Friesland: Befindlichkeiten
Am 3. Aug 2015 im Topic 'Tiefseetauchen'
Nur weil man Urlaub hat, muss es einem noch lange nicht gut gehen. Das ist das Schwierige an der Depression. Außenstehende bewerten die Lage oft mit den Worten "Die hat doch alles...!" oder "Es geht ihr doch gut, warum also...?"
Nach Wochen und Wochen der Plackerei, nach Überstunden, Stress und Großprojekten vierzehn Tage Urlaub zu haben, sollte mich ja eigentlich in einen Zustand des Glücks versetzen. Endlich habe ich die Freiheit, zu tun, was ich will, Freiheit von der Stempeluhr, Freiheit von Alltagssorgen, die Freiheit, über meine eigene Zeit zu bestimmen und hinzugehen, wo ich will, wann ich es will. Ganz so einfach ist es aber nicht.
Auch wenn ich verreise, reist die Depression mit mir. Das Harte, Alte, Dunkle greift nach mir, und es kommt zuverlässig. Es begreift nicht, dass vierzehn Tage lang alles anders sein soll als sonst.
Unterwegs auf meinen eigenen zwei Beinen besteht aber der Unterschied darin, dass ich mich nicht verkriechen kann und dass bestimmte Notwendigkeiten mich dazu zwingen, neue Erfahrungen zu machen. Möglich, dass genau das der Grund war, allein und zu Fuß zu gehen. Großartige Erkenntnisse kommen einem nicht, auch nicht auf so einer Reise. Es ist nicht so, dass man beim letzten Schritt noch depressiv war und es beim nächsten nicht mehr ist, und dass Erleuchtung vom Himmel fiele.
In meinem Leben war ich schon oft einfach mit Aushalten beschäftigt. Weiteratmen. Natürlich auch mit der in meinem Kopf rasenden Analyse der Dinge. Wieso geht es mir jetzt schlecht? Ich habe doch alles.... Genau. Immer braucht alles einen Grund.
Es war am Abend meines ersten Tages in Friesland, als es mir am schlimmsten ging. Meine Depression hält sich normalerweise hauptsächlich in den eigenen vier Wänden auf - ich weiß nicht, wievielen anderen Menschen es noch so gehen mag. Sie ist eine Krankheit des Verharrens. Verharren ist aber nicht möglich, wenn man unterwegs ist. Meine Gefühle kondensierten an der Oberfläche dessen, was mir begegnete. Das Schöne und das Schreckliche sind dabei so dicht beieinander, dass es beinahe unglaubwürdig wirkt.
Als ich heulend an der Nordseeküste entlanglief, waren das Tränen von Glück und Lebendigkeit. Ich war einfach da, atmete die salzige Luft, sah das Glitzern auf dem Wasser und machte mir noch keine Sorgen um später.
Später, auf einem Luftbett in einer Kammer liegend, die die Betreiberin meines ersten Campingplatzes für mich hergerichtet hatte, hätte ich mich eigentlich heimelig und wohl fühlen können. Um nicht missverstanden zu werden - ich war zutiefst dankbar. Dafür, einem Menschen begegnet zu sein, der mir ein festes Dach über dem Kopf anbot, während es draußen stürmte und regnete, und der das ohne viel Aufhebens und mit großer Freundlichkeit tat. Ich hätte so bleiben können - dankbar, warm, behaglich. Aber das ging nicht.
Am schwersten in meinem Rucksack wogen nicht das Zelt und nicht das Trinkwasser. Am schwersten wog, was mich immer begleitet: die Dunkelheit. Diese Dunkelheit spricht.
Wenn Dich jetzt dieser junge Mann nicht im Auto mitgenommen hätte, dann hättest Du das heute gar nicht schaffen können.
Wenn Dich die nette Frau nicht in dieser Kammer hier schlafen ließe, dann hättest Du im Regen schlafen müssen. Wie hast Du Dir das vorgestellt - dass Du immer Menschen findest, die Dir auf eigene Kosten gnädig gesonnen sind?
Wie willst Du weitermachen, wenn das Wetter so bleibt? Aus eigener Kraft kriegst Du das nicht hin!
Du wirst zu dämlich sein, das Zelt trocken aufzubauen.
Ich liege also auf dem blauen Velours-Luftbett und komme in den Genuss einer offenen Freundlichkeit. Der Umstand, dass mir diese Freundlichkeit einfach so zufliegt, dass jemand nett zu mir war und ich das einfach so angenommen habe, ohne etwas zurückgeben zu können, frisst mich von innen auf. In dieser Kammer fühle ich mich verloren, die Stille hüllt mich ein, draußen nur das gleichmäßige Schnurren des riesigen Windrades, an dem der stürmische Wind zerrt. Ich liege da und weine und finde mich unerträglich, so weinend. Zumal ich den Finger nicht auf das legen kann, was mich zum Weinen bringt. Verloren wie ein Kind fühle ich mich, kalt trotz der Wärme, die man mir entgegengebracht hat.
Es rettete mich, was bislang noch immer funktioniert hat: Das kleine Notizbuch und der Bleistift, die ich mir eingesteckt habe, verankern mich wieder. Zu versuchen, diesen Erlebnissen Ausdruck zu verleihen, macht die Sache plötzlich greifbar. Im Schlafsack sitze ich, mit krummem Nacken, das Luftbett knirscht auf dem Fliesenboden, und meine Schrift füllt die Seiten. Jetzt nicht aufgeben, sondern die Wärme und Trockenheit schätzen. Schlafen und schauen, was der Himmel mir morgen für ein Gesicht zeigt. Ruhe, Ruhe haben, innen in mir.
Es gelingt mir irgendwann, und der Morgen fühlt sich in der Tat anders an. Es sind keine Sinnsprüche, die mich durch diese Zeit bringen, keine Platitüden oder kluger Rat aus Büchern. Es hilft nur, anzusehen, was ist, anstatt vorwegnehmend zu fürchten, was sein wird.
Der folgende Tag wird nicht besser im Bezug auf Nässe und Regen, aber die Seele beginnt, sich zu akklimatisieren und zu begreifen, ich bin nicht das Nichts, das zu sein ich fürchte. Ich bin ein Mensch, nicht mehr, nicht weniger.
Als solcher bin ich zu meiner eigenen Überraschung zu vielem fähig. Die Art, wie sich mein Körper innerhalb dieser kurzen Zeit an die Umstände anpasst, denen ich ihn aussetze, verblüfft mich. Er gewinnt eine gewisse Zähigkeit und Drahtigkeit, hier und da ein paar blaue Flecke, mal ein Ziepen im Rücken, wenn ich den Rucksack falsch greife. Ich beginne, diesen Körper zu bewundern auf eine Weise, wie ich es niemals könnte, hätte ich ihn aufwändig in einem Studio in Form gebracht. Ich sehe, ich kann mit ihm Dinge erreichen, die mich erstaunen.
Möglicherweise beginnt alles damit, dass man einen Schritt vor den anderen setzt. Der vor mir liegende Weg sah so oft so endlos lang aus. Trotzdem erfahre ich, dass auch dieser lange Weg aus einzelnen Schritten besteht, die gegangen werden können. Voraussetzung dafür ist, dass man sie geht.
Mein eigenes Wirken, die eigene Kraft zu erleben ist kontraproduktiv für die Depression. Als Kilometerfresser mit siebzehn Kilo Gepäck auf dem Rücken fällt es einem schwer, die eigenen Fähigkeiten zu negieren. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser äußerst kurzen Reise, auch wenn ich diese Reise niemals hätte machen können, um diese Erkenntnis zu erlangen. Sie kommt nur von allein.
Das Gefühl des Versagens hat sich aufgelöst. Alles, was ich nach meiner ersten Nacht in der Kammer auf dem Campingplatz tat, ereignete sich unter anderen Vorzeichen. Das heißt nicht, dass keine Verzweiflung, keine Anstrengung, keine Angst mehr dagewesen wären. Dass keine Tränen mehr geflossen wären. Es heißt auch nicht, dass ich das Patentrezept aufgetan hätte, das meinem Kopf und meiner Seele Freiheit verspräche.
Es ging nur einfach weiter.
Nach Wochen und Wochen der Plackerei, nach Überstunden, Stress und Großprojekten vierzehn Tage Urlaub zu haben, sollte mich ja eigentlich in einen Zustand des Glücks versetzen. Endlich habe ich die Freiheit, zu tun, was ich will, Freiheit von der Stempeluhr, Freiheit von Alltagssorgen, die Freiheit, über meine eigene Zeit zu bestimmen und hinzugehen, wo ich will, wann ich es will. Ganz so einfach ist es aber nicht.
Auch wenn ich verreise, reist die Depression mit mir. Das Harte, Alte, Dunkle greift nach mir, und es kommt zuverlässig. Es begreift nicht, dass vierzehn Tage lang alles anders sein soll als sonst.
Unterwegs auf meinen eigenen zwei Beinen besteht aber der Unterschied darin, dass ich mich nicht verkriechen kann und dass bestimmte Notwendigkeiten mich dazu zwingen, neue Erfahrungen zu machen. Möglich, dass genau das der Grund war, allein und zu Fuß zu gehen. Großartige Erkenntnisse kommen einem nicht, auch nicht auf so einer Reise. Es ist nicht so, dass man beim letzten Schritt noch depressiv war und es beim nächsten nicht mehr ist, und dass Erleuchtung vom Himmel fiele.
In meinem Leben war ich schon oft einfach mit Aushalten beschäftigt. Weiteratmen. Natürlich auch mit der in meinem Kopf rasenden Analyse der Dinge. Wieso geht es mir jetzt schlecht? Ich habe doch alles.... Genau. Immer braucht alles einen Grund.
Es war am Abend meines ersten Tages in Friesland, als es mir am schlimmsten ging. Meine Depression hält sich normalerweise hauptsächlich in den eigenen vier Wänden auf - ich weiß nicht, wievielen anderen Menschen es noch so gehen mag. Sie ist eine Krankheit des Verharrens. Verharren ist aber nicht möglich, wenn man unterwegs ist. Meine Gefühle kondensierten an der Oberfläche dessen, was mir begegnete. Das Schöne und das Schreckliche sind dabei so dicht beieinander, dass es beinahe unglaubwürdig wirkt.
Als ich heulend an der Nordseeküste entlanglief, waren das Tränen von Glück und Lebendigkeit. Ich war einfach da, atmete die salzige Luft, sah das Glitzern auf dem Wasser und machte mir noch keine Sorgen um später.
Später, auf einem Luftbett in einer Kammer liegend, die die Betreiberin meines ersten Campingplatzes für mich hergerichtet hatte, hätte ich mich eigentlich heimelig und wohl fühlen können. Um nicht missverstanden zu werden - ich war zutiefst dankbar. Dafür, einem Menschen begegnet zu sein, der mir ein festes Dach über dem Kopf anbot, während es draußen stürmte und regnete, und der das ohne viel Aufhebens und mit großer Freundlichkeit tat. Ich hätte so bleiben können - dankbar, warm, behaglich. Aber das ging nicht.
Am schwersten in meinem Rucksack wogen nicht das Zelt und nicht das Trinkwasser. Am schwersten wog, was mich immer begleitet: die Dunkelheit. Diese Dunkelheit spricht.
Wenn Dich jetzt dieser junge Mann nicht im Auto mitgenommen hätte, dann hättest Du das heute gar nicht schaffen können.
Wenn Dich die nette Frau nicht in dieser Kammer hier schlafen ließe, dann hättest Du im Regen schlafen müssen. Wie hast Du Dir das vorgestellt - dass Du immer Menschen findest, die Dir auf eigene Kosten gnädig gesonnen sind?
Wie willst Du weitermachen, wenn das Wetter so bleibt? Aus eigener Kraft kriegst Du das nicht hin!
Du wirst zu dämlich sein, das Zelt trocken aufzubauen.
Ich liege also auf dem blauen Velours-Luftbett und komme in den Genuss einer offenen Freundlichkeit. Der Umstand, dass mir diese Freundlichkeit einfach so zufliegt, dass jemand nett zu mir war und ich das einfach so angenommen habe, ohne etwas zurückgeben zu können, frisst mich von innen auf. In dieser Kammer fühle ich mich verloren, die Stille hüllt mich ein, draußen nur das gleichmäßige Schnurren des riesigen Windrades, an dem der stürmische Wind zerrt. Ich liege da und weine und finde mich unerträglich, so weinend. Zumal ich den Finger nicht auf das legen kann, was mich zum Weinen bringt. Verloren wie ein Kind fühle ich mich, kalt trotz der Wärme, die man mir entgegengebracht hat.
Es rettete mich, was bislang noch immer funktioniert hat: Das kleine Notizbuch und der Bleistift, die ich mir eingesteckt habe, verankern mich wieder. Zu versuchen, diesen Erlebnissen Ausdruck zu verleihen, macht die Sache plötzlich greifbar. Im Schlafsack sitze ich, mit krummem Nacken, das Luftbett knirscht auf dem Fliesenboden, und meine Schrift füllt die Seiten. Jetzt nicht aufgeben, sondern die Wärme und Trockenheit schätzen. Schlafen und schauen, was der Himmel mir morgen für ein Gesicht zeigt. Ruhe, Ruhe haben, innen in mir.
Es gelingt mir irgendwann, und der Morgen fühlt sich in der Tat anders an. Es sind keine Sinnsprüche, die mich durch diese Zeit bringen, keine Platitüden oder kluger Rat aus Büchern. Es hilft nur, anzusehen, was ist, anstatt vorwegnehmend zu fürchten, was sein wird.
Der folgende Tag wird nicht besser im Bezug auf Nässe und Regen, aber die Seele beginnt, sich zu akklimatisieren und zu begreifen, ich bin nicht das Nichts, das zu sein ich fürchte. Ich bin ein Mensch, nicht mehr, nicht weniger.
Als solcher bin ich zu meiner eigenen Überraschung zu vielem fähig. Die Art, wie sich mein Körper innerhalb dieser kurzen Zeit an die Umstände anpasst, denen ich ihn aussetze, verblüfft mich. Er gewinnt eine gewisse Zähigkeit und Drahtigkeit, hier und da ein paar blaue Flecke, mal ein Ziepen im Rücken, wenn ich den Rucksack falsch greife. Ich beginne, diesen Körper zu bewundern auf eine Weise, wie ich es niemals könnte, hätte ich ihn aufwändig in einem Studio in Form gebracht. Ich sehe, ich kann mit ihm Dinge erreichen, die mich erstaunen.
Möglicherweise beginnt alles damit, dass man einen Schritt vor den anderen setzt. Der vor mir liegende Weg sah so oft so endlos lang aus. Trotzdem erfahre ich, dass auch dieser lange Weg aus einzelnen Schritten besteht, die gegangen werden können. Voraussetzung dafür ist, dass man sie geht.
Mein eigenes Wirken, die eigene Kraft zu erleben ist kontraproduktiv für die Depression. Als Kilometerfresser mit siebzehn Kilo Gepäck auf dem Rücken fällt es einem schwer, die eigenen Fähigkeiten zu negieren. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser äußerst kurzen Reise, auch wenn ich diese Reise niemals hätte machen können, um diese Erkenntnis zu erlangen. Sie kommt nur von allein.
Das Gefühl des Versagens hat sich aufgelöst. Alles, was ich nach meiner ersten Nacht in der Kammer auf dem Campingplatz tat, ereignete sich unter anderen Vorzeichen. Das heißt nicht, dass keine Verzweiflung, keine Anstrengung, keine Angst mehr dagewesen wären. Dass keine Tränen mehr geflossen wären. Es heißt auch nicht, dass ich das Patentrezept aufgetan hätte, das meinem Kopf und meiner Seele Freiheit verspräche.
Es ging nur einfach weiter.