Sturmflut
Alles Käse
Wenn sich das Sprachenlernen mit praktischen Anhaltspunkten verknüpft, lernt es sich meiner Erfahrung nach noch mal so gut, nachhaltig und verbunden mit angenehmen Erinnerungen.

Die Dozentin meines nun seit mehreren Wochen regelmäßig dienstagsabends stattfindenden Niederländisch-Kurses kam auf die Idee, die im Lehrbuch vorgeschlagene Käseverkostung in die Tat umzusetzen, und sie hat es gut gemacht. Vorbereitend war sie über die Grenze gefahren, um sieben verschiedene, garantiert niederländische Sorten Käse zu besorgen. Vorher hat sie uns natürlich alle gefragt, ob wir denn auch Käse mögen. Den Käse hat sie liebevoll in Würfelchen geschnitten und auf Tellern arrangiert. Anhand von Fähnchen mit Nummern sollten wir dann hinterher zuordnen, was unserer Ansicht nach welcher Käse gewesen war.



Abgesehen von dem amüsanten gemeinschaftlichen Erlebnis war die Käseverkostung auch ein absoluter kulinarischer Genuss. Unsere Dozentin reichte dazu zwei Sorten Brot und alkoholfreien Rosé-Sekt, was dem Ganzen noch eine charmante Note verlieh.

Ich gebe hier ja nun selten Koch- oder Essenserlebnisse zum Besten, was schlicht und ergreifend daran liegt, dass ich keine besonders berühmte Köchin bin und auch wohl nie werde, auch wenn ich es gern wäre. Zumal das, was ich koche, meist zwar recht lecker schmeckt, aber nicht unbedingt auch so aussieht. Dazu kommt, dass mich Rezepte mit zu vielen Zutaten fürchterlich irritieren. Ich mag es eher simpel (auch wenn ich eine Schwäche habe für Asiatisches und insbesondere die Entdeckung der indischen Küche mit all ihren spannenden Gewürzen für mich eine Offenbarung war).

Aber ich schweife ab, zurück zum Käse.

Das Angebot bestand wie gesagt aus sieben verschiedenen Sorten. Jede für sich - vielleicht mit einer kleinen Ausnahme - war auf ihre Art köstlich. Ich gebe mir Mühe, sie treffend zu beschreiben.

Als erstes servierte uns unsere Dozentin den Käse mit der Nummer 4, der sich als Käse mit Kreuzkümmel (Komijnenkaas) herausstellte. Käse mit normalem Kümmel kennt man ja, den kannte auch ich. Aber die Variante mit Kreuzkümmel war mir unbekannt, und das Gewürz habe ich bisher eher erwähnter asiatischer Küche zugeordnet. Dass das auch so gut zusammen mit Käse geht, hätte ich nicht gedacht.

Sprachliche Witzeleien folgten auf dem Fuße, des Gleichklangs von komijn (Kreuzkümmel) und konijn (Kaninchen) wegen, was herzhafte Lacher nach sich zog. Der Käse war entgegen anderslautender Vermutungen natürlich absolut vegetarisch.

Das Geschmackserlebnis war ein besonderes, wenn auch wohl nichts für Menschen, die eher etwas mildere Varianten bevorzugen. Man schmeckte den Kreuzkümmel deutlich heraus, was definitiv nicht jedermanns Sache sein dürfte. Ich meinerseits war allerdings begeistert, weil ich es so oder so gern würzig und intensiv mag.

Es folgte der Käse mit der Nummer 2, den die Teilnehmer ziemlich schnell als den "Oude Kaas subliem" identifizieren konnten. Ich kann keinen alten Käse essen, ohne an eine Begebenheit aus Jugendtagen zu denken, über die ich inzwischen grinsen muss. Als unzivilisierter Teenager war ich mal relativ spontan zum Essen eingeladen, und der Gastgeber gestand mir während des Tischdeckens, er habe leider nur noch alten Gouda, woraufhin ich milde gestimmt erwiderte, das mache mir nichts aus. Dass nicht gemeint war, dass dieser Käse schon über Wochen und Wochen im Kühlschrank gelegen hatte, sondern dass die Bezeichnung für einen besonders reifen Käse stand, hatte ich damals nicht gewusst. Zuhause bei uns hatte es schließlich immer nur Butterkäse in Scheiben gegeben.

Der mit dem (meinem!) Alter zunehmenden Käsekenntnis war es geschuldet, dass ich mich am gestrigen Abend auf den "Oude Kaas subliem" besonders freute. Vom Anblick her erwartete ich ein Geschmackserlebnis ähnlich wie "Old Amsterdam" - würzig und kräftig, beinahe schon salzig. Aber der dargebotene Käse war in der Tat subliem - von erhabener Qualität - und wirkte noch sahniger mit einem charakteristischen Nachgeschmack. Eine Schwäche für alten Käse habe ich ohnehin, aber dieser hier gab sich irgendwie vielschichtiger als der übliche Supermarkt-Gouda. Ganz klar einer der Favoriten des Abends.

Wir setzten den Geschmackstest fort mit Friesischem Gewürznelken-Käse (Friese Nagelkaas belegen), dem die meisten Teilnehmer wahrscheinlich mit erheblicher Skepsis entgegenblickten. Da der Begriff "Nagelkaas" auch schon in unserer Vokabelliste in der gerade bewältigten Lektion 10 ("Lekker eten") aufgetaucht war, hatte ich mich schon gefragt, wie der wohl schmecken würde. Mittelalter Käse als Basis war schon mal nicht die schlechteste Voraussetzung. Die Gewürznelken erinnern ja von Geruch und Geschmack eher an Weihnachtsgebäck, die Kombi mit Käse war mir auch hier wieder neu. Mein Nachbar rechts biss in den Käsewürfel, verzog das Gesicht und meinte ziemlich lapidar, um den zu mögen müsse man schon einen niederländischen Pass besitzen. Die Sitznachbarin zur linken Seite aß nur die Hälfte und erklärte, das sei definitiv nicht ihr Fall.

Arrangiert man sich allerdings mit dem Umstand eines eher unerwarteten geschmacklichen und sensorischen Erlebnisses, dann stellt sich auch diese Kombination als ausgesprochen lecker heraus - zumindest habe ich das so wahrgenommen. Wenn man das Weihnachtsgebäck mal kurz aus dem Gedächtnis streicht, stellt man fest, dass sich auch die Gewürznelken mit dem Käse gut vertragen, der selbst allerdings keine zu kräftige Eigennote hatte. Gegen Ende der Probierrunde war vom Friese Nagelkaas noch eine Menge übrig, worüber ich mich ziemlich freute und noch einmal zugriff.

Der Käse mit der Nummer 7 war ein Allzeit-Klassiker. Junger Gouda (Jonge Goudse Kaas) ist ja sowas wie ein Standard-Produkt und nicht bloß im exklusiven Käseladen zu finden, sondern eingeschweißt in jedem Kühlregal. Ich mag ihn ab und an, weil er einfach sehr käsig ist und nehme ihn auch gern zum Überbacken. Aber sonst haut er mich nicht vom Hocker. Junger Gouda ist so etwas wie die Baumwollunterhose unter den Käsen: Bequem, unaufgeregt und was für jeden Tag, aber auch ein bisschen langweilig. Geschmacklich überfordert er nicht und hat dazu diese cremig-sahnige Note, die junger Käse nun einmal hat und die ich auch ab und zu ganz gern mag. In dieser Sache habe ich das Feld gern meiner Sitznachbarin in der Runde überlassen, die sich über die Erholung von den vielfältigen anderen Aromen ziemlich gefreut hat.

Vor der Verkostung hatte uns die Dozentin über den Unterschied zwischen Boerenkaas und anderem Käse aufgeklärt. Das ist Rohmilchkäse, der in hofeigenen Käsereien, nicht in der Fabrik produziert wird. In den Würfelchen steckte die Fahne mit der Nummer 1, es war ein Rohmilchkäse mit Knoblauch und Paprika (Boeren knoflook/paprika kaas). Ich finde es normalerweise nicht so berauschend, allerhand Dinge in den Käse zu kippen, um ihn irgendwie interessant zu machen, und deshalb erwartete ich nicht allzu viel. Im Supermarkt hatte ich auch schon oft vor der Auslage gestanden und mich dann doch wieder gegen den Kauf von irgendwelchen Sorten mit Pesto, Tomaten oder einfach nur intensiver Rotfärbung mittels Karotin oder Rote-Beete-Saft entschieden, weil mir das irgendwie unnatürlich vorkam. In dieser Hinsicht überraschte mich dieser Käse. Die Knoblauchnote war deutlich und kräftig, aber irgendwie trotzdem nicht penetrant, und die Paprika kam als dezentes Detail dazu, das irgendwie passte. Zudem war der Käse relativ jung, und das alles zusammen war - was soll ich zu hochtrabenden Begriffen greifen - echt lecker. Daumen hoch.

Für die nächste Kostprobe wurden wir alle angehalten, uns ein Stückchen Brot auf den Teller zu legen, denn der Käse mit der Nummer 6 war ein Streichkäse mit dem interessanten Titel "Heksenkaas" (Hexenkäse). Der Biss ins bestrichene Brot vermittelte mir eher den Eindruck von dieser dänischen Remoulade, die man beim Ikea auf die Hotdogs macht, verbunden mit einer Spur Lauch und recht süßlich. Die Nummer 6 war für mich also die besagte Ausnahme, nicht, weil es ein Streichkäse war, sondern, weil ich das Zeug eher als Dip empfunden habe, der mich noch dazu nicht besonders begeisterte. Der anschließende Blick auf die Zutatenliste vermittelte mir dann auch eher das Gefühl, hier handele es sich allenfalls um eine Käse-Zubereitung. Viele Konservierungsstoffe plus Hefeextrakt und wenig Rahmkäse. Nun ja, die Bemühung um Vielfalt in unserer Käseverkostungsrunde entschuldigt den Griff zu diesem Produkt. Die Schwärmereien der anderen waren für mich indes nicht nachvollziehbar.

Die Käseprobe endete mit Käse Nummer 3, auf den ich schon die ganze Zeit neugierig gewesen war: Boeren mosterdkaas (Rohmilchkäse mit Senf). Es hat in meinem Leben etwas gedauert, bis ich mich mit Senf anfreunden konnte, aber dann nachhaltig. Dieser Käse machte beim ersten Biss keinen so aufregenden Eindruck, und die enthaltenen Senfsaatkörnchen waren sensorisch leicht irritierend. Der Eindruck gab sich, als ich später noch ein zweites Mal nach dem Senfkäse-Teller griff. Vielleicht hatte ich einfach eine kurze Geschmackspause gebraucht, aber im Nachhinein beeindruckte mich der Käse dann doch. Der Senfgeschmack war nicht aufdringlich, aber charakteristisch, und das passte gut zu dem insgesamt auch eher jungen Käse, der eine cremige Note hatte.

Jetzt habe ich mich ausgetobt bei dem von bestem Wissen geleiteten Versuch, all die geschmacklichen Eindrücke zu schildern, die am gestrigen Abend auf mich eingestürmt sind. Ich habe eine große Schwäche für Käse, auch deshalb diese Zeilen. Vielleicht hat ja jemand Appetit bekommen.

Nächste Woche dann Vokabeltest.