Sturmflut
Donnerstag, 3. Mai 2012
Nachts im Mai
Wir hatten ein paar Tage frei, und zum Ende dieser entspannten Zeit wollte sich der Gatte abends am 1. Mai aufmachen, um in der Dämmerung die Wegstrecke für seinen neuen Nachtcache abzustecken. Das Gebiet, das er vorgesehen hat, liegt wunderbar idyllisch - ein kleines Dorf, eine Wassermühle und ein großer Mühlenteich, viel Buchen- und Eichenwald, die Flussniederung und dazwischen Felder.

Der Geruch draußen ist gerade ein ganz besonderer. Ich merke immer erst, wie ich das vermisst habe, wenn der Frühling seine ersten zaghaften Versuche hinter sich hat und mit voller Wucht Einzug hält. Weil ich also gewissermaßen im Mairausch war (und noch bin - ich kann mich nicht satt sehen an dem Grün!), beschloss ich mitzufahren und mir die kleine Tour nicht entgehen zu lassen.

Es war noch hell und die Luft war warm. Die Vögel sangen, was das Zeug hielt und Mückenschwärme hingen wolkig in der Luft. Der Gatte lief mit seinem GPS-Empfänger durchs Unterholz, peilte, setzte Wegpunkte und brachte hier und da einige Reflektoren an.

Wir wollten erkunden, ob am Ende der Allee und des kleinen Wäldchens noch eine Brücke über den Fluss führte und spazierten Hand in Hand, und ich konnte mir einfach dutzendfaches "Hach, ist das schön!" nicht verkneifen. Die Brücke existierte allerdings nicht mehr, und so hielt sich der Gemahl doch an den ursprünglich geplanten Streckenverlauf.

Es wurde zunehmend dunkler. Zwischen den Feldern auf einer kleinen Anhöhe überholte uns noch einmal ein übriggebliebenes Mai-Ausflügler-Pärchen auf Fahrrädern, und danach wurde es still.

Der Dreiviertelmond spiegelte sich im Fluss, zerschnitten von den schwarzen Silhouetten eines Entenpaars. Maikäfer und Fledermäuse schwirrten. Vom Waldsaum kamen nach und nach unidentifizierbare Schrei-, Balz- und Quietschgeräusche tierischen Ursprungs. Auf dem freien Feld deutete der Gemahl mit der Hand in den Himmel und zeigte mir das Frühlingsdreieck, Regulus, Arktur und Spika. Dann machte er sich davon, um noch einmal eine Peilung vorzunehmen, während ich mit in den Nacken gelegtem Kopf an der Abzweigung auf ihn wartete.

Ich schloss die Augen und lauschte, und ich fragte mich, ob ich wohl würde schlafen können, wenn ich jetzt da auf dem freien Feld ein Zelt stehen hätte, mit all den fremden Geräuschen und den Fledermäusen in der Luft. Ja, doch, vermutlich schon.

Da wischte auf einmal mit ungeheurem Flügelschlag eine Eule über mich hinweg. Ich sah ihr hinterher und erkannte ihren großen, flachen Kopf und die enorme Spannweite ihrer Flügel und blieb einfach staunend stehen.

Was man alles sieht und hört, wenn man selbst ganz leise ist...

Permalink



... früher