Sturmflut
Mahlzeit!
Einen so blöden, öden und inhaltslosen Wahlkampf, wie er zur Zeit gerade stattfindet, habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Falls man das denn Wahlkampf nennen kann. Die Angehörigen der beiden großen Parteien hacken halbherzig aufeinander ein, und die Grünen versuchen ihr Profil dadurch zu schärfen, dass sie ihre potentiellen Wähler daran erinnern, was sie als Partei von den anderen abhebt: Das ökologisch gute Gewissen, das Interesse an umweltbezogener Nachhaltigkeit.

Wie es um selbiges tatsächlich bei den Grünen bestellt ist, ist eine andere Frage, aber dass der Vorschlag, einen "Veggie-Day" in den Kantinen unseres zauberhaften Landes einzuführen, auf wenig Gegenliebe stößt, war eigentlich abzusehen und somit ein Schlag ins Wasser. Das hätte man durchdachter anfangen können, schließlich ist dem Deutschen kaum etwas so wichtig wie Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und seine tägliche Portion Schwein auf dem Teller.

So wundert es auch nicht, dass unsere bayrisch-kernige Karrikatur einer Verbraucherschutzministerin, Frau Aigner, dröge und unbelegt behauptete, das Fleisch gehöre zum Essen nun einmal dazu. Geht man davon aus, dass sie die Lebenswirklichkeit deutscher Konsumenten lediglich beschreibt, so trifft das natürlich zu. Und da man Frau Aigner eher als linientreue Ansprechpartnerin für Lobbyisten der Lebensmittelindustrie kennt, wundert einen auch nicht, dass sie sich in dieser Angelegenheit eher gemütlich gibt. Was der Bauer nicht kennt, dass frisst er auch nicht. Basta.

Was die Grünen und ihre Idee betrifft, bewahrheitet sich einmal mehr, dass gut gemeint noch längst nicht gut getan ist. Zumal es eine in der Bevölkerung recht verbreitete Angst gibt, irgendetwas verordnet zu bekommen. Da ist die reflexhafte Abwehr schon vorprogrammiert. Der Vegetariertag wird offenbar weitgehend als am Horizont aufziehende Drohung verstanden, unter Strafe zukünftig an einem bestimmten Wochentag kein Fleisch mehr essen zu dürfen. Das Geschrei ist groß. Die vermeintliche Einschränkung der Freiheit ist des Deutschen Schreckgespenst! Es soll sogar Menschen geben, die diesen Vorstoß der Grünen als Versuch sehen, eine ursprünglich christliche Idee auf Teufel komm raus zu verweltlichen und sich selbst auf die Fahnen zu schreiben. Denn war man nicht eigentlich als guter Christ schon immer ein braver Mensch, der an Freitagen auf Fleischkonsum verzichtet hat? Da kann ja nur das Bestreben der Grünen dahinter stecken, religiös motivierte Gewohnheiten radikal und per Zwangsmaßnahme zu säkularisieren.

Was auch immer man von solchen paranoid anmutenden Gedankengängen halten mag, den optimalen Weg haben die Grünen mit diesem Vorschlag sicher nicht beschritten. Denn wenn sich an unseren tier- und umweltschädlichen Ernährungsgewohnheiten etwas ändern soll, dann braucht es mehr als die zarte Idee, man könnte ja vielleicht mal Leute dazu animieren, auszuprobieren, ob es auch einen Tag ohne Fleisch gehen könnte. Ich lebe in einem Landstrich, in dem kasernierte Hühner und Schweine zum Landschaftsbild gehören. Im Frühjahr stinkt es hier so erbärmlich, dass man draußen seine Wäsche nicht aufhängen kann, weil die Mäster nicht wissen, wohin sie ihre Schweinescheiße noch karren sollen. Die Gewässerqualität ist mehr als fragwürdig. Angesichts dieser Tatsachen wirkt die Idee mit dem Vegetariertag wie Kindergartenkram, und sie würde auch dadurch nicht beeindruckender, wenn man einen solchen Tag verbindlich vorschreiben wollte.

Worum es eigentlich gehen müsste, steht auf einem ganz anderen Blatt. Verfechter der Massentierhaltung habe ich einmal argumentieren hören, intensive Tierhaltung sei schon allein deshalb dringend notwendig und moralisch richtig, weil es in der Welt so viel Hunger gebe und man sich für kommende Zeit fest vorgenommen habe, diesen zu beseitigen. Das klingt für eher schlichte Gemüter vollkommen schlüssig und vor allem so schön sozial, aber es ist hanebüchener und darüber hinaus dreister Unsinn. Als könne man den Welthunger dadurch beseitigen, dass man die ganze Welt mit billigen Putenschnitzeln aus Deutschland überschwemmte.

Da ist das Problem: Fleisch ist bei uns viel, viel zu billig. So lange es die Dutzendpackung knorpeliger Bratwurst für einen Apfel und ein Ei beim Discounter gibt und die sogenannte Schinkenwurst im eingeschweißten Päckchen nur 80 Cent kostet, wird der Mensch auch nicht weniger Fleisch konsumieren. Zumal es, angereichert mit allerhand Geschmacksstoffen, ja auch so wunderbar schmeckt und so herrlich süchtig macht. Die Werbung kredenzt dann noch die "kindgerechte" Bärchenwurst, BiFis sind ja so praktisch zum in die Tasche stecken, und es gibt sogar panierte Etwasse aus Fleisch, die man sich im Toaster rösten kann. Das ist Junk-Food erster Klasse.

Bereits seit hier im Frühjahr auch nur gebietsweise die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brachen, wird überall gegrillt, was das Zeug hält. Es verging bisher kaum ein Tag, an dem nicht der rauchige Geruch von Würstchen und Bauch zwischen den Häusern waberte. Und nicht, dass man das gute Wetter unbedingt bräuchte, auch zu Silvester kann man sich mit einer Kiste Bier und dem Grill auf dem Stadtbalkon vergnügen - Angrillen schimpft sich das dann. Am Tag zuvor hat man offiziell abgegrillt. Die Nation frisst. Zu jeder Gelegenheit. Es kostet ja auch nichts. Vor einigen Jahrzehnten war der Sonntagsbraten noch ein solcher, nämlich das besondere Stück Fleisch, dass es auch nur zu besonderen, seltenen Anlässen gab. Inzwischen erinnert das Futterverhalten der Menschen irgendwie an den Film "Soylent Green".

Es soll also alles noch intensiver werden? Nein danke. Für mich ist Fleisch ein Luxus. Es mag snobistisch sein, dass wir unser Fleisch nur beim Metzger unseres Vertrauens einkaufen, der uns die vorherige artgerechte Haltung der Tiere garantiert. Man kann argumentieren, das könne sich nun einmal nicht jeder leisten. Stimmt auch.

Die Konsequenz daraus kann dann aber nicht sein, Fleisch noch billiger zu machen. Das resultiert zwangsläufig in Geflügel-Ernte-Maschinen, in kupierten Schweineschwänzen und abgeschnittenen Schnäbeln, entzündeten Augen und Massen von Tieren, die in ihrem kurzen Leben genau nur zweimal das Tageslicht sehen, nämlich auf den jeweils drei Metern in den Maststall und zum Schlachthof-Transporter. Teures Fleisch kann man sich eben seltener leisten, mit dem Resultat, dass man an anderen Tagen etwas anderes isst. Voilà, da ist der Vegetariertag. Und ganz ohne Verordnung.

Hierzulande wird allerdings subventioniert, was das Zeug hält, Genehmigungen für neue Massenställe werden verschleudert wie Bonbons zu Karneval, und man kann das alles gar als Notwendigkeit betrachten, denn schließlich hat man ja Frau Aigners qualifizierte Aussage, Fleisch gehöre nun mal dazu. Letztlich dient die ganze Angelegenheit aber allein dazu, über die schiere Masse den Gewinn zu maximieren. Wozu auch sonst würden noch extra Frauen- und Männerbratwürste erfunden?

Den Grünen kann ich trotz ihres stümperhaften Versuchs zugute halten, dass sie vermutlich wissen, man erreicht die breite Öffentlichkeit nicht mit differenzierten Gedanken zu Subventionen in der Landwirtschaft, Qualitätsmaßstäben für Tierhaltung und Fleischprodukte und zur Preispolitik. Sie haben es immerhin versucht und das Thema ins Gespräch gebracht.

Obwohl einige Freunde von mir vegan oder vegetarisch leben, werde ich nicht ganz auf das Fleisch verzichten. Es schmeckt auch mir manchmal gut. An Tagen, an denen es kein Fleisch gibt, muss ich mir aber auch nicht krampfhaft überlegen, was ich denn nun fleischähnliches essen könnte. Es ist eine Frage von Gewohnheiten und eine Entdeckungsreise in die wunderbare Welt der Lebensmittel, seinen Speiseplan so zu erweitern, dass es einfach eine Menge an netten Dingen gibt, die man essen kann. Ich werde nicht zittrig und nervös, wenn ich am Dienstag, Mittwoch und Samstag kein Jägerschnitzel kriege, und ich sähe meine Freiheitsrechte auch nicht beschnitten, wenn es zukünftig in Kantinen und Mensen einen Tag lang kein Fleisch geben würde. Was mir indes sauer aufstößt ist die Vehemenz, mit der die derzeitige Regierung unseren haarsträubenden Umgang mit Lebensmitteln weiter beibehalten und gar noch fördern will - dieses hemmungslose Fressen, das letztlich niemandem nützt außer der Lebensmittelindustrie.

Schon allein deshalb hoffe ich inständig auf einen Regierungswechsel im September, quasi als Geburtstagsgeschenk, wohl wissend, dass sich diese Hoffnung vermutlich nicht erfüllen wird. Aber ich wäre sogar bereit, einen zwangsweisen "Veggie-Tag" in den Kantinen der Republik wohlwollend hinzunehmen, wenn es dazu käme.