Weserbergland (1): Loslaufen.
Am 10. Jul 2012 im Topic 'Seemannsgarn'
Letztlich beginnt jede Reise immer mit dem ersten Schritt. Diese Binsenweisheit ist zutreffend, und wenn man es dann tatsächlich macht - einsteigen, abreisen, loslaufen - dann fühlt es sich beinahe surreal an. "Ich geh' jetzt!" - das erinnert doch irgendwie an den inzwischen ziemlich abgegriffenen Kerkeling-Titel "Ich bin dann mal weg!" Trotzdem, es passt.
Ich stieg an diesem dunstigen, wolkenverhangenen Montagmorgen in den Intercity, den Rucksack über eine Schulter gehängt, während der Gemahl auf dem Bahnsteig stand und wir die letzten Minuten vor der Abfahrt verstreichen ließen. Mich erinnerte das sehr an all die sonntagabendlichen Abschiede, die wir schon hinter uns hatten: derselbe Bahnsteig, ich im Zug, er draußen. Der entscheidende Unterschied daran war, dass ich freiwillig ging und dass mich eine Woche mit S. erwartete statt einer Woche in der stillen, kalten Zweizimmerwohnung, die ich während meines Studiums bewohnt hatte. Ich suchte mir einen Platz, und der Gemahl schrieb von außen mit dem Finger spiegelverkehrt auf die staubige Fensterscheibe: Viel Spaß! So sehr wie auf die Reise freute ich mich auch schon auf das Heimkommen.
Dass auf die Deutsche Bahn wenig Verlass ist, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Trotz allem geschah aber das Wunder: Ich habe sämtliche Anschlusszüge trotz der Verspätungen erreicht und bin tatsächlich mit der geplanten Verbindung dort angekommen, wo ich hinwollte. Der freundliche Schaffner im Intercity-Express von Hannover nach Göttingen prognostizierte mir zwar noch das Gegenteil und suchte sehr zuvorkommend und unaufgefordert eine alternative Verbindung für den Fall der Fälle heraus, aber es klappte doch. Gemeinsam mit ein paar Radtouristen spuckte mich der Zug in Hann. Münden aus. Das Hügelland, das zuvor an den Fenstern vorbeigeglitten war, sah vielversprechend aus. Ebenso der Himmel, der nicht so bewölkt war, wie ich befürchtet hatte.
Ebenso surreal wie das Abreisen kam es mir dann vor, als S. mir eine Stunde später am Bahnsteig entgegenkam, mit minimalistischem Gepäck (sie hatte sich doch für den kleinen Rucksack entschieden), in der beinahe knielangen Regenjacke ihres Lebensgefährten verschwindend, irgendwie schmaler als sonst und ein bisschen abgekämpft, aber fröhlich wie immer.
Der "richtige" Startpunkt unserer Reise war der Weserstein am Zusammenfluss von Werra und Fulda, mit dem Spruch, von dem die meisten Menschen wahrscheinlich nur die erste Hälfte kennen (oder die zweite des befremdlich-patriotischen Anstrichs wegen lieber verdrängen).
Ein Grüppchen Senioren fragte uns nach unserem Ziel ("Ja, da hinter der Tillyschanze bergauf und dann heute noch bis Bursfelde...!"), bedachte uns mit liebevollen Tipps und wünschte uns alles Gute. Kaum dass wir in Bereitschaft waren, nach den obligatorischen Selbstauslöserfotos, dem Zurechtrücken der Tragegurte und der Feinjustierung der Schnürsenkel den Marsch anzutreten, begann es zu regnen. Waagerecht, nicht senkrecht. Wir stellten uns also in den Windschatten der dicken Kastanie am Weserstein und warteten ab, bis sich das Wettergeschehen auf moderate Tropfen von oben reduzierte. Und dann gingen wir wirklich los.
Was soll ich sagen? Es war ganz zweifelsohne der Beginn eines echten Abenteuers, auch wenn es sich zu Anfang noch sehr zivilisiert anfühlte. Die auf der Karte eingezeichneten Wanderwege waren auf diesem Abschnitt noch großenteils asphaltierte Forstpisten - verdammt blöd zu gehen.
Das Routing mit dem GPS-Empfänger erwies sich als irreführend und daher überflüssig, was uns eine Schleife durch völlig versumpften Buchenwald bescherte, die wir gar nicht hätten gehen müssen.
Zurück auf der Strecke sammelte uns dann ein beflissener Autofahrer ein, der eigentlich bloß einen Blick in unsere Karte hatte werfen wollen. - Ja, okay, ich gebe es zu. Wir haben gemogelt. Wir haben das Angebot angenommen, sind mitgefahren und haben uns von ihm kurz vor der nächsten Ortschaft wieder rauswerfen lassen. S. genehmigte sich dann im örtlichen "Netto" ein Nahrungs- und Getränke-Update, ich kaufte eine Banane und wir verköstigten das Menü unter dem Dachvorsprung eines "Kik"-Marktes zwischen Drahtkörben voller billiger Plastikbälle, Gummiboote, Flip-Flops und anderem Gedöns, während um uns herum der Regen auf die Parkplätze rauschte und von den Dachrinnen tropfte. Idylle pur!
Der Entschluss, den Rest der Etappe zu vereinfachen, indem wir auf der anderen Seite der Weser den Radweg am Fluss und nicht den Wanderweg über den Höhenrücken nehmen würden, besserte die Moral.
Wir setzten in Veckernhagen mit der kleinen Gierseilfähre nach Hemeln über und marschierten von dort tapfer weiter.
Die Lehre, die aus dieser ersten Etappe zu ziehen war, lautet: Unterschätze niemals Anstiege! Das Auf und Ab des Geländes kann gut und gern genau so schlauchen wie zurückgelegte Kilometer, besonders mit zehn Kilo Gepäck auf dem Rücken. Der Blick über die in Abendsonne getauchten Kornfelder im Wesertal und schließlich auf die Klosterkirche Bursfelde entschädigte uns allerdings.
In dem winzigen, stillen Ort begrüßte uns das Sirren der Schwalben, die unter den Dachvorsprüngen nisteten, eine angenehme Unterkunft, ein prima Abendessen und kühles Bier. Dass ich schlecht schlief, war wohl der Tatsache zuzurechnen, dass ich nicht so recht wusste, wie ich meine schmerzenden Beine lagern sollte - das dauernde Tragen hoher Hacken im Alltag rächt sich eben spätestens dann, wenn man mal ganz zünftig eine Weile auf flachen Sohlen marschiert. Außerdem war mein ganzer Organismus irgendwie auf Hochtouren.
Der nächste Tag sollte ruhiger beginnen und uns schließlich doch extrem fordern. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt wird.
Ich stieg an diesem dunstigen, wolkenverhangenen Montagmorgen in den Intercity, den Rucksack über eine Schulter gehängt, während der Gemahl auf dem Bahnsteig stand und wir die letzten Minuten vor der Abfahrt verstreichen ließen. Mich erinnerte das sehr an all die sonntagabendlichen Abschiede, die wir schon hinter uns hatten: derselbe Bahnsteig, ich im Zug, er draußen. Der entscheidende Unterschied daran war, dass ich freiwillig ging und dass mich eine Woche mit S. erwartete statt einer Woche in der stillen, kalten Zweizimmerwohnung, die ich während meines Studiums bewohnt hatte. Ich suchte mir einen Platz, und der Gemahl schrieb von außen mit dem Finger spiegelverkehrt auf die staubige Fensterscheibe: Viel Spaß! So sehr wie auf die Reise freute ich mich auch schon auf das Heimkommen.
Dass auf die Deutsche Bahn wenig Verlass ist, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Trotz allem geschah aber das Wunder: Ich habe sämtliche Anschlusszüge trotz der Verspätungen erreicht und bin tatsächlich mit der geplanten Verbindung dort angekommen, wo ich hinwollte. Der freundliche Schaffner im Intercity-Express von Hannover nach Göttingen prognostizierte mir zwar noch das Gegenteil und suchte sehr zuvorkommend und unaufgefordert eine alternative Verbindung für den Fall der Fälle heraus, aber es klappte doch. Gemeinsam mit ein paar Radtouristen spuckte mich der Zug in Hann. Münden aus. Das Hügelland, das zuvor an den Fenstern vorbeigeglitten war, sah vielversprechend aus. Ebenso der Himmel, der nicht so bewölkt war, wie ich befürchtet hatte.
Ebenso surreal wie das Abreisen kam es mir dann vor, als S. mir eine Stunde später am Bahnsteig entgegenkam, mit minimalistischem Gepäck (sie hatte sich doch für den kleinen Rucksack entschieden), in der beinahe knielangen Regenjacke ihres Lebensgefährten verschwindend, irgendwie schmaler als sonst und ein bisschen abgekämpft, aber fröhlich wie immer.
Der "richtige" Startpunkt unserer Reise war der Weserstein am Zusammenfluss von Werra und Fulda, mit dem Spruch, von dem die meisten Menschen wahrscheinlich nur die erste Hälfte kennen (oder die zweite des befremdlich-patriotischen Anstrichs wegen lieber verdrängen).
Ein Grüppchen Senioren fragte uns nach unserem Ziel ("Ja, da hinter der Tillyschanze bergauf und dann heute noch bis Bursfelde...!"), bedachte uns mit liebevollen Tipps und wünschte uns alles Gute. Kaum dass wir in Bereitschaft waren, nach den obligatorischen Selbstauslöserfotos, dem Zurechtrücken der Tragegurte und der Feinjustierung der Schnürsenkel den Marsch anzutreten, begann es zu regnen. Waagerecht, nicht senkrecht. Wir stellten uns also in den Windschatten der dicken Kastanie am Weserstein und warteten ab, bis sich das Wettergeschehen auf moderate Tropfen von oben reduzierte. Und dann gingen wir wirklich los.
Was soll ich sagen? Es war ganz zweifelsohne der Beginn eines echten Abenteuers, auch wenn es sich zu Anfang noch sehr zivilisiert anfühlte. Die auf der Karte eingezeichneten Wanderwege waren auf diesem Abschnitt noch großenteils asphaltierte Forstpisten - verdammt blöd zu gehen.
Das Routing mit dem GPS-Empfänger erwies sich als irreführend und daher überflüssig, was uns eine Schleife durch völlig versumpften Buchenwald bescherte, die wir gar nicht hätten gehen müssen.
Zurück auf der Strecke sammelte uns dann ein beflissener Autofahrer ein, der eigentlich bloß einen Blick in unsere Karte hatte werfen wollen. - Ja, okay, ich gebe es zu. Wir haben gemogelt. Wir haben das Angebot angenommen, sind mitgefahren und haben uns von ihm kurz vor der nächsten Ortschaft wieder rauswerfen lassen. S. genehmigte sich dann im örtlichen "Netto" ein Nahrungs- und Getränke-Update, ich kaufte eine Banane und wir verköstigten das Menü unter dem Dachvorsprung eines "Kik"-Marktes zwischen Drahtkörben voller billiger Plastikbälle, Gummiboote, Flip-Flops und anderem Gedöns, während um uns herum der Regen auf die Parkplätze rauschte und von den Dachrinnen tropfte. Idylle pur!
Der Entschluss, den Rest der Etappe zu vereinfachen, indem wir auf der anderen Seite der Weser den Radweg am Fluss und nicht den Wanderweg über den Höhenrücken nehmen würden, besserte die Moral.
Wir setzten in Veckernhagen mit der kleinen Gierseilfähre nach Hemeln über und marschierten von dort tapfer weiter.
Die Lehre, die aus dieser ersten Etappe zu ziehen war, lautet: Unterschätze niemals Anstiege! Das Auf und Ab des Geländes kann gut und gern genau so schlauchen wie zurückgelegte Kilometer, besonders mit zehn Kilo Gepäck auf dem Rücken. Der Blick über die in Abendsonne getauchten Kornfelder im Wesertal und schließlich auf die Klosterkirche Bursfelde entschädigte uns allerdings.
In dem winzigen, stillen Ort begrüßte uns das Sirren der Schwalben, die unter den Dachvorsprüngen nisteten, eine angenehme Unterkunft, ein prima Abendessen und kühles Bier. Dass ich schlecht schlief, war wohl der Tatsache zuzurechnen, dass ich nicht so recht wusste, wie ich meine schmerzenden Beine lagern sollte - das dauernde Tragen hoher Hacken im Alltag rächt sich eben spätestens dann, wenn man mal ganz zünftig eine Weile auf flachen Sohlen marschiert. Außerdem war mein ganzer Organismus irgendwie auf Hochtouren.
Der nächste Tag sollte ruhiger beginnen und uns schließlich doch extrem fordern. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt wird.