Sturmflut
Donnerstag, 13. Februar 2014
Back in time
Berufsschule ist komisch.

Schön war heute die Nachricht aus erster Hand, dass es weder Religions- noch Sportunterricht geben wird. Das ist prima.

Schräg hingegen war der schlagartige Zeitsprung zurück in die Vergangenheit. Mit Mitschülern vor verschlossenen Klassenräumen zu warten, war mir schon früher massivst unangenehm, und das hat sich nicht geändert. Wenn ich heute mit den Klassenkameraden nichts zu reden habe, dann, weil sie mehrheitlich giggelnd über ihre Smartphones gebeugt sind, sich über Justin Bieber unterhalten oder darüber, wie ungerecht es doch ist, wenn man wegen Geschwindigkeitsübertretung vor Gericht zu erscheinen hat. Da merke ich, es liegt eine Generation zwischen uns.

Vor allem die Suche nach einem Sitzplatz erinnerte mich sehr an meine Schulzeit. Wenn man so wie ich jetzt in einen bestehenden Klassenverbund kommt, dann sind die Plätze natürlich schon verteilt, und man muss nehmen, was übrig bleibt. Vorne. Früher landete ich da eher, weil keiner neben mir sitzen wollte. Es fiel mir heute sehr schwer, zwischen dem blöden Gefühl des Ausgeschlossenseins von früher und der gegenwärtigen Situation zu unterscheiden.

Ich mache mir keine Illusionen. Ich gehe nicht davon aus, das eines dieser Küken sonderlich großes Interesse hat, sich mit mir auszutauschen, denn wie Mitschülerin L. es prägnant auf den Punkt brachte: "Boah, meine Mutter is' ja bloß ein bisschen älter als du!" Und dieser Mangel an Interesse beruht auf Gegenseitigkeit. Ich lebe einfach in einer ganz anderen Welt. Ich verstehe ihre Witze nicht, ich begreife nicht mal, warum sie lachen. Ich spreche eine andere Sprache. Ich könnte genau so gut andere Luft atmen.

Für mich sehen sie auch alle gleich aus. Es ist schwer, sich zu merken, wer wer ist, weil sie alle ähnliche (meist auf a endende) Vornamen haben, alle denselben blonden Seitenscheitel, Kunstfaserblüschen, gemusterte Leggins, Polyurethanschuhe mit Nieten oder Chucks, Kapuzenjacke mit Kunstpelz. Die fünf Jungs der Klasse sind natürlich eine übersichtlichere Gruppe.

Der Stoff hingegen wird interessant, wenn auch nicht besonders herausfordernd. Englisch ist lustig. Das wird mir keinerlei Schwierigkeiten machen. In Sachen Webdesign habe ich sicher vieles zu lernen. Auf Typografie freue ich mich. Der Rest ist locker zu schaffen. Begeistert bin ich natürlich nicht über solche pädagogischen Konzepte wie Gruppenarbeit, aber da muss ich durch.

Ich freue mich aber auch schon aufs Wochenende. Um viertel nach fünf morgens aufzustehen ist nichts für mich. Die Tage waren anstrengend. Und besonders anstrengend finde ich, mit alten Dämonen umzugehen.

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Sonntag, 9. Februar 2014
Ungeordnete Gedanken
über meine erste Arbeitswoche
Die war so voll, dass ich weder selbst zum bloggen kam, noch groß anderswo kommentiert habe, noch Mails beantwortet habe - und auch die Bügelwäsche steht noch herum. Der werde ich mich aber gleich widmen.

Was für ein Schnitt. Es ist gar nicht so einfach, von null auf hundert umzuschalten. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich beklage mich nicht. Mal davon abgesehen, dass alles besser ist als dieses hoffnungslose, bittstellerische Herumgammeln zwischen Ämtern, Anträgen, Langeweile und Perspektivenmangel, muss ich deutlich festhalten: Ich habe es verdammt gut getroffen.

Bereits in diesen ersten Tagen habe ich gemerkt, dass ich genau da bin, wo ich sein will, dass meine Chefin meine Auffassung von Arbeitshaltung und -atmosphäre teilt und dass sich mir inhaltlich neue Universen erschließen, die bestimmte Saiten in mir zum Klingen bringen.

Denn massiven Input quittierte mein Körper dann am gestrigen Morgen trotz oder vielleicht gerade wegen all der Erleichterung und dem Spannungsabfall mit einem Migräneanfall. Die Migräne und ich sind alte Bekannte, und ich fragte mich schon, wann es dazu kommen würde. Also überraschte mich das auch nicht. Aber jetzt bewege ich mich arbeitstechnisch in einem Feld, das mich ohnehin fesselt, und ich werde mich darin üben müssen, mir Freiräume zu schaffen, die absolut gar nichts damit zu tun haben.

Gleichzeitig gibt es viel zu lernen. Ich habe das Gefühl, dafür viel zu wenig Zeit zu haben, aber das legt sich sicher noch. Wozu allerdings Religionsunterricht in der Berufsschule gut sein soll? Ich verstehe ja schon nicht, was der in allgemeinbildenden Schulen zu suchen hat. Möglich, dass ich den bestreiken darf (aufgrund meines Alters, des Abiturs (3. Prüfungsfach Katholische Religionslehre) oder vielleicht auch aufgrund meiner Konfessionslosigkeit). Wenn ich müsste, würde ich den auch absitzen und eine gute Note liefern. Aber wenn ich eine Grundsatzdiskussion führen müsste über dessen offenkundige Sinnlosigkeit, dann würden reichlich Späne fallen. Ich nehme dann gern den Ethik-Unterricht. Oder Stillbeschäftigung, da kann ich Fachbücher wälzen.

Ach, und dann ist da noch Kollegin M.* Ich verzichte auf eine genauere Beschreibung ihrer Position und Aufgaben. M.* ist intelligent und kreativ und ganz nett, hat aber leider das Ausdrucksvermögen und Sozialverhalten eines Teenagers (wobei ich damit sicher manchem Teenager Unrecht tue, sorry!), ziemliche Allüren, einen ausgeprägten Markenfimmel und ist eine riesengroße Dampfplauderin (bis hin zu dem Umstand, dass sie manchmal einfach lügt). Ihre permanenten Versuche, alle zu beeindrucken, nerven nur. Insgeheim schließe ich mit mir selbst Wetten darüber ab, ob die Chefin das noch innerhalb der Probezeit bemerkt oder erst hinterher. Alldieweil übe ich mich in Gelassenheit, was gar nicht immer so einfach ist.

Die Ereignisse werden sich entfalten, und ich bin sehr, sehr gespannt. Endlich ist mal etwas genau richtig gelaufen, und darüber freue ich mich unglaublich.

*Name von der Verfasserin geändert.

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Donnerstag, 30. Januar 2014
Neues Kapitel
"Ich will ja nicht besserwisserisch klingen", sagt Freundin I. am Telefon, "aber ich hab' Dir ja immer gesagt, dass Du wieder auf die Füße fällst!" Und dann platzt sie beinahe vor Freude. Ein paar Minuten später auch der heimgekehrte Gatte.

Ab Montag schlage ich ein neues Kapitel in meinem Berufsleben auf. Es hat tatsächlich geklappt, ich kann in der Werbeagentur anfangen, ich kann dort meinen Abschluss machen. Die Agentur ist am Ort, ich habe nur zwanzig Minuten mit dem Rad zu fahren.

Und ich? Ich bin in einem eigenartigen Zwischenzustand aus unglaublicher Freude und Erleichterung und einem noch nicht ganz vollständigen Begreifen. Plötzlich erledigen sich all die Sorgen, auf die ich in den letzten Wochen und Monaten so fokussiert war. Das kann ich noch gar nicht so recht fassen.

Jetzt lasse ich das erst einmal sacken, genieße das Wochenende nach Strich und Faden und trete dann am Montag zur Arbeit an. Ich bin gespannt, was da alles an Neuem auf mich zukommt, aber ich habe ein gutes Hosenbodengefühl.

Es geht wieder weiter!

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Mittwoch, 29. Januar 2014
Altersentsprechend unauffällig
Seit längerem war ich mal wieder bei "Frau Doktor", wie die Sprechstundenhilfen meine Ärztin nennen. Ich dachte mir, um zu ergründen, warum ich so höllisch müde bin und so fürchterlich friere, wäre ein General-Check-Up gar nicht so schlecht. Außerdem kann das im fortgeschrittenen Alter von 37 ja ohnehin nicht schaden.

Dort habe ich eben amtlich mitgeteilt bekommen, dass ich in guter Verfassung bin. Leicht erhöhte Cholesterinwerte sind allenfalls meiner Genusssucht im Bezug auf Belgische Meeresfrüchte zurückzuführen, das solle ich im Auge behalten.

So bin ich zwar immer noch müde, aber immerhin altersentsprechend unauffällig, die Zusammensetzungen sämtlicher Körperflüssigkeiten und Hormonspiegel befinden sich im Normbereich, ich ticke noch ganz richtig. Erleichtert mich irgendwie, weil ja kein Mensch freiwillig gern krank ist. Oder zumindest die wenigsten. Es kann also weitergehen.

Die Müdigkeit kann ich dann auf die Jahreszeit schieben - mir geht es ja nicht allein so. Und auf den Stress. Empfehlung der Ärztin: entspannen (Lesen? Musikhören? Yogakurs?). Nette Vorschläge. Gerade habe ich den Vertrag mit dem Fitnessstudio an jemand anderen abgegeben, weil das zur Zeit einfach nicht mehr geht, und einen Job habe ich immer noch nicht. Das mit der Entspannung stellt sich wohl erst dann ein, wenn ich weiß, ich habe Sicherheit und Perspektive. Aber es zeigt sich ein Silberstreif am Horizont, denn ich hatte gestern ein berauschend nettes Gespräch mit der Chefin einer örtlichen Werbeagentur. Wäre schön, wenn daraus etwas würde.

Alldieweil bleibe ich altersentsprechend unauffällig.

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Dienstag, 7. Januar 2014
Landunter
Gerade steht mir das Wasser bis zum Hals. Ich frage mich, warum ich überhaupt darüber schreibe. Als würde die Formulierung dessen, was passiert, irgend etwas ändern. Meine Hoffnungen krümeln in sich zusammen wie eine ausgetrocknete Sandburg.

Heute gleich zwei Absagen - zu der erhofften Ausbildungsstelle hat es nicht gereicht, und auch bezüglich des Brotjobs, der mal kurz am Horizont auftauchte, haben sie sich "leider für einen anderen Bewerber entschieden". Diese nichtssagenden Sätze prasseln auf mich ein wie Hagelkörner und fügen meinem sorgsam aufgebauten Selbstvertrauen erheblichen Schaden zu. Bin also doch nicht so gut wie gedacht!, Vielleicht liegt es an meinem Alter!, Hätte ich nur....

"Für Ihre berufliche Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute!" - ja, ja. An eine Zukunft zu glauben und die Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren ist gar nicht leicht, wenn gerade alles um einen herum in Scherben geht. Beschissen, beschissen, beschissen. Was anderes fällt mir dazu gerade nicht ein.

Ein lieber Mensch hat mir kürzlich gesagt, er sehe mich nicht als Call-Center-Mitarbeiterin. Nein, da sehe ich mich auch nicht. Trotzdem stelle ich jetzt fest, es bleibt nur noch der Bodensatz an Jobs übrig: befristete, Leiharbeitsjobs, Minijobs. Als Kunststoffentgraterin, Müllsortiererin. Nachtschicht. Ich bin geneigt zu sagen, Scheiße passiert, mache ich das halt für eine Weile. Nur, wann wird dann diese Weile zu Ende sein? Hätte ich doch schlau sein sollen und Hausfrau und Mutter werden sollen? (Nein. Grusel.)

Ungewollt stelle ich den ganzen Mist in einen größeren Zusammenhang. Denke an die Eltern, die immer der Auffassung waren, wer sich genug anstrenge, bekomme auch Arbeit. Die in einer Zeit lebten, in der Hochschulabsolventen noch direkt nach ihrem Abschluss wie blöde von den Unternehmen umworben wurden und für ihre Arbeit ordentliches Geld bekamen. Angesichts der Jobangebote kommen mir die Tränen. Geringfügige Beschäftigung, ...auf 450,-€-Basis, Teilzeit, ... zweimal wöchentlich zwei Stunden - in was für einer bekloppten Welt leben wir eigentlich? Selbst examinierte Altenpfleger und Erzieher werden heute zum Teil nur noch so bezahlt. Scheiß-System, in dem von Papi gepamperte Jüngelchen auf spezielle Privatunis für künftige CEOs geschickt werden und dort lernen, für ein fettes Gehalt die Welt zu verarschen, während der Rest sich mit dem Bodensatz zufriedengeben darf.

Das alles kommt mir nur reichlich absurd vor, es scheint so wenig Berechtigung da zu sein für Systemkritik, wenn man sich selbst gerade nichts mehr wünscht, als wieder Teil des Getriebes zu sein und zumindest auf die kleine "Freiheit" hofft, sich auszusuchen, welcher Teil des Getriebes man gern wäre, anstatt gesagt zu bekommen "Friss oder stirb!". Aber inzwischen ist es eben wirklich "Friss oder stirb!"

Der Gatte sagt, ich habe das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Ich hoffe, er hat Recht, denn zur Zeit fühlt es sich nicht so an. Ich könnte kotzen. Heulen. Schreien. Brüllen. Mich selbst bemitleiden. Ich möchte in den Arm genommen werden.

Statt dessen setze ich mich gleich hin und mache meine Niederländisch-Hausaufgaben. Überlege mir, wie ich das Kursgeld bezahle. Setze die Kündigung für das Fitness-Studio auf. Und sehe optimistisch in eine glückliche Zukunft.

2014 ist bislang wirklich ein saublödes Arschloch.

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Montag, 30. Dezember 2013
Resümee? Ach, nein...
Man neigt ja dazu, zu bilanzieren, wenn das Jahr in den letzten Zügen liegt. Ich habe das auch manchmal gemacht, so richtig mit Listen, was gut war und was mies. Für dieses Jahr fehlen mir beinahe die Worte, und irgendwas in mir weigert sich, zu resümieren. Vielleicht, weil auch die letzten Tage immer noch das Potential in sich tragen, das Jahr richtig gut oder richtig schlecht zu machen.

Auch, wenn sich mit der Arbeitslosigkeit eine meiner größten Befürchtungen in diesem Jahr erfüllt hat, kann ich nicht behaupten, dass 2013 ein "saublödes Arschloch" war, wie es Okavanga vielsagend formuliert hat. Da war wirklich eine Menge Mist. Der größte Mist waren wohl die unzähligen Male, die ich mich in eine Selbstabwertungsspirale habe reißen lassen, in der ich mich dann selbst beschimpfte. Ich bin selbst schuld, dass ich keine Arbeit mehr habe. Ich hätte es wissen müssen. Es war naiv zu hoffen, dass das Arbeitsamt eine Umschulung fördert. Ich hätte mich eher nach was Neuem umsehen müssen. Ich bin zu nichts nutze. Besonders, wenn es abends dunkel wird, sind diese Stimmen sehr laut. Vielleicht, weil die Tür zum Unterbewusstsein weiter offensteht, während man bei Tageslicht irgendwie klarer denken kann.

Das große Aber: Ich lebe noch, ich bin noch hier. Was man mir mein Leben lang als Menetekel an die Mauer gemalt hat, hat mich doch nicht umgebracht. Das ist vor allem dank der Menschen in meiner Umgebung so, die für mich da sind und waren. Die mir nicht, wie ich selbst das so eloquent mache, die Schuld zuschreiben an dem Riesenmisthaufen, sondern mich beharrlich immer wieder aufmuntern und nicht nur glauben, sondern davon überzeugt sind, dass es auch wieder bessere Zeiten geben wird. Ich bin ihnen zutiefst dankbar.

Keine Ahnung, was das für ein Jahr war. Vielleicht eines wie alle anderen, die schon waren und die noch sein werden. Leben halt.

Einer, der mehr Ahnung hatte als ich, sagte mal: Manchmal verspeist man den Bären - und manchmal wird man eben vom Bären verspeist.

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Donnerstag, 5. Dezember 2013
Sturm
Sturm gefällt mir. Es bewegt sich was wie von Geisterhand, die Welt atmet ganz tief, alles wirbelt und taumelt, es rauscht.

Vermutlich wäre es anders, wenn es mir mein eigenes Dach abdeckte. Morgen früh denke ich nochmal neu darüber nach.

Lustiges Detail: Ein Nachbar fuchtelt mit dem Laubbläser. Der könnte in einer Viertelstunde wieder von vorn anfangen, bei dem, was da an Eichenlaub durch die Luft fegt.

Noch ein lustiges Detail: Ich frage mich, ob die Wetterlage meinem Blog mehr Klicks beschert als sonst.

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Dienstag, 26. November 2013
Shit. Shit, shit, shit, shit.
"Man sollte sich wirklich nicht darüber wundern, wenn jemand ins Arbeitsamt kommt und seinen Sachbearbeiter abmurkst!" meint Freundin I. am Telefon, nachdem sie mir zugehört und mich getröstet hat. Und wir lachen beide, aber es ist ein bitteres Lachen, das vielzitierte Quäntchen Galgenhumor, das dafür sorgt, dass man nicht völlig durchdreht.

An die Stelle der angespannten Hoffnung, die gestern noch herrschte, ist die altbekannte Zukunftsangst getreten, gepaart mit einer absolut uferlosen Wut. Ich war hundemüde, aber ich konnte nicht schlafen, weil mir diese Wut einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Ich fühle mich hilflos. Könnte ich wenigstens auf mich selbst wütend sein, mir Versäumnisse vorwerfen und mir versprechen, mich zu bessern, mich mehr anzustrengen, noch mehr Energie in alles zu stecken - ja dann...

Aber so bleibt mir nur, meine Wut diplomatisch in Worte zu kleiden, denn man möchte es sich ja nicht verscherzen mit dem Menschen, von dessen gutem Willen es abhängig ist, ob man die Chance auf einen Berufsabschluss noch erhält oder nicht. Alles Drängen, alle Hinweise auf Termine und Fristen haben nichts genützt. Man praktiziert genüssliche Verschleppung, wo ich schon im Frühsommer um zeitnahe Bearbeitung unter Hinweis auf besagte Fristen bat. Es hängt mir alles so zum Halse heraus.

Mir kommt der gehässige Gedanke, ich soll von meinem Anspruch auf Ausbildung bei voller Zahlung des ALG 1 ins billigere Hartz IV hineinverschlampt werden. Das würde mich vermutlich dann auch williger machen, jeden Drecksjob anzunehmen, anstatt nach etwas Fundiertem zu streben. All mein gesunder Menschenverstand reicht nicht aus, um diesen Gedanken als haltlose Paranoia einzustufen, die aus dem Ärger der Lage geboren ist. Er hat sich festgesetzt und pickert in meinem Hinterkopf vor sich hin. "Warten wir's einfach ab, das Problem erledigt sich von allein!" Ich habe das Gefühl, das hat Methode, aber beweisen könnte ich das natürlich nicht.

Vielleicht ist es auch bloß Inkompetenz. Aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass tatsächlich jemand so inkompetent sein könnte.

Ich könnte kotzen. Vermutlich läuft es aber darauf hinaus, dass ich mich weiter um die Dinge kümmere, die bräsig verschleppt eigentlich schon längst den Bach runter gegangen sind, mich zwischendurch in einer schwachen Minute ein bisschen selbst bemitleide, nachts mit heftig schlagendem Herzen erwache, weil ich nicht weiß, was werden soll und schließlich irgendeinen bescheuerten Call-Center-Job annehme, weil mir nichts besseres einfällt. Inzwischen lösen sich die letzten Reste meiner Ansprüche in Luft auf, während die Verantwortlichen Däumchen drehen. Chapeau!

Sorry, ich bin bitter heute.

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Dienstag, 8. Oktober 2013
Maskenspiel (Quedlinburg 1)
"Kann es sein, dass du Schwierigkeiten hast, Entscheidungen zu treffen?" frage ich S., als ich zum wiederholten Mal auf meine Frage, was sie sich in Sachen Abendessen wünsche, keine Antwort erhalte. Wir stolpern auf müden Füßen durch Quedlinburgs Innenstadt, von oben prasselt uns ein stetiger Regen auf die Kapuzen, und ich habe Hunger. "Das liegt wohl daran, dass ich so sehr offen für alles bin!" meint S.. Schnell. Thema erledigt. (Denk positiv! Es ist immer besser, für alles offen zu sein, als zu gestehen, dass man Angst hat, jemandem auf den Schlips zu treten oder die falsche Entscheidung zu treffen.)

Letztlich musste ich entscheiden, wohin wir zum Essen gehen. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Ich habe vieles entschieden in diesen paar Tagen, weil es einfach unglaublich schwer ist, S. eine Aussage darüber abzuringen, was sie wirklich will, was sie denkt, fühlt und sich wünscht. Sie fragt morgens, ob ich die erste sein möchte, die ins Bad geht. Als ich wieder herauskomme, ist sie bereits vollständig angezogen, und ich frage mich, ob sie sich nicht auch waschen wollte. Sie frage ich das nicht. Sie hat bereits alles mit derart stiller und selbständiger Effizienz erledigt, dass ich tiefe Gewohnheit dahinter vermute. Immer erst an die anderen denken. Sei nur kein Klotz am Bein. Nimm Kritik vorweg oder vermeide sie.

Den Wunsch, mit ihrem Lebensabschnittsgefährten zu telefonieren, äußert sie nicht, sondern sie verschiebt das auf einen Zeitpunkt, als ich gerade mit etwas anderem befasst bin. Hinterher entschuldigt sie sich für das Telefonat.

Interessant wird es, wenn wir eigentlich schon eine Entscheidung getroffen haben, die ich für Konsens hielt. Aus heiterem Himmel, gerade unterwegs nach irgendwo, stellt S. Fragen, die mit den Worten beginnen: "Oder meinst du, wir sollten nicht doch lieber...?" Innerlich treibt mich das auf die Palme, ich bin genervt. Innerlich. Ich ahne zumindest, dass eine Kritik daran, wagte ich sie zu äußern, S. fundamental berühren würde und daher wie üblich auf dieses durchdachte Abwehrgerüst träfe, das so sorgfältig eine weitere Auseinandersetzung verhindert. Weil ich so offen für alles bin. S. ist wie üblich weich, nachgiebig, wenig deutlich in ihren Äußerungen, ganz auf mich fixiert.

Das führt dazu, dass ich mich selbst gar nicht mehr traue, eigene Wünsche zu äußern, weil ich weiß, dass ich immer meinen Willen kriegen würde, versuchte ich es. S. passt sich an bis zur Unkenntlichkeit, und ich fühle mich dominant und eigenwillig, obwohl ich es gar nicht bin. Zugegeben, es ist ein schönes Gefühl, sich beweisen zu können. Diejenige zu sein, die sich auskennt, die Karten lesen kann und so etwas wie einen Orientierungssinn hat im Gegensatz zu ihr, und daher auch immer die zu sein, die sagt, wo es langgeht. Das ist auch metaphorisch gemeint. Nicht nur das Wissen um die Gegebenheiten macht mich zum Entscheider. Sie nötigt mir diese Rolle regelrecht auf. Und da wird es schwierig. Ich möchte das nämlich gar nicht.

Es ist eine Sache, dass sie bereits vergessen hat, in welcher Richtung die Altstadt liegt, als wir morgens wieder aus der Vordertür der Pension treten. Es ist noch nichts dabei, mit dem Finger nach rechts zu zeigen und zu sagen: "Da runter."

Aber es ist eine andere Sache, wenn der Wunsch, Zeit mit ihr zu verbringen, in der Tatsache ertränkt wird, dass S. gar nicht da ist. Sie ist Befehlsempfänger und Spürnase, sie ist in vielen Momenten ganz und gar mein Spiegel. Aber ich will nicht mich sehen und die Erfüllung meiner Bedürfnisse und Wünsche, sondern sie und den Menschen, der sie ist. Diesen einen Wunsch erfüllt sie mir nicht. Sie bleibt für mich schwer fassbar, selbst, wenn sie neben mir läuft, sitzt und schläft.

Am letzten Tag dann: Sankt Cyriakus. Ein Kirchenbau im benachbarten Gernrode, von dem sie bereits seit unserer Ankunft spricht. Ich zeige mich offen bezüglich der Idee, die Kirche anzuschauen, schließlich kann ich mich für romanische Bauwerke durchaus begeistern. Aber ich bin mir nicht sicher, was S. treibt. Die ganze Gegend in und um Quedlinburg ist voll mit geschichtsträchtigen Bauten, deren Besichtigung sich lohnt, aber St. Cyriakus scheint wichtig zu sein. Warum, das sagt sie mir nicht - keine Schwärmereien über interessante Fresken, keine für mich erkennbare spirituelle Motivation, kein inhaltlicher Bezug auf Geschichte oder Architektur. Hinterher finde ich heraus, dass der Besuch der Kirche auf der Empfehlung eines Kollegen beruht. Dann kann ich sagen, ich war da, wenn er fragt. Und, wie es war.

Angekommen in Gernrode ist es gerade 10 Uhr, Sonntagvormittag. Ein Schild steht vor dem Eingang, "Sightseeing not welcome". Wir können die Kirche nicht betreten, zumindest nicht in Besichtigungsabsicht. S. überlegt hin und her, ich merke, sie möchte gern. Auf dem Schild steht aber auch, dass Gäste und Besucher zum Gottesdienst willkommen seien. Ich weiß, S. ist keine Atheistin wie ich. Ich schlage vor, sie geht hinein, ich bleibe draußen - mich als Gast dem Gottesdienst anzuschließen, hätte ich als Heuchelei empfunden und mich dabei nicht wohlgefühlt. Aber darauf verzichtet S.. Ich merke ihr die Enttäuschung an, weiß aber nicht, woher sie rührt. Daher, dem Kollegen gegenüber eingestehen zu müssen, doch nicht in die Kirche gegangen zu sein? Oder vielleicht doch daher, dass ihr der Blick in das Gebäude entging? Sie spricht nicht darüber.

Wir hatten eine schöne Zeit, über die ich noch berichten werde. Aber in mir bleibt auch ein schales Kopfschütteln und die Empfindung, S. nicht begleiten und berühren zu können, weil sie mich nicht lässt. Auch Wut angesichts der Rolle, die sie mir in diesem ganz persönlichen Spiel zugedenkt, selbst wenn das sicher nicht bewusst passiert. Mir ist schwindlig von all dem Hin und Her, von ihrer mangelnden (Be-)Greifbarkeit und von ihren Tanzschritten, die sie so routiniert und atemberaubend schnell vollführt, dass es mich überhaupt wundert, dass ich dieses Manöver an einem Zipfel zu fassen kriege. Immer bleibt das Gefühl, nicht hinter die Maske geschaut haben zu können. So bin ich auch im gemeinsamen Lachen traurig.

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Donnerstag, 26. September 2013
Gedankenspiel
Ich spiele in letzter Zeit mit dem Gedanken an eine Tätowierung. Nicht, dass das eine Investition wäre, die jetzt gerade hohe Priorität genösse. Aber... Es ist komisch, dass mir die eigene Haut als einzig angemessener Platz für ein paar schlichte Worte erscheint. Den Gedanken muss ich wohl noch ein bisschen wälzen.

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... früher