Sturmflut
Freitag, 21. November 2014
Gedanken über ein Hemd
In der vergangenen Woche trug der ESA-Wissenschaftler Matt Taylor vor der Kamera ein Hemd, das ihm einigen Ärger einbrachte. Auf das Kleidungsstück des Anstoßes, ein buntes Bowlinghemd, waren einige spärlich in Lederoutfits gekleidete, comichafte Blondinen gedruckt. Mir war das Hemd aufgefallen, als ich die Interviews rund um die Rosetta-Mission und die Landung Philaes auf dem Kometen Churyumov-Gerasimenko ansah. Einsortiert hatte ich es aber lediglich unter der Kategorie "Im Dunkeln in den Kleiderschrank gegriffen". Matt Taylor bestach nämlich schon vorher durch farbenfrohe, nicht unbedingt als klassisch zu bezeichnende Hemden, durch seinen plüschigen Vollbart und seine Tattoos. Das fragliche Blondinen-Hemd passte in sein Image, das mir als solches nicht negativ auffiel. Bisschen bunt und quietschig, ja. Vielleicht auch als Berufsoutfit vor der Kamera selbst für Exzentriker nicht unbedingt geeignet. Insofern auch: Autsch!

Das Hemd geriet mir bald wieder in Vergessenheit. Dann gab es einen Google-Hangout. Matt Taylor saß im dunkelblauen Kapuzenpulli in der Reihe seiner Kollegen, und als ihm jemand das Mikrofon reichte, sagte er mit belegter, sehr emotionaler Stimme: "The shirt I wore this week... I made a big mistake and I offended many people, and I'm very sorry about this."

Offenbar gab es dann einen Shitstorm im Netz. Das Hemd stehe exemplarisch für die gesamte Situation der Frauen in der Wissenschaft, für die Misogynie im Wissenschaftsbetrieb. Eine Journalistin bezeichnete Taylor bei Twitter als "asshole", das ihr die coole Landung Philaes auf dem Kometen verdorben habe. In ihrer Timeline regnete es Attribute wie "sexist" und "gross". Der "Guardian" schrieb über das Hemdmotiv: "Many people found that sexist, reflecting a culture still present in all too many parts of science and engineering, where women are made to feel uncomfortable."

Inwieweit das Hemd ein Gradmesser für das Ausmaß des Sexismus im Wissenschaftsbetrieb allgemein und für die Unternehmensatmosphäre bei der ESA im Besonderen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Weder hatte ich jemals das Vergnügen, mich auf eine Stelle in der Wissenschaft zu bewerben oder in einer Forschungseinrichtung zu arbeiten, noch kenne ich Menschen, die mir aus erster Hand über schlechte Erfahrungen in dieser Hinsicht berichten. Damit möchte ich nicht kategorisch ausschließen, dass auch in der Wissenschaft Sexismus ein Problem ist. Sexismus ist generell ein Problem. Ich behaupte aber mal freiweg, dass Hemden wie das von Matt Taylor (oder der Kalender mit nackten Frauen an der Wand oder sexistische Kantinensprüche) nicht der Grund dafür sind, warum so wenige Frauen in der Wissenschaft tätig sind. Die Gründe dafür sehe ich ganz woanders, aber das ist nicht Gegenstand dieses Blogeintrags. (Vielleicht, nein, bestimmt ein andermal mehr dazu.)

Man kann mir gern unterstellen, ich sei eben nicht sensibilisiert genug für Sexismus. Jeder, der mich wirklich näher kennt, weiß aber, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Es gibt viele Dinge, die mich wütend machen und auch verletzen, und vieles davon hat mit Geschlechterstereotypen und Sexismus zu tun.

Ich möchte mich gar nicht auf die Mission machen, das Hemd des Herrn Taylor zu verteidigen (oder gar ihn selbst – dafür weiß ich viel zu wenig über ihn als Person). Etwas anderes beschäftigt mich an diesem Vorkommnis.

Es ist die Empfindlichkeit, mit der auf vielerlei Äußerungen – besonders im Netz – reagiert wird. Es ist mir bewusst, dass der Vorwurf der Überempfindlichkeit oder gar Hysterie in solchen Debatten gern gegen Frauen gerichtet wird. Mit diesem Vorwurf wird systematisch die Wahrnehmung der Betroffenen in Zweifel gezogen, und Geschehnisse und Empfindungen werden bagatellisiert. Um Missverständnissen also vorzubeugen: Ich kann nachvollziehen, warum man das Hemd Matt Taylors auch als sexistisch auffassen kann. Ich kann außerdem auch nachvollziehen, dass man die darauf dargestellten Frauen als objektiviert wahrnimmt. (Dass ich es nachvollziehen kann, bedeutet aber nicht, dass ich diese Auffassung auch teile.)

Trotzdem: Woher die Empfindlichkeit? Mir scheint, dass manche Feministinnen auf das Fallen bestimmter Schlagwörter oder Verhaltensweisen regelrecht warten, um dann reflexhaft darauf mit Sexismusvorwürfen zu reagieren. Herr Taylor trug ein lautes Hemd, das zugegebenermaßen regelrecht dazu einlud, diesen Vorwurf zu erheben. Schön, damit ist natürlich bewiesen, dass er und mit ihm alle Männer in der Wissenschaft widerliche Sexisten sind. Oder nicht?

Zurück zur Aussage des Guardian-Zitates "...where women are made to feel uncomfortable." Unbehagen kann man in der Tat verspüren. Was mich an dieser Perspektive stört ist die reine Passivität. Machen, dass sich jemand unbehaglich fühlt – das bezieht mit ein, dass auch jemand da ist, der sich dieses Unbehagen aufdrängen lässt. Es bedeutet, dass wir die Verantwortung für unser eigenes Behagen in die Hände anderer legen.

Wir stoßen uns daran, wie ein Teil der Männer (und meist sind das hier die besonders lauten) Frauen sieht. Auch ich stoße mich bisweilen daran. Aber mir wird klar, dass der Fokus bei alldem auf dem Gesehenwerden durch die Augen der Männer liegt. Können wir uns nicht selber sehen? Wir möchten anständig behandelt werden. Aber behandelt werden ist immer passiv. Behandelt werden Krankheiten oder Kitschporzellan in Vitrinen.

Angenommen, die Frauen auf Matt Taylors Hemd seien tatsächlich so etwas wie seine Wunschvorstellung der optimalen Frau (was ich heftig bezweifle). Lässt sich daraus ableiten, dass an mich als Betrachterin des Hemdes die Aufforderung ergeht, so zu sein? Wohl kaum. Mit welchem Recht auch?

Brisant wird die Lage erst, wenn Frauen die über sie kursierenden sexistischen Stereotype zur Handlungs- und Seinsaufforderung für sich selbst umdeuten. Das bedeutet, dass jemand anderes Macht darüber erlangt, wer wir sind und was wir machen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die an der Rosetta-Mission beteiligten Frauen mit der Erwartung eines einzelnen Mannes gerungen hätten, sie sollten sich die Haare blondieren und in knappen Latexkostümchen herumspringen. Auf mich wirkten sie selbstbewusst, kompetent und souverän (und ja, auch sehr einladend, es ihnen nachzutun). Sicher erfordert es Mut und vor allem Ausdauer, Stereotype zu hinterfragen und ihnen zuwider zu handeln. Aber betrachten wir es doch mal trocken: Wenn wir wirkmächtig sein wollen, dann haben wir keine andere Möglichkeit.

Es bringt nichts, darauf zu warten, irgendwie behandelt zu werden. Es bringt auch nichts, darauf zu warten, dass alle Männer dieser Welt ein Einsehen ereilt und sie fürderhin nur noch nett zu Frauen sein werden. Es bringt meiner Meinung nach überhaupt nichts, auf eine Änderung beim anderen zu hoffen und sich in der Zwischenzeit lautstark über all jene zu beschweren, die immer noch nicht verstanden haben, wie Respekt geht. Da ist auch ein bisschen Mimimi mit im Spiel und ein Ausruhen auf der komfortablen Position, dass man selbst auf jeden Fall im Recht ist, weil es immer jemanden gibt, der im Unrecht (sprich: ein Sexist) ist. Ich denke, das bringt uns kein bisschen weiter. Im Gegenteil, es verhärtet die Fronten. Es lockt die Vertreter extremer Positionen aus ihren Löchern, die dann ungehemmt Bashing und Beschimpfungen übelster Sorte loslassen, die tatsächlich oft ausgesprochen sexistisch und verächtlich sind. Es diskreditiert all die leisen Männer, die sich längst (und nicht immer mühelos) über solche Stereotype hinweggesetzt haben. Und vor allem relativiert es auch die Diskriminierungen, unter denen Frauen (und Männer) aufgrund ihres Geschlechts zu leiden haben.

Wenn ich nicht als Objekt gesehen werden möchte, dann darf ich mich auch nicht wie ein solches verhalten. Ich finde es legitim, Sexismus anzuprangern, sichtbar zu machen und sich dagegen zu wehren. Es ist gut, sensibel zu sein. Unverständnis habe ich aber für die ewige Opferposition. Es ist etwas anderes, aktiv in einer konkreten Situation auf sexistisches Verhalten hinzuweisen oder nach Beweggründen zu fragen, als jede vermeintliche Benachteiligung unendlich breitzutreten und sich medial darüber zu ereifern, dass manche Menschen sexistische Arschlöcher sind und dies partout nicht einsehen wollen.

Etwas mehr Selbstbewusstsein stünde uns gut zu Gesicht. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass in der Anonymität des Netzes eine Menge Kerle ihr Unwesen treiben, die laut schreien, aber daheim in den eigenen vier Wänden vermutlich eher so klein mit Hut sind. Wir entscheiden selber, wer uns beleidigt. Wieso gestehen wir Leuten, die wir selbst als Arschlöcher bezeichnen, die Macht darüber zu, uns zu definieren? Wir wissen doch selbst am besten, wer wir sind.

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