Ist Nähen politisch?
Am 13. Mai 2013 im Topic 'Deckschrubben'
Seit ich Mrs Singer aus ihrer Dunkelhaft befreit habe, habe ich nicht nur sämtliche Literatur zum Thema Nähen aus der Stadtbibliothek abgegriffen, sondern auch ausgiebig das Internet durchforstet und dabei einige wirklich schöne Nähblogs gefunden, die kreativen Input und auch manches praktische Wort liefern. Jedes von ihnen hat seinen ganz eigenen Stil, auch wenn mir nicht jedes gleich gut gefällt.
Manche Blogtitel meiden das Wörtchen "Nähen" wie der Teufel das Weihwasser, vielleicht des leicht biederen Images wegen, und diese tragen dann Titel, in denen es um Crafting oder Do-It-Yourself (DIY) geht. Andere geben sich bewusst nostalgisch, anstatt mit Anglizismen um sich zu werfen. Die Bandbreite ist groß, auch dazwischen gibt es eigentlich alles.
Unter diesen Selbermach-Bloggern (hauptsächlich sind es wohl Frauen, aber es gibt auch Ausnahmen) gibt es die Sitte des MeMadeMittwoch (MMM), an dem die Blogger und Bloggerinnen ihre selbstgemachten Kleider vorstellen. Eine schöne Idee, wie ich finde, auch wenn ich selbst dazu wenig beizusteuern hätte, weil ich so produktiv nicht bin. Meine Schneiderkünste sind (noch) zu beschränkt.
Auf der Netz-Konferenz re:publica hätten einige Teilnehmerinnen des MMM gern einen Vortrag gehalten, der sich um die Relevanz weiblicher Blogger, insbesondere der Selbermacherinnen im Netz, dreht. Der Vortrag wurde für die re:publica abgelehnt, aber drüber geschrieben haben die MMMlerinnen dennoch. Im dem Artikel folgenden Kommentarstrang ergab sich dann eine wilde, teilweise auch unschöne Diskussion darüber, wie politisch oder auch feministisch wohl die Selbermach-Bloggerei als solche sei. Manche vertraten die Auffassung, es gehe nicht im geringsten um Politik dabei und fühlten sich von den Schreiberinnen des Artikels zu Unrecht für eine größere Sache vereinnahmt, während sie doch einfach nur nähen, stricken, häkeln, selbermachen wollten.
Ich hatte eigentlich vor, in dem betreffenden Blog einen Kommentar beizusteuern, aber mal davon abgesehen, dass es die Bedingungen nicht zuließen, ganz freiweg nur unter Angabe von Name, Mail und URL dort zu posten, weitete sich der Gedanke über die politische oder nichtpolitische Natur der Selbermach-Bloggerei und des Nähens an sich aus, so dass ich nun doch beschlossen habe, einen eigenen Beitrag dazu zu verfassen.
Natürlich wirkt es auf den ersten Blick so, als haben die Selbermach-Blogs und die dahinter stehenden "Nähkränzchen" keinerlei politische Tragweite. Sie wirken auf manchen außenstehenden Leser sicher eher wie ein gemütliches Refugium zwischen bunt gemusterten Stoffen in der heimeligen Atmosphäre der eigenen vier Wände.
Die Wendung "aus dem Nähkästchen plaudern" bezeichnet nun ja gemeinhin die Preisgabe von etwas Intimem. Ich fühle mich da bisweilen an den Handarbeitskreis meiner Mutter erinnert, die sich einmal wöchentlich mit vier, fünf Freundinnen traf. Jede saß mit einer Stick-, Strick- oder Häkelarbeit auf der Couchgarnitur der Gastgeberin, hin und wieder floss auch mal ein Tröpfchen Sekt oder Wein, es wurde geschwatzt, gelästert, verglichen und gehandarbeitet. Das war zu Zeiten, als man noch große Begeisterung für Textiltapeten und Makramee-Wandbehänge aufbrachte.
Selbermacherinnen heute sind anders. Vielleicht etwas weniger intim, etwas selbstdarstellerischer, aber auch reichlich selbstbewusster, frischer und weniger bieder. Mit den Händen etwas eigenes herzustellen, ist nicht mehr eine Beschäftigung für gelangweilte bürgerliche Hausfrauen, sondern stoffgewordene Möglich- und Fähigkeit, über die öffentlich gesprochen (respektive geschrieben) wird. Das Netz als Medium ermöglicht das weiträumige Teilen der eigenen kreativen Ideen, Problemlösungen, des eigenen Stils und Selbstbilds. Wer also einfach nur nähen wollen würde - der Schluss drängt sich mir auf - der bräuchte darüber nicht bloggen, sondern könnte dies auch weiterhin mit Freundinnen in der intimen Nährunde tun. Wer den Fuß ins Netz und damit in die Öffentlichkeit setzt, möchte kommunizieren, sich mitteilen, Feedback erhalten und damit ganz eindeutig in Kontakt treten. Das biedermeierhafte, stickende Frauchen unter der Lampe ist passé.
Und das ist, entgegen aller Kritik, die an bloggenden vermeintlichen "Hausfrauen-Hobby-Stricktanten" (oder welcher Klischeefigur auch immer sonst) geübt wird, durchaus etwas, das ich selbst als hochpolitisch empfinde. Darüber zu schreiben (gern auch bebildert), dass es möglich ist, Dinge tatsächlich selber zu machen, ist eine durchaus bedeutende Änderung.
Ich denke da immer gern an den abgewandelten Spruch "Home Sewing is Killing Fashion". Etwas selbst zu machen gibt die Macht darüber, wie dieses Etwas auszusehen hat, zurück in die Hände der oder des Machenden. Mit Selbermachen meine ich nicht etwa, aus dem Bastelladen gekaufte Fertig-Bastelkits zu etwas anderem zusammenzusetzen und es dann im Regal als Dekoartikel verstauben zu lassen. Ich meine damit, dass man wieder beginnt, sich die Welt passend zu machen, anstatt sich allem anzupassen. Selbermachen ist, ungeachtet der Tatsache, dass auch dafür (Roh-)Stoffe irgendwo her bezogen werden müssen, ein Akt des Tuns im Gegensatz zum rein passiven Konsumieren. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den zahllosen Fashion-Blogs und den zahllosen Selbermach-Blogs.
Das gilt natürlich nicht ausschließlich für das Selbermachen von Kleidern, sondern auch für jedes neu aufgeputzte Möbel vom Flohmarkt, jede selbstgestrichene Wand, jedes selbst reparierte Teil. Das ist nun wirklich alles andere als unpolitisch.
Man schneidert sich selbst auf den Leib, worüber zuvor nur die Kleidungsindustrie die Macht hatte. Es ist möglich, Kleider durch Änderungen eben doch wieder tragbar zu machen und umzufunktionieren und sie auf diese Weise der Wegwerf- und Neukauf-Kette, dieser wahnsinnigen Konsum- und Entsorgungsspirale zu entreißen. Es vermittelt Macht, das Machen, und Gestaltungsspielraum, und das ist nicht zu unterschätzen. Das schließt auch die Macht über das Selbst- und Erscheinungsbild von Frauen mit ein. Es ist auf einmal auch nicht mehr so wichtig, ob eine Frau Kleidergröße 36 oder 46 trägt. Die Frauen, die über sich schreiben und zeigen, was sie tragen, weichen in ihrem Erscheinungsbild erheblich von den schaufensterpuppenhaft wirkenden Dürrmodels ab, die uns in Modeketten-Katalogen ins Haus flattern und von Plakaten hohl anstarren. Die Bilder und Berichte der Selbermacherinnen sind Leben, nicht Ausstellung und Abziehbildchen.
Die Schneiderei, die einmal als eigenständiger Beruf große Beachtung erfuhr, ist in Zeiten der industriellen Massenfertigung zu Dumpinglöhnen Luxus für eine blasierte Upperclass, die es sich leisten kann, Maßgeschneidertes zu tragen. Die Schneiderei der Bloggenden dagegen wird belächelt als Betätigung für gelangweilte Hausfrauchen, die ihre Amateurkünste jetzt zwar nicht mehr kleinen Kreis vorführen, sondern öffentlich im Netz, sonst aber nicht weiter ernstgenommen werden müssen.
Jenseits davon gibt es etwas anderes, nämlich Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, die aus dem Selbermachen entspringen. Das ist noch recht neu und muss vermutlich erst ankommen. Auch dieser Tatbestand ist politisch. Es ist leicht, über Herzchenstoffe und Spitzenröckchen zu lachen. Aber das sind eigentlich nur Äußerlichkeiten. Selbermachblogs sind etwas Ermutigendes, auch wenn man nicht jeden Geschmack teilt. Sie überspringen die Schwelle vom Wünschen (und dessen vermeintliche Befriedigung durch den Konsum) zum wirksamen Können.
Es wäre wünschenswert, wenn auch die Männer dieses Gebiet mehr für sich reklamieren könnten und würden. Ein männlicher Nähblogger gilt immer noch als Exot, und auch Herr pastiz berichtete von einer Sondergenehmigung, die er vor langer Zeit für einen Kurs benötigte, um das Nähen lernen zu dürfen.
Dabei gilt es eigentlich nur, hervorzukramen, was in Talenten in uns verborgen liegt, und zwar jenseits von Wirtschafts- und Marktlogik ebenso wie von Geschlechterklischees. Auch mehr Hammer- und Nagel-Blogs wären willkommen, aus der Feder von Frauen wie Männern.
Weitermachen und drüber schreiben, unbedingt!
Manche Blogtitel meiden das Wörtchen "Nähen" wie der Teufel das Weihwasser, vielleicht des leicht biederen Images wegen, und diese tragen dann Titel, in denen es um Crafting oder Do-It-Yourself (DIY) geht. Andere geben sich bewusst nostalgisch, anstatt mit Anglizismen um sich zu werfen. Die Bandbreite ist groß, auch dazwischen gibt es eigentlich alles.
Unter diesen Selbermach-Bloggern (hauptsächlich sind es wohl Frauen, aber es gibt auch Ausnahmen) gibt es die Sitte des MeMadeMittwoch (MMM), an dem die Blogger und Bloggerinnen ihre selbstgemachten Kleider vorstellen. Eine schöne Idee, wie ich finde, auch wenn ich selbst dazu wenig beizusteuern hätte, weil ich so produktiv nicht bin. Meine Schneiderkünste sind (noch) zu beschränkt.
Auf der Netz-Konferenz re:publica hätten einige Teilnehmerinnen des MMM gern einen Vortrag gehalten, der sich um die Relevanz weiblicher Blogger, insbesondere der Selbermacherinnen im Netz, dreht. Der Vortrag wurde für die re:publica abgelehnt, aber drüber geschrieben haben die MMMlerinnen dennoch. Im dem Artikel folgenden Kommentarstrang ergab sich dann eine wilde, teilweise auch unschöne Diskussion darüber, wie politisch oder auch feministisch wohl die Selbermach-Bloggerei als solche sei. Manche vertraten die Auffassung, es gehe nicht im geringsten um Politik dabei und fühlten sich von den Schreiberinnen des Artikels zu Unrecht für eine größere Sache vereinnahmt, während sie doch einfach nur nähen, stricken, häkeln, selbermachen wollten.
Ich hatte eigentlich vor, in dem betreffenden Blog einen Kommentar beizusteuern, aber mal davon abgesehen, dass es die Bedingungen nicht zuließen, ganz freiweg nur unter Angabe von Name, Mail und URL dort zu posten, weitete sich der Gedanke über die politische oder nichtpolitische Natur der Selbermach-Bloggerei und des Nähens an sich aus, so dass ich nun doch beschlossen habe, einen eigenen Beitrag dazu zu verfassen.
Natürlich wirkt es auf den ersten Blick so, als haben die Selbermach-Blogs und die dahinter stehenden "Nähkränzchen" keinerlei politische Tragweite. Sie wirken auf manchen außenstehenden Leser sicher eher wie ein gemütliches Refugium zwischen bunt gemusterten Stoffen in der heimeligen Atmosphäre der eigenen vier Wände.
Die Wendung "aus dem Nähkästchen plaudern" bezeichnet nun ja gemeinhin die Preisgabe von etwas Intimem. Ich fühle mich da bisweilen an den Handarbeitskreis meiner Mutter erinnert, die sich einmal wöchentlich mit vier, fünf Freundinnen traf. Jede saß mit einer Stick-, Strick- oder Häkelarbeit auf der Couchgarnitur der Gastgeberin, hin und wieder floss auch mal ein Tröpfchen Sekt oder Wein, es wurde geschwatzt, gelästert, verglichen und gehandarbeitet. Das war zu Zeiten, als man noch große Begeisterung für Textiltapeten und Makramee-Wandbehänge aufbrachte.
Selbermacherinnen heute sind anders. Vielleicht etwas weniger intim, etwas selbstdarstellerischer, aber auch reichlich selbstbewusster, frischer und weniger bieder. Mit den Händen etwas eigenes herzustellen, ist nicht mehr eine Beschäftigung für gelangweilte bürgerliche Hausfrauen, sondern stoffgewordene Möglich- und Fähigkeit, über die öffentlich gesprochen (respektive geschrieben) wird. Das Netz als Medium ermöglicht das weiträumige Teilen der eigenen kreativen Ideen, Problemlösungen, des eigenen Stils und Selbstbilds. Wer also einfach nur nähen wollen würde - der Schluss drängt sich mir auf - der bräuchte darüber nicht bloggen, sondern könnte dies auch weiterhin mit Freundinnen in der intimen Nährunde tun. Wer den Fuß ins Netz und damit in die Öffentlichkeit setzt, möchte kommunizieren, sich mitteilen, Feedback erhalten und damit ganz eindeutig in Kontakt treten. Das biedermeierhafte, stickende Frauchen unter der Lampe ist passé.
Und das ist, entgegen aller Kritik, die an bloggenden vermeintlichen "Hausfrauen-Hobby-Stricktanten" (oder welcher Klischeefigur auch immer sonst) geübt wird, durchaus etwas, das ich selbst als hochpolitisch empfinde. Darüber zu schreiben (gern auch bebildert), dass es möglich ist, Dinge tatsächlich selber zu machen, ist eine durchaus bedeutende Änderung.
Ich denke da immer gern an den abgewandelten Spruch "Home Sewing is Killing Fashion". Etwas selbst zu machen gibt die Macht darüber, wie dieses Etwas auszusehen hat, zurück in die Hände der oder des Machenden. Mit Selbermachen meine ich nicht etwa, aus dem Bastelladen gekaufte Fertig-Bastelkits zu etwas anderem zusammenzusetzen und es dann im Regal als Dekoartikel verstauben zu lassen. Ich meine damit, dass man wieder beginnt, sich die Welt passend zu machen, anstatt sich allem anzupassen. Selbermachen ist, ungeachtet der Tatsache, dass auch dafür (Roh-)Stoffe irgendwo her bezogen werden müssen, ein Akt des Tuns im Gegensatz zum rein passiven Konsumieren. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den zahllosen Fashion-Blogs und den zahllosen Selbermach-Blogs.
Das gilt natürlich nicht ausschließlich für das Selbermachen von Kleidern, sondern auch für jedes neu aufgeputzte Möbel vom Flohmarkt, jede selbstgestrichene Wand, jedes selbst reparierte Teil. Das ist nun wirklich alles andere als unpolitisch.
Man schneidert sich selbst auf den Leib, worüber zuvor nur die Kleidungsindustrie die Macht hatte. Es ist möglich, Kleider durch Änderungen eben doch wieder tragbar zu machen und umzufunktionieren und sie auf diese Weise der Wegwerf- und Neukauf-Kette, dieser wahnsinnigen Konsum- und Entsorgungsspirale zu entreißen. Es vermittelt Macht, das Machen, und Gestaltungsspielraum, und das ist nicht zu unterschätzen. Das schließt auch die Macht über das Selbst- und Erscheinungsbild von Frauen mit ein. Es ist auf einmal auch nicht mehr so wichtig, ob eine Frau Kleidergröße 36 oder 46 trägt. Die Frauen, die über sich schreiben und zeigen, was sie tragen, weichen in ihrem Erscheinungsbild erheblich von den schaufensterpuppenhaft wirkenden Dürrmodels ab, die uns in Modeketten-Katalogen ins Haus flattern und von Plakaten hohl anstarren. Die Bilder und Berichte der Selbermacherinnen sind Leben, nicht Ausstellung und Abziehbildchen.
Die Schneiderei, die einmal als eigenständiger Beruf große Beachtung erfuhr, ist in Zeiten der industriellen Massenfertigung zu Dumpinglöhnen Luxus für eine blasierte Upperclass, die es sich leisten kann, Maßgeschneidertes zu tragen. Die Schneiderei der Bloggenden dagegen wird belächelt als Betätigung für gelangweilte Hausfrauchen, die ihre Amateurkünste jetzt zwar nicht mehr kleinen Kreis vorführen, sondern öffentlich im Netz, sonst aber nicht weiter ernstgenommen werden müssen.
Jenseits davon gibt es etwas anderes, nämlich Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, die aus dem Selbermachen entspringen. Das ist noch recht neu und muss vermutlich erst ankommen. Auch dieser Tatbestand ist politisch. Es ist leicht, über Herzchenstoffe und Spitzenröckchen zu lachen. Aber das sind eigentlich nur Äußerlichkeiten. Selbermachblogs sind etwas Ermutigendes, auch wenn man nicht jeden Geschmack teilt. Sie überspringen die Schwelle vom Wünschen (und dessen vermeintliche Befriedigung durch den Konsum) zum wirksamen Können.
Es wäre wünschenswert, wenn auch die Männer dieses Gebiet mehr für sich reklamieren könnten und würden. Ein männlicher Nähblogger gilt immer noch als Exot, und auch Herr pastiz berichtete von einer Sondergenehmigung, die er vor langer Zeit für einen Kurs benötigte, um das Nähen lernen zu dürfen.
Dabei gilt es eigentlich nur, hervorzukramen, was in Talenten in uns verborgen liegt, und zwar jenseits von Wirtschafts- und Marktlogik ebenso wie von Geschlechterklischees. Auch mehr Hammer- und Nagel-Blogs wären willkommen, aus der Feder von Frauen wie Männern.
Weitermachen und drüber schreiben, unbedingt!