Sturmflut
Samstag, 21. Juli 2012
Weserbergland (2): Morgens im Kloster
Der ungewohnten Anstrengung unseres ersten Tages folgte in logischer Konsequenz die Entscheidung, es langsamer angehen zu lassen. Wir spielten deshalb mit dem Gedanken, einen Teil des Weges mit dem Linienbus zurückzulegen. Wir waren uns einig: Alles ist besser, als sich den Spaß an der Wanderung zu verderben durch pure Überforderung.

Unser letzter Beschluss am ersten Tag war daher, den zweiten mit einer geruhsamen Besichtigung des Klosters Bursfelde zu beginnen und dann Ausschau zu halten, ob uns möglicherweise ein Bus nach Oedelsheim bringen könnte, wo wir mit der Fähre wieder auf das andere Weserufer übersetzen wollten. Auf diese Weise würden wir acht oder neun Kilometer sparen und hätten "nur" noch eine Strecke von rund 15 Kilometern über den Höhenrücken im Reinhardswald vor uns.

Nach Bursfelde hatte uns eigentlich die schiere Notwendigkeit getrieben. In der Routenführung war seitens des Weserbergland-Tourismus vorgeschlagen, in Sababurg zu übernachten. Das dortige "Dornröschenschloss" (die Leute hier in der Gegend sind offenbar stolz auf allerhand offensichtliche und weniger offensichtliche Verbindungen der Lokalitäten mit diversen Märchenfiguren) ist die einzige Unterkunft, so man keinen "kleinen" Umweg von mehreren Kilometern machen möchte, was zu Fuß schon eine Herausforderung darstellt und den Routenplanern offensichtlich völlig entgangen ist. Das Schloss fiel für uns als Unterkunft aus, da es erstens absolut außerhalb unseres finanziellen Rahmens lag und zweitens auch ausgesprochen schlechte Kritiken als Hotelbetrieb erhalten hat. Bursfelde war also so etwas wie eine Notlösung.

Es zeigte sich vor Ort, dass eine Notlösung auch eine wunderschöne Überraschung sein kann. Allein der Anblick, der sich uns bot, als wir uns am Abend des ersten Tages dem winzigen Örtchen an der Weserschleife näherten, war die Mühen und den vermeintlichen Umweg wert. Im leicht dunstigen Abendlicht lag das Kloster mit seinen beiden von goldenen Spitzen gekrönten Kirchtürmen schöner da als jedes Märchenschloss.



Morgens im Hotel beim Frühstück schlugen wir uns ausgiebig den Bauch voll, deponierten die gepackten Rucksäcke im Kaminzimmer des Restaurants und liefen hinüber zu der beeindruckenden romanischen Klosterkirche. Ein kiesbestreuter Weg führte uns zwischen Weißdornbüschen und Staketenzäunen bis zu der mächtigen Seitentür, vor der ein Hund geduldig auf die Rückkehr seiner Menschen wartete. Die Stille wurde nur unterbrochen durch das Geräusch eines motorbetriebenen Mähers, der den Wildwuchs auf dem kleinen, klostereigenen Friedhof beseitigte.



Nun bin ich kein gläubiger Mensch, aber ich lasse mich immer wieder gern beeindrucken von den architektonischen Leistungen und der Atmosphäre, die religiöse Stätten mit sich bringen. Bursfelde ist in dieser Hinsicht definitiv sehenswert.



Besonders gut haben mir die Säulen mit ihren schlichten, schnörkellosen Kapitellen und die Rundbogenarkaden innerhalb der Kirche gefallen.



Die Malereien im Westteil der Kirche wirken beinahe schon orientalisch.





Das Fehlen jeglichen Mobiliars dort unterstreicht den klaren, ruhigen Eindruck des Gebäudes.



Mit den Schnörkeln, von Blattgold überladenen Schnitzereien und ausgefeilten Deckenmalereien des Barock und Rokoko kann ich trotz aller Kunstfertigkeit nicht sehr viel anfangen. Die romanische Kirche in Bursfelde wirkte dagegen angenehm geradlinig und trotzdem nicht weniger beeindruckend. Natürlich ergibt sich der Unterschied schon allein aus den bautechnischen Fähigkeiten und ästhetischen Ansprüchen der jeweiligen Epoche. Aber mich erstaunte auch, wie sehr mich dieses Gebäude mit seiner Ausstrahlung berührte. Ganz zweifelsohne ist das ein sehr besonderer Ort, und der Bau passt wunderbar in die stille, grüne Flusslandschaft.

Im Mittelflur des Kirchenbaus lagen auf einem Tisch Stempel und Stempelkissen aus, gedacht für Einträge im Pilgerpass. Wir erstanden Postkarten als Erinnerung und stempelten sie. Dann verließen wir die Kirche und gingen hinunter zum Weserufer.



Die Luft war erfüllt vom schnarrenden Zirpen der tief über dem Wasser fliegenden Schwalben. Wir standen eine Weile auf dem Steg, schauten auf den träge in Wirbeln vorbeiströmenden Fluss und brachen schließlich beseelt von dieser Stimmung ausgeprochen entspannt zu unserer neuen Etappe auf.

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