Sturmflut
Ibiza (1):
Menschen sind nicht zum Fliegen gemacht
Ich weiß, dass für die meisten Menschen Fliegen Routine ist. Einchecken, Etiketten werden an Koffer geklebt, Boarding, sich in die Sitze klemmen, Sicherheitsanweisungen anhören, Sandwiches mümmeln... Unterwegs läuft das "Bord-Entertainment-Programm", amerikanische Sitcoms - Zeug, das ich mir auch zuhause nicht angeschaut hätte. Die Flieger sind Linienbusse am Himmel, und die mit dem Reiseziel Ibiza erst recht.

Trotzdem ist Fliegen für mich aufregend. Ich bin ein Landei, eine Provinznudel, und wie sehr, das spüre ich wieder einmal, als ich in den Sitz gedrückt werde, während der Airbus auf der Startbahn beschleunigt. Mein Magen macht allerhand Manöver, während meine Augen draußen die morgendliche Landschaft vorbeirauschen sehen und mein Allerwertester sich von deutschem Boden verabschiedet. Zwei Wochen Urlaub liegen vor mir und ich bin gespannt, was mich erwartet. Ich war noch nie in Spanien. Für die meisten Menschen ist das wohl kaum zu glauben.

Während an der Kiste alles klappert und rappelt, fällt mir auf, wie absurd das eigentlich alles ist. Dass ich hier sitze, in mehr als 10.000 Metern Höhe, bei einer Geschwindigkeit von über 800 Stundenkilometern und einer Außentemperatur von unter 40 Grad minus. Wenn irgendwas versagte, wäre das tödlich, und irgendwie ist es anmaßend, dass ich mich hier aufhalte. Oder eben nicht aufhalte. Es ist unnatürlich, dass ich irgendwo einsteige und innerhalb von knapp zweieinhalb Stunden von einer Welt in die andere reise, über Meer und Berge, Flüsse und Straßen und tausend und tausend Leben hinweg. Dort, wo ich hin will, ist dasselbe Geld gültig, ich befinde mich immer noch in Europa, ich werde keinen Kulturschock erleiden, aber dennoch bin ich vollkommen wo anders. So sehr ich diesen Urlaub herbeigesehnt habe und so sehr ich ihn auch schließlich genossen habe - diese Art zu reisen scheint mir irgendwie unpassend. Keine langsame Gewöhnung, keine Veränderung der Landschaft, kein Unterwegs. Statt dessen steigen wir ein in eine Kabine, aus der man kaum herausschauen kann, wie in einen Teleporter, und dann sind wir schlagartig dort, wo wir hinwollen.

Vielleicht ist es gut, dass es bei unserer Ankunft regnet. Da ist die Umstellung nicht so krass, auch wenn meinen Mitreisenden das Wetter missfällt und sie das auch deutlich zum Ausdruck bringen. Wir sammeln unser Gepäck ein und machen uns auf den Weg, den Mietwagen zu holen. Sobald die klimatisierte, geruchsbefreite Flughafenhalle hinter mir liegt, trifft mich Ibiza. Es ist eine andere Luft, die ich atme. Sie ist würzig und schwül, Pfützen stehen auf dem Asphalt, und die Räder der Koffer klickern über den Gehweg. Ich genieße die Andersartigkeit der Vegetation. Zwischen die neuen Gerüche mischen sich vertraute: Abgase, Zigarettenqualm.

Erst, als ich aus dem Wagen schließlich wieder aussteige, in dem kleinen Taleinschnitt, in dem das Ferienhaus liegt, begreife ich, dass ich wieder auf meinen Füßen stehe.


Der Mensch ist das einzige Wesen,
das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann. - Loriot