Sturmflut
Gedanken zur Weihnacht
Noch nie war mir Weihnachten so gleichgültig wie in diesem Jahr. Ich hatte keinen Geschenkestress, weil es (außer an die Nichten und Neffen) nichts zu verschenken gab. Das mag kaltherzig klingen, und vielleicht ist es das auch. Es gibt durchaus Menschen, die eine liebe Karte oder eine anderweitige Aufmerksamkeit verdient hätten, in diesem Jahr aber von mir keine bekamen. Aus Gründen. Ich hoffe sehr, die Betreffenden sehen mir das nach. Mit unseren Freunden haben wir einen Pakt, nichts zu schenken. Dieselbe Vereinbarung habe ich auch mit dem Gatten. Und sie funktioniert - wir hatten nicht einmal diese "Eigentlich schenken wir uns ja nichts, aber hier trotzdem eine Kleinigkeit!"-Geschenke. Ich finde das sehr, sehr wohltuend.

Ich hatte noch für einen Moment über Dekoration im Haus nachgedacht, aber auch das schließlich sein lassen. Unter den Kollegen herrschte Unverständnis angesichts der Tatsache, dass wir keinen Baum haben. Vielleicht drapiere ich mal ein paar von den großen Zapfen auf dem Tisch, die ich von der Insel mitgebracht habe und so mag. Aber ich habe mir nichts bewusst vorgenommen. Mir fehlt da nichts. Es ist gemütlich genug, Kerzen und Tee tun ein Übriges.

Das alles liegt nicht unbedingt daran, dass wir beide Atheisten sind. So losgelöst, wie dieses Fest ohnehin inzwischen von seinem Ursprung ist, wäre das nichtmal ein stichhaltiger Grund. Ich mag die Feiertage, weil sie eine kleine Auszeit vom Arbeitsalltag bieten und man zumindest ansatzweise zur Ruhe kommt. Ich mag auch (in Maßen) die Beleuchtung in den Gärten und an den Häusern, weil es draußen einfach gerade deutlich zu dunkel ist.

Aber insgesamt stehe ich dem ganzen Weihnachtsfest mit zunehmendem Befremden gegenüber. Das besteht nicht so sehr darin, dass ich die Wünsche der Menschen nach Zusammensein, Familie, Glück und vielleicht auch Trost im dunklen Winter nicht nachvollziehen könnte. Ich wünsche mir bisweilen dasselbe. Aber mir fehlt inzwischen völlig der Draht dazu. Zu der christlichen Überlieferung ebenso wie zu dem ganzen kommerziellen und emotionsüberladenen Drumherum.

Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen es mich in die Innenstadt verschlug, kam ich mir vor wie eine Außerirdische. Dieses ganze Plastikgedöns, das Trallalla, den Kaufrausch und Glühweindunst finde ich einfach nur abstoßend. Wie üblich. Ich habe natürlich auch einige materielle Wünsche, die ich mir gern mal erfüllen würde. Aber zwischen Wunsch und Wahnsinn liegen halt doch Welten.

Gerade in diesem Jahr spüre ich große Erleichterung und Freude darüber, dass ich die Zeit mit meinen Freunden und der selbstgewählten Schwiegerfamilie zusammen verbringen darf. Mich bindet an meine Ursprungsfamilie nicht länger das schlechte Gewissen, nicht da zu sein und ihnen keine "gute Tochter" zu sein - insbesondere an den mit Erwartungen an die allgemeine Harmonie überfrachteten Feiertagen. Das ist vorbei. Ich bin froh, wie leicht es mir fällt, all dem den Rücken zuzuwenden.

Weihnachten ist eine Reihe arbeitsfreier Tage für mich, ohne tiefere Bedeutung. Ich bin froh, dass die christlichen Festtage noch als eine Art Bastion gegen die totale Vereinnahmung durch das Arbeitsleben fungieren können. Immerhin. Aber inhaltlich verbinde ich nichts damit. Morgen werden der Gatte und ich gemeinsam kochen und essen, vielleicht ein Stück spazieren gehen, durchatmen, gemeinsam etwas spielen. Uns etwas Gutes tun. Das ist so oder so das ganze Jahr über wichtig.

Weihnachten also. Trotzdem wünsche ich allen, denen es etwas bedeutet, ein schönes Fest.