Sturmflut
Dienstag, 7. Januar 2014
Landunter
Gerade steht mir das Wasser bis zum Hals. Ich frage mich, warum ich überhaupt darüber schreibe. Als würde die Formulierung dessen, was passiert, irgend etwas ändern. Meine Hoffnungen krümeln in sich zusammen wie eine ausgetrocknete Sandburg.

Heute gleich zwei Absagen - zu der erhofften Ausbildungsstelle hat es nicht gereicht, und auch bezüglich des Brotjobs, der mal kurz am Horizont auftauchte, haben sie sich "leider für einen anderen Bewerber entschieden". Diese nichtssagenden Sätze prasseln auf mich ein wie Hagelkörner und fügen meinem sorgsam aufgebauten Selbstvertrauen erheblichen Schaden zu. Bin also doch nicht so gut wie gedacht!, Vielleicht liegt es an meinem Alter!, Hätte ich nur....

"Für Ihre berufliche Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute!" - ja, ja. An eine Zukunft zu glauben und die Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren ist gar nicht leicht, wenn gerade alles um einen herum in Scherben geht. Beschissen, beschissen, beschissen. Was anderes fällt mir dazu gerade nicht ein.

Ein lieber Mensch hat mir kürzlich gesagt, er sehe mich nicht als Call-Center-Mitarbeiterin. Nein, da sehe ich mich auch nicht. Trotzdem stelle ich jetzt fest, es bleibt nur noch der Bodensatz an Jobs übrig: befristete, Leiharbeitsjobs, Minijobs. Als Kunststoffentgraterin, Müllsortiererin. Nachtschicht. Ich bin geneigt zu sagen, Scheiße passiert, mache ich das halt für eine Weile. Nur, wann wird dann diese Weile zu Ende sein? Hätte ich doch schlau sein sollen und Hausfrau und Mutter werden sollen? (Nein. Grusel.)

Ungewollt stelle ich den ganzen Mist in einen größeren Zusammenhang. Denke an die Eltern, die immer der Auffassung waren, wer sich genug anstrenge, bekomme auch Arbeit. Die in einer Zeit lebten, in der Hochschulabsolventen noch direkt nach ihrem Abschluss wie blöde von den Unternehmen umworben wurden und für ihre Arbeit ordentliches Geld bekamen. Angesichts der Jobangebote kommen mir die Tränen. Geringfügige Beschäftigung, ...auf 450,-€-Basis, Teilzeit, ... zweimal wöchentlich zwei Stunden - in was für einer bekloppten Welt leben wir eigentlich? Selbst examinierte Altenpfleger und Erzieher werden heute zum Teil nur noch so bezahlt. Scheiß-System, in dem von Papi gepamperte Jüngelchen auf spezielle Privatunis für künftige CEOs geschickt werden und dort lernen, für ein fettes Gehalt die Welt zu verarschen, während der Rest sich mit dem Bodensatz zufriedengeben darf.

Das alles kommt mir nur reichlich absurd vor, es scheint so wenig Berechtigung da zu sein für Systemkritik, wenn man sich selbst gerade nichts mehr wünscht, als wieder Teil des Getriebes zu sein und zumindest auf die kleine "Freiheit" hofft, sich auszusuchen, welcher Teil des Getriebes man gern wäre, anstatt gesagt zu bekommen "Friss oder stirb!". Aber inzwischen ist es eben wirklich "Friss oder stirb!"

Der Gatte sagt, ich habe das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Ich hoffe, er hat Recht, denn zur Zeit fühlt es sich nicht so an. Ich könnte kotzen. Heulen. Schreien. Brüllen. Mich selbst bemitleiden. Ich möchte in den Arm genommen werden.

Statt dessen setze ich mich gleich hin und mache meine Niederländisch-Hausaufgaben. Überlege mir, wie ich das Kursgeld bezahle. Setze die Kündigung für das Fitness-Studio auf. Und sehe optimistisch in eine glückliche Zukunft.

2014 ist bislang wirklich ein saublödes Arschloch.

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