Sturmflut
Spießerklage
Das Flurstück, an dem ich zu Beginn meiner Ausbildung noch entlangfuhr, durch eine kleine Allee, vorbei an einer Baumschule und einer Schar freilaufender Hühner, ist inzwischen ein neues Gewerbegebiet. Die schießen hier zur Zeit wie Pilze aus dem Boden, ähnlich wie die Wohnbaugebiete, die die Landschaft in Vorstädte mit Einfamilienvillen für Gutsituierte verwandeln.

Im neuen Gewerbegebiet blüht auf dem kargen, unbebauten Boden zur Zeit noch die Kamille, deren Duft schon beinahe betäubend intensiv ist. Die Straße ist bereits asphaltiert und verläuft mit einem breiten Knick mitten durch die Brache. Noch kein Verkehr, keine Bautätigkeit. Dafür aber in unmittelbarer Nähe ein McDrive.

Dies wird die Klage einer Spießerin. Ähnlich wie ich mich über das First World Problem aufregen kann, dass Hundebesitzer ihre Viecher zum Kacken vor die Tür halten und dann nicht hinter ihnen aufräumen, rege ich mich auch über die Hinterlassenschaften der Fast Food Gastronomie auf.



Wenn jemand gedankenlos einfach seinen Dreck hinter sich fallen lässt, finde ich das schon schlimm genug. Als ich klein war, war es mal Mode, uns in der Schule zu erzählen, dass man das nicht macht, schon allein der Umwelt wegen. Um ästhetisches Empfinden ging's damals gar nicht.

Diese Mode ist, so kommt es mir vor, längst Geschichte. Der Blick auf Randstreifen und Böschungen, Rastplätze und Bänke im Grünen fördert Plastikrummel und leere Flaschen zutage. Auf langen Spaziergängen habe ich gebrauchte Slipeinlagen und geleerte Weinkartons entdeckt, ohne danach gesucht zu haben. Die Geschichten dazu male ich mir lieber nicht aus. Mir steigt der Ekel die Kehle hoch, und das Draußen, dass ich so sehr liebe, ist beschmutzt. Nicht alleine durch den Abfall, sondern vor allem durch die widerwärtige Gedankenlosigkeit der Menschen, die es verlernt haben, Respekt für ihre Umgebung aufzubringen.



Die Straße im neuen Gewerbegebiet wird für ein Hobby genutzt, das mir schon seit längerer Zeit gewaltig auf den Sack geht. Man besorgt sich Junkfraß vom Burgerbräter, parkt die Karre am Straßenrand, und wenn man aufgegessen hat oder auch nicht, pfeffert man mit Schwung das Übriggebliebene aus dem Fenster in die Landschaft. Je weiter man es verteilt kriegt, um so größer ist hinterher der nasse Fleck in der Hose.



Ich gebe freimütig zu, dass ich gern Ordnung hätte. Es fällt mir schwer, meine Abscheu über dieses Verhalten in Worte zu fassen. Billig fressen, und dann weg mit den Resten. Die sind anderer Leute Problem. Oh, man fühlt sich sogar cool dabei. Dagegen lassen sich keine Schilder mit zahmen Bitten aufstellen und auch keine größeren Abfalleimer. Das ist Arschloch-Ignoranz allererster Güteklasse.

Ich bräuchte wohl gar nicht erst in größere Städte zu kommen, da regt man sich vermutlich über Hundekacke an der Sohle und liegengebliebene Reste vom Sperrmüll ebenso wenig auf wie über den Meckesdreck. Aber ist eigentlich der Wunsch so vermessen, mal hundert Meter draußen zurücklegen zu können, ohne auf irgendeine widerliche Hinterlassenschaft zu stoßen?

Beim Geocaching gibt es die Tradition, ab und an mal einen CITO-Event zu veranstalten (CITO steht für "Cache in, trash out"). Da beseitigt man dann gemeinsam Müll an Orten, von denen man meint, dass sie es nötig haben. Mir kam der Gedanke, das auch mal hier zu tun und beispielsweise die Böschungen des Kanals von Unrat zu befreien. Ich tue das aber nicht.



Nicht deshalb, weil ich das Gefühl habe, das sei nicht meine Aufgabe. Sondern weil ich eine Art wütende Resignation spüre und genau weiß, dass dieselben Drecksäcke übermorgen wieder ihren Scheiß in die Landschaft werfen werden. Bald wird der nächste besoffene Frauenkegelclub seine Hugo-Flaschen hinter sich fallen lassen. Bald werden die nächsten Stammtischbrüder hinter Sitzbänken ins Gebüsch pissen und die nächsten Kids ihr Milchschnitteplastik neben den Mülleimer werfen.

Es gibt Momente, in denen ich den Menschen an sich wirklich verabscheuungswürdig finde. Nennt mich eine Spießerin. Ich komme damit klar.