Sturmflut
Montag, 5. November 2012
Subventionierte Gestrigkeit
Ist es also tatsächlich so weit gekommen. Wir finanzieren mit Steuergeldern einem krachledernen Haufen konservativer Idioten die Subventionierung ihres hausbackenen Frauenbildes. Demnächst führen wir noch das Mutterkreuz in rostfreiem Edelstahl ein. Was für eine peinliche Geldverschwendung!

Wenn ich das Wort "Familienfreundlichkeit" noch einmal irgendwo höre oder lese, breche ich ins Essen. Man braucht doch wohl keine überdurchschnittliche Intelligenz, um zu verstehen, dass all die monetären Reproduktionsanreize vollkommen für die Tonne sind. In einer Zeit, in der Kinderkriegen von Schicksal bzw. Selbstverständlichkeit zu einer Entscheidung geworden ist, hat das konservative Lager immer noch keine ausreichende Trauerarbeit geleistet, um sich angemessen von der hehren Adenauerschen Maxime "Kinder kriegen die Leute immer" zu verabschieden.

Statt dessen verbeißt man sich in die Annahme, wenn man den Menschen hinreichend materiell sichere Bedingungen schaffe, dann müsse das mit dem demografischen Wandel doch auch irgendwie in den Griff zu kriegen sein. Denn eigentlich wollten ja alle Kinder, nur die Umstände passen gerade nicht. Mag sein, dass das sogar stimmt: Die Umstände sind summa summarum nicht eben lebenslustig, weder für Erwachsene noch für Kinder. Das ändert man aber nicht dadurch, dass man Mami Geld für's Zuhausebleiben zahlt. Das alles ist bloß Maskerade und die Weigerung, sich von einem Familienmodell zu trennen, das ohnehin schon halbtot über dem Zaun hängt. Witzig ist nebenbei bemerkt auch, dass ganz offenkundig die Zahl der Kinder, die die Leute bekommen, nicht zwangsläufig von ihrer materiellen Lage abhängt.

Wenn die Bereitschaft, Kinder zu bekommen, aber nicht (oder zumindest nicht allein) vom Geld abhängig ist und auch nicht durch allerhand kreative Bezuschussung zu steigern ist, ja woran liegt es dann? Könnte es sein, dass sich die Frauen seit den 50er-Jahren entwickelt haben? Weg von der totalen Fixierung auf das Wohl anderer, hin zur Suche nach den eigenen Wünschen und Zielen? Das ist natürlich ein schwieriges Vorhaben und nicht frei von Widersprüchen. Und manche kommt auch zu dem Ergebnis, eben doch die 50er-Jahre-Familie leben zu wollen, ganz klassisch mit Ernährer und mit drei Kindern am Schürzenzipfel. Das ist vollkommen legitim, aber man kann das nicht verordnen. Die Mehrzahl der Frauen hat sich aus diesem Modell herausentwickelt. Weiß aber vielleicht noch nicht so genau, wohin eigentlich. Dasselbe gilt natürlich auch für Männer, die bisweilen in Zeugungs- und manchmal auch in Verantwortungsstreik treten oder Beziehungen gar ganz scheuen, andererseits ebenfalls mit neuer Rollenfindung befasst sind, weil die Ernährerrolle ihnen und ihrem persönlichen Suchen nicht pauschal gerecht wird.

Die Politik macht den Fehler, die Debatte auf die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reduzieren. Menschen, Frauen wie Männer, sind in ihrer Persönlichkeit sehr viel mehr als nur Eltern und/oder Berufstätige. Die Frage "Wer bin ich?" wird zunehmend schwieriger zu beantworten, und das Lockmittel, sich selbst auf simple, bewährte Rollenzuschreibungen einzulassen, funktioniert nur sehr bedingt. Derartige Rückbezogenheit kommt für viele Menschen nicht mehr in Frage.

(Wir könnten alles sein. Männer mit Kindern. Frauen mit Kindern. Menschen, die gern Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Viel Zeit. Frauen ohne Kinder. Männer ohne Kinder. Abenteurer-Paare. Lebenskünstler. Künstler. Künstlerinnen mit Kindern. Karriereschweine oder faule Säcke. Sinnsucher oder Langweiler. Fürsorger, Gemeinschaftsmenschen. Theoretisch.)

Aber herauszufinden, wie Menschen in diesem Land leben möchten, wie man Umfelder und Umstände gestalten müsste und was tatsächlich glücklich macht, das ist eine Aufgabe, die erstens den Rahmen einer Legislaturperiode sprengt und zweitens an kapitalistischen "Sachzwängen" scheitert. Man kann ein Nicht-Wollen unterstellen. Und das Betreuungsgeld ist erstens ein Beweis für diesen Unwillen und zweitens dafür, dass die einzige Antwort, die gewissen Politikern auf das Heute einfällt, der Wunsch nach möglichst viel Gestern ist.

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