Sturmflut
Donnerstag, 8. August 2013
Freiheit von und zu
Die allgemeine Lethargie angesichts immer neuer Details über staatliche Überwachungsmaßnahmen ist etwas, das mich wirklich richtig aufregen kann. Zugleich fällt mir aber auch auf, dass ich dazu noch kein Wort verloren habe, allenfalls in privaten Gesprächen mit Freunden oder mit dem Gatten. Man könnte also annehmen, auch mich ließen das Ausmaß der Überwachung und die dazu verwandten Methoden kalt, und ich säße in meinem Sessel mit dem Gedanken, solange es mir als anständiger, unbescholtener Bürgerin nicht an den Kragen ginge, sei alles in Ordnung.

Im letzten September fuhr ich mit dem Gemahl nach Brüssel, um dort an der "Freedom not Fear"-Demonstration teilzunehmen. Es war ein Anliegen, dass uns am Herzen lag. Erschreckenderweise war allerdings der Demonstrationszug winzig, und es war ein höchst seltsames Gefühl, beim Protestzug in den Brüsseler Straßen von Asiaten aus einem Reisebus fotografiert zu werden, so als sei man ein lokales Kuriosum. Das Interesse an Themen wie Überwachung und Vorratsdatenspeicherung war noch vor einem Jahr denkbar gering, während es heute schon eine erkleckliche Anzahl an Menschen auf die Straßen treibt, und das nicht nur in Großstädten. Etwas von der Gleichgültigkeit scheint sich also inzwischen gelegt zu haben, und das ist gut so. Dennoch habe ich den (natürlich völlig subjektiven) Eindruck, dass es die Mehrheit abseits der Netzgemeinde eher wenig juckt, immer durchsichtiger (gemacht) zu werden.

Freiheit und Sicherheit werden einander in der Debatte immer als zwei gegensätzliche Pole gegenübergestellt, die es in Balance zu bringen gilt. Ein bisschen Überwachung scheint ergo zugunsten der Sicherheit durchaus in Ordnung zu gehen. Da ist der Wunsch nach Kontrolle über das Unkontrollierbare groß und die Sehnsucht nach dem Versprechen, sich nicht fürchten zu müssen, einfach zu verlockend. Es ist beinahe wie ein Rückfall ins Kindesalter, als man sich noch mit den Worten der Eltern beruhigen lassen konnte, alles werde gut und einem würde nichts geschehen. Das Problem ist, dass man es als erwachsener Mensch besser wissen müsste, denn es gibt keine finale Sicherheit. Aber es ist nun einmal bequemer, sich von anderen Menschen sagen zu lassen, was gut für einen ist.

Das Problem ist meines Erachtens nicht unbedingt das der Abwägung von Sicherheit gegen Freiheit, sondern die Verwechslung der Freiheit von mit der Freiheit zu. Die Freiheit von empfinden wir im Allgemeinen als entlastend. Freiheit von Bedrohung, Freiheit von Eigenverantwortung, Freiheit von eigenen Mühen, Freiheit von Krieg und Angst - wer uns dies verspricht und dazu noch betont, die Verhältnismäßigkeiten würden gewahrt, der kann sich beinahe sicher sein, Zustimmung zu erhalten. Freiheit davon, sich Sorgen machen zu müssen, wer wünscht sich die nicht? Mit der Freiheit zu sieht es allerdings ganz anders aus. Mit dem im Raume stehenden Generalverdacht, dem Zerfall der Unschuldsvermutung, mit der Rasterfahndung und der Verdächtigung aller zerfällt die Freiheit zu. Das bedeutet im Klartext, dass der Einzelne nicht mehr die Freiheit besitzt, zu denken, zu sagen, zu glauben was er möchte. Er darf am Flughafen nicht das Wort "Bombe" in den Mund nehmen, wenn er nicht mit unangenehmen Konsequenzen konfrontiert sein möchte. Er hat nicht mehr die Freiheit, ironische Scherze gegenüber Freunden zu machen, weil diese von Mithörern missverstanden werden könnten. Er hat nicht mehr die Freiheit, zu reisen, wohin er möchte und gleichzeitig offen zu sagen, was er denkt.

Die Freiheit zu wird leichtfertig gegen die Freiheit von eingetauscht. Der Mensch begibt sich mehr oder weniger willig in die totale Unmündigkeit hinein, motiviert von einer künstlich generierten Furcht, die gerade auf dem Feindbild des Menschen basiert, der sich die Freiheit zu nimmt. Natürlich ist es unangenehm, damit rechnen zu müssen, dass sich jemand die Freiheit nehmen könnte, jemanden in Grund und Boden zu bomben. Furcht allerdings ist ein schlechter Ratgeber und zieht lediglich mehr Furcht nach sich und den Wunsch, Freiheit von dieser Furcht zu erfahren. In einem solchen Zustand ist man zu allerhand Konzessionen bereit, und darin liegt die eigentliche Gefahr - nicht in der Person, die das Bombenattentat plant. Der Wunsch nach Freiheit von Furcht macht uns zu Schafen, die den Hirten alles mit sich machen lassen, damit bloß der böse Wolf nicht zuschlägt. Dennoch ist man auf diese Weise noch immer ein Schaf.

Da glaubt man schon mal gern, was einem erzählt wird. Die aktuellen Äußerungen der Bundesregierung haben beinahe ulbrichtschen Charakter. Niemand hat die Absicht, ordentliche deutsche Bürger auszuspionieren! Es ist zu unserem Besten. Schlaf nur weiter, mein Kind! Es war nichts, du hast nur schlecht geträumt.

Sind wir hinreichend eingeschüchtert, um die Freiheit zu einfach so aufzugeben? Es macht den Eindruck. Fürderhin wird, was man wirklich denkt, möglicherweise nur noch hinter vorgehaltener Hand unter freiem Himmel gesagt. Wer nichts zu verbergen hat..., so geht die Mär von dem Staat, der sich selbstverständlich nur begründeterweise einmischt und genau weiß, was gut für den Bürger ist. Das bedeutet, dass wir unsere Gedanken nicht mehr leben, unseren Impulsen nicht mehr folgen können. Wir verflachen und passen uns an. Was als gefährlich bewertet wird, bestimmen schließlich andere, und damit setzen sie auch die Maßstäbe dafür, was an Meinungsäußerung noch als akzeptabel gelten kann (Klatsch und Tratsch über Stars und Sternchen, Kochrezepte, Körperformen, Urlaubsziele, Produktbewertungen) und was nicht (religiöse, politische und weltanschauliche Diskussionen, Appelle an andere, Engagement für andere, Widerstand gegen und Kritik an Richtlinien und Gesetzen, Auflehnung, Querdenkereien und individuelle Ideen).

Es hat mit dem reinen Datenschutz nichts mehr zu tun, es geht nicht mehr allein um aktivierte oder deaktivierte Tickboxes bei Facebook oder Anmeldungen im Internet mit Klarnamen. Der banale Satz "Man braucht sich ja nicht bei Facebook/Twitter/Google+ anzumelden" geht vollkommen an der Realität vorbei. Wir leben in einer Welt, in der die Mehrheit der Menschen telefoniert, mailt, ihre Daten angibt und in der die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass eine Überwachung rundweg möglich ist. Diese Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Wer sich aus sozialen Netzwerken heraushält, der wird dafür dann halt von der nächsten Straßenkamera erfasst und kann froh sein, wenn er nur beim Nasebohren ertappt wird. Vielleicht wird aber auch das noch auf die Liste der verdächtigen Verhaltensweisen gesetzt, wer weiß.

Die einzige Möglichkeit, dagegen vorzugehen, besteht meines Erachtens im ganz persönlichen Ungehorsam. Wir müssen den Mund aufmachen, so lange wird das noch können. Zugegebenermaßen fühle ich mich aber bisweilen auch ganz schön hilflos, was seine Ursache in eben jenem Phlegmatismus hat, der sich beobachten lässt. Der Gedanke kommt mir, ob sich Widerstand gegen diese Dinge überhaupt lohnen kann, wenn sich die Mehrheit willig fügt, so lange sie hinreichend mit Bildzeitung und Bratwürstchen versorgt wird. Andererseits - lohnt es sich nicht eigentlich immer, für die persönliche Freiheit einzustehen? Für meine und die der anderen?

Manchmal beschleicht mich die Angst, dass man uns am Ende sagen wird: "Ihr habt es nicht anders gewollt!" Und die Zellentür hinter uns zuschlägt mit den zynischen Worten: "Aber da drin, da bist du sicher! Garantiert!" Angst aber ist etwas, das ich definitiv nicht haben will. Nicht vor meiner eigenen Regierung. Eher nehme ich mir die Freiheit, sie abzuschaffen.

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