Sturmflut
Friesland: Gesehenes


Nicht ohne Grund hatte ich mir für meine kleine Wanderreise Friesland ausgesucht. Einerseits, weil das Ziel erreichbar war, ohne dafür ein halbes Vermögen ausgeben zu müssen (zumal die niederländische Bahn um einiges günstiger ist als die deutsche - davon kann sich die DB mal eine Scheibe abschneiden). Andererseits wegen des Wunsches, am Wasser zu sein. Hinzugehen, wo ich vorher noch nie war. Und weil mich die Orte dort irgendwie anrühren.



Nun hat mir der Regen gewissermaßen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das macht das Gesehene aber nicht weniger schön und intensiv.



Die endlosen, gleichförmigen Wiesen mit Kühen und Schafen muss man schon mögen. Aber es gab auch die kleinen Dörfer, das Meer und den Deich, Häuser mit Giebeln und Häfen mit Booten.





Das rote Fischgrätpflaster erinnerte mich an West-Terschelling (was immer ein guter Anfang ist), aber doch hatten die Dörfer aller friesischen Gemeinsamkeit zum Trotz einen ganz eigenen Charakter.



In Workum hatte ich reichlich Gelegenheit, ohne das Gewicht des Rucksacks auf den Schultern durch die Straßen zu schlendern und Eindrücke aufzusaugen. Ich mag dieses Langsamgehen, weil man Dinge und Blickwinkel entdeckt, die man sonst nicht sieht.



Und tatsächlich kam dann an meinem Abreisetag auch noch die Sonne heraus und ich musste meine Jacke ausziehen. Das entschädigte etwas für die Sturzbäche der vorangegangenen Tage.



Etwas Besonderes ist an diesen Orten, das sich nur schwer beschreiben lässt. Die Zeit hat zum Beispiel ein anderes Gewicht. An Plätzen, an denen Brücken für vorbeikommende Boote und Schiffe hochgezogen werden und wo alle anderen dann warten müssen, tickt sie anders.



In der Hochsaison natürlich besonders. Ich erinnere mich an die deutsche Touristenfamilie, die in Harlingen an einer solchen Brücke hinter der Schranke stand und irgendwann ungeduldig wurde. "Komm, Helga, wir gucken mal, ob man da drüben schneller weiterkommt!"



Wenn man aber wartet und zu gegebener Zeit seinen Weg wieder aufnimmt, kann es sein, dass man sich das freundliche Nicken eines Brückenwärters einfängt oder von einem Schiff aus ein Winken geschenkt bekommt.



Was mir von der Landschaft, den kleinen Dörfchen und von Workum außer dem Regen noch im Gedächtnis bleiben wird: Kirchtürme, die sich trotzig in den Wind stellen. Bunt geflieste Hauseingänge. Große Fensterläden.



Flatternde Flaggen an Häusern und auf Schiffen. Das Geräusch von Autoreifen auf gepflasterten Straßen. Wind, der das Wasser kräuselt und durch das Schilf an den Gräben rauscht.



Neugierige Blicke von Schafen und Kühen. Blaue Keramikfliesen auf den Straßen. Katzen hinter Fensterscheiben.



Seniorengruppen auf E-Fahrrädern. An Kleiderbügeln trocknende Neopren-Anzüge. Schafsköttel auf dem Deich. Der Duft von frittiertem Fisch.



Leinen, die klingend gegen metallene Masten schlagen. Spatzen, die mit schiefgelegtem Kopf auf Stuhllehnen sitzend auf Croissantkrümel lauern.



Das Gemisch an Eindrücken, das eine Reise in einem erzeugt, lässt sich nur schwer in Worten wiedergeben. Nicht nur was man sieht ist prägend, es kommt der Geruch der Luft hinzu, die Farbe des Lichts, das Gefühl, das Orte auf der Haut hinterlassen.



Wenn ich ein andermal wiederkomme, wird es anders sein. Und trotzdem...