Sturmflut
Sonntag, 3. März 2013
Auszeit
Ich nehme mir eine Pause vom Bloggen. Mir geht es derzeit einfach nicht gut, und ich verliere zunehmend das Gespür dafür, was mir gut tut und was nicht. Bloggen, sich aufregen, nachgrübeln gehören definitiv nicht zu den Dingen, die ich gerade brauche, auch wenn ich das reichlich spät gemerkt habe.

Ein andermal wieder mehr.

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Montag, 21. Januar 2013
Amüsement erster Güte
Ich stehe zusammen mit dem Gemahl und Freund B. um neun Uhr abends in eisiger Kälte vor den rotlackierten Stahltüren eines Düsseldorfer Veranstaltungszentrums. Hinter uns wird die Schlange der vor dem Eingang Wartenden immer länger. Das Publikum, das in einer knappen halben Stunde mit mir die Halle teilen wird, setzt sich zusammen aus jungen Frauen, die beinahe alle aussehen entweder wie Annett Louisan (blond) mit Zahnspange oder Lena Meyer-Landrut (brünett), und jungen Männern, die aussehen wie Mark Zuckerberg, amerikanische Junior-Schauspieler oder schlaksige H&M-Models. Ich schätze das Durchschnittsalter auf Mitte Zwanzig. Dazwischen sind einige, die ein wenig älter als wir sein mögen, einzelne Männer mit Band-T-Shirts und Hoodies, neben mir steht ein beleibtes Gothic-Mädel und tritt von einem Fuß auf den anderen. Der Grund unseres Hierseins: Marc-Uwe Kling liest aus "Die Känguru-Offenbarung, Teil 1".

Die Sache mit dem Känguru war uns ein großes Vergnügen, seit der Gatte die Bücher zum ersten Mal in die Finger bekam. Ich hatte immer vor, sie selbst zu lesen, aber das erübrigte sich, weil er abends im Bett beim Lesen in sich hineinkicherte und mir daraus vorlas. Dann schafften wir die Hörbuchfassungen von "Die Känguru-Chroniken" und "Das Känguru-Manifest" an, die uns erst recht zum lachen brachten. Kaum zu glauben, dass in Deutschland tatsächlich so etwas wie Humor existiert, der über wandelnde Peinlichkeiten wie Atze Schröder oder Mario Barth hinausgeht. Aber es gibt ihn!

Ein kommunistisches Känguru als widerborstiger, anarchischer Wohnpartner des "Klein"-Künstlers, der mit ihm zusammen Schnick Schnack Schnuck spielt und dabei immer gewinnt, oder Schach mit den Figuren des Deutschen Herbstes ("Mein Turm ist ein Terrorist, der hält sich nicht an Regeln!" - "Mein König ist Helmut Schmidt, der verhandelt nicht mit Terroristen!") - so eine schöne Idee, dass man sich ein wenig selbst bemitleidet, weil einem sowas nie einfällt.

Die Pointen sind alles andere als oberflächlich. Angehörige des politisch entgegengesetzten Lagers zählen (deshalb vielleicht) kaum zur Zielgruppe, was mir wenig ausmacht, im Gegenteil. Marc-Uwe Kling bewegt sich da ganz gekonnt zwischen Dreistigkeit und Weisheit, würzt alles mit einer kräftigen Prise Absurdität, orwellscher Zukunftsvision ("Miniprod", das Ministerium für Produktivität hat das Känguru ganz genau im Auge und droht mit Abschiebung, weil es meistens eben nur "herumlungert") und rasantem Wortwitz. Den lässt er übrigens auch ganz kängurufrei an der Gitarre raus.

Es war klar, dass wir uns das nicht entgehen lassen würden. Zu Beginn fragte ich mich, ob sich die Fahrt nach Düsseldorf und das Stehen in der Kälte wohl gelohnt hat. Aber das hatte es. Es war bereits sein zweiter Auftritt an diesem Tag. Es bedarf eines beträchtlichen Durchhaltevermögens, ein Programm von diesem Umfang und Inhalt an einem Abend gleich zweimal zu geben, ohne dabei routiniert, gelangweilt oder übermüdet zu wirken. Der Mensch liest ja nicht nur, er versteht es prächtig, die Dialoge mit unterschiedlichen Stimmen zu lesen und musiziert dann auch noch. Jüngst hat er begonnen, Zitaten einen neuen (falschen) Urheber zuzuordnen und sie damit in einen neuen Kontext zu stellen, was sehr, sehr amüsant ist. Von diesen hat er auf der Bühne auch so einige verlesen (und als Kalender herausgebracht, der jetzt im Arbeitszimmer an der Wand hängt).

Das Känguru nimmt man beinahe als eigenständigen Charakter wahr. Es ist so wunderbar patzig. Nachdem Spekulationen über sein Geschlecht aufgekommen waren, weil es ja einen Beutel hat, sich mit seiner Schwäche für Anarchie, Herumgammeln, fiese Sprüche, Arbeitsvermeidung und Schnapspralinen aber so überhaupt gar nicht "weiblich" verhält, antwortete es in gewohnter Manier: "Ach, männlich, weiblich - das sind doch bürgerliche Kategorien!" Wunderbar. Marc-Uwe Kling, auf der Bühne mit A4-Zetteln hinter einem Tisch sitzend und lesend, verschwand beinahe hinter der von ihm geschaffenen Figur.

Sehr präsent war er aber, als er dann sang. "Ich hätt auch so gern ein Hobby" hat das Zeug zum neuen Lieblingssong, weil es so treffend ist. Da rangiert "Meerschweinchen" gleich neben "Ausländer verprügeln", "Joghurt selber machen" neben "Autos abfackeln", und er steht da mit seiner Gitarre auf der Bühne und wirkt so gnadenlos hoffnungslos dabei ("Ich zäune meine Interessen ein"), dass man ihm "Autos abfackeln" als Hobby dann schon beinahe wünschen möchte. Schön auch "Stuf mich ein", ein Lied, dass den allgemeinen Bewertungs-, Sterne-Vergabe- und Daumen-hoch-Wahn auf die Schippe nimmt. Da will die Tussi von letzter Nacht einfach nicht gehen und steht in der Tür, weil sie erst noch wissen will, wie sie war.

Einiges an Ironie entging dem Publikum, so mein Eindruck. Die Blöße geben und mitsingen wollte man trotz deutlicher Aufforderung und Animation beim Rausschmeißer "Scheißverein" auch nicht, zu peinlich ist wohl dem Bachelor-Studenten das Herausstechen aus seiner Peergroup. Und das trotz der Neigung des deutschen Publikums zum Rhythmusklatschen. Naja, es ist halt, wie es ist.

Danach: Spät schlafen gegangen bei den Freunden, morgens dekadent gefrühstückt, noch einmal einige Stücke von CD gehört, zusammen gelacht und geredet und dann durch das dicke Schneegestöber heimgefahren und wählen gegangen.

Ich habe mir das Vergnügen angetan und vom Kalender die ersten 19 Blätter auf einmal abgerissen. Der gestrige lautete dann passenderweise:



Da ist was dran, auch wenn mir das Wahlergebnis dieses Mal entschieden besser gefällt als sonst.

Herzlichen Dank, Herr Kling! Für Lacher, Feinsinniges und Ohrwürmer. Ich würde es wieder tun.

P.S.: Julius Fischer als "Vorband" (wie er sich selbst bezeichnete) und musikalisch-humoristische Unterstützung - anders, aber ebenfalls angenehm auffallend lachhaft. Es gibt noch Hoffnung.

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Freitag, 18. Januar 2013
Het gaat (misschien) door
Wenn es so weiterfriert, dann komme ich tatsächlich doch noch aufs Eis. Nicht allein, dass wir letzte Wochen zum ersten Mal überhaupt Schnee hatten, Kanäle und Seen legen sich allmählich auch eine beträchtliche Eisschicht zu. Die niederländischen Freunde beginnen also mit ihren Hoffnungen, Prognosen und sogar Vorbereitungen für einen Event wie den im letzten Jahr. Ins Auge gefasst ist der 26. Januar, falls die Vorhersagen zutreffen werden und tatsächlich das besagte Gewässer fürs Schaatsen freigegeben wird.

Ich freue mich schon jetzt und kann es kaum erwarten. Ein Paar Noren sind bereits auf dem Weg aus Süd-Holland zu mir. Gebannt verfolge ich Eisdickeprognosen und Temperaturvorhersagen und pflege Optimismus. Es wird berichtet.

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Sonntag, 6. Januar 2013
Internetfreie Tage
Zwei freie Wochen. Tage, die sich aneinanderreihten mit einer gewissen Beliebigkeit, weil planlos, unstrukturiert, blank und leer, um mit jedem morgendlichen Erwachen neu gestaltet zu werden - oder eben nicht. Wie ich das genossen habe. Unproduktivität, Loslassen, Freiheit vom Müssen. Im vollgekrümelten Pyjama verbrachte Sofatage, "Oh, es ist schon fünf Uhr?"-Tage, Vertrödel- und Verplemper-Tage. Eine Zeit, in der ich nicht wusste, welches der aktuelle Wochentag ist. Wunderbar.

Es waren auch Tage mit auf ein Minimum reduziertem Mailverkehr, mit lediglich sporadischem Internetbesuch. Sehr analoge Tage, sehr direktes Leben, sehr unmittelbar, keine Aufreger, nichts Aufregendes. Angesichts dieser Losgelöstheit von der digitalen, virtuellen Welt kam mir durchaus auch die Frage in den Sinn: Brauche ich dieses Blog noch? Braucht es mich? Inwieweit ist es Teil meines Lebens? Muss ich das, was ich fühle, im Netz reflektieren? Muss ich meine Gedanken schriftlich ausbreiten, analysieren, diskutieren in dieser spannenden und doch bisweilen auch reichlich eigenartigen Halbrealität des Internets?

Müssen, brauchen... Vielleicht nicht. Was aus diesem Zustand jetzt erwächst, werde ich sehen.

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Dienstag, 18. Dezember 2012
Nicht bloß praktisch...


... vor allem erfreulich! Heute nach der Arbeit bin ich noch schnell bei der Post vorbeigefahren und habe mir das "kleine Gelbe" abgeholt und auf la biciclettas Gepäckträger geklemmt. Erstaunlich schwer war's. Kein Wunder, sind ja auch gewichtige Nachrichten drin:



Da habe ich wohl großes Glück gehabt. Denn dank des pastiz'schen Care-Paketes...



... ist das Leben überhaupt nicht schwer, sondern eher sehr süß! Ganz herzlichen Dank, wir beide haben uns sehr gefreut.

(Woher wussten Sie, dass ich Schwarzkirschen und Äpfel so gern mag?)

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Sonntag, 11. November 2012
Nichts anzuziehen?
Gestern habe ich den Kleiderschrank in Augenschein genommen und die Sommersachen endgültig ins Winterquartier unter dem Bett befördert. Irgendwie schade um die zarten Röcke mit bunten Pailetten und die leichten weißen Blusen. Da fiel mir der Abschied schon schwer.

Andererseits fiel mir mal wieder auf, wie viele nette Sachen ich eigentlich habe - auch für den Winter. Ich überlege, mir einen Zettel ins Portemonnaie zu stecken, auf dem vermerkt steht: Moment mal, vor Klamotten-Neukauf bitte erst einen Blick unters Bett werfen!

Ich bin bloß viel zu zaghaft, die Sachen auch zu tragen. Sei es, dass ich mich in Shirt, Jeans und Strickjacke schlicht am wohlsten fühle, schon aus Bequemlichkeitsgründen, sei es, dass ich bei manchen Sachen überhaupt nicht sicher bin, wie ich sie kombinieren und tragen kann.



Schade eigentlich, denn wenn ich erst mal vorm Kleiderschrank stehe und mir das alles mit Verstand betrachte, scheinen mir die Möglichkeiten unendlich. Ich sollte das einfach versuchen. Mir gefällt mein Stil.

Eigentlich müsste man für jedes Outfit, das gut funktioniert, ein Foto machen und innen an die Schranktür kleben.

Mein Faible für Ersteigertes und Second Hand lässt sich aber letztlich wohl auch von der Fülle in meinem Kleiderschrank nicht besänftigen.

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Mittwoch, 17. Oktober 2012
Farbrausch im Oberstübchen
Gestern saß ich in einer stundenlangen Projektbesprechung gemeinsam mit drei Männern an unserem breiten Konferenztisch, am anderen Ende warf der Beamer Datentabellen und Zeitpläne auf die Leinwand. Sich tief in die Strukturen von Datenbanken zu vergraben ist nach wie vor ziemliches Neuland für mich, auch wenn ich langsam aber sicher verstehe, worum es eigentlich geht. Ich bin schon sehr zufrieden mit mir, weitestgehend folgen zu können. Mein eigener Redeanteil war - Neuland halt - ausgesprochen gering, was mich aber wenig störte.

Natürlich schweiften meine Gedanken zwischendurch mal ab. Mir waberte ein Ohrwurm im Kopf herum, immer wieder die irgendwie passenden Liedzeilen von "The National": I had a secret meeting in the basement of my brain... It went the dull and wicked ordinary way." Im Kontext von den Songschreibern sicher mal anders gedacht, aber auch im Zusammenhang mit Datenbanken durchaus treffend.

Irgendwann begann ich neben dem inhaltlichen Verlauf des Gesprächs zugleich auch noch der Interaktion der Beteiligten zu folgen, und etwas eigenartiges geschah. Plötzlich drückten sich die Gesprächsanteile der drei Männer in Farben aus, um sie herum Raum einnehmend, je nachdem, wie jemand formulierte, wie viel und wie laut er sprach, ob er fragte oder argumentierte.

Mein Teamleiter gab ausgesprochen häufig hellgrüne Spitzen von sich, der externe Dienstleister gelbe Wellen. Wenn er oder der Gatte Fragen stellten, wurde ihr Bereich dunkelviolett, einladend, beinahe wie ein Paar sich öffnender Arme. Die Bereiche der Redenden verschränkten sich ineinander, wogten hin und her, verfärbten sich. Gelbe Wellen für sachliche Interaktion, je drängender der Sprechende, um so spitzer und grenzüberschreitender wurden die Formen, mal eng, mal weit. Ich saß am Rand wie eine Brandwache auf einem Turm und sah zu, fasziniert und bewusst. Als schließlich wir alle gemeinsam über einen Witz lachten, explodierten die Farbenbereiche in blaue und rote, kleine, leichte Bälle, die über den gesamten Tisch sprangen.

Nein, ich habe keine Halluzinationen, ich habe nichts genommen und hätte bislang auch nichts davon gewusst, Synästhetikerin zu sein. Das alles war nicht beängstigend, einfach nur faszinierend in seiner Dynamik. Vielleicht hat mein Brägen auch einfach nur die Art und Weise gewählt, auf die er am besten visualisieren konnte.

I had a secret meeting in the basement of my brain.

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Mittwoch, 10. Oktober 2012
Sproing!
Ich habe dem Gatten seine Gitarre abgekauft. Jetzt hat das gute Stück in meinem Zimmer Quartier bezogen. Meine Fingerkuppen haben bereits recht nachhaltig gelitten unter dem Eindruck der Stahlseiten, aber zu Nylon auf Westerngitarre mag ich mich wirklich nicht durchringen.

Die alten Saiten sind schon reichlich korrodiert, weil das Instrument eine ganze Weile stand, also dachte ich mir, ich ziehe da mal andere Saiten auf.

Da war dann Anfängerpech mit dabei, ich habe die tiefe E gleich zerschrammelt. Ich war wohl mit zu viel Enthusiasmus bei der Sache. Also nochmal.

Nebenbei lerne ich dann auch noch mal Spielen. Das klingt momentan ebenfalls noch eher nach reißender Saite. Mühsam ernährt sich das Murmeltier.

Meine Musik des Tages
(und spielen werde ich so noch lange nicht können):
Damien Rice - The Blower's Daughter

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Montag, 27. August 2012
Gartenzaun-Zickereien
Wochenende. Wir sitzen drinnen, froh, die Arbeitswoche hinter uns zu haben. Ich spüle die Gläser, die ich auf dem Flohmarkt erstanden habe, während der Gatte sich You-tube-Videos anschaut. Durchs Küchenfenster habe ich freien Blick auf die Haustür der Nachbarn, auf ihr und unser Blumenbeet und den Zaun dazwischen, der das ganze trennt.

Hinter dem Zaun steht eine füllige, blondgefärbte Frau mit extrem sauertöpfischer Miene und lässt ihren Blick über die Pflanzen schweifen. Frau W.s Mutter, wie ich weiß. Frau W. selbst kniet in ihrem Beet. Ich wende mich ab und stelle die Gläser in den Schrank. Als ich wieder hinsehe, wirft die griesgrämige Alte mit angewidertem Gesichtsausdruck das ausgerissene Unkraut über den Zaun in unser Beet, wo es auf der Iris liegenbleibt.

"Ich glaub's ja nicht!" sage ich zum Gatten, der erstmal gar nicht realisiert, dass ich nicht über die Videos spreche, die er sich ansieht. Ich schildere, was ich da eben gesehen habe.

Ich koche und bin stinkwütend. Adrenalin schäumt durch meine Blutbahn. Also mache ich mich umgehend auf den Weg nach draußen.

Frau W. hockt inzwischen weiter vorn im Beet, von der Frau Mama keine Spur. Ich rufe über den Zaun.

Unser Garten ist ein Dschungel. Das weiß ich, und ich will es nicht so haben. Wir haben mehrere Problemecken, die ich mangels Energie und Zeit nicht einwandfrei in den Griff bekomme. Über den Giersch, der sich überall Bahn bricht, schrieb ich ja bereits. Dort, wo ich ihn entfernt habe, machen sich jetzt andere Wildkräuter breit. Da mit dem Jäten hinterherzukommen überfordert mich manchmal. Darüber hinaus ist mir der Garten zwar wichtig, aber es ist mir weniger wichtig, dass jedes Hälmchen kerzengerade zu stehen hat.

Zu Frau W. sage ich: "Wenn euch das Unkraut stört, dann hätte man sich darüber unterhalten können. Aber irgendwelches Zeugs über den Zaun zu werfen, das hätte nicht sein müssen!" Ich bin gewaltig angepisst. Frau W. entgegnet, ja, das würde sie stören, zumal es jetzt blühe, und sie käme mit allem gar nicht mehr nach, sie sei gerade aus dem Urlaub zurück, und überhaupt, man sähe uns ja nie, wir seien ja nicht da - wie man da denn bitte sprechen solle? Ihr Gesichtsausdruck gleicht dem ihrer Mutter - pikiert, gestresst, genervt. Als ich noch einmal nachhake wegen des geworfenen Unkrauts outet sich die inzwischen wieder hinzugekommene Mutter, beinahe ein bisschen stolz: "Ja, das war ich!" Ich betone, dass ich das nicht witzig finde. Die Frau Mama sagt halblaut irgendwas, das ihrer Tochter ein grantiges "Oh, Mama!" entlockt. Ich betrachte die Diskussion als beendet, immer noch fassungslos über das Kindergarten-Verhalten dieser auch schon längst nicht mehr ganz jungen Frau. Sympathisch war sie mir nie, jetzt ist es allerdings so weit, dass auch meine letzten Höflichkeits- und Anstands-Gedanken sich seifenblasengleich in Nichts auflösen.

Wir sind ja nie da? Man sieht uns ja nicht? Ich sehe das junge Paar von nebenan beinahe täglich. Wenn ich von der Arbeit heimkomme und mein Rad in den Schuppen schiebe. Manchmal auch morgens. Man winkt, grüßt sich. Dem Gemahl geht's ähnlich, erst jüngst wechselte er über den Zaun noch ein paar nette Worte. Wiederholt haben wir auch gefragt, ob es störend ist, dass Chinaschilf und großes Immergrün ihre Ausläufer bisweilen auf die andere Seite des Zauns schieben, und uns wurde versichert, das sei kein Problem. Klar, Unkraut ist etwas anderes, aber das wäre so ein Zeitpunkt gewesen, zu dem man mit uns hätte sprechen können. Oder man macht abends mal die zehn Schritte bis zu unserer Haustüre und klingelt. Oder steckt uns einen Zettel in den Kasten mit der Bitte um eine Unterredung. Oder ruft man rüber, wenn man uns sieht. Denn man sieht uns! Blöde, faule Ausrede!

Der Gemahl und ich ärgerten uns nachhaltig. Das Thema wallte am ganzen Wochenende immer wieder auf, geprägt von der Enttäuschung, dass solche Kindereien an unserem eigentlich guten Nachbarschaftsverhältnis zu Herrn und Frau W. kratzen. Wir sind wütend über das unreife Verhalten der Frau Mutter und ich selbst bin auch besonders angefressen über die Rückgratlosigkeit Frau W.s, die meiner Vermutung nach aus Feigheit vor Konfrontation ihren Ärger im Stillen hegte und wachsen ließ und dann - unter dem Druck ihrer nervtötenden Mutter - schließlich geballt herausließ. Das Zeug wächst da nicht erst seit gestern.

In der Sache hätte sie mein volles Verständnis gehabt. Und im Gespräch hätte ich für Verständnis werben können (beispielsweise dafür, dass wir, da beide berufstätig, oft abends nicht noch in die Beete wollen, oder dafür, dass ich nicht mal kurzerhand meine Eltern ranpfeifen kann, wenn mir die Arbeit zu viel wird und dafür, dass bisweilen das Wetter einfach nicht stimmt). Man hätte Kompromisse finden und Prioritäten anders setzen können. Auch ich bin ja nicht überglücklich mit diesem Zustand.

Heute morgen fragte mich dann der Gatte, was ich wohl zu sagen gedächte, wenn Frau oder Herr W. auf mich zukämen, um darüber zu sprechen. Seiner Furcht vor einem schlechten Nachbarschaftsverhältnis war wohl geschuldet, dass er sehr heftig darauf reagierte, als ich sagte, möglicherweise würde ich ansprechen, dass uns bisweilen (elterliche) Hilfe für den Garten fehle. Da stand ich schlagartig da, als lege ich es darauf an, das Verhältnis zu den W.s zu verschlechtern. Stimmt, aus meinem Ärger über das unmögliche Verhalten der Sauertopf-Mutter würde ich keinen Hehl machen. Und rechtfertigen dafür, dass ich manchmal keine Energie zum Gärtnern habe und es deshalb bei uns so aussieht, würde ich mich auch nicht. Ich habe keine Lust, in die Defensive zu gehen und in diesen Belangen noch mein Inneres nach außen zu kehren. Der Gemahl hingegen hatte plötzlich Furcht darüber, was wohl die Leute denken würden. Und dass man uns ja oft genug drinnen sähe, wir also wohl kaum behaupten könnten, keine Zeit zu haben. Und überhaupt, andere Leute würden das ja trotz Berufstätigkeit auch hinbekommen.

Da saßen wir plötzlich mitten im schönsten Streit. Der Gatte weiß wohl, dass ich mich manchmal überfordert fühle, insbesondere dann, wenn die Aufgaben im Garten sich stauen und häufen. Ich habe ihm oft gesagt, dass ich seine Hilfe brauche. Ich mag aber nicht betteln, ich finde das erniedrigend. Ich weiß, er macht Gartenarbeit nicht gern. Ich bin nicht besonders scharf drauf, ihm zu diktieren, was er tun soll und dann den Garten mit ihm zu teilen, während er eine ausgesprochen grantige Miene aufsetzt und alles nur mit höchstem Widerwillen tut. Deswegen frage ich nicht, deswegen sieht es dann so aus. Darüber hinaus sind viele Sachen so offensichtlich, dass ich nicht verstehe, wieso man bitten muss. Unkraut in der Auffahrt. Der Müll, der sich auf dem Gehsteig vor der Hecke fängt. Löwenzahn auf der Terrasse.

Diskussionen, wer von uns mehr im Garten macht. Ich sehe mich dem Vorwurf ausgesetzt, ich täte ja nichts. Das sähe man auch am Zustand meines Kräuterbeets. Während der Gemahl regelmäßig den Rasen mähe, ohne Extra-Aufforderung. Ich mache also nichts! Ich schneide die Hecke, ich kärchere die Einfahrt, ich beschneide die Stauden im Herbst, kümmere mich um die Kübelpflanzen, reinige die Gartenmöbel, putze die Fenster zum Durchgang, ich streiche und malere, ich bin immer diejenige, die sich nach dem Unkraut bückt. Ich säe und jäte. Schneide die Rasenkanten. Ich war diejenige, die das Beet zum Nachbarn komplett umgewälzt hat, um dem Giersch Herr zu werden. Und das alles ohne Aufforderung! Ich mache ja nichts?

Mein Einwurf, wir könnten ja auch den gesamten Garten zubetonieren, wenn er das wolle, dann hätten wir keinerlei Arbeit mehr, der war zugegebenermaßen verdammt zynisch. Aber was soll ich noch tun? Weil ich mich manchmal nicht in der Lage sehe, Energie für all das aufzubringen, mein Maul halten, wenn die Nachbarn solche Zoten bringen? Weil ich diejenige bin, die sich mit Pflanzen und dem Garten am besten auskennt und weil ich das im Gegensatz zu ihm auch liebe, auf die Hilfe des Gemahls verzichten? Und dann noch Schuld daran sein, wenn "die Leute" "schlecht" über uns denken? Nein danke! Das Paket kann er gern selber tragen.

So hat es diese dämliche Vettel mit ihrem Unkrautbüschel so weit gebracht, dass wir uns streiten. Es widert mich an.

Nachtrag:

Die Gemüter haben sich wieder beruhigt, auch wenn uns das dieses Mal nicht leicht fiel. Wir haben viel gelernt über die wunden Punkte des anderen und über alte Verletzungen. Begeisterung für Gartenarbeit kann man wohl niemandem abringen, der dahingehend alte Lasten mit sich herumschleppt. Es nie gut genug gemacht zu haben als junger Mensch, beispielsweise. Ich kenne meinen Schwiegervater, mehr Erklärung brauche ich kaum, um meinen Mann besser zu verstehen.

Zudem sei zu seiner Ehrenrettung gesagt, dass er sich bereits gestern bereit erklärt hat, sich um unsere Gartenzaun-Baustelle zu kümmern und mir auch sonst behilflich zu sein.

Uns eint indes weiterhin die Enttäuschung und der Ärger über Nachbars. Allerdings wollten wir auf der Grundstückgrenze nach dort hin schon immer einen hohen Sichtschutz haben, da wir kaum draußen sitzen, weil unser Terrassenplatz von dort so exponiert und einsehbar liegt. Jetzt werden wir den Zaun ohne ein schlechtes Gewissen errichten und gleichgültig in Anbetracht dessen, dass das vielleicht bei den Nachbarn in den falschen Hals kommen könne. Es ist uns egal. Tja, und dann sieht man uns halt wirklich nicht mehr.

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Mittwoch, 30. Mai 2012
Das Whiteboard und ich.
Ich stehe vor diesem Whiteboard und komme mir vor wie damals als Fünftklässlerin - das Gehirn ist so leer wie die Tafel selbst, und auf etliche Fragen kann ich nur mit "äh" und "öhm" antworten.

Am Tisch sitzt mein Teamleiter und versucht mich durch winzige Anregungen und knifflige Fragestellungen so weit zu bringen, dass ich von selbst begreife, wie Datenbankmodellierung vor sich geht. Wir reden von Entitäten und Kardinalitäten und Normalisierungen. Mein Kopf dampft. Die Zähne auseinander zu bringen war noch nie meine Stärke, und er sagt: "Denk laut!" Und ich denke: "Ich brauche noch einen Kaffee!", was ich aber nicht laut sage.

Versuch macht klug. Ich male mit den Markern auf der Tafel herum, radiere Verbindungen mit Küchenpapier und Glasreiniger wieder aus und versuche, meine damit verbundenen Gedankengänge zum Ausdruck zu bringen. Habe nicht das Gefühl, dass das bitte bald enden soll, so wie es früher in der Schule war. Der Vormittag, der sich bisweilen zäh hinzieht wie fade gewordenes Kaugummi, verkürzt sich angesichts dieser Form von Gehirnjogging rapide. Ich fühle mich mit Wissen und Logik druckbetankt, aber nicht unwohl. Ein bisschen unsicher allenfalls. Schwanke manchmal, was den korrekten Gebrauch von Begrifflichkeiten betrifft. Teamleiter kann in diesen Dingen kleinlich sein, und so kommt es vor, dass wir von denselben Sachverhalten sprechen, aber nicht dieselben Termini gebrauchen. Und ich schon längst verstanden habe, was er meint, es aber nicht ausdrücken kann.

Ich schätze, das mit dem Whiteboard und mir wird eine Art Hassliebe.

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