Sturmflut
Samstag, 18. Juli 2015
Boden-Schätze
Schon als Kind habe ich bei unseren Wanderungen in den Bergen immer die Augen auf dem Boden gehabt. Ich habe Ausschau nach Stückchen von Glimmerschiefer gehalten, der nass glänzend besonders kostbar ausgesehen hat. Meine Hosentaschen beulten sich, vollgepackt mit Steinen in allen Formen und Farben, und auf dem Dachboden meiner Eltern lag eine dunkelrote Plastiktüte mit all diesen Schätzen, bis wir eines Tages dort aufräumten. Auf dem schmalen, geschotterten Pfad entlang der Bahngleise, den wir jeden Tag zur Grundschule gingen, fanden meine suchenden Augen einmal einen glitzernden Bergkristall, den ich bis heute besitze. Vom Muschel-, Treibholz- und Seeglas-Suchen am Meer rede ich mal erst gar nicht.



Bei Spaziergängen wandern immer wieder mal Keramik- oder Fliesenscherben in meine Hosentaschen, denn wie anderswo auch ist es hier üblich, Feldwege mit Bauschutt zu befestigen oder Schlaglöcher damit aufzufüllen. Wann immer mir ein hübsches Muster oder eine schöne Farbe ins Auge fällt, wird die Elster in mir wach und ich stecke die Scherbe ein.



Wenn man mal anfängt, darauf zu achten, dann sind die bunten Stückchen überall. Je nachdem, wo ich nachsehe, finde ich verschiedene Farben und Formen. Auf dem Pfad am Kanal wurde neulich "neuer" Schutt aufgefahren, und dort ist die Farbenvielfalt besonders groß - offensichtlich mussten einige Badezimmer der 70er und 80er dran glauben. Unten am Fluss dagegen gab es besonders viele durchgefärbt blaue, (ehemals) quadratische kleine Fliesen. Ein Feldweg im Wald, der im Nichts endete, bot dicke, rutschfeste, grauweiße Fliesenstücke von der Sorte, wie man sie in Großküchen findet.



Glasstückchen sind auch ab und zu dabei, beinahe wie Seeglas geschliffen oder mit Mustern und in Farbe, Bernstein, Violett. Oder von Drahtglasfenstern - ich wusste gar nicht, dass die kaputtzukriegen sind. Es gibt Scherben von Tellern mit Goldrand oder blauweißem Muster.



Ich frage mich, wo die Fliesen wohl alle mal gelegen haben, und wann. Auf der Rückseite der derben, rosa-braun gefleckten Fliesen findet sich ein Muster aus Hakenkreuzen, bei dem ich mich frage, ob das Zufall war und einfach nur gut an der Wand hielt. Gibt die Häufigkeitsstreuung der verschiedenen Farben einen Überblick über die Badezimmer- und Küchenfliesenmode vergangener Jahrzehnte? Waren Blau und Weiß immer beliebter als Orange und Grün?



In den letzten Wochen waren meine Hosentaschen sehr beulig, und in den Nähten hing feiner Sand. Eine nicht eben kleine Sammlung ist zustandegekommen, ich habe sie mit einer Bürste im Wassereimer saubergeschrubbt und in der Sonne trocknen lassen. Vielleicht mache ich ein Mosaik draus, eine Windrose für den Garten. Andere Ideen?

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Spießerklage
Das Flurstück, an dem ich zu Beginn meiner Ausbildung noch entlangfuhr, durch eine kleine Allee, vorbei an einer Baumschule und einer Schar freilaufender Hühner, ist inzwischen ein neues Gewerbegebiet. Die schießen hier zur Zeit wie Pilze aus dem Boden, ähnlich wie die Wohnbaugebiete, die die Landschaft in Vorstädte mit Einfamilienvillen für Gutsituierte verwandeln.

Im neuen Gewerbegebiet blüht auf dem kargen, unbebauten Boden zur Zeit noch die Kamille, deren Duft schon beinahe betäubend intensiv ist. Die Straße ist bereits asphaltiert und verläuft mit einem breiten Knick mitten durch die Brache. Noch kein Verkehr, keine Bautätigkeit. Dafür aber in unmittelbarer Nähe ein McDrive.

Dies wird die Klage einer Spießerin. Ähnlich wie ich mich über das First World Problem aufregen kann, dass Hundebesitzer ihre Viecher zum Kacken vor die Tür halten und dann nicht hinter ihnen aufräumen, rege ich mich auch über die Hinterlassenschaften der Fast Food Gastronomie auf.



Wenn jemand gedankenlos einfach seinen Dreck hinter sich fallen lässt, finde ich das schon schlimm genug. Als ich klein war, war es mal Mode, uns in der Schule zu erzählen, dass man das nicht macht, schon allein der Umwelt wegen. Um ästhetisches Empfinden ging's damals gar nicht.

Diese Mode ist, so kommt es mir vor, längst Geschichte. Der Blick auf Randstreifen und Böschungen, Rastplätze und Bänke im Grünen fördert Plastikrummel und leere Flaschen zutage. Auf langen Spaziergängen habe ich gebrauchte Slipeinlagen und geleerte Weinkartons entdeckt, ohne danach gesucht zu haben. Die Geschichten dazu male ich mir lieber nicht aus. Mir steigt der Ekel die Kehle hoch, und das Draußen, dass ich so sehr liebe, ist beschmutzt. Nicht alleine durch den Abfall, sondern vor allem durch die widerwärtige Gedankenlosigkeit der Menschen, die es verlernt haben, Respekt für ihre Umgebung aufzubringen.



Die Straße im neuen Gewerbegebiet wird für ein Hobby genutzt, das mir schon seit längerer Zeit gewaltig auf den Sack geht. Man besorgt sich Junkfraß vom Burgerbräter, parkt die Karre am Straßenrand, und wenn man aufgegessen hat oder auch nicht, pfeffert man mit Schwung das Übriggebliebene aus dem Fenster in die Landschaft. Je weiter man es verteilt kriegt, um so größer ist hinterher der nasse Fleck in der Hose.



Ich gebe freimütig zu, dass ich gern Ordnung hätte. Es fällt mir schwer, meine Abscheu über dieses Verhalten in Worte zu fassen. Billig fressen, und dann weg mit den Resten. Die sind anderer Leute Problem. Oh, man fühlt sich sogar cool dabei. Dagegen lassen sich keine Schilder mit zahmen Bitten aufstellen und auch keine größeren Abfalleimer. Das ist Arschloch-Ignoranz allererster Güteklasse.

Ich bräuchte wohl gar nicht erst in größere Städte zu kommen, da regt man sich vermutlich über Hundekacke an der Sohle und liegengebliebene Reste vom Sperrmüll ebenso wenig auf wie über den Meckesdreck. Aber ist eigentlich der Wunsch so vermessen, mal hundert Meter draußen zurücklegen zu können, ohne auf irgendeine widerliche Hinterlassenschaft zu stoßen?

Beim Geocaching gibt es die Tradition, ab und an mal einen CITO-Event zu veranstalten (CITO steht für "Cache in, trash out"). Da beseitigt man dann gemeinsam Müll an Orten, von denen man meint, dass sie es nötig haben. Mir kam der Gedanke, das auch mal hier zu tun und beispielsweise die Böschungen des Kanals von Unrat zu befreien. Ich tue das aber nicht.



Nicht deshalb, weil ich das Gefühl habe, das sei nicht meine Aufgabe. Sondern weil ich eine Art wütende Resignation spüre und genau weiß, dass dieselben Drecksäcke übermorgen wieder ihren Scheiß in die Landschaft werfen werden. Bald wird der nächste besoffene Frauenkegelclub seine Hugo-Flaschen hinter sich fallen lassen. Bald werden die nächsten Stammtischbrüder hinter Sitzbänken ins Gebüsch pissen und die nächsten Kids ihr Milchschnitteplastik neben den Mülleimer werfen.

Es gibt Momente, in denen ich den Menschen an sich wirklich verabscheuungswürdig finde. Nennt mich eine Spießerin. Ich komme damit klar.

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