Montag, 27. Juni 2011
Ibiza (3): Authentizität
Am 27. Jun 2011 im Topic 'Seemannsgarn'
Es gibt tatsächlich Menschen, die wollen nichts erleben, wenn sie auf Reisen gehen. Zumindest nichts "landestypisches", was in diesem konkreten Fall heißt, nichts, was nicht in ihr Weltbild passt. Diesen Typus Mensch hat Herr Stubenzweig mit Hilfe zahlreicher Mitdiskutanten schon beschrieben. Auf Ibiza ist das nicht anders: Es gibt regelrechte Kolonien von deutschen und britischen Touristen, es sind zugegebenermaßen auch Spanier dabei, aber die fallen weniger auf. Schon bevor wir uns auf den Weg nach Ibiza machten, hörten wir im Internetradio "Ibiza Global Radio" einen überaus amüsanten Spot, der warb: "Let's have some Frankfurts!" Was könnte es auch wohl schöneres geben, als ein kulinarisches Großereignis mit eben jenen Frankfurter Würsten, "cerveza y bratwurst" zu verleben? Wir haben so gelacht. Irgendwann natürlich - vor Ort - wurde es eher nervig. Unser obligatorischer Besuch im "Café del Mar" in San Antoni war wunderschön (wenn auch natürlich touristisch), aber nach pittoreskem und allseits bejubeltem Sonnenuntergang verlangte der Magen sein Recht und wir landeten in einem der zahlreichen Lokale, die mit original britischem Frühstück ebenso warben wie mit "italienischem" Standardrepertoire (Spaghetti Bolognese und zwanzig Sorten Pizza). Den spanischen Teil trug Paella in allen Varianten bei. Heimisch konnte sich ergo jeder fühlen. Das aber nur am Rande...
Es gibt also die Spezies Tourist, die bitte auf gar keinen Fall irgend etwas Anstrengendes erleben will, am liebsten nur am Pool herumliegt und abends das Buffet des Hotels konsultiert - Hauptsache Sonne. Die zweite Sorte verbringt den Tag im Bett und die Nacht mit literweise Sangria oder Blue Curacao aus Flaschen an irgendeinem Stadtstrand.
Die dritte Sorte hat es in sich: Es gibt Menschen, die sind auf der Suche nach dem authentischen Etwas, nach dem, was zu berichten sie anschließend von den Massentouristen abhebt. Auf der Suche nach ibizenkischer Keramik, Folkloreveranstaltungen und den "urigen" Einheimischen, mit denen man dann aber doch nur gebrochen englisch sprechen kann, weil man es natürlich versäumt hat, das Erlernen der spanischen Sprache in die eigenen Reisevorbereitungen mit einzuschließen. Hätten sie es zumindest versucht, wären sie immerhin auf die Tatsache gestoßen, dass auf Ibiza Katalanisch gesprochen wird, aber vereinfacht hätte das die Sache auch nicht.
Klar, Massentourismus nervt. Der über unserem abgelegenen Taleinschnitt immer noch hörbare Fluglärm nervt (aber so sind wir schließlich auch hergekommen). Grölende, saufende Briten nerven. Der ganze Plastikschund, der in den Souvenirläden verkauft wird und garantiert in China oder sonstwo produziert wurde, nervt auch. Aber noch mehr nerven mich diejenigen Reisenden, die auf der großen Suche nach der Authentizität sind, nach dem "Echten", und sich dabei (in diesem speziellen Fall) in ein romantisiertes Bild vom Oliven erntenden ibizenkischen Bauern mit Strohhut versteigen, während sie angewidert die Mundwinkel verziehen über all die anderen, die dieses hehre Ziel nicht verfolgen.
Was ist denn jetzt authentisch? Tatsache ist, dass dieser Ort schon seit vierzig Jahren ein beliebtes Reiseziel ist, dass Ibiza nicht mehr vorrangig von der Landwirtschaft lebt, dass die spanischen Oliven, die wir abends auf der Terrasse knabbern, nicht aus dem Hain nebenan stammen, sondern vom Festland importiert wurden. Die Wurst (aus dem Supermarkt für den Alltagsverzehr, nicht die für die Upperclass-Touristen auf der Suche nach dem "Echten") ist fast ausschließlich mit Farbstoffen versehen und der Käse schmeckt oft nur wie Plastik. Die Insel ist eine Discotheken-Insel, sie ist eine Strand-Insel, eine Hotel-Insel, sie hat eine Sonnenbrillen-Mafia, die afrikanische Verkäufer mit Golce & Dabbana-Accessoires über die Strände schickt. Ibiza hat viele Bauruinen, halb fertig gestellte Villen, verfallene Ferienclubs, Autowracks, eine Hausbesetzer-Szene und verlassene Fischerhütten, die wütende Einheimische mit Slogans wie "Gays go home" und "Tourists go home" besprüht haben. Das ist ganz einfach so, und deshalb ist das das authentische Ibiza. Dass das manch zartes Gemüt auf der Suche nach sommerlicher Heile-Welt-Idylle nicht verkraftet, ist klar.
Das authentische Ibiza ist aber auch ein landschaftlich gesehen gigantisch schönes Fleckchen Erde mit Geschichte. Es ist ein Platz mit viel senkrecht stehender Sonne, einer vollkommen anderen Zeittaktung, kristallklarem Mittelmeerwasser, scheuen Reptilien und architektonischen Schätzchen und Schätzen. Es trägt immer noch diesen Hauch von Hippie-Flair, von dem die großen Modemacher ebenso wie zu spät gekommene mitteleuropäische Idealisten träumen, dem sie aber nicht wirklich nahe kommen. Wie es sich außersaisonal mit dem authentischen Ibiza verhält, darüber kann ich leider keine qualifizierte Aussage machen. Aber während der Saison (oder in unserem Fall der späten Vorsaison) ist es die Mühe wert, ein paar Schritte zu gehen und die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Und manchmal ist es auch okay, sie zu betreten und mit hunderten anderer Menschen gemeinsam der untergehenden Sonne zu applaudieren oder dem aufgehenden Mond entgegenzutanzen.
Es gibt also die Spezies Tourist, die bitte auf gar keinen Fall irgend etwas Anstrengendes erleben will, am liebsten nur am Pool herumliegt und abends das Buffet des Hotels konsultiert - Hauptsache Sonne. Die zweite Sorte verbringt den Tag im Bett und die Nacht mit literweise Sangria oder Blue Curacao aus Flaschen an irgendeinem Stadtstrand.
Die dritte Sorte hat es in sich: Es gibt Menschen, die sind auf der Suche nach dem authentischen Etwas, nach dem, was zu berichten sie anschließend von den Massentouristen abhebt. Auf der Suche nach ibizenkischer Keramik, Folkloreveranstaltungen und den "urigen" Einheimischen, mit denen man dann aber doch nur gebrochen englisch sprechen kann, weil man es natürlich versäumt hat, das Erlernen der spanischen Sprache in die eigenen Reisevorbereitungen mit einzuschließen. Hätten sie es zumindest versucht, wären sie immerhin auf die Tatsache gestoßen, dass auf Ibiza Katalanisch gesprochen wird, aber vereinfacht hätte das die Sache auch nicht.
Klar, Massentourismus nervt. Der über unserem abgelegenen Taleinschnitt immer noch hörbare Fluglärm nervt (aber so sind wir schließlich auch hergekommen). Grölende, saufende Briten nerven. Der ganze Plastikschund, der in den Souvenirläden verkauft wird und garantiert in China oder sonstwo produziert wurde, nervt auch. Aber noch mehr nerven mich diejenigen Reisenden, die auf der großen Suche nach der Authentizität sind, nach dem "Echten", und sich dabei (in diesem speziellen Fall) in ein romantisiertes Bild vom Oliven erntenden ibizenkischen Bauern mit Strohhut versteigen, während sie angewidert die Mundwinkel verziehen über all die anderen, die dieses hehre Ziel nicht verfolgen.
Was ist denn jetzt authentisch? Tatsache ist, dass dieser Ort schon seit vierzig Jahren ein beliebtes Reiseziel ist, dass Ibiza nicht mehr vorrangig von der Landwirtschaft lebt, dass die spanischen Oliven, die wir abends auf der Terrasse knabbern, nicht aus dem Hain nebenan stammen, sondern vom Festland importiert wurden. Die Wurst (aus dem Supermarkt für den Alltagsverzehr, nicht die für die Upperclass-Touristen auf der Suche nach dem "Echten") ist fast ausschließlich mit Farbstoffen versehen und der Käse schmeckt oft nur wie Plastik. Die Insel ist eine Discotheken-Insel, sie ist eine Strand-Insel, eine Hotel-Insel, sie hat eine Sonnenbrillen-Mafia, die afrikanische Verkäufer mit Golce & Dabbana-Accessoires über die Strände schickt. Ibiza hat viele Bauruinen, halb fertig gestellte Villen, verfallene Ferienclubs, Autowracks, eine Hausbesetzer-Szene und verlassene Fischerhütten, die wütende Einheimische mit Slogans wie "Gays go home" und "Tourists go home" besprüht haben. Das ist ganz einfach so, und deshalb ist das das authentische Ibiza. Dass das manch zartes Gemüt auf der Suche nach sommerlicher Heile-Welt-Idylle nicht verkraftet, ist klar.
Das authentische Ibiza ist aber auch ein landschaftlich gesehen gigantisch schönes Fleckchen Erde mit Geschichte. Es ist ein Platz mit viel senkrecht stehender Sonne, einer vollkommen anderen Zeittaktung, kristallklarem Mittelmeerwasser, scheuen Reptilien und architektonischen Schätzchen und Schätzen. Es trägt immer noch diesen Hauch von Hippie-Flair, von dem die großen Modemacher ebenso wie zu spät gekommene mitteleuropäische Idealisten träumen, dem sie aber nicht wirklich nahe kommen. Wie es sich außersaisonal mit dem authentischen Ibiza verhält, darüber kann ich leider keine qualifizierte Aussage machen. Aber während der Saison (oder in unserem Fall der späten Vorsaison) ist es die Mühe wert, ein paar Schritte zu gehen und die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Und manchmal ist es auch okay, sie zu betreten und mit hunderten anderer Menschen gemeinsam der untergehenden Sonne zu applaudieren oder dem aufgehenden Mond entgegenzutanzen.
Dienstag, 21. Juni 2011
Ibiza (1):
Menschen sind nicht zum Fliegen gemacht
Menschen sind nicht zum Fliegen gemacht
Am 21. Jun 2011 im Topic 'Seemannsgarn'
Ich weiß, dass für die meisten Menschen Fliegen Routine ist. Einchecken, Etiketten werden an Koffer geklebt, Boarding, sich in die Sitze klemmen, Sicherheitsanweisungen anhören, Sandwiches mümmeln... Unterwegs läuft das "Bord-Entertainment-Programm", amerikanische Sitcoms - Zeug, das ich mir auch zuhause nicht angeschaut hätte. Die Flieger sind Linienbusse am Himmel, und die mit dem Reiseziel Ibiza erst recht.
Trotzdem ist Fliegen für mich aufregend. Ich bin ein Landei, eine Provinznudel, und wie sehr, das spüre ich wieder einmal, als ich in den Sitz gedrückt werde, während der Airbus auf der Startbahn beschleunigt. Mein Magen macht allerhand Manöver, während meine Augen draußen die morgendliche Landschaft vorbeirauschen sehen und mein Allerwertester sich von deutschem Boden verabschiedet. Zwei Wochen Urlaub liegen vor mir und ich bin gespannt, was mich erwartet. Ich war noch nie in Spanien. Für die meisten Menschen ist das wohl kaum zu glauben.
Während an der Kiste alles klappert und rappelt, fällt mir auf, wie absurd das eigentlich alles ist. Dass ich hier sitze, in mehr als 10.000 Metern Höhe, bei einer Geschwindigkeit von über 800 Stundenkilometern und einer Außentemperatur von unter 40 Grad minus. Wenn irgendwas versagte, wäre das tödlich, und irgendwie ist es anmaßend, dass ich mich hier aufhalte. Oder eben nicht aufhalte. Es ist unnatürlich, dass ich irgendwo einsteige und innerhalb von knapp zweieinhalb Stunden von einer Welt in die andere reise, über Meer und Berge, Flüsse und Straßen und tausend und tausend Leben hinweg. Dort, wo ich hin will, ist dasselbe Geld gültig, ich befinde mich immer noch in Europa, ich werde keinen Kulturschock erleiden, aber dennoch bin ich vollkommen wo anders. So sehr ich diesen Urlaub herbeigesehnt habe und so sehr ich ihn auch schließlich genossen habe - diese Art zu reisen scheint mir irgendwie unpassend. Keine langsame Gewöhnung, keine Veränderung der Landschaft, kein Unterwegs. Statt dessen steigen wir ein in eine Kabine, aus der man kaum herausschauen kann, wie in einen Teleporter, und dann sind wir schlagartig dort, wo wir hinwollen.
Vielleicht ist es gut, dass es bei unserer Ankunft regnet. Da ist die Umstellung nicht so krass, auch wenn meinen Mitreisenden das Wetter missfällt und sie das auch deutlich zum Ausdruck bringen. Wir sammeln unser Gepäck ein und machen uns auf den Weg, den Mietwagen zu holen. Sobald die klimatisierte, geruchsbefreite Flughafenhalle hinter mir liegt, trifft mich Ibiza. Es ist eine andere Luft, die ich atme. Sie ist würzig und schwül, Pfützen stehen auf dem Asphalt, und die Räder der Koffer klickern über den Gehweg. Ich genieße die Andersartigkeit der Vegetation. Zwischen die neuen Gerüche mischen sich vertraute: Abgase, Zigarettenqualm.
Erst, als ich aus dem Wagen schließlich wieder aussteige, in dem kleinen Taleinschnitt, in dem das Ferienhaus liegt, begreife ich, dass ich wieder auf meinen Füßen stehe.
Trotzdem ist Fliegen für mich aufregend. Ich bin ein Landei, eine Provinznudel, und wie sehr, das spüre ich wieder einmal, als ich in den Sitz gedrückt werde, während der Airbus auf der Startbahn beschleunigt. Mein Magen macht allerhand Manöver, während meine Augen draußen die morgendliche Landschaft vorbeirauschen sehen und mein Allerwertester sich von deutschem Boden verabschiedet. Zwei Wochen Urlaub liegen vor mir und ich bin gespannt, was mich erwartet. Ich war noch nie in Spanien. Für die meisten Menschen ist das wohl kaum zu glauben.
Während an der Kiste alles klappert und rappelt, fällt mir auf, wie absurd das eigentlich alles ist. Dass ich hier sitze, in mehr als 10.000 Metern Höhe, bei einer Geschwindigkeit von über 800 Stundenkilometern und einer Außentemperatur von unter 40 Grad minus. Wenn irgendwas versagte, wäre das tödlich, und irgendwie ist es anmaßend, dass ich mich hier aufhalte. Oder eben nicht aufhalte. Es ist unnatürlich, dass ich irgendwo einsteige und innerhalb von knapp zweieinhalb Stunden von einer Welt in die andere reise, über Meer und Berge, Flüsse und Straßen und tausend und tausend Leben hinweg. Dort, wo ich hin will, ist dasselbe Geld gültig, ich befinde mich immer noch in Europa, ich werde keinen Kulturschock erleiden, aber dennoch bin ich vollkommen wo anders. So sehr ich diesen Urlaub herbeigesehnt habe und so sehr ich ihn auch schließlich genossen habe - diese Art zu reisen scheint mir irgendwie unpassend. Keine langsame Gewöhnung, keine Veränderung der Landschaft, kein Unterwegs. Statt dessen steigen wir ein in eine Kabine, aus der man kaum herausschauen kann, wie in einen Teleporter, und dann sind wir schlagartig dort, wo wir hinwollen.
Vielleicht ist es gut, dass es bei unserer Ankunft regnet. Da ist die Umstellung nicht so krass, auch wenn meinen Mitreisenden das Wetter missfällt und sie das auch deutlich zum Ausdruck bringen. Wir sammeln unser Gepäck ein und machen uns auf den Weg, den Mietwagen zu holen. Sobald die klimatisierte, geruchsbefreite Flughafenhalle hinter mir liegt, trifft mich Ibiza. Es ist eine andere Luft, die ich atme. Sie ist würzig und schwül, Pfützen stehen auf dem Asphalt, und die Räder der Koffer klickern über den Gehweg. Ich genieße die Andersartigkeit der Vegetation. Zwischen die neuen Gerüche mischen sich vertraute: Abgase, Zigarettenqualm.
Erst, als ich aus dem Wagen schließlich wieder aussteige, in dem kleinen Taleinschnitt, in dem das Ferienhaus liegt, begreife ich, dass ich wieder auf meinen Füßen stehe.
Der Mensch ist das einzige Wesen,
das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann. - Loriot
Sonntag, 10. April 2011
Das alte Haus
Am 10. Apr 2011 im Topic 'Seemannsgarn'
Lange Zeit lag es verborgen hinter seinem verrosteten, schmiedeeisernen Zaun und einem dichten Urwald aus alten Bäumen, wilden Schlingplanzen und Brennesseln.
Das alte Haus ist eine Villa mitten in der Stadt, über die sich die Erbengemeinschaft lange Zeit nicht einig wurde, und das sah man dem armen Haus auch an. Eigentlich ist es eine absolute Schönheit. Aber inzwischen haben darin Obdachlose geschlafen und Ziellose ihr Bier getrunken.
Randalierer haben die Fenster eingeschlagen, die die Besitzer notdürftig wieder vernagelten und in die sich das Efeu rankt. Es hat darin gebrannt, dass die Flammen aus dem Dach loderten, und inzwischen hat es kein Dach mehr. Den windschiefen Zaun versperrt ein Fahrradschloss, das Dach decken nun flatternde blaue Planen.
Ich fand immer, dass es aussah wie ein Gespensterhaus, wie es da mitten in all dem Gestrüpp stand. Die Fensterhöhlen wirkten düster wie leere Augen und das prachtvolle Schnitzwerk sah aus, als ob es beim nächsten kleinen Seufzer des Windes herunterstürzen würde.
Zu gern hätte ich mal hineingeschaut, aber selbst wenn das möglich gewesen wäre, hätte ich es auch mit einem gewissen Gruseln getan. Immer aber habe ich insgeheim gehofft, dass niemand auf die Idee kommt, das Haus abzureißen und das teure Stadtgrundstück zu verhökern.
Eines Tages rückten Bagger an und entfernten das Gestrüpp und einige alte Bäume, und plötzlich stand das Haus im Licht. Die Pflanzen hatten verschleiert, wie mitgenommen es eigentlich war, aber auch seine Schönheit verborgen. Jemand hat die Villa gekauft, um sie zu einem Firmensitz zu machen. Das wird sie entzaubern, aber hoffentlich wird die sorgsame Hand der fachkundigen Renovierer dem alten Haus zu neuem Glanz verhelfen. Ich wünsche es ihm, denn dieses Haus hat schon beinahe eine Seele, und irgendwie hat es bessere Zeiten verdient.
Das alte Haus ist eine Villa mitten in der Stadt, über die sich die Erbengemeinschaft lange Zeit nicht einig wurde, und das sah man dem armen Haus auch an. Eigentlich ist es eine absolute Schönheit. Aber inzwischen haben darin Obdachlose geschlafen und Ziellose ihr Bier getrunken.
Randalierer haben die Fenster eingeschlagen, die die Besitzer notdürftig wieder vernagelten und in die sich das Efeu rankt. Es hat darin gebrannt, dass die Flammen aus dem Dach loderten, und inzwischen hat es kein Dach mehr. Den windschiefen Zaun versperrt ein Fahrradschloss, das Dach decken nun flatternde blaue Planen.
Ich fand immer, dass es aussah wie ein Gespensterhaus, wie es da mitten in all dem Gestrüpp stand. Die Fensterhöhlen wirkten düster wie leere Augen und das prachtvolle Schnitzwerk sah aus, als ob es beim nächsten kleinen Seufzer des Windes herunterstürzen würde.
Zu gern hätte ich mal hineingeschaut, aber selbst wenn das möglich gewesen wäre, hätte ich es auch mit einem gewissen Gruseln getan. Immer aber habe ich insgeheim gehofft, dass niemand auf die Idee kommt, das Haus abzureißen und das teure Stadtgrundstück zu verhökern.
Eines Tages rückten Bagger an und entfernten das Gestrüpp und einige alte Bäume, und plötzlich stand das Haus im Licht. Die Pflanzen hatten verschleiert, wie mitgenommen es eigentlich war, aber auch seine Schönheit verborgen. Jemand hat die Villa gekauft, um sie zu einem Firmensitz zu machen. Das wird sie entzaubern, aber hoffentlich wird die sorgsame Hand der fachkundigen Renovierer dem alten Haus zu neuem Glanz verhelfen. Ich wünsche es ihm, denn dieses Haus hat schon beinahe eine Seele, und irgendwie hat es bessere Zeiten verdient.
Freitag, 15. Oktober 2010
Jauche und Spekulatius
Am 15. Okt 2010 im Topic 'Seemannsgarn'
Die letzte Heimfahrt von der Arbeit mit la bicicletta entwickelte sich zu einem olfaktorischen Erlebnis. Der Wind stand günstig.
In der Gegend ist eine Keksfabrik angesiedelt, die offenbar die Produktion von Spekulatius hochgefahren hat. Oder sie sind schon seit dem Hochsommer damit befasst, aber der Wind hatte mir vorher noch nichts davon zugetragen. Als mir kurz vor Erreichen meiner vier Wände dieser süße Duft in die Nase kroch, drängelte sich der Reiz direkt an den rationalen Bereichen meines Gehirns vorbei in tiefere, primitivere Schichten und vermittelte mir schlagartig ein Gefühl von Zuhause-Sein und Wohligkeit. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ich gar nicht so gern Spekulatius esse. Aber dieses süße Wabern in der Luft hatte es in sich.
Sekunden später wurde der köstliche Duft ergänzt um das, was man hierzulande trocken mit dem Begriff "Landluft" umschreibt. Es ist, als gelte es den Bauern, möglichst vor den ersten Frösten noch einmal sämtliche Hinterlassenschaften ihrer Borstenviecher auf die Felder zu kippen, damit im Winter der Stall nicht überläuft. Die Komposition mit dem Gebäckaroma war höchst eigenartig, befremdlich, ein wenig ekelhaft - verband sich doch im Gehirn zweierlei Grundverschiedenes. Zu unvereinbar waren die zwei Bestandteile, versehen mit den Etiketten "vorne rein" und "hinten raus".
Im Grunde kann ich aber noch froh sein, denn der Wind wehte nicht von der Kläranlage (Menschen riechen bisweilen noch schlimmer als Schweine) oder vom Schlachthof (ja, man kann Blut tatsächlich riechen).
Da ist mir die Keksfabrik doch lieber, auch wenn sie der Wind vom kleinen Jauchehauch nicht zu trennen vermag.
In der Gegend ist eine Keksfabrik angesiedelt, die offenbar die Produktion von Spekulatius hochgefahren hat. Oder sie sind schon seit dem Hochsommer damit befasst, aber der Wind hatte mir vorher noch nichts davon zugetragen. Als mir kurz vor Erreichen meiner vier Wände dieser süße Duft in die Nase kroch, drängelte sich der Reiz direkt an den rationalen Bereichen meines Gehirns vorbei in tiefere, primitivere Schichten und vermittelte mir schlagartig ein Gefühl von Zuhause-Sein und Wohligkeit. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ich gar nicht so gern Spekulatius esse. Aber dieses süße Wabern in der Luft hatte es in sich.
Sekunden später wurde der köstliche Duft ergänzt um das, was man hierzulande trocken mit dem Begriff "Landluft" umschreibt. Es ist, als gelte es den Bauern, möglichst vor den ersten Frösten noch einmal sämtliche Hinterlassenschaften ihrer Borstenviecher auf die Felder zu kippen, damit im Winter der Stall nicht überläuft. Die Komposition mit dem Gebäckaroma war höchst eigenartig, befremdlich, ein wenig ekelhaft - verband sich doch im Gehirn zweierlei Grundverschiedenes. Zu unvereinbar waren die zwei Bestandteile, versehen mit den Etiketten "vorne rein" und "hinten raus".
Im Grunde kann ich aber noch froh sein, denn der Wind wehte nicht von der Kläranlage (Menschen riechen bisweilen noch schlimmer als Schweine) oder vom Schlachthof (ja, man kann Blut tatsächlich riechen).
Da ist mir die Keksfabrik doch lieber, auch wenn sie der Wind vom kleinen Jauchehauch nicht zu trennen vermag.
Montag, 25. Januar 2010
Heimweh
Am 25. Jan 2010 im Topic 'Seemannsgarn'
Nichts gegen Schnee... Als es gestern abend nach mehreren Schmelztagen wieder zu schneien begann, da gefielen mir die glitzernden Flocken, die sich leise über alles legten. Spätestens heute gegen Mittag hatte ich das Bild dann aber wieder satt: Salz, Matsch, durchnässte Sohlen, Grau-in-Grau. Ich höre das Geräusch von Autoreifen auf feuchtem Asphalt, hier und da liegen noch ein paar angepappte, rostrote Böllerreste auf den Gehwegen. Alltag, jeden Tag Häuserreihen, dieselben Wege, dasselbe Grau, dieselbe Kälte.
Ich habe Heimweh. Ich werde jetzt richtig sentimental. Ich möchte auf meine Insel. Ich weiß, eigentlich müsste es Fernweh heißen, aber jedes Mal, wenn die Fähre im Hafen anlegt, ist das wie Nachhausekommen. Eben doch Heimweh. Bald nach dem Verlassen der Fähre verläuft sich die Menschenmenge, und es ist ruhig und weit. Ein paar Radfahrer sind unterwegs und der schwarzweiße Geländewagen vom Staatsbosbeheer.
Ich würde mir gern etwas Seeluft durch die Haare wehen lassen und endlos am Meer entlang laufen. Ich brauche das Liebliche nicht, ich habe immer mehr das Rauhe und Stürmische gemocht. Die Insel ist auch im Winter schön.
Es ist sehr schwer, zu erklären, warum man einen Menschen liebt. Es sind selten seine Eigenschaften, die man aufzählen und positiv bewerten kann, es ist nicht das Plus unterm Strich. Es ist Charakter, es sind Eigenheiten, einzigartige Merkmale, die nicht zwangsläufig immer glatt, schön, perfekt sein müssen – im Gegenteil. Mit Orten verhält es sich da nicht anders als mit Menschen. Schwer zu beschreiben, warum ein Ort Charakter hat. Man käme nicht weit mit einer Analyse, sie ist nicht fassbar, „meine“ Insel. Nähert man sich ihr mit dem Fährschiff, so ist sie bei oberflächlichem Hinsehen nichts weiter als ein Sandhaufen, gegen den die Nordsee anbrandet. Hier scheint nicht immer die Sonne, und die Menschen hier feiern keine dauernde Party.
Es dauert lang, um hinzukommen, so lang, wie bei keiner anderen der friesischen Inseln. Die Fähre muss, gebunden an die Gezeiten, lange Schlenker durch den Wattenschlick und mit der Fahrrinne den einen oder anderen Knick machen. Unterwegs kommt es einem so vor, als käme man nie hin, weil man ihr das Gesicht zwischendurch immer wieder abwendet. Aber irgendwann ist ihre Silhouette unverkennbar, selbst bei trübem Wetter.
Es gibt einiges, das nicht sehr romantisch wirkt an dieser Insel, ein potthässlicher Supermarkt zum Beispiel oder die in den Boden eingelassenen Glascontainer, oder das Hafenterminal, ein totaler Zweckbau. Auch hier treiben Tetrapaks im Meerwasser und Puppenköpfe, und manchmal landen hier ganze Containerladungen an - zuletzt waren es Marken-Turnschuhe, in rauen Mengen.
Trotzdem liebe ich den Sandhaufen. Ich liebe den Geruch der Dünen und die kleinen Apfelbäume, die in den Dünentälern wachsen. Ich mag den Kniepsand, der an den Waden prickelt, wenn man bloße Beine hat. Ich mag die kleinen Spaghettihäufchen von den Wattwürmern. Ich mag den morbiden Hauch, der über den Inselfriedhöfen liegt und die Inschriften, Segelschiffe und Totenköpfe auf den Steinen. Ich mag das rote Fischgrätpflaster in den Gassen. Ich liebe das Knattern der ausgefransten Flaggen im Wind. Ich mag es, wenn das Hochwasser bis an die zweite Mauer im Hafen steht und sie die Durchgänge mit Schotten schließen. Ich mag die Kiefern, die schwarz gegen den blauen Nachthimmel ragen. Ich mag heißen Snert und Kakao mit Sahne, wenn man von draußen reinkommt. Ich mag es, dass der idyllischste Ort auf der Insel den Namen "Doodemanskisten" trägt.
Ja, ja, ich weiß, ich habe wirklich Heimweh... Es könnte daran liegen, dass ich die Nase ziemlich voll habe von hier. Aber vielleicht auch daran, dass ich diese Insel vermisse wie einen lieben Freund, den ich lange nicht mehr gesehen habe und den ich seiner Eigenarten wegen so sehr mag. Und daran, dass mir das Meer immer irgendwie die Seele beruhigt.
Ich habe Heimweh. Ich werde jetzt richtig sentimental. Ich möchte auf meine Insel. Ich weiß, eigentlich müsste es Fernweh heißen, aber jedes Mal, wenn die Fähre im Hafen anlegt, ist das wie Nachhausekommen. Eben doch Heimweh. Bald nach dem Verlassen der Fähre verläuft sich die Menschenmenge, und es ist ruhig und weit. Ein paar Radfahrer sind unterwegs und der schwarzweiße Geländewagen vom Staatsbosbeheer.
Ich würde mir gern etwas Seeluft durch die Haare wehen lassen und endlos am Meer entlang laufen. Ich brauche das Liebliche nicht, ich habe immer mehr das Rauhe und Stürmische gemocht. Die Insel ist auch im Winter schön.
Es ist sehr schwer, zu erklären, warum man einen Menschen liebt. Es sind selten seine Eigenschaften, die man aufzählen und positiv bewerten kann, es ist nicht das Plus unterm Strich. Es ist Charakter, es sind Eigenheiten, einzigartige Merkmale, die nicht zwangsläufig immer glatt, schön, perfekt sein müssen – im Gegenteil. Mit Orten verhält es sich da nicht anders als mit Menschen. Schwer zu beschreiben, warum ein Ort Charakter hat. Man käme nicht weit mit einer Analyse, sie ist nicht fassbar, „meine“ Insel. Nähert man sich ihr mit dem Fährschiff, so ist sie bei oberflächlichem Hinsehen nichts weiter als ein Sandhaufen, gegen den die Nordsee anbrandet. Hier scheint nicht immer die Sonne, und die Menschen hier feiern keine dauernde Party.
Es dauert lang, um hinzukommen, so lang, wie bei keiner anderen der friesischen Inseln. Die Fähre muss, gebunden an die Gezeiten, lange Schlenker durch den Wattenschlick und mit der Fahrrinne den einen oder anderen Knick machen. Unterwegs kommt es einem so vor, als käme man nie hin, weil man ihr das Gesicht zwischendurch immer wieder abwendet. Aber irgendwann ist ihre Silhouette unverkennbar, selbst bei trübem Wetter.
Es gibt einiges, das nicht sehr romantisch wirkt an dieser Insel, ein potthässlicher Supermarkt zum Beispiel oder die in den Boden eingelassenen Glascontainer, oder das Hafenterminal, ein totaler Zweckbau. Auch hier treiben Tetrapaks im Meerwasser und Puppenköpfe, und manchmal landen hier ganze Containerladungen an - zuletzt waren es Marken-Turnschuhe, in rauen Mengen.
Trotzdem liebe ich den Sandhaufen. Ich liebe den Geruch der Dünen und die kleinen Apfelbäume, die in den Dünentälern wachsen. Ich mag den Kniepsand, der an den Waden prickelt, wenn man bloße Beine hat. Ich mag die kleinen Spaghettihäufchen von den Wattwürmern. Ich mag den morbiden Hauch, der über den Inselfriedhöfen liegt und die Inschriften, Segelschiffe und Totenköpfe auf den Steinen. Ich mag das rote Fischgrätpflaster in den Gassen. Ich liebe das Knattern der ausgefransten Flaggen im Wind. Ich mag es, wenn das Hochwasser bis an die zweite Mauer im Hafen steht und sie die Durchgänge mit Schotten schließen. Ich mag die Kiefern, die schwarz gegen den blauen Nachthimmel ragen. Ich mag heißen Snert und Kakao mit Sahne, wenn man von draußen reinkommt. Ich mag es, dass der idyllischste Ort auf der Insel den Namen "Doodemanskisten" trägt.
Ja, ja, ich weiß, ich habe wirklich Heimweh... Es könnte daran liegen, dass ich die Nase ziemlich voll habe von hier. Aber vielleicht auch daran, dass ich diese Insel vermisse wie einen lieben Freund, den ich lange nicht mehr gesehen habe und den ich seiner Eigenarten wegen so sehr mag. Und daran, dass mir das Meer immer irgendwie die Seele beruhigt.
Dienstag, 29. Dezember 2009
Da schau her... die Achtziger wieder!
Am 29. Dez 2009 im Topic 'Seemannsgarn'
Man mag ja über die Achtziger Positives sagen, was man will - modisch waren sie eine Katastrophe.
Neulich war ich mit einer Freundin in einem großen Einkaufszentrum unterwegs, wir bummelten ziellos und bestaunten - Landeier, die wir sind - die große, bunte Auswahl. Und da sind sie wirklich wieder, in den Schaufenstern, die Achtziger.
Glänzende Leggings in den erklärten Nicht-Farben Koralle, Apricot, Mint, Türkis, Kobaltblau und Pink. Übergroße Oberteile (Oversize heißt das jetzt), in denen zwangsläufig jede Frau aussehen muss, als sei sie im siebten Monat schwanger und deren Bündchen irgendwo in der Kniekehle hängen (klar, sonst wären die Leggings auch für manche Frau sehr, sehr peinlich). Blockstreifen in oben genannter Farbfolge - alles in einem Kleidungsstück. Breite Lackgürtel. Leo- und Zebramuster. Klöternde, riesengroße Plastikarmreifen. Und auch lustig: Diese Bikini-Oberteile, die aussehen wie zusammengeknotete Stoffstreifen und die man nur dann tragen kann, wenn man Körbchengröße A hat - maximal.
So etwas kann man doch wirklich nur dann kaufen, wenn man selbst die Achtziger nicht (oder noch nicht bei vollem Bewusstsein) mitgemacht hat. Es fehlt jetzt nur noch die Rückkehr der toupierten und gehaarsprayten Frisuren mit diesem unsäglichen Föhn-Pony, mit dem immer alle aussahen wie aus "Denver Clan" geklaut (hing aber immerhin nicht in die Augen). Als Dreingabe knallfarbene Blazer mit Schulterpolster. Nicht Pölsterchen, nein, Kampfpolster.
Allein schon die Farbe "Apricot" (oder wie immer sie dann neu betitelt wird) wäre schon eine eigene Abhandlung wert. Nach den Achtzigerjahren verschwand sie mal aus der Mode, es gab dafür aber dann mal eine Zeit, in der haben die Leute ihre Wände so gestrichen und nannten das dann "mediterran" oder "terracotta". Was an der Wand einer deutschen Ballungsgebiet-Mietwohnung (am besten in "Wischtechnik") schon scheußlich aussieht, macht sich auch am menschlichen Körper nicht wirklich gut. Diese Un-Farbe mit der geschmacklichen Dynamik einer Cocktailkirsche macht einfach jeden blass, auch die rosigste Schönheit vom Lande. In Kombination mit gleichfarbigen Pailletten ist sie erst recht der Knaller.
Von der Storch-im-Salat-Optik von Leggings mag ich fast nicht reden. Was vor zehn Jahren des Teenies Bauchfrei-Outfit war, ist jetzt die perlmuttschimmernde Wurst in Pelle. Dazu kunstlederne Pumps, auch im tiefsten Winter ohne Socken, und das Ensemble ist komplett. Man mag sich beinahe die Emo-Rockabilly-Totenkopf-Kirschen-und-Herzchenschiene zurückwünschen.
Ich überlasse diese Shopping-Sparte gern den Unter-20-Jährigen. Zu sehr haben mich die Achtziger traumatisiert, als dass ich mich jemals wieder freiwillig in eine Leggings quetschen werde. Ich schätze, ich muss dann wohl oder übel engeren Kontakt zu meiner Nähmaschine aufnehmen.
Neulich war ich mit einer Freundin in einem großen Einkaufszentrum unterwegs, wir bummelten ziellos und bestaunten - Landeier, die wir sind - die große, bunte Auswahl. Und da sind sie wirklich wieder, in den Schaufenstern, die Achtziger.
Glänzende Leggings in den erklärten Nicht-Farben Koralle, Apricot, Mint, Türkis, Kobaltblau und Pink. Übergroße Oberteile (Oversize heißt das jetzt), in denen zwangsläufig jede Frau aussehen muss, als sei sie im siebten Monat schwanger und deren Bündchen irgendwo in der Kniekehle hängen (klar, sonst wären die Leggings auch für manche Frau sehr, sehr peinlich). Blockstreifen in oben genannter Farbfolge - alles in einem Kleidungsstück. Breite Lackgürtel. Leo- und Zebramuster. Klöternde, riesengroße Plastikarmreifen. Und auch lustig: Diese Bikini-Oberteile, die aussehen wie zusammengeknotete Stoffstreifen und die man nur dann tragen kann, wenn man Körbchengröße A hat - maximal.
So etwas kann man doch wirklich nur dann kaufen, wenn man selbst die Achtziger nicht (oder noch nicht bei vollem Bewusstsein) mitgemacht hat. Es fehlt jetzt nur noch die Rückkehr der toupierten und gehaarsprayten Frisuren mit diesem unsäglichen Föhn-Pony, mit dem immer alle aussahen wie aus "Denver Clan" geklaut (hing aber immerhin nicht in die Augen). Als Dreingabe knallfarbene Blazer mit Schulterpolster. Nicht Pölsterchen, nein, Kampfpolster.
Allein schon die Farbe "Apricot" (oder wie immer sie dann neu betitelt wird) wäre schon eine eigene Abhandlung wert. Nach den Achtzigerjahren verschwand sie mal aus der Mode, es gab dafür aber dann mal eine Zeit, in der haben die Leute ihre Wände so gestrichen und nannten das dann "mediterran" oder "terracotta". Was an der Wand einer deutschen Ballungsgebiet-Mietwohnung (am besten in "Wischtechnik") schon scheußlich aussieht, macht sich auch am menschlichen Körper nicht wirklich gut. Diese Un-Farbe mit der geschmacklichen Dynamik einer Cocktailkirsche macht einfach jeden blass, auch die rosigste Schönheit vom Lande. In Kombination mit gleichfarbigen Pailletten ist sie erst recht der Knaller.
Von der Storch-im-Salat-Optik von Leggings mag ich fast nicht reden. Was vor zehn Jahren des Teenies Bauchfrei-Outfit war, ist jetzt die perlmuttschimmernde Wurst in Pelle. Dazu kunstlederne Pumps, auch im tiefsten Winter ohne Socken, und das Ensemble ist komplett. Man mag sich beinahe die Emo-Rockabilly-Totenkopf-Kirschen-und-Herzchenschiene zurückwünschen.
Ich überlasse diese Shopping-Sparte gern den Unter-20-Jährigen. Zu sehr haben mich die Achtziger traumatisiert, als dass ich mich jemals wieder freiwillig in eine Leggings quetschen werde. Ich schätze, ich muss dann wohl oder übel engeren Kontakt zu meiner Nähmaschine aufnehmen.
Mittwoch, 16. Dezember 2009
Die kurze Reise eines Christbaumständers
Am 16. Dez 2009 im Topic 'Seemannsgarn'
Unser Christbaumständer hat das ganze Jahr geduldig in seinem Pappkarton gesessen. Jeden Dezember wird er wieder gefragt, wo er sich denn bitteschön die ganze Zeit aufgehalten hat, auf dem Dachboden oder im Keller. Mit ihm steht und fällt halt alles. Er hat eine tragende Rolle.
Der Baum indes wurde jedes Jahr kleiner. Im ersten Jahr mussten wir noch an der Wand entlang schleichen, um um ihn herum zu kommen, ohne das ganze Teil gleich zu wildem Nadeln zu veranlassen. Im zweiten Jahr sah er schon manierlicher aus, und der Esstisch hatte auch wieder Platz. Letztes Jahr dann hatte er eine anständige Durchschnittsgröße und dominierte unser Wohnzimmer nicht mehr so sehr, die Spitze reichte uns bis an die Nase. Alles super. Dieses Jahr sollte er noch ein winziges bisschen kleiner werden, denn irgendwie hing uns Weihnachten, die Baumholerei, der Transport und dieser ganze Mist zum Hals raus. Wir haben ja schließlich auch keine prachtvolle Eingangshalle mit Freitreppe, in der sich eine eigens handgesägte Nordmanntanne aus dem Wald elegant positionieren ließe.
Wir stellten uns gedanklich darauf ein, das Prachtstück am letzten Samstag zu kaufen. Irgendwie kamen wir aber wieder drüber weg. Der Christbaumständer war inzwischen auf dem Dachboden angetroffen und zum Herunterkommen bewogen worden. Er kauerte in der Ecke und wartete geduldig und mit gespannten Hebeln auf seinen Einsatz. Mal sehen, am Montag...
Und gestern abend, kurz vorm Schlafengehen, beschlossen wir: Kein Baum dieses Jahr. Es ist einfach ein schweinemäßiges Geld für so ein bisschen Grünzeug. Und er fliegt ja eigentlich sowieso auch direkt nach Weihnachten wieder raus, denn bei uns ist Knut schon im alten Jahr.
Wir legen ein paar große Kiefernzapfen auf die Fensterbänke, stellen ein paar Stumpenkerzen auf und eine Schale mit glänzenden Kugeln, und das war's. Auch ganz schön, nur den Duft der Zweige werden wir ein wenig vermissen.
Der Christbaumständer ist verstohlen und sehr enttäuscht wieder auf den Dachboden zurückgekrabbelt und hat sich dort an den Schornstein gelehnt, in seinem hohlen Herzen die Hoffnung tragend, dass das nächste Jahr besser werden möge. Er hat's versucht, ehrlich...
Der Baum indes wurde jedes Jahr kleiner. Im ersten Jahr mussten wir noch an der Wand entlang schleichen, um um ihn herum zu kommen, ohne das ganze Teil gleich zu wildem Nadeln zu veranlassen. Im zweiten Jahr sah er schon manierlicher aus, und der Esstisch hatte auch wieder Platz. Letztes Jahr dann hatte er eine anständige Durchschnittsgröße und dominierte unser Wohnzimmer nicht mehr so sehr, die Spitze reichte uns bis an die Nase. Alles super. Dieses Jahr sollte er noch ein winziges bisschen kleiner werden, denn irgendwie hing uns Weihnachten, die Baumholerei, der Transport und dieser ganze Mist zum Hals raus. Wir haben ja schließlich auch keine prachtvolle Eingangshalle mit Freitreppe, in der sich eine eigens handgesägte Nordmanntanne aus dem Wald elegant positionieren ließe.
Wir stellten uns gedanklich darauf ein, das Prachtstück am letzten Samstag zu kaufen. Irgendwie kamen wir aber wieder drüber weg. Der Christbaumständer war inzwischen auf dem Dachboden angetroffen und zum Herunterkommen bewogen worden. Er kauerte in der Ecke und wartete geduldig und mit gespannten Hebeln auf seinen Einsatz. Mal sehen, am Montag...
Und gestern abend, kurz vorm Schlafengehen, beschlossen wir: Kein Baum dieses Jahr. Es ist einfach ein schweinemäßiges Geld für so ein bisschen Grünzeug. Und er fliegt ja eigentlich sowieso auch direkt nach Weihnachten wieder raus, denn bei uns ist Knut schon im alten Jahr.
Wir legen ein paar große Kiefernzapfen auf die Fensterbänke, stellen ein paar Stumpenkerzen auf und eine Schale mit glänzenden Kugeln, und das war's. Auch ganz schön, nur den Duft der Zweige werden wir ein wenig vermissen.
Der Christbaumständer ist verstohlen und sehr enttäuscht wieder auf den Dachboden zurückgekrabbelt und hat sich dort an den Schornstein gelehnt, in seinem hohlen Herzen die Hoffnung tragend, dass das nächste Jahr besser werden möge. Er hat's versucht, ehrlich...
Freitag, 20. November 2009
Ode an mein phantastisches Veloziped
Am 20. Nov 2009 im Topic 'Seemannsgarn'
Ich mag Dich schon, wenn Du in der Sonne stehst und vor Dich hinglänzt. Du bist mein altmodischer Traum in Schwarz und Chrom. An Deinen Sattel aus sonnenwarmem Leder mit den riesigen Federn kann ich so wunderbar meine Hand schmiegen.
Ich mußte Dich ergänzen, mit neumodischem Kram wie diesem Reflektor, der eigentlich nicht so recht unter Deine ovale Vorderlampe passt, und Du hast zwei verschiedene Pedalkurbeln, aber was soll's... Das macht Dich erst richtig charmant. Zu Katzenaugen konnte ich mich nicht durchringen, ich mag die reflektierenden Ränder an Deinen weißen Reifenmänteln, und Orange steht Dir einfach nicht.
Du hast schon ein paar kleine Rostsprenkel. Dein Sattel färbt ab, wenn er nass wird, deswegen bekommst Du immer eine Mütze, wenn Du auf mich warten musst. Deine Sattelfedern quietschen. Deine Bremse quietscht ebenfalls, vor allem, wenn's regnet. Du bist kein Rennrad, eher ein rollendes Sofa.
Trotzdem - wir sind ganz schön schnell, wir zwei, zusammen. Mit Deiner klaren, hellen Klingel haben wir schon so manche Taubenschar auseinandergejagt. Wir haben uns gegen den Wind gestemmt, Hügel bezwungen, sind durch Dünentäler geflogen wie die Möwen, ich hab' Dich Treppen rauf- und runtergetragen, Dich auf Zugreisen mitgenommen, Dich an Laternenpfähle gekettet, auf's Auto geschnallt und Dich als Packesel benutzt. Und Du hast nie gemeckert.
Ich glaube, wir fahren noch meilenweit, mein treues Velo!
Motivation für meine Ode:
dieses wunderbare Fahrrad-Blog
Ich mußte Dich ergänzen, mit neumodischem Kram wie diesem Reflektor, der eigentlich nicht so recht unter Deine ovale Vorderlampe passt, und Du hast zwei verschiedene Pedalkurbeln, aber was soll's... Das macht Dich erst richtig charmant. Zu Katzenaugen konnte ich mich nicht durchringen, ich mag die reflektierenden Ränder an Deinen weißen Reifenmänteln, und Orange steht Dir einfach nicht.
Du hast schon ein paar kleine Rostsprenkel. Dein Sattel färbt ab, wenn er nass wird, deswegen bekommst Du immer eine Mütze, wenn Du auf mich warten musst. Deine Sattelfedern quietschen. Deine Bremse quietscht ebenfalls, vor allem, wenn's regnet. Du bist kein Rennrad, eher ein rollendes Sofa.
Trotzdem - wir sind ganz schön schnell, wir zwei, zusammen. Mit Deiner klaren, hellen Klingel haben wir schon so manche Taubenschar auseinandergejagt. Wir haben uns gegen den Wind gestemmt, Hügel bezwungen, sind durch Dünentäler geflogen wie die Möwen, ich hab' Dich Treppen rauf- und runtergetragen, Dich auf Zugreisen mitgenommen, Dich an Laternenpfähle gekettet, auf's Auto geschnallt und Dich als Packesel benutzt. Und Du hast nie gemeckert.
Ich glaube, wir fahren noch meilenweit, mein treues Velo!
Motivation für meine Ode:
dieses wunderbare Fahrrad-Blog