Sturmflut
Freitag, 20. Februar 2015
Verpestete Luft
Falls ich im Büro sitze und mal nicht so ganz genau weiß, welcher Wochentag ist, reicht es, wenn ich meiner Kollegin M. zuhöre. An ihrer Stimmung lässt sich meistens ziemlich zuverlässig ablesen, ob es ein Montag ist und zehn Uhr vormittags oder ein Freitag, halb zwei. Ihre Stimmung steigt im Tages- und Wochenverlauf jeweils exponentiell. Das bedeutet nun aber nicht, dass sie am frühen Freitagnachmittag ein Ausbund an spritzigem Humor und ausgelassener Fröhlichkeit sein muss. Zurückgerechnet: Am frühen Montagmorgen ist sie meist nicht nur schlecht gelaunt, sondern eine ausgesprochene Gewitterziege.

Bei allem Verständnis, das ich für Menschen unter Druck und Stress aufbringe - irgendwann ist dann auch mal gut. Ich selbst bekomme den Segen selten ab. Aber die Mischung aus giftiger Besserwisserei, herablassender Zurechtweisung und selbstmitleidigem Gejammer, die M. an den Tag legt, ist einfach nur asozial.

Heute morgen musste M. heftig niesen. Gleich zweimal. Unfassbar.

"Hach," hauchte sie mit belegter Stimme, "ich habe mich bei euch angesteckt!" Und Bruchteile von Sekunden später, überhaupt nicht mehr belegt: "Wer krank ist, bleibt zuhause!"

Sowohl Kollegin E., bei der ich mich vermutlich angesteckt habe, als auch ich hatten nämlich auch nach längerer Krankschreibung nicht vermeiden können, ab und an doch noch mal zu husten, zu schniefen und uns die Nasen zu putzen.

Arbeitsstunden gingen ins Land, während derer M.s miese Laune im Büro hing wie eine giftige Wolke. Irgendwann beklagte sich Kollege H. halb im Scherz darüber, dass er immer alles allein machen müsse.

"Ach, weißt du," schoss es aus M. heraus, als habe sie nur auf's Stichwort gewartet, "iiich muss hier auch immer alles allein machen, wenn alle krank sind!"

Unter der Schicht meiner äußeren Ruhe kochte mein Blut. Scheiß-Selbstgefälligkeit.

Vielleicht hat sich ja ein kleiner Virus durch die Luft schwebend zu ihr hin verirrt und beschert ihr ein Wochenende mit Schüttelfrost und Husterei. Das würde mich für das Herumgegifte etwas entschädigen. Keine Nächstenliebe heute von meiner Seite.

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