und ein Mann in meinem Alter den Kopf heraussteckte: "Wil je meerijden?" "Oh, graag", antwortete ich und stieg zu. Der freundliche Kombifahrer setzte mich beim Campingplatz wieder ab - "Het is alleen maar twee minuten rijden voor mij!" Zwei Minuten, die für mich einen großen Unterschied machten.

Das Glück im Wetterunglück war mir hold, und ich traf auf einen weiteren freundlichen Menschen, von dem später noch zu berichten sein wird. Jedenfalls brauchte ich auf dem klatschnassen Campingplatz keine Wolkenlücke abzuwarten, sondern konnte meine Nacht unter einem festen Dach verbringen.

Trockener wurde es allerdings nicht. Der Tag, der folgte, dürfte einer der nassesten gewesen sein, die ich jemals erlebt habe. Die Prognosen standen weiterhin schlecht und erfüllten sich auch. Die Strecke zwischen Allingawier und Workum legte ich beinahe vollständig im von schräg rechts kommenden Dauerregen zurück. Ich spürte zunächst, wie die Hose an den Schienbeinen zu kleben begann, dann, wie die Regenjacke ihren Geist aufgab, mir das Wasser in die Ärmel lief, die Nässe zwischen Rucksack und Rücken drang. So lange die Füße und der Hintern noch einigermaßen trocken waren, kam mir der Humor nicht völlig abhanden. Aber irgendwann war auch das vorbei. Die Wanderschuhe gaben bei jedem einzelnen Schritt schmatzende, saugende Geräusche von sich, kleine Bläschen quollen aus den Nähten und die Wassertropfen auf der Brille machten den Durchblick schwierig.

Ich erreichte Workum, ohne wirklich einen Blick für das hübsche Städtchen zu haben. Ich sah nur immer wieder gen Himmel und freute mich, wenn das Trommeln auf der Kapuze für ein paar Minuten weniger heftig wurde. Als ich den zweiten Campingplatz erreichte, trocknete es tatsächlich ab und die Sonne kam raus.

Ich baute das Zelt auf und gab mir sehr viel Mühe damit, alle wichtigen Teile wieder trocken zu kriegen. Ich stopfte die Schuhe mit Zeitungspapier aus (nach wie vor die definitiv beste Methode, nasse Schuhe halbwegs zu trocknen) und steckte meine Hose und die Oberteile in den Trockner im Sanitärhaus des Campingplatzes (3,50 € - die Betreiber wussten wohl, dass nasse Sachen der Schrecken eines jeden Campers sind).

Als alles halbwegs wieder tragbar war, entschloss ich mich, zurück in den Ort zu gehen, zu bummeln und mich nach einer Gelegenheit für eine warme Mahlzeit umzusehen. Workum ist wirklich hübsch (auch darüber wird noch berichtet), und für einen Moment kam richtige Urlaubsstimmung auf. Bis zum nächsten Regenguss, der pünktlich eintrat, als ich die St.-Gertrudis-Kirche im Ortskern erreichte. Ich duckte mich unter ein von Säulen getragenes Dach und hoffte, das möge schnell wieder aufhören. Was es aber nicht tat, im Gegenteil, es wurde schlimmer.

Der Gatte, der feinfühlig meine verzweifelte SMS an ihn richtig gedeutet hatte und mich kurz vorm Aufgeben wähnte, rief mich an. Ich stand inzwischen an einer Hauswand unter der Markise eines Klamottenladens. Mir liefen die Tränen über das Gesicht und das Wasser aus den Haaren. Schon allein der Gedanke an ein nasses, vom heftigen Wind schiefgestelltes Zelt sorgte gründlich für allertiefstes Unbehagen.

Im Vorbeigehen hatte ich ein Bed & Breakfest gesehen, auf dessen Preistafel das Zimmer für 22,50 angegeben stand. Der Entschluss war gefasst: Diese Nacht im Trockenen verbringen, den Wanderurlaub abbrechen. Ich hatte Glück und bekam dort noch ein Zimmer (von dem später noch zu berichten sein wird), ließ meine Wertsachen bereits dort und stiefelte los zum Campingplatz, um mein hoffentlich nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogenes Zelt samt Inhalt abzuholen.

Was ich vorher noch Trockenes am Leib gehabt haben mochte, wurde auf dem knapp zwei Kilometer langen Fußmarsch zurück zum Campingplatz vollends nass. Inzwischen fürchtete ich den Regen nicht mehr, ich hasste ihn. Wieder schmatzten die Schuhe bei jedem Schritt, rann mir das Wasser über den Hintern. Ich sammelte unter den belustigten Blicken einiger Amsterdamer Dauercaravaner meine Habseligkeiten vom matschigen Rasen, stellte fest, dass der Schlafsack bereits feucht war und Wasser durch die Bodenplane drang und steckte alles, was nicht trocken geblieben war, in große schwarze Müllsäcke, die ich im Ort erstanden hatte. Dann stapfte ich durch den fast waagerecht auf mich einprasselnden Regen zurück zum Bed & Breakfast. Nie war ich so dankbar für eine trockene Unterkunft wie an diesem Abend. Das Kämmerchen mit den vertäfelten Wänden war für mich der pure Luxus.

Und das blieb meine Erfahrung mit dem friesischen Wetter. Trotz allen Bedauerns über das vorzeitige Ende dieses Trips gab es einige schöne Erlebnisse (über die noch berichtet wird). Zwar war Besserung für die Mitte der Woche angesagt, aber schaue ich heute auf das Regenradar, sagen mir Gefühl und Verstand, dass die Entscheidung richtig war.

Das Schöne ist, dass Erinnerungen an Kälte und Nässe verblassen und andere bleiben. Die Erinnerung daran, was man alles leisten kann. Die Erinnerung an außergewöhnlich nette Menschen und Orte. Irgendwann heißt es: "Weißt Du noch? Was bin ich damals nass geworden!" Und es wird ein Lachen folgen.