Sturmflut
Samstag, 13. September 2014
Karriere?
Immer, wenn ich mich durch verschiedene Blogs lese, deren Schreiberinnen Mütter sind, bin ich froh, dass ich eine Entscheidung nicht zu treffen habe: Kind oder Karriere. Oder und. Und in welcher Ausprägung, mit welchen Zielen und Vorstellungen.

Gewissermaßen habe ich sie ja schon getroffen, weil ich nie Kinder wollte. Es stellt sich mir die Frage also erst gar nicht, ob ich Kind oder Karriere oder vermessenerweise sogar beides will. Ich muss mich nicht mit Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie herumschlagen und mit niemandem diskutieren - über Zuhausebleiben nach der Geburt, über die Aufteilung von Hausarbeit, über Teilzeit- oder Vollzeitstellen und den ganzen Rattenschwanz an Organisation, den das Leben mit Kindern mit sich bringt. Ich bin froh darüber, auch wenn nichts davon mich darin bestärkt hat, keine Kinder zu wollen.

Aber: Kind oder Karriere? In dieser Gegenüberstellung (die meist faktisch ohnehin keine ist) klingt ja Karriere noch nach etwas Großartigem, Erstrebenswertem, nach einer Laufbahn, an deren Ende man "on top" angekommen ist und viel verdient, sich selbst verwirklicht oder eventuell auch beides. Mit dem Begriff Karriere konnte ich aber noch nie etwas anfangen. Ganz und gar nicht.

Ich bin mir sicher, meine Mutter hätte sich für mich eine Karriere gewünscht. Vor allem deshalb, weil sie selbst keine machen durfte. Das lag daran, dass sie ein Mädchen war und meine Großeltern der Ansicht, dass sich für ein Mädchen das Fahrgeld zum Gymnasium auszugeben nicht lohnte, und... Damals heirateten junge Frauen ohnehin irgendwann, und dann hatte sich das erledigt mit dem Arbeiten - sie waren ja dann versorgt. (Zumindest war das bei uns im Dorf so.) Aber ich hätte ja wenigstens Karriere machen können, wenn ich schon nicht das erhoffte und fest erwartete männliche Kind geworden war. Ich hätte ja schließlich auch gedurft. Obwohl ich ein Mädchen war. Auf dass der Ruhm ein wenig auf meine Mutter abstrahlen möge.

Ich bin mir bewusst, sie war ein Opfer der Geschlechterrollen ihrer Zeit. Sie hat mit Sicherheit gespürt, dass ihr etwas entgangen ist, dass ihre Familie sie an etwas gehindert hat, das sie sich für sich selbst wünschte. So weit, so absolut menschlich. Nun sollen andere für sie glänzen. Meine Karriere nach der Vorstellung meiner Mutter wäre optimalerweise in der Variante "bekannte, berühmte Journalistin" oder in irgendeinem Heilberuf vonstatten gegangen, zumindest aber als Passivkarriere in Form einer Heirat mit einem aufstrebenden Arzt/Anwalt/Richter/Manager. Dass mir kein solcher zugelaufen ist, bedauert sie glaube ich bis zum jüngsten Tag.

Inzwischen wird von Frauen eine Art Alles-können-und-wollen-sollen erwartet. Dazu gehört auch das Meistern von Beruf und Familie. Es ist nicht mehr üblich und akzeptiert, weiblichen Kindern bestimmte Bildungswege zu verstellen, weil sie "ja sowieso Hausfrau und Mutter" würden. Immerhin. Statt dessen haben Frauen das Zugeständnis, alles zu dürfen, was sie wollen. Dass das allerdings etwas ganz anderes sein könnte als die vorgegeben Alternativen - ganz klassisch schwarz-weiß Kind(er) und/oder Karriere in veränderlichen Gewichtsanteilen - das ist schwer zu denken. Der Druck ist groß, es auf jeden Fall richtig zu machen. Aber wie sie's macht, macht sie's garantiert verkehrt.

In meiner Situation kann beispielsweise trotz des Fehlens von Kindern von Karriere nicht die Rede sein. Natürlich steht längst nicht jeder so wie ich mit Ende Dreißig erst am Beginn einer beruflichen Laufbahn. Aber in meinem Job ist obendrein ein Aufstieg auch kaum wahrscheinlich. Ich werde keine Karriere hinlegen und habe auch nicht den Plan, in zehn, fünfzehn Jahren in Hosenanzug und Pumps in irgendeiner Chefetage zu stehen. Das ist aber das Bild der "starken" Karrierefrau, die (medial befeuerte) Alternative zur "Familienmanagerin".

Dass ich meinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten würde und müsste, war mir eigentlich immer klar. Im Gegensatz zu den Träumen, die meine Eltern für mich hatten und die vor allem auf der Vorstellung fußten, dass wer sich genug anstrengt, auf jeden Fall Erfolg haben wird, sieht meine Realität etwas anders aus. Ich lebe in einer Zeit, in der man sich glücklich schätzen kann, Arbeit zu bekommen. Da kann die Politik noch so sehr von Fachkräftemangel jammern. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Sie ist geprägt von einer Hire-and-Fire-Mentalität, von staatlich subventionierten Kleinstjobs, von unbezahlten Überstunden und sinnbefreiten Tätigkeiten. Von den Karriereanwärtern (oder auch nur von denen, die ihren Job einfach behalten wollen) wird erwartet, dass sie sich richtig lang machen, ihr Privatleben einschränken, im Urlaub und nach Feierabend erreichbar sind und das auch noch gut finden, dass sie tief in Hintern kriechen und nach unten treten, die Ellenbogen schärfen, wenig schlafen und wenig kosten. Da ist nicht viel Glamour übrig.

Diese Umstände töten - mal sanft, mal ziemlich abrupt - die Utopie vom Beruf als Berufung. Wenn die tatsächlich bestünde, dann wäre es überdies ja auch kaum wahrscheinlich, dass jemand die Toiletten in unseren Einkaufscentern putzte, für Primark Klamotten zusammennähte oder unter der Erde in der Hitze Kohle schürfte.

Karriere machen glaube ich ohnehin nur die wenigsten, und ob sie das zu glücklicheren Menschen macht, sei dahingestellt. Ich habe an meine Arbeit auch nicht den Anspruch, dass sie mir die vielerorts beschworene oder durch den Kakao gezogene Selbstverwirklichung beschert. Ich kann keine Aussage über das generelle Potential von Lohnarbeit machen, Menschen Stolz und Sinn erleben zu lassen. Es kam schon einmal die Frage, ob ich, würde ich es nicht brauchen, einer Arbeit nachgehen würde. Vermutlich schon. Ich glaube nämlich, dass der Mensch durchaus einen Drang dazu hat, sich schöpferisch, sozial, handwerklich irgendwie sinnvoll zu betätigen. Das bekannte Wort vom Hobby, das man zum Beruf machen möchte, hat vermutlich seine Berechtigung, aber es ist in Zeiten wie diesen eben auch reichlich naiv. Denn das Angewiesensein auf monetäre Entlohnung verträgt sich nicht wirklich optimal mit der Verwirklichung eigener Ideen. Je verzweifelter die Lage, desto geringer die Verwirklichung. Das habe ich in der Zeit meiner Arbeitslosigkeit erlebt. Das ist eine Friss-oder-stirb-Frage.

An meinen Beruf habe ich den Anspruch, dass er mich finanziell über Wasser halten kann. Das ermöglicht mir, die Beziehungen zu Menschen, die mir viel bedeuten und mir wichtig sind, von materieller Abhängigkeit freizuhalten. Das war mir immer sehr wichtig. Außerdem möchte ich mich nicht jeden Tag zur Arbeit quälen müssen. Damit meine ich vor allem, dass ich in dem, was ich tue, einen minimalen Sinn erkennen möchte und eine Beziehung zu dem haben will, was ich erschaffe. Ich möchte mich nicht verstellen und belügen müssen. Dazu kommt dann noch der menschliche Faktor: Ich möchte ein Arbeitsumfeld haben, in dem die Beteiligten anständig miteinander umgehen. Ausreißer sind erlaubt, aber das Gesamtbild muss stimmen. Ich bin mir aber bewusst, dass ich mit diesen Minimalforderungen weit über dem liege, was viele Menschen ertragen müssen, die eben keine Wahl haben. Ich weiß es zu schätzen.

Tiefere Sinnfindung hingegen? Eher nicht. Ich muss in dem Zusammenhang an den Satz Hermann Hesses denken:"Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben - aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind." Was bin ich also als Mensch noch mehr als jemand, der nicht Mutter, dafür aber berufstätig ist? In "Daytripper", einer grandiosen Graphic Novel, die zur Zeit wieder einmal auf dem Bücherstapel neben meinem Bett liegt, fragt in einem Kapitel der Protagonist eine Frau, die er gerade kennengelernt hat, nach ihrem Beruf. Sie antwortet ihm brüsk, dass ihr Beruf überhaupt nichts darüber aussagt, wer sie ist. Sie hat recht, es stimmt: Wir müssen alle essen.

Bei all dem Gerede von Karriere, Leistung und damit letztlich auch Geld als absolutem Ziel wundert mich die Zerrissenheit der Menschen nicht. So stumpf, überflüssig, faulig, bigott und unmenschlich viele Jobs sind und so unbarmherzig, wie die Stechuhr die eigene Lebenszeit kaserniert, ist der Wunsch ja letztlich ganz normal, sich das Leben zurückzuholen und herauszutreten aus der Mühle. Ob man bei jedem Schritt, den man dabei macht, näher zu sich selbst kommt oder sich selbst belügt, hängt ganz von einem selber ab.

Ich bin keine Vorstandsvorsitzende, keine Ellenbogenfrau, keine Sorgeberechtigte, keine Putzfee, kein Arbeitsesel. Ich bin als Mensch viel mehr als nur das, was meine Haupttätigkeiten an mir definieren. Ich hätte definitiv gern mehr Zeit. Zeit, der ich einen Sinn geben kann, denn Sinn ist genug in mir. Wäre das Leben ein Wunschkonzert, dann würde ich mir wünschen, mit fünf Stunden Arbeit täglich genau so viel zu verdienen (und genau so hohe Rentenansprüche zu erwerben) wie mit jetzt achteinhalb. Das ist aber unter dem Diktat des Turbokapitalismus nicht denkbar, also verlagert sich das, was ich sonst noch bin, zwangsläufig in die knappe Freizeit - wenn denn dann Energie dafür bleibt.

Da bin ich Abenteurerin, Reisende und Wanderin, Künstlerin, Gärtnerin, Schreiberin. Ich bin Gefährtin, Geliebte, Freundin. Ich bin manchmal nah am Rande des Abgrunds, mal verpeilt, manisch, bescheuert, verdrieslich, grantig, todtraurig, albern, genießerisch, geistreich, lustig. Manchmal habe ich Sehnsucht, manchmal gebe ich ihr nach. Manchmal bin ich im Moment, vertrödle ich meine Zeit. Ich fühle mich wohl, wenn ich singend durch das Haus laufe. Manchmal zerknittere ich unter der Last meiner alten Depression wie trockenes, brüchiges Papier. Dann bin ich gar nichts, allenfalls ein Sandkorn.

Meine sogenannte Karriere ist lediglich ein Ausschnitt dessen, was ich bin, sowohl als Mensch als auch als Frau. Sie stellt nur den gerade eingeschlagenen Weg dar, einen Ausschnitt wie ein Fenster, durch das man temporär begrenzt einen Ausdruck meines Selbst erkennen kann. Der ist gefärbt von Notwendigkeiten und Neigungen gleichermaßen. Für mich ist diese Erkenntnis auch deshalb so bedeutsam, weil in meiner Kindheit und Jugend nur zählte, was ich mal werden wollen sollte. Nicht, wer ich war. Ich hoffe, es ist noch genug Zeit für das einfache Sein.

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