Sturmflut
Je suis...
... très triste.

In erster Linie bin ich trieftraurig über das, was in den letzten Tagen in Frankreich geschehen ist und noch geschieht.

Darüber hinaus fühle ich heftige Abscheu. Der Gedanke ist schwer erträglich, dass Menschen einfach hingehen, ihre Waffen auf andere richten und Leben auslöschen. Die Fassungslosigkeit und das blanke Entsetzen haben mich bis jetzt nicht wieder losgelassen. Die ungeschnittenen Videos der Ereignisse im Netz habe ich mir nicht einmal angesehen. Das Ausmaß an Schmerz und Hass überfordert mein Vermögen.

Das sind meine Gefühle zu dem fürchterlichen Attentat und den noch laufenden Geiselnahmen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich deswegen jetzt auch "Charlie" bin. Ich fühle mich betroffen, ja. So geht es mir bei vielen Nachrichten dieser Tage.

Weitere Schlussfolgerungen sind eher eine Standpunktfrage, auch wenn die Gefühle einen hohen Stellenwert einnehmen.

Was ich bislang aus dem Magazin "Charlie Hebdo" gesehen habe, hat mich weder vollkommen begeistert noch irgendwie abgestoßen. Ich finde es gut, dass auch die katholische Kirche mit ihren Klagen gegen das Blatt bislang nicht durchkam und dass es also in Frankreich erlaubt ist, sich über Religion lustig zu machen. Das sollte es auch. Es sollte generell erlaubt sein, sich lustig zu machen.

Der Anschlag auf die Mitarbeiter von "Charlie Hebdo" ist eine fatale Überreaktion auf eine spitze Feder. Jemanden zu töten, weil er sich über etwas oder jemanden lustig gemacht hat, zeugt von Überempfindlichkeit und Schwäche, nicht von Stärke. Später gingen die Menschen in Paris auf die Straße und hielten Stifte als Symbol in ihren Händen und ihre Ausweise. "Schau her, ich bin hier, und du kannst sehen, wer ich bin. Ich habe keine Angst." Eine absolut bewundernswerte Haltung, wie ich finde.

Wie immer nach Geschehnissen von großer Tragweite und Tragik häufen sich dann irgendwann die Statements.

"Es ist mir beinahe peinlich, wie schnell eine markante Wortmarke zur Hand ist, die nun wie ein Wimpel zur Fußball-WM vertausendfacht im Wind steht." schreibt akrabke in ihrem Blog.

Ja, da ist was dran. Und ehrlich: Seit unser werter Herr Bundespräsident Gauck heute sagte, wir seien "Charlie", möchte man als denkender Mensch ja kaum noch guten Gewissens "Charlie" sein, ganz ungeachtet der Umstände. Hineingezerrt in die plüschig-sittsame, leicht gestrige Welt unseres Staatsoberhauptes verliert der Ausspruch "Je suis Charlie" schlagartig an Bedeutungsschwere und sortiert sich artig zwischen "Freiheit" und "Freiheit" in den bundespräsidialen Wortschatz.

Es wird ja jetzt auch sehr viel über Presse- und Meinungsfreiheit gesprochen. Zu Recht, wie ich finde. Sich von gekränkten Gottgläubigen nicht das Wort verbieten lassen zu müssen, ist ein wichtiger Bestandteil unserer Freiheit. Es gibt Menschen, die diese Freiheit nicht respektieren wollen. Aber die Mitarbeiter von "Charlie Hebdo" haben durch ihre Haltung bewiesen, dass Terroristen nicht wirklich in der Lage sind, Freiheit zu nehmen. Leben dagegen sehr wohl.

Dass jemand - gleich welcher Religion oder Gesinnung - kommen und mich mit einem Kopfschuss oder einer Bombe töten wird, gehört nicht zu meinen vorrangigen Befürchtungen.

Meine Freiheit wird durch andere beschnitten werden. Es wird meine eigene Regierung sein, die mein Reden und Handeln zunehmend kontrollieren wird. Sie wird es tun unter dem Vorwand, mich vor den Brandstiftern schützen zu wollen und nur zu meinem Besten zu handeln. Sie wird meine Angst vor Fanatikern und Terroristen schüren, um noch mehr Überwachung rechtfertigen zu können.

Dagegen werde ich aufbegehren. Die Augen offenhalten, das Maul aufmachen, denken und protestieren - ein Recht auf Freiheit, das ich mir nicht nehmen lassen werde.

Deswegen:

Je suis Charlie!