Sturmflut
Mittwoch, 18. Dezember 2013
A lonely travel
Nachdem der Sommer in diesem Jahr damit verging, dass ich über die Möglichkeiten und Bedingungen gemeinsamen Wanderns mit S. nachdachte, wir uns darüber stritten und wieder versöhnten und es schließlich zu keiner Wanderung kam, habe ich beschlossen, das im nächsten Jahr anders zu machen.

Obwohl mir S. erzählte, sie habe einen tollen Bericht über den Hermannsweg gesehen und sei begeistert, und man könnte doch zusammen darüber nachdenken, steht für mich fest, dass ich alleine gehen werde. Ich hatte nicht den Hintern in der Hose, sie vor den Kopf zu stoßen und habe mich in der akuten Situation um eine deutliche Aussage herumgewunden. Aber im Grunde ist mir schon längst klar, wie ich es machen will.

Der Reiz des Reisens zu Fuß und allein ist für mich ungeheuer anziehend. Eine Kostprobe bekam ich ja schon bei meinem äußerst kurzen Trip in die Niederlande, der mit der Entzauberung von Zelt und Schlafsack und Boerencamping endete, nichtsdestotrotz aber Hunger auf mehr machte. Im Blog Kleinerdrei schilderte Lucie die unsichtbaren Barrieren im Kopf und im Herzen, die einen vom Alleinreisen abhalten können - vor allem diejenige, die den Titel trägt: "Aber als Frau alleine reisen, ist das nicht gefährlich?" Mit dieser Idee bin auch ich aufgewachsen. Sie stand im Raum. Bloß nicht alleine trampen. Nur nicht nach Einbruch der Dunkelheit allein draußen sein. Sich nur nicht von jemandem anquatschen lassen. Aber gefragt habe ich nie, ob diese Idee Hand und Fuß hat und ob es denn tatsächlich stimmt, dass Frauen gefährdeter sind als Männer, wenn sie allein unterwegs sind.

Inzwischen bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mir sage: Falls es so ist, ist es das Risiko wert. Aber ich glaube auch nicht, dass es tatsächlich so ist. In den Kommentaren zu erwähntem Artikel finden sich auch die Erlebnisse von Männern wieder, die ungefragt auf dem Beifahrersitz angegrapscht wurden oder andere unschöne Erfahrungen machten. Ich mag mich nicht dem Bild unterordnen, das die Frau als unvermeidliches Vergewaltigungsopfer zeichnet, das in die Falle tappt, sobald es einen Schritt vor die Tür macht. Im Gegenteil, ich finde, es ist ein erhebendes, aufregendes und ermutigendes Gefühl, den Raum um sich herum aus eigener Kraft heraus und ganz allein zu erobern. Und also werde ich es tun.

Der Gatte und ich fuhren gemeinsam im Auto am Sonntagabend von einem Besuch bei Freunden heim und philosophierten über genau dieses Thema. Wir sprachen davon, dass wir beide das Bedürfnis und den Wunsch kennen und verspüren, allein unterwegs zu sein. Die Freiheit zu genießen, einmal auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen, sich nach niemandem richten zu müssen. "Es gibt nur noch das Ich, kein Wir mehr!", sagte der Gatte, und ich habe das sehr wohl verstanden, anstatt es als einen plötzlichen Ausbruch hemmungslosen Egoismusses zu missdeuten. Das Zurückgeworfensein auf sich selbst und die eigenen Kräfte definiert einen so sehr, dass es sich lohnt, diese Erfahrung zu machen und zu wiederholen. Es bringt mich auch in ein anderes Verhältnis zu meinem Körper. Es zählt dann nicht mehr so sehr, wie er aussieht oder ob ich mit ihm "zufrieden" bin, sondern wie er sich anfühlt und ob er mich zu den Dingen befähigt, die ich gern machen möchte. Tragen mich meine Füße? Ist das Gefühl, nicht mehr zu können, überwindbar? Wie viel Kraft besitze ich? Wie fühlen sich die Bewegungen an, die ich mache? Was gibt mir Energie?

So sehr ich meinen Ausflug mit S. ins Weserbergland genossen habe und so sehr er mir auch bereits einen Einblick in diese Fragen vermittelt hat, so stehen doch beim gemeinsamen Wandern andere Dinge im Vordergrund. Im konkreten Fall mit S. war es vor allem das krampfhafte Erraten ihrer Bedürfnisse und Grenzen, das die Erfahrung meiner eigenen überdeckte. Gemeinsam unterwegs zu sein ist als Egotrip nicht möglich, die Unternehmung lebt davon, dass man sich einander anpasst. Das mag bereichernd sein, und insbesondere dann, wenn man einen oder mehrere Wanderpartner hat, mit denen man so sehr im Gleichklang ist, dass man Grundsätzliches nicht diskutieren, nicht herausfinden und entschlüsseln muss.

Wenn ich allein gehe, dann stehe ich aber eben nicht vor dem Problem, mich nicht bis zum Ziel pushen zu können, weil ich mich fragen muss, ob es der andere denn auch noch schafft. Allein mit mir kann ich Verhaltensweisen durchziehen, die in einer Gruppe als nicht sozialverträglich gelten würden. Die Dinge werden schlichter. Anhalten, wenn man müde wird oder etwas weh tut. Essen, wenn der Magen knurrt und was man selbst am liebsten mag. Schauen, wenn es was zu schauen gibt. So viele Fotos machen, wie sich spannende Ein- und Ausblicke ergeben, ohne dass jemand auf einen warten muss. Alles erhält einen einzigen Rhythmus, und zwar den, der zu mir passt. Das schließt auch den Umgang mit Widrigkeiten mit ein. Es bleibt mir überlassen, wie ich mit ihnen umgehe. Ich trage nur die Verantwortung für mich selbst.

Ich blicke dem kommenden Sommer mit großer Neugier und Vorfreude entgegen. Es sollen dieses Mal nicht nur anderthalb Tage werden, sondern ich möchte wieder "Strecke machen". Ich freue mich auch bereits jetzt darauf, wieder nach hause zu kommen, in die Arme des Gatten, zu erzählen und mir erzählen zu lassen und gemeinsam mit ihm über die neuen Erfahrungen (seine und meine) zu staunen.

Ich muss mir nur noch überlegen, wie ich das S. schonend beibringe. Wir nahmen an, möglicherweise eine Tradition zu begründen, als wir im vorvergangenen Sommer ins Weserbergland aufbrachen. Rückblickend weiß ich inzwischen, dass ich das nicht möchte. Ich denke, vielleicht passen solche kleinen Reisen wie diejenige nach Quedlinburg besser zu dem, was wir beide gemeinsam sind. Eine Langstreckenpartnerin ist sie nicht.

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