Sturmflut
Montag, 21. Januar 2013
Amüsement erster Güte
Ich stehe zusammen mit dem Gemahl und Freund B. um neun Uhr abends in eisiger Kälte vor den rotlackierten Stahltüren eines Düsseldorfer Veranstaltungszentrums. Hinter uns wird die Schlange der vor dem Eingang Wartenden immer länger. Das Publikum, das in einer knappen halben Stunde mit mir die Halle teilen wird, setzt sich zusammen aus jungen Frauen, die beinahe alle aussehen entweder wie Annett Louisan (blond) mit Zahnspange oder Lena Meyer-Landrut (brünett), und jungen Männern, die aussehen wie Mark Zuckerberg, amerikanische Junior-Schauspieler oder schlaksige H&M-Models. Ich schätze das Durchschnittsalter auf Mitte Zwanzig. Dazwischen sind einige, die ein wenig älter als wir sein mögen, einzelne Männer mit Band-T-Shirts und Hoodies, neben mir steht ein beleibtes Gothic-Mädel und tritt von einem Fuß auf den anderen. Der Grund unseres Hierseins: Marc-Uwe Kling liest aus "Die Känguru-Offenbarung, Teil 1".

Die Sache mit dem Känguru war uns ein großes Vergnügen, seit der Gatte die Bücher zum ersten Mal in die Finger bekam. Ich hatte immer vor, sie selbst zu lesen, aber das erübrigte sich, weil er abends im Bett beim Lesen in sich hineinkicherte und mir daraus vorlas. Dann schafften wir die Hörbuchfassungen von "Die Känguru-Chroniken" und "Das Känguru-Manifest" an, die uns erst recht zum lachen brachten. Kaum zu glauben, dass in Deutschland tatsächlich so etwas wie Humor existiert, der über wandelnde Peinlichkeiten wie Atze Schröder oder Mario Barth hinausgeht. Aber es gibt ihn!

Ein kommunistisches Känguru als widerborstiger, anarchischer Wohnpartner des "Klein"-Künstlers, der mit ihm zusammen Schnick Schnack Schnuck spielt und dabei immer gewinnt, oder Schach mit den Figuren des Deutschen Herbstes ("Mein Turm ist ein Terrorist, der hält sich nicht an Regeln!" - "Mein König ist Helmut Schmidt, der verhandelt nicht mit Terroristen!") - so eine schöne Idee, dass man sich ein wenig selbst bemitleidet, weil einem sowas nie einfällt.

Die Pointen sind alles andere als oberflächlich. Angehörige des politisch entgegengesetzten Lagers zählen (deshalb vielleicht) kaum zur Zielgruppe, was mir wenig ausmacht, im Gegenteil. Marc-Uwe Kling bewegt sich da ganz gekonnt zwischen Dreistigkeit und Weisheit, würzt alles mit einer kräftigen Prise Absurdität, orwellscher Zukunftsvision ("Miniprod", das Ministerium für Produktivität hat das Känguru ganz genau im Auge und droht mit Abschiebung, weil es meistens eben nur "herumlungert") und rasantem Wortwitz. Den lässt er übrigens auch ganz kängurufrei an der Gitarre raus.

Es war klar, dass wir uns das nicht entgehen lassen würden. Zu Beginn fragte ich mich, ob sich die Fahrt nach Düsseldorf und das Stehen in der Kälte wohl gelohnt hat. Aber das hatte es. Es war bereits sein zweiter Auftritt an diesem Tag. Es bedarf eines beträchtlichen Durchhaltevermögens, ein Programm von diesem Umfang und Inhalt an einem Abend gleich zweimal zu geben, ohne dabei routiniert, gelangweilt oder übermüdet zu wirken. Der Mensch liest ja nicht nur, er versteht es prächtig, die Dialoge mit unterschiedlichen Stimmen zu lesen und musiziert dann auch noch. Jüngst hat er begonnen, Zitaten einen neuen (falschen) Urheber zuzuordnen und sie damit in einen neuen Kontext zu stellen, was sehr, sehr amüsant ist. Von diesen hat er auf der Bühne auch so einige verlesen (und als Kalender herausgebracht, der jetzt im Arbeitszimmer an der Wand hängt).

Das Känguru nimmt man beinahe als eigenständigen Charakter wahr. Es ist so wunderbar patzig. Nachdem Spekulationen über sein Geschlecht aufgekommen waren, weil es ja einen Beutel hat, sich mit seiner Schwäche für Anarchie, Herumgammeln, fiese Sprüche, Arbeitsvermeidung und Schnapspralinen aber so überhaupt gar nicht "weiblich" verhält, antwortete es in gewohnter Manier: "Ach, männlich, weiblich - das sind doch bürgerliche Kategorien!" Wunderbar. Marc-Uwe Kling, auf der Bühne mit A4-Zetteln hinter einem Tisch sitzend und lesend, verschwand beinahe hinter der von ihm geschaffenen Figur.

Sehr präsent war er aber, als er dann sang. "Ich hätt auch so gern ein Hobby" hat das Zeug zum neuen Lieblingssong, weil es so treffend ist. Da rangiert "Meerschweinchen" gleich neben "Ausländer verprügeln", "Joghurt selber machen" neben "Autos abfackeln", und er steht da mit seiner Gitarre auf der Bühne und wirkt so gnadenlos hoffnungslos dabei ("Ich zäune meine Interessen ein"), dass man ihm "Autos abfackeln" als Hobby dann schon beinahe wünschen möchte. Schön auch "Stuf mich ein", ein Lied, dass den allgemeinen Bewertungs-, Sterne-Vergabe- und Daumen-hoch-Wahn auf die Schippe nimmt. Da will die Tussi von letzter Nacht einfach nicht gehen und steht in der Tür, weil sie erst noch wissen will, wie sie war.

Einiges an Ironie entging dem Publikum, so mein Eindruck. Die Blöße geben und mitsingen wollte man trotz deutlicher Aufforderung und Animation beim Rausschmeißer "Scheißverein" auch nicht, zu peinlich ist wohl dem Bachelor-Studenten das Herausstechen aus seiner Peergroup. Und das trotz der Neigung des deutschen Publikums zum Rhythmusklatschen. Naja, es ist halt, wie es ist.

Danach: Spät schlafen gegangen bei den Freunden, morgens dekadent gefrühstückt, noch einmal einige Stücke von CD gehört, zusammen gelacht und geredet und dann durch das dicke Schneegestöber heimgefahren und wählen gegangen.

Ich habe mir das Vergnügen angetan und vom Kalender die ersten 19 Blätter auf einmal abgerissen. Der gestrige lautete dann passenderweise:



Da ist was dran, auch wenn mir das Wahlergebnis dieses Mal entschieden besser gefällt als sonst.

Herzlichen Dank, Herr Kling! Für Lacher, Feinsinniges und Ohrwürmer. Ich würde es wieder tun.

P.S.: Julius Fischer als "Vorband" (wie er sich selbst bezeichnete) und musikalisch-humoristische Unterstützung - anders, aber ebenfalls angenehm auffallend lachhaft. Es gibt noch Hoffnung.

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