Sturmflut
Samstag, 21. Juni 2014
WTF...?
Meine Eltern haben offenbar nichts Besseres zu tun, als jedem, den sie treffen und der mich kennt oder Kontakt zu mir hat, zu erzählen, wie sehr sie darunter leiden, dass ich sie in den letzten sechs Jahren nicht sehen wollte.

Ich finde das kurios. Als mir gestern der Gatte erzählte, Schwiegermama und meine Mutter seien in der Stadt aufeinander getroffen, da konnte ich mich gar nicht so recht ärgern. Früher wäre ich wütend geworden. Heute tut mir nur noch Schwiegermama leid, die sich von meiner Mutter anhören muss, wie schlimm das alles für sie ist.

Damit kommt Schwiegermama in eine Lage, in der ihr unausgesprochen ein Statement abverlangt wird und in der sie zumindest irgendwas zur Sache sagen müsste. Ich finde es irgendwie albern, dass erwachsene Menschen meinen, andere so instrumentalisieren zu müssen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob denen das vielleicht unangenehm sein könnte. Wie immer geht der Blick nur zum eigenen Horizont, aber nicht darüber hinaus.

Gestern sagte ich zum Gatten, wenn das alles so schlimm sei, dann könnten meine Eltern mir das doch auch selber sagen. Und dann tauchte in meinem Kopf die Frage auf, warum sie das nicht tun. Haben sie Angst vor meiner neuerlichen Ablehnung? Vor den Dingen, die ich ihnen sagen könnte? Vor der Ursachenforschung, die immer auch mit so einem Kontaktabbruch verbunden ist? Oder gefallen sie sich in der Rolle der Leidenden?

Meine Cousine erzählte mir neulich, mein Vater habe sich an eine Psychologin gewandt, die zufällig mit ihm gemeinsam Parteiarbeit macht, und ihr davon erzählt. Er schilderte, wie schlimm diese Kontaktsperre sei und wie sehr ihn das alles mitnehme. Ihre Replik war: "Lieben Sie sie trotzdem?" Was mein Vater bejahte. Dann hat sie wohl gesagt, man könne das doch auch so stehen lassen. Vielleicht nicht die Antwort, die er hören wollte.

Es berührt mich seltsam, Gegenstand der Probleme zu sein, die sie offenbar haben und die sie allen mitteilen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind. Vor allem deshalb berührt es mich seltsam, weil ich im Gegensatz zu meinen Eltern diese Zeit als die bislang unproblematischste meines Lebens empfunden habe, all der Schwierigkeiten zum Trotz, durch die ich mich so hindurchgewurstelt habe in der letzten Zeit. Was denen solche Sorgen, solchen Kummer und solches Leid bereitet (offenbar genug, um es aller Welt zu verkünden), macht mich entspannt und selbstbewusst. Mir zeigt es, es lebt sich besser ohne ihre Erwartungen und Ansprüche und ohne die erdrückende Vereinnahmung, die sie für Liebe halten.

Was wünschen die sich von mir? Wenn sie so drunter leiden, was mag das wohl sein, das ihnen so fehlt? Möglicherweise muss man selbst Kinder haben, um es verstehen zu können. Vielleicht kommen sie nicht damit klar, dass da, wo vorher ihre Tochter war, jetzt ein blinder Fleck ist. Vielleicht fehlt ihnen die Projektionsfläche. Sie haben es sich wohl anders vorgestellt, eine erwachsene Tochter zu haben. Meine Eigenschaften sind es wohl nicht, die ihnen fehlen, denn sie kannten mich gar nicht. Ich habe mich in ihrer Gegenwart immer verstellt. Liebe? Erfolg in Stellvertretung? Die Hoffnung auf beides?

Ich habe keine Ahnung. Es ist ihr Problem. Sie können nicht erwarten, dass andere es für sie lösen.

Permalink



Dienstag, 10. Juni 2014
Was zählt
Als wabernde Wolke in Gelb-, Orange- und Dunkelrottönen wandert die Unwetterzone über die Landkarte auf dem Schirm meines Laptops. Sie beschreibt eine dezente Kurve gegen den Uhrzeigersinn und sollte uns gegen 23 Uhr erreichen.

Irgendwann an diesem Abend leuchten dann die ersten Blitze durch die Kronen der Eichen am Grundstücksrand, und wir hören Donner. Ich liebe Gewitter. Der Gatte und ich schalten alles aus und ziehen die Stecker aus den Dosen. Im Haus ist es dunkel, die Unterhaltungsmedien sind stromlos. Was machen wir jetzt? "Lass uns das Gewitter angucken", schlage ich dem Gatten vor.

Die ersten schweren Regentropfen klatschen auf das Zwischendach hinter dem Haus, aber ein stürmischer Sturzregen wie am Nachmittag bleibt aus. Dafür blitzt es ununterbrochen und geräuschlos im Südosten, der Himmel ist beinahe nie dunkel.

Wir lehnen uns gegen die warme Ziegelwand des Schuppens und schauen hinauf. Die Giebel der Häuser heben sich schwarz gegen den bläulich und rosafarben leuchtenden Himmel ab, der Wind fährt in die umstehenden Bäume und Büsche und lässt den Rock um meine Knie flattern. Jetzt grollt es auch ab und an, und manchmal ist es so hell, dass es blendet. Durch die fallenden Tropfen huscht uns eine Fledermaus vor den Gesichtern entlang und ist so schnell wieder weg, wie sie kam.

So zu stehen und zu schauen und den Geruch der Luft einzuatmen und den Gatten im Halbdunkel neben mir zu wissen, das ist einmalig.

Permalink



Mittwoch, 4. Juni 2014
"Go get it!"
... schrieb mein Ex-Teamleiter neulich, als ich ihm von meinem anstehenden Vorstellungsgespräch berichtete.

Hab' ich gemacht.

Ich setze die Ausbildung fort. Betrieb fünfzehn Fahrradminuten von hier entfernt, erheblich mehr down to earth als die Agentur. Ich freue mich drauf. Geht doch!

Permalink



Montag, 2. Juni 2014
Wieder mal enttäuscht.
Ist der beste Schutz vor Enttäuschung, sich nicht mehr auf etwas zu freuen?

Erst gestern fragte mich der Gatte, ob ich mir inzwischen wieder vorstellen könne, mit Freundin S. zu wandern. Was ich täte, wenn sie mich fragte, ob wir dieses oder nächstes Jahr wieder zusammen aufbrechen würden. Ich sagte ihm ganz aus dem Bauch heraus, ich würde ablehnen und es damit begründen, dass meine Finanzen es zur Zeit nicht zulassen. Ich würde mir ansehen, wie sich alles weitere in ihrem Leben entwickele, bevor ich noch einmal mit ihr auf den Pfad ginge.

Auf Bauchgefühle soll man hören.

S. hatte sich für Pfingsten angesagt. Schon seit Monaten haben wir darüber gesprochen, wie nett es wäre, ein paar Tage Zeit zusammen zu haben, vielleicht ein bisschen spazieren zu gehen oder ein Boot zu mieten und auf den See zu fahren. Vor allem aber, miteinander zu reden, nachdem uns im Alltag so wenig Raum bleibt, das Leben und die Gedanken der anderen zu teilen.

Sie wird nicht kommen. Zu anstrengend sei ihr letztes Wochenende gewesen, zu müde sei sie, sie seien ja auch gerade erst aus D. wieder zurück.

Als es darum ging, mitfühlend nachzufragen, ob in D. irgendwas gravierendes passiert sei und wie es ihren Lebensabschnittsschwiegereltern gehe, versagten mir meine Finger den Dienst. Für Mitgefühl bin ich gerade zu enttäuscht und sauer.

So ganz allmählich habe ich sogar den Verdacht, das könnte ein Dauerzustand werden.

Permalink



Mittwoch, 7. Mai 2014
Scheißtage
Dazu fällt mir auch keine schöne Umschreibung ein. Ich bin fürchterlich erschöpft und müde und fühle mich, alsob mir bereits beim Aufstehen einer eine Keule über den Kopf gezogen hätte. Kann mich nicht konzentrieren und bringe nichts auf die Reihe. Aus dem Spiegel guckt mich eine zerknitterte Person an, von der ich gar nicht weiß, ob ich irgendwas mit ihr zu tun habe.

Ich glaube inzwischen kaum noch, dass das Problem rein seelischer Natur ist. Müdigkeit, Händezittern, Heulneigung, juckende Haut. So abgeschlagen und ausgetrocknet kann man sich gar nicht allein der Psyche wegen fühlen, zumal die Moral eigentlich gar nicht so schlecht ist. Deshalb am nächsten Montag ein Besuch beim Endokrinologen.

Trotzdem werde ich mich auch heute wieder zusammenreißen und ein weiteres halbes Dutzend Bewerbungen verschicken in der Hoffnung, dass mich das weiterbringt. Kreativität und Elan bleiben gerade auf der Strecke. Gut, dass ich in dieser Hinsicht gewissermaßen etwas auf Vorrat produziert habe.

Aber ich kann von ganzem Herzen sagen, dass alles zum Kotzen ist. Verdammte Scheißtage.

Permalink



Dienstag, 29. April 2014
In between
Es ist ein eigenartiger Zustand, so in der Schwebe zu leben. Befasst mit Befürchtungen und Sorgen, Möglichkeiten und Chancen, Vorfreude und Angst. Das ist so verdammt ausgewogen, dass ich mich irgendwie genau in der Mitte wiederfinde, in einer Art schwereloser Unbeweglichkeit, die tödlich ist.

Aber gerade jetzt erfasst eine Welle von Optimismus mein Herz, die verspricht, diese Unbeweglichkeit aufzulösen. Zu hoffen, dieser Optimismus hielte an, ist irgendwie blödsinnig. Besser wär's wohl, einfach rauszuholen, was drin ist. Da meine Was-wäre-wenn-Szenarien üblicherweise ein dunkles Gesicht haben, gilt es, diesen Glücksfall zu nutzen. Es könnte ja was Gutes dabei herauskommen.

Zugleich draußen diese leicht trübe Kühle, das dichter werdende Grün, die völlig durchgeknallten Vögel, die singen, als gäbe es kein Morgen. Bei so viel Lebendigkeit fällt es einem schwer, tot bleiben zu wollen. Na also.

Permalink



Donnerstag, 17. April 2014
C'est fini.
Kurzes berufliches Intermezzo, heute durch Kündigung seitens der Chefin beendet.

Tja.

Permalink



Montag, 7. April 2014
Heimat
"Hm, ja", denke ich, als ich mit dem Rad den Kanal überquere und über die frühlingshafte Landschaft schaue, "das hier ist tatsächlich meine Heimat." Atme tief und fühle mich gut. In der Luft hängt eine Mischung aus der Honigsüße der blühenden Bäume und Büsche und der Jauche, die die Bauern auf die Felder fahren.

Ich befinde mich in den Niederlanden, aber die Staatsgrenze ist für mein Heimatempfinden beinahe irrelevant. Beinahe deshalb, weil ich mich "drüben" sehr wohl fühle und diese Art Zweistaatlichkeit, in die ich bereits geboren wurde, mein Gefühl von Heimat entscheidend mitbestimmt.

Auf unserer Seite der Grenze sind die Leute irgendwie eigen. Konservativ, protestantisch, neugierig auf die Nachbarn, selbst aber verschlossen und hausbacken. Und ein bisschen der Zeit hinterher, ein bisschen langsam. Trotzdem bin ich gerne hier. Ich kann gar nicht sagen, wieso. Aber wenn ich mit dem Fahrrad morgens unterwegs bin und es nach Maissilage riecht und nach feuchter Erde, dann stellt sich das Gefühl von Heimat ein. Und vielleicht tatsächlich auch ein bisschen, wenn ich mal wieder den bollerigen Filialleiter des nahegelegenen Supermarkts zwischen Kartons quer im Gang stehen sehe und höre, wie er sich derb lachend mit einem Kunden unterhält.

Ich mag es, mich verwurzelt zu fühlen. Aber als ich die fünfzehn Kilometer aus dem niederländischen Nachbarort wieder zurück nach hause radele, schießt mir durch den Kopf, wie es sein muss, wenn diese Wurzeln abgeschnitten werden. Wenn man einen Ort, an dem man sich so zuhause fühlt, zwangsweise verlassen muss. Das erleben Tag für Tag weltweit viele Menschen. Aus meiner Verbundenheit zu meinen Heimatort erwächst auf einmal wirkliches Verstehen.

Und wie wäre es, wenn man sein Leben lang an einem Ort bliebe? Ist es nicht auch eine Art Vertriebenwerden, wenn sich Heimat schleichend so verändert, dass man sie irgendwann nicht wiedererkennt? Passiert einem das nur, wenn man sich selbst nicht mitverändern kann oder will? Muss man nicht zwangsläufig flüchten, wenn sich Orte so verändern, dass sie nicht mehr mit der eigenen Seele gleichklingen?

Heimat. Das ist auch so ein eigenartiges Wort. Mir geht Volkstümelei und Schland-Begeisterung ab. Ich bin meinem Landstrich mehr verbunden als meiner Nation. Ich bin sogar meiner Nachbarnation mehr verbunden. Aber vor meinem inneren Auge taucht auch kein röhrender Hirsch auf, da sind keine rauschenden Wälder und keine prall gefüllten Wiesn-Dirndl beim Stichwort Heimat. Ich weiß trotz allem fehlenden Nationalstolz, dass mein Land schön ist - sogar in Bayern. Aber mein Heimatgefühl ist regional eng begrenzt.

Ich werfe üblicherweise keine Stöckchen. Aber zum Thema Heimat gehen mir so viele Fragen durch den Kopf, auf deren Beantwortung durch andere Menschen ich völlig neugierig bin. Gleich, wer sich angesprochen fühlen mag. Ich notiere sie hier, in der Hoffnung, dass sich jemand angesprochen fühlt.

1. Haben Sie eine Heimat?

2. Was beeinträchtigt Ihr Gefühl von Heimat?

3. Was bestärkt es?

4. Können Sie sich vorstellen, heimatlos zu sein?

5. Würde es Ihnen etwas ausmachen?

6. Wo liegen die Grenzen Ihrer Heimat?

7. Hat Heimat in Ihren Augen eine Zukunft, ist die emotionale Bindung an einen Ort überhaupt sinnvoll?

8. Was macht Heimat für Sie aus?

9. Ist es möglich, eine Heimat zu suchen und zu finden, wenn man noch keine hat?

10. Wofür würden Sie Ihre Heimat verlassen?

11. Kann man Heimat überhaupt verlieren?

12. Kann man mehr als eine haben?

13. Stimmt es, dass man seine Heimat einmal richtig verlassen muss, um im Guten wieder zurückkehren zu können?

Permalink



Sonntag, 30. März 2014
Erdung
Es erstaunt mich, wie mich in sandiger Erde knieend am Samstagvormittag unverhofft eine innere Ruhe einholt. So, als wärme der Garten (das Ungetüm!) meine Seele, ohne dass ich zuvor einen Antrag habe stellen müssen. Der Geruch nach Erde, der mir in die Lungen steigt, der laue Wind und die tropfenden Stimmen der Vögel legen sich wie eine Balsamschicht über mich. Mein Herzschlag beruhigt sich, ich atme tiefer und denke klarer.

Es ist eine eigenartige Sache, dass sich meine Probleme zwar nicht gelöst haben, ich mich aber trotzdem besser fühle. Ganz gleich, ob es dafür eine biochemische Erklärung gibt, die mit Licht und Stoffwechselvorgängen zu tun hat, ich nehme es als Wunder. Eins von den kleinen, die man erst beim zweiten Hinfühlen bemerkt.

Ich könnte nicht ohne das. Neu werden geht nicht ohne das. Nachdem ich mich so wundgescheuert habe an Anforderungen, tut unerwartetes Streicheln so unendlich gut.

Auch, wenn der Zusammenhang ein vollkommen anderer ist, denke ich an Wolf Biermanns Zeilen.

Nun atmen wir wieder, wir weinen und lachen
die faule Traurigkeit raus aus der Brust
mensch, wir sind stärker als Ratten und Drachen
– und hattens vergessen und immer gewußt.


Mein Herz greift nach diesen Zeilen wie nach einem Strohhalm, ich will mich ganz voll tanken mit der Wärme dieser Tage und das Atmen nicht vergessen.

Permalink



Samstag, 8. März 2014
Ich weiß nicht, was ich schreiben soll...
Die ganzen zurückliegenden Tage ist so viel passiert, dass ich einfach gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Oder ob ich überhaupt haarklein sezieren soll, wie es mir geht und warum das so ist. Scheint mir momentan ziemlich unpassend. Andererseits wäre das Blog genau der richtige Ort, um Befindlichkeiten auszudrücken.

Viel Schmerz dieser Tage, und heute tiefes Durchatmen. Blöde Sprüche, man sei für die Werbebranche nicht geschaffen, wenn man Wert auf Umgangsformen legte. Klare Worte seitens meiner Chefin (von der letzterer Ausspruch allerdings nicht stammt, was betont werden muss). Festgestellt, dass ich mich viel zu oft noch viel zu klein fühle und leider auch mache. Dass mir das Einstehen für eigene Belange ebenso schwer fällt wie das Wütendwerden, all das aber nötig und wichtig ist, und nicht nur für's Berufsleben. Andererseits auch, über eigene Vorurteile hinwegzusehen und sich selbst nicht für den Nabel der Welt zu halten.

Zwischenzeitlich überschwemmte mich das Bedürfnis, mich ganz klein zusammen zu rollen und mich trösten zu lassen. Ein Gefühl wie Ich will zu meiner Mama! Blöd, denn wäre ich kein mutterloses Kind gewesen, dann würde mir dieses Empfinden jetzt nicht passieren und mich fühlen lassen wie ein kleines Kind, das im Regen steht und böse friert. Was mir fehlt, kann mir heute keiner mehr geben. Ich bin erwachsen, ich muss es selbst tun. Eine Erkenntnis wie Backstein gegen Stirn.

Da mir aber heute die Sonne auf den Pelz scheint und ich mehr bei mir bin als all die Tage zuvor, entscheide ich mich für Verdrängung zugunsten der angenehmen Aspekte des Alltags. Die zurückliegenden Wochen war es genau andersherum, ergo wird es Zeit, dass der Wind sich dreht.

Und nun wusste ich doch, was ich schreiben sollte.

Permalink



... früher