Sturmflut
Freitag, 8. Juli 2011
Ibiza (5): Bauruinen
Eingefleischte Geocacher wissen um den Reiz von sogenannten "Lost Places". Auf Ibiza trieb uns das Geocaching an viele interessante Orte, und oft fiel der Satz "Ohne Geocaching hätten wir das hier nie gesehen!", was überaus zutreffend ist.

Der "Festival Club" ist so verloren, wie ein "Lost Place" nur irgend sein kann. Wenn man die Stichworte Festival Club Ibiza googelt, stößt man auf Videos von Paintball-Enthusiasten, die die Ruine des ehemaligen Touristenzentrums nahe San Josep als Spielwiese nutzen. Als wir unseren Mietwagen in der Nähe der verfallenen Betonmauern parken, begrüßt uns als erstes ein Bein.



Kein Bauzaun, keine Kette mit Vorhängeschloss verwehrt Neugierigen den Zutritt zu diesem gigantischen Schutthaufen, und so verhält es sich auch mit den anderen Bauruinen, die Ibiza "zieren". Wir treten durch einen verwitterten Torbogen, vorbei an roten Plastikrohren, zerbrochenen Holzpaletten und Stolperfallen aus herumhängenden Draht.



Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Die galerieartigen Fensterbögen auf der linken Seite geben den Blick frei auf eine große, terrassenförmige Anlage mit einer kleinen Arena samt dazugehörigen Zuschauerrängen, ein anderer Bereich war wohl mal Gastronomie, und ganz unten steht eine überdachte Tribüne.



Der Raum, in dem wir stehen, diente vielleicht einmal als Partysaal, man sieht noch gemauerte Bänke entlang der Wände. Das Dach fehlt, geblieben sind nur rostige Stahlträger. Hinter eingebrochenen Wänden sind die weißen Fliesen sanitärer Einrichtungen (oder waren es die Küchen?) sichtbar. Ich schließe die Augen und sehe feiernde Menschen hier sitzen, höre die Musik und das Stimmengewirr. Aber in Wahrheit ist das alles schon lange her. Die Anlage war überhaupt nur zwei Jahre (1972 - 1974) in Betrieb, dann setzte die Ölkrise der Idee ein Ende, Touristen mit Bussen auf diesen Berg hinaufzukarren.



Die Reste dieser Idee sehen aus wie die Kulisse zu einem Endzeit-Film. Treppen bröckeln oder führen einfach ins Nichts, Schichten von schrägen Graffitys bedecken den Beton, und aus den Rängen der Arena wächst pink blühender Oleander, als hätte die Natur ein leicht hämisches "Netter Versuch, Leute, aber ihr könnt mich mal!" von sich gegeben.



Die Menschen haben sich hier so richtig ausgetobt. Überall liegt Müll, rußige Häufchen künden von spontanen Lagerfeuern, Scherben zerschlagener Flaschen bohren sich in die dünnen Sohlen meiner Flip-Flops. Die Krönung sind die Autowracks - wir zählen mindestens fünf. Zwei von ihnen stehen unten im Raum vor der Tribüne, reifenlos und mit offenen Türen, zerschlagenen Scheinwerfern, zerfetzten Sitzen.



Ich erklimme - zaghaft angesichts des maroden Zustands - die Tribüne. Der Fußboden ist hohl und zum Teil eingebrochen. Durch ein Fensterchen in der Rückwand sieht man den Bergrücken des Sa Talaia mit seinen Sendemasten. Gelegenheit für ein Foto, die ich nutzen möchte. Ich stecke den Kopf durch das Fensterloch, da fällt mein Blick auf zwei weitere Autowracks. Beide liegen auf der Seite, als habe sie jemand aus dem Fenster geschubst. A. ist inzwischen in die "Künstlergarderobe" unter der Bühne gekrochen. So weit habe ich mich dann doch nicht getraut - zuwenig Kopffreiheit in Anbetracht meiner Körperlänge und Klaustrophobie.



Hier, wie auch später beim Besuch einer weiteren Bauruine unterhalb des Puig Redo, befällt mich ein eigenartig beklommenes Gefühl. Die Umgebung ist ebenso faszinierend wie düster, und mir kommt der Gedanke: "Der Mensch ist ein Geschwür!" Allem haftet eine eigenartige Patina an, aus dem Gebauten und Gebliebenen spricht Willkür und Gedankenlosigkeit bis hin zu absoluter Rohheit. Niemand macht sich die Mühe, die Ruinen abzubrechen und wegzuräumen, und deshalb bleibt der Beton als stummer Zeuge von Fehlplanung, Korruption und gescheiterten Größenphantasien. Er ist ein Teil der Landschaft und doch Fremdkörper. Die Ruinen dienen nur noch als Leinwand für das Gedankenrauschen zufälliger Besucher - sie sind in der Tat verlorene Orte.

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Ibiza (4): Echsen überall
Ein Gecko im Haus bringt Glück, sagt man auf Ibiza. Und man solle mit dem Einzug in ein neues Haus warten, bis mindestens einmal ein Gecko dringewesen ist. Wundert mich auch nicht: Das Echsenviech ist mir äußerst sympathisch, mit seinen wachen Knopfaugen und den fingerartigen Saugnapf-Füßen. Und ein erstklassiger Insektenvertilger.

Es taugt auch als Werbeträger. Überall auf Ibiza kann man Accessoires rund um den Gecko käuflich erwerben, und das Reptil ist zum Inselsignet avanciert. Es gibt ihn in Gips, Holz und Blech, zum am Hals tragen, an die Wand nageln und Aufkleben.


Der Gemahl erstand ein hübsches Strandlaken, über das großformatige Geckos mäandern. Der Gecko gehört zur CI Ibizas. Geschäftemacherei? Klar. Aber trotzdem irgendwie nett. Ich habe sonst keine Souvenirs gekauft, aber ein Echsenaufkleber für la biciclettas Speichenschutz musste sein.

So ein Gecko ist allerdings auch ziemlich scheu. Insgesamt begegnete er uns abends auf der Terrasse zweimal. Das erste Mal klebte er unter der Decke vor unserem Schlafzimmerfenster, was dem Gatten veranlasste, flugs das Fenster zu schließen. Glück hin oder her, der Gedanke an ein Reptil in der Schlafkammer war ihm doch ein wenig unangenehm. Das Tier ließ sich aber geduldig ablichten und verschwand dann im Laufe des Abends, vermutlich an einen Platz, der fettere Beute in Form von Motten und Mücken verhieß.


Die zweite Begegnung verlief eher hastig. Während wir bei einem Gläschen Hierbas zusammensaßen, entdeckte ich den Gecko an der Wand über dem Kühlschrank und ging meine Kamera holen. Die anderen schmunzelten über meine Geckoversessenheit und blieben von seiner Gegenwart recht unberührt. Ich bekam schließlich nur noch das Ende seines Schwanzes zu Gesicht, als er hinter dem Kühlschrank verschwand und mir demonstrierte, dass er kein Fotomodell, sondern ein Reptil auf nächtlichem Beutezug war.

Etwas unbefangener im Kontakt mit Menschen sind die allgegenwärtigen Pityuseneidechsen. Wann immer es im Gebüsch raschelt, kann man damit rechnen, dass Eidechsen anwesend sind. Und es raschelt oft. Ich dachte zuerst an Vögel, wurde aber eines besseren belehrt. Die braungrauen bis smaragdgrünen (und auf den kleineren, isolierten Inselchen auch sagenhaft blauen) Tierchen rennen zuweilen auch schon mal mit affenartigem Tempo quer über die Straße, sie krabbeln in Beeten, Büschen und auf Felsen.


Sie näherten sich neugierig, wenn wir einfach nur ruhig dasaßen, vermutlich angezogen vom Geruch unserer Lunchpakete.


Als der Gemahl nach dem Besuch des Torre del Pirata noch abwärts stieg zum Buddha-Felsgemälde und sagenhaften "Atlantis", blieben J. und ich an der oberen Kante der Steilküste und legten uns in den spärlichen Schatten, um in der Mittagshitze ein Auge zuzukneifen. Da wurden die Echsen forsch.


Sobald wir nur noch still dalagen, näherten sie sich, schnüffelten und knabberten an Ellenbogen und Ohren und erklommen kühn unsere Körper, huschten uns quer über die Brust, um dann bei der kleinsten Regung blitzartig wieder im Gebüsch zu verschwinden. Von dem Zeitpunkt an hielt sich J. ein wenig angespannt die Hosenbeine seiner Shorts zu...

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