Montag, 23. Januar 2012
you in a nutshell
Am 23. Jan 2012 im Topic 'Tiefseetauchen'
G. sagte mir im Schein der zwischen uns flackernden Kerze nach Currywurst und Kaffee, Du habest Dich verändert. Du sprächest jetzt auch darüber.
Mal drei Tage wandern würdest Du gern, ganz für Dich allein, um zu Dir zu finden. Herauszufinden, ob Du eigentlich so viel von all dem nötig habest. Materielles. Anerkennung.
Wer außen steht und Dich nicht kennt, mag denken: Oh, ein toller Mann. So nachdenklich, so selbstkritisch, so tiefgründig. Aber als sie mir das sagte, gähnte ich innerlich. So warst Du schon immer, und mich langweilt diese Attitüde, weil ich sie zur Genüge kenne. Das hängt mir zum Hals raus. Du hängst mir zum Hals raus. Du kannst in die Wälder gehen und Bäume umarmen, so lange Du willst, aber Du wirst dort nicht finden, was Du nicht in Dir trägst. Und in Dir trägst Du lediglich ein großes Vakuum. Du wirst Dir nicht begegnen, wenn Du dauernd einen Bogen um Dich herum machst. Darin bist Du Künstler. Zu Dir finden - das habe ich schon so oft gehört von Dir. Du selbst bist das Loch, das andere füllen sollen. Du kannst nicht allein sein mit Dir. Du brauchst tiefschürfende Gespräche mit Menschen, die Dir die Illusion von Dialog, Bestätigung, Erfüllung geben. Du brauchst jemanden, der Deine innere Leere füllt. Du bist ein Vampir. Und allein mit Dir wäre alles, was Dir vielleicht gelingen würde, die Selbstzerstörung. Drei Tage würden nicht reichen, drei Jahre nicht, drei Menschenleben nicht.
Dass sich irgendwas an Dir ändert, glaube ich erst, wenn ich es sehe. Aber ich rechne nicht damit.
Mal drei Tage wandern würdest Du gern, ganz für Dich allein, um zu Dir zu finden. Herauszufinden, ob Du eigentlich so viel von all dem nötig habest. Materielles. Anerkennung.
Wer außen steht und Dich nicht kennt, mag denken: Oh, ein toller Mann. So nachdenklich, so selbstkritisch, so tiefgründig. Aber als sie mir das sagte, gähnte ich innerlich. So warst Du schon immer, und mich langweilt diese Attitüde, weil ich sie zur Genüge kenne. Das hängt mir zum Hals raus. Du hängst mir zum Hals raus. Du kannst in die Wälder gehen und Bäume umarmen, so lange Du willst, aber Du wirst dort nicht finden, was Du nicht in Dir trägst. Und in Dir trägst Du lediglich ein großes Vakuum. Du wirst Dir nicht begegnen, wenn Du dauernd einen Bogen um Dich herum machst. Darin bist Du Künstler. Zu Dir finden - das habe ich schon so oft gehört von Dir. Du selbst bist das Loch, das andere füllen sollen. Du kannst nicht allein sein mit Dir. Du brauchst tiefschürfende Gespräche mit Menschen, die Dir die Illusion von Dialog, Bestätigung, Erfüllung geben. Du brauchst jemanden, der Deine innere Leere füllt. Du bist ein Vampir. Und allein mit Dir wäre alles, was Dir vielleicht gelingen würde, die Selbstzerstörung. Drei Tage würden nicht reichen, drei Jahre nicht, drei Menschenleben nicht.
Dass sich irgendwas an Dir ändert, glaube ich erst, wenn ich es sehe. Aber ich rechne nicht damit.
Dienstag, 10. Januar 2012
Versteckspiel
Am 10. Jan 2012 im Topic 'Tiefseetauchen'
In meinem Zimmer im Haus meiner Eltern stand auf meinem Schreibtisch die alte Schreibmaschine meiner Mutter. Ich tippte frenetisch darauf herum, weil das Tippen an sich mir Freude bereitete - zu sehen, wie sich das Blatt nach und nach mit schwarzen, fransigen Buchstaben füllte, der Bauch des kleinen a schwarzgrau ausgefüllt. Ab und an musste ich am Farbband herumfummeln oder die verklemmten Hebel zurück in ihre Position schieben. Ich liebte die Schreibmaschine. Aber nicht nur wegen ihr mechanischen Faszination.
Ich schrieb irgendwann dann Geschichten. Und machte den Fehler, sie offen auf dem Schreibtisch liegen zu lassen. Mein Vater nahm ungefragt die kleine Geschichte, die ich über das Leben und den Tod geschrieben hatte, las sie und trug sie zum Pfarrer, der ihm schließlich bestätigte, wie tiefgründig und toll ich schreiben konnte. Mein Vater erzählte mir davon. Ich ließ fortan nie mehr etwas offen liegen.
Als wir im Computerzeitalter angelangt waren und ich in der Dachkammer meines Elternhauses vor dem Bildschirm saß, wurde ich eine Meisterin darin, beim kleinsten Geräusch offene Fenster in den Hintergrund zu klicken. "Du nimmst Dich zu wichtig!" sagte mein Vater, als er einmal so ein Fenster verschwinden sah, nachdem er ohne zu klopfen eingetreten war.
Mit 18, vielleicht 19 Jahren saß ich jeden Tag auf dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern und schaute eine Fernsehserie an. Ich mochte die weibliche Hauptrolle - ich identifizierte mich mit ihr, weil sie verletzbar und verletzt und spirituell und stark gleichermaßen war. Ein bisschen wie ich selbst, aber vor allem so, wie ich sein wollte. Bis zu dem Tag, als mein Vater zu mir sagte: "Ach, guckst Du Dir wieder diesen Mist an?" Ich wusste, dass es vollkommen zwecklos war, ihm irgendwas zu erklären. Ich sorgte zukünftig dafür, dass der Fernseher ausgeschaltet war, wenn er kam, egal, ob die aktuelle Folge schon gelaufen war.
Gierig gelesen habe ich, so lange ich denken kann. Was sich zwischen zwei Buchdeckeln verbarg, offenbarte ganz andere Welten. Noch heute stapeln sich neben meinem Bett die Bücher, und auch schon damals taten sie es. Ich war talentiert darin, auf jedes kleine Geräusch aus der unteren Etage zu lauschen und bei Bedarf schlagartig das Licht auszumachen, wenn ich abends noch heimlich las. Ich nahm die Bücher überall hin mit. Irgendwann fing ich an, bestimmte Bücher im Bettkasten unter der Matratze zu verstecken, die Frage fürchtend: "Was liest Du denn da?" Denn manches war ihnen zu trivial, anderes zu dramatisch, wieder anderes ging zu sehr in Richtung Teenager-Schnulze. Das, was ich mochte, war in ihren Augen noch längst nicht gut.
Zu Kinder- und Jugendzeiten war mein Tagebuch der Vertraute, der mir im wirklichen Leben fehlte. In der Schule lief es mies, da träumte ich mich zwischen die Zeilen meines Collegeblocks und stahl mich davon, vertiefte mich in kleine Kritzeleien und ließ mich auslachen, wenn ich im Unterricht eine Antwort nicht wusste. Zuhause unter dem Licht meiner Schreibtischlampe füllte ich Seite um Seite, Kladde um Kladde im geräuschlosen Dialog mit einer papiernen Freundin. Ich erschuf meine eigene Welt. Ich war anderswo, auf einsamen Inseln und in dichtem Dschungel - Hauptsache nicht in dem tristen, täglich schmerzhaften Alltag, in dem es von Belang war, wer welche Kleider trug und wessen Eltern viel Geld verdienten. Später schrieb ich von den Begegnungen im Jugendcafé, von den Menschen, die mich mochten und die ich mochte, mit denen ich Zeit verbrachte, in die ich mich verliebte. Was ich über meine Erlebnisse zu sagen hatte, sagte ich mit Tinte und Papier. Eines Samstagabends, ich war 17, blieb ich zu lange weg. Meine Eltern brachen die Schublade in meinem Zimmer auf und nahmen die Tagebücher heraus. Sie sagten, sie hätten herausfinden wollen, wo ich sei. Und lasen auch alles andere.
Vor ein paar Jahren habe ich in einem Forum, geschützt von der Anonymität und verborgen hinter meinem Nickname, etwas über Kindheitserlebnisse geschrieben. Da kontaktierte mich der Forenbetreiber. Meine Schilderung sei so lebendig, so greifbar - ob ich nicht mehr schreiben wolle? Vielleicht für seine Seite? Dass ich jetzt hier blogge, habe ich in großem Maße seiner Ermutigung zu verdanken. Als ich mit dem Bloggen begann, sagte ich meinem Mann nichts davon. Zu Beginn war das Bloggen ohnehin nur ein Versuch. Dann verselbständigte es sich. Inzwischen ist es mir Tagebuch und Kommunikationsplattform in einem, es ist mir wichtig. Aber ich hatte meinem Mann nichts gesagt. Zwischendurch fragte ich mich immer wieder, warum eigentlich nicht. Ich denke, ich weiß es inzwischen. Für alle anderen bin ich anonym, ich bin die Sturmfrau, Frau Sturmflut, eine Bloggerin unter vielen. So frei und offen ich in diesem Blog auch von meinen Erlebnissen und Erkenntnissen schreibe, so persönlich das alles ist, es ist doch unverbindlich, weil anonym.
Für den Gatten allerdings bin ich seine Frau. Aber was geschieht, wenn er es nicht gut findet, dass ich schreibe und worüber? Was, wenn er mich verurteilt, beurteilt, ablehnt? Es kann so furchtbar schmerzhaft sein, mein Inneres bloßzulegen - umso schmerzhafter, je näher mir die Person steht, der ich mich offenbare. Ich besitze diesen eigenartigen Reflex, mich zu verstecken. Ich habe dieses Verhalten so sehr verinnerlicht, dass ich gar nicht mal mehr bemerke, dass ich es tue. Und plötzlich, weil ich mich so lang versteckt habe, ist es eine große Sache. Dabei gibt es nichts, was ich verstecken müsste. Das wird mir jetzt klar. Dieser Mensch wird mich nicht verraten und betrügen, dieser Mensch wird mir nichts nehmen, was ich ihm nicht freiwillig gebe. Dieser Mensch wird sich nicht lustig machen über mein Inneres. Dieser Mensch bricht keine Schubladen auf. Dieser Mensch zeigt nicht erst "Interesse", um mir dann in den Rücken zu fallen. Dieser Mensch verurteilt mich nicht dafür, dass ich das tue, wozu ich Lust habe. Er verteilt keine Schulnoten für meine Texte und steckt meine Gefühle nicht in Schubladen. Dieser Mensch liebt mich.
Es ist so verdammt schwer zu begreifen. Aber ich bin dankbar dafür, jeden Tag lernen zu dürfen, ohne dass es jedes Mal gleich fürchterlich weh tun muss. Das Versteckspiel ist meiner unwürdig.
Ich schrieb irgendwann dann Geschichten. Und machte den Fehler, sie offen auf dem Schreibtisch liegen zu lassen. Mein Vater nahm ungefragt die kleine Geschichte, die ich über das Leben und den Tod geschrieben hatte, las sie und trug sie zum Pfarrer, der ihm schließlich bestätigte, wie tiefgründig und toll ich schreiben konnte. Mein Vater erzählte mir davon. Ich ließ fortan nie mehr etwas offen liegen.
Als wir im Computerzeitalter angelangt waren und ich in der Dachkammer meines Elternhauses vor dem Bildschirm saß, wurde ich eine Meisterin darin, beim kleinsten Geräusch offene Fenster in den Hintergrund zu klicken. "Du nimmst Dich zu wichtig!" sagte mein Vater, als er einmal so ein Fenster verschwinden sah, nachdem er ohne zu klopfen eingetreten war.
Mit 18, vielleicht 19 Jahren saß ich jeden Tag auf dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern und schaute eine Fernsehserie an. Ich mochte die weibliche Hauptrolle - ich identifizierte mich mit ihr, weil sie verletzbar und verletzt und spirituell und stark gleichermaßen war. Ein bisschen wie ich selbst, aber vor allem so, wie ich sein wollte. Bis zu dem Tag, als mein Vater zu mir sagte: "Ach, guckst Du Dir wieder diesen Mist an?" Ich wusste, dass es vollkommen zwecklos war, ihm irgendwas zu erklären. Ich sorgte zukünftig dafür, dass der Fernseher ausgeschaltet war, wenn er kam, egal, ob die aktuelle Folge schon gelaufen war.
Gierig gelesen habe ich, so lange ich denken kann. Was sich zwischen zwei Buchdeckeln verbarg, offenbarte ganz andere Welten. Noch heute stapeln sich neben meinem Bett die Bücher, und auch schon damals taten sie es. Ich war talentiert darin, auf jedes kleine Geräusch aus der unteren Etage zu lauschen und bei Bedarf schlagartig das Licht auszumachen, wenn ich abends noch heimlich las. Ich nahm die Bücher überall hin mit. Irgendwann fing ich an, bestimmte Bücher im Bettkasten unter der Matratze zu verstecken, die Frage fürchtend: "Was liest Du denn da?" Denn manches war ihnen zu trivial, anderes zu dramatisch, wieder anderes ging zu sehr in Richtung Teenager-Schnulze. Das, was ich mochte, war in ihren Augen noch längst nicht gut.
Zu Kinder- und Jugendzeiten war mein Tagebuch der Vertraute, der mir im wirklichen Leben fehlte. In der Schule lief es mies, da träumte ich mich zwischen die Zeilen meines Collegeblocks und stahl mich davon, vertiefte mich in kleine Kritzeleien und ließ mich auslachen, wenn ich im Unterricht eine Antwort nicht wusste. Zuhause unter dem Licht meiner Schreibtischlampe füllte ich Seite um Seite, Kladde um Kladde im geräuschlosen Dialog mit einer papiernen Freundin. Ich erschuf meine eigene Welt. Ich war anderswo, auf einsamen Inseln und in dichtem Dschungel - Hauptsache nicht in dem tristen, täglich schmerzhaften Alltag, in dem es von Belang war, wer welche Kleider trug und wessen Eltern viel Geld verdienten. Später schrieb ich von den Begegnungen im Jugendcafé, von den Menschen, die mich mochten und die ich mochte, mit denen ich Zeit verbrachte, in die ich mich verliebte. Was ich über meine Erlebnisse zu sagen hatte, sagte ich mit Tinte und Papier. Eines Samstagabends, ich war 17, blieb ich zu lange weg. Meine Eltern brachen die Schublade in meinem Zimmer auf und nahmen die Tagebücher heraus. Sie sagten, sie hätten herausfinden wollen, wo ich sei. Und lasen auch alles andere.
Vor ein paar Jahren habe ich in einem Forum, geschützt von der Anonymität und verborgen hinter meinem Nickname, etwas über Kindheitserlebnisse geschrieben. Da kontaktierte mich der Forenbetreiber. Meine Schilderung sei so lebendig, so greifbar - ob ich nicht mehr schreiben wolle? Vielleicht für seine Seite? Dass ich jetzt hier blogge, habe ich in großem Maße seiner Ermutigung zu verdanken. Als ich mit dem Bloggen begann, sagte ich meinem Mann nichts davon. Zu Beginn war das Bloggen ohnehin nur ein Versuch. Dann verselbständigte es sich. Inzwischen ist es mir Tagebuch und Kommunikationsplattform in einem, es ist mir wichtig. Aber ich hatte meinem Mann nichts gesagt. Zwischendurch fragte ich mich immer wieder, warum eigentlich nicht. Ich denke, ich weiß es inzwischen. Für alle anderen bin ich anonym, ich bin die Sturmfrau, Frau Sturmflut, eine Bloggerin unter vielen. So frei und offen ich in diesem Blog auch von meinen Erlebnissen und Erkenntnissen schreibe, so persönlich das alles ist, es ist doch unverbindlich, weil anonym.
Für den Gatten allerdings bin ich seine Frau. Aber was geschieht, wenn er es nicht gut findet, dass ich schreibe und worüber? Was, wenn er mich verurteilt, beurteilt, ablehnt? Es kann so furchtbar schmerzhaft sein, mein Inneres bloßzulegen - umso schmerzhafter, je näher mir die Person steht, der ich mich offenbare. Ich besitze diesen eigenartigen Reflex, mich zu verstecken. Ich habe dieses Verhalten so sehr verinnerlicht, dass ich gar nicht mal mehr bemerke, dass ich es tue. Und plötzlich, weil ich mich so lang versteckt habe, ist es eine große Sache. Dabei gibt es nichts, was ich verstecken müsste. Das wird mir jetzt klar. Dieser Mensch wird mich nicht verraten und betrügen, dieser Mensch wird mir nichts nehmen, was ich ihm nicht freiwillig gebe. Dieser Mensch wird sich nicht lustig machen über mein Inneres. Dieser Mensch bricht keine Schubladen auf. Dieser Mensch zeigt nicht erst "Interesse", um mir dann in den Rücken zu fallen. Dieser Mensch verurteilt mich nicht dafür, dass ich das tue, wozu ich Lust habe. Er verteilt keine Schulnoten für meine Texte und steckt meine Gefühle nicht in Schubladen. Dieser Mensch liebt mich.
Es ist so verdammt schwer zu begreifen. Aber ich bin dankbar dafür, jeden Tag lernen zu dürfen, ohne dass es jedes Mal gleich fürchterlich weh tun muss. Das Versteckspiel ist meiner unwürdig.
Montag, 2. Januar 2012
Auf der anderen Seite
Am 2. Jan 2012 im Topic 'Tiefseetauchen'
Was macht man, wenn jedes Wort, das man sagt, in einen dunklen, dunklen Brunnen fällt?
Ich habe so ein fürchterliches Gefühl von Vergeblichkeit, von Wut und unaussprechlicher Traurigkeit - alles zusammen. Weil nichts, was ich ihm sage, wirklich ankommt. Es verdreht sich unterwegs. Trost wird zur Anklage, ein Rat wandelt sich zum Vorwurf, eine Bitte zu Druck.
Es schmerzt mich, dass ich ihn nicht erreiche. Er will sich vor meinem Wunsch zu sprechen schützen. Er lässt mich mit meinem Gefühl der Zurückweisung einfach sitzen. Er nimmt das Schlechteste von mir an. Und schließlich liegt das Problem auch noch bei mir, weil ich es "auf mich beziehe".
Ich möchte ihn schütteln und anschreien, aber statt dessen bin ich zuerst konstruktiv, dann sarkastisch und schließlich resigniert.
Ich bin gerade sein Blitzableiter. Ihn ärgert die ganze Welt, und anstatt es an die Richtigen zu adressieren, kriege ich es ab. Es stinkt mir, und zugleich könnte ich einfach nur heulen. In dem einen oder anderen Moment möchte ich nur noch sagen: "Wenn Du mich eh schon ausschließt, dann mach doch Deinen Scheiß allein!" Ich möchte mir mein Mitgefühl für ihn schenken, weil er so sehr auf sich fixiert ist, dass ihm gar nicht in den Sinn kommt, dass ich welches habe. Kann ich aber nicht - es ist nun mal da.
Wütend bin ich trotzdem. Ich fühle mich verarscht und ungesehen, und das tut weh.
Ich bin seine Frau, die reißende Bestie. Die mit den blödsinnigen Vorschlägen, die sich alles immer zu leicht vorstellt. Die, die alles persönlich nimmt. Die, die immer nachbohrt und Salz in die Wunden streut. Die, die sarkastisch wird, nur um ihn zu ärgern... Für heute reicht's mir wirklich.
Heute bin ich einfach nur eine sehr müde, sehr traurige und sehr verletzte Frau, die sich davon nicht noch mehr geben will.
Ich habe so ein fürchterliches Gefühl von Vergeblichkeit, von Wut und unaussprechlicher Traurigkeit - alles zusammen. Weil nichts, was ich ihm sage, wirklich ankommt. Es verdreht sich unterwegs. Trost wird zur Anklage, ein Rat wandelt sich zum Vorwurf, eine Bitte zu Druck.
Es schmerzt mich, dass ich ihn nicht erreiche. Er will sich vor meinem Wunsch zu sprechen schützen. Er lässt mich mit meinem Gefühl der Zurückweisung einfach sitzen. Er nimmt das Schlechteste von mir an. Und schließlich liegt das Problem auch noch bei mir, weil ich es "auf mich beziehe".
Ich möchte ihn schütteln und anschreien, aber statt dessen bin ich zuerst konstruktiv, dann sarkastisch und schließlich resigniert.
Ich bin gerade sein Blitzableiter. Ihn ärgert die ganze Welt, und anstatt es an die Richtigen zu adressieren, kriege ich es ab. Es stinkt mir, und zugleich könnte ich einfach nur heulen. In dem einen oder anderen Moment möchte ich nur noch sagen: "Wenn Du mich eh schon ausschließt, dann mach doch Deinen Scheiß allein!" Ich möchte mir mein Mitgefühl für ihn schenken, weil er so sehr auf sich fixiert ist, dass ihm gar nicht in den Sinn kommt, dass ich welches habe. Kann ich aber nicht - es ist nun mal da.
Wütend bin ich trotzdem. Ich fühle mich verarscht und ungesehen, und das tut weh.
Ich bin seine Frau, die reißende Bestie. Die mit den blödsinnigen Vorschlägen, die sich alles immer zu leicht vorstellt. Die, die alles persönlich nimmt. Die, die immer nachbohrt und Salz in die Wunden streut. Die, die sarkastisch wird, nur um ihn zu ärgern... Für heute reicht's mir wirklich.
Heute bin ich einfach nur eine sehr müde, sehr traurige und sehr verletzte Frau, die sich davon nicht noch mehr geben will.
Freitag, 30. Dezember 2011
Adieu 2011!
Am 30. Dez 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Ich sage dem alten Jahr so langsam Lebewohl. Nicht wie in den letzten Jahren mit einem Rückblick, sondern irgendwie leise und - mir fehlt die Angst.
Das meine ich durchaus so, wie ich es schreibe. Jedes Jahr, immer wieder aufs Neue, kristallisierte sich all meine Erwartungsangst zum Jahresende. Hier schlugen sich all die Gedanken nieder, "Ich sollte..." und "Ich muss!" und "Ich habe immer noch nicht...!".
Mit jedem Tag wurde die Annahme schmerzhafter, dass ich nicht alles bin, was ich sein könnte. Dass mir das neue Jahr Dinge abverlangen würde, die ich nicht erfüllen könnte. Dagegen verrannen die letzten Tage des alten Jahres wie Sand in den Händen und der Kokon, die Wärme und die netten Ereignisse, auf die ich mich zurückziehen konnte, wurden immer kleiner, immer weniger. So, als zöge sich eine Schlinge zu um meinen Hals.
Die Entscheidungen, die ich mehr oder weniger getroffen habe, haben das geändert. Jetzt muss ich damit umgehen, so zu sein, wie ich bin, und ehrlich gesagt habe ich damit beinahe weniger Schwierigkeiten, als damit, erst noch jemand anders werden zu müssen, um in Ordnung zu sein. Das Scheitern ist plötzlich in Ordnung.
Nur - wie ein konditioniertes Tier vermisse ich beinahe den innerlichen Stress, der mich so lange begleitete. So, als machte mir die Wärme der Sonne Angst, die draußen vor der offenen Türe der Gefängniszelle auf mich wartet. Genau so war es, als sich meine Schlafstörungen langsam besserten - abends im Bett liegend fragte ich mich, ob da nicht noch irgendeine Sorge, eine Schande, ein Schmerz warten müsste, der mich am Schlafen hindert. Nicht mehr. Nun nicht mehr.
Es wird nicht alles einfacher. Es wird nicht alles gleich anders. Aber nach dem Fehlen der Furcht festzustellen, dass es nichts zum Fürchten mehr gibt, das ist ein guter Ausblick.
Im neuen Jahr steht ein Gespräch mit dem Chef über die Festanstellung an. Zugleich "feiere" ich im April meine fünfjährige Firmenzugehörigkeit, wie mir die firmenintern herumgeschickte Agenda in dieser Sache neulich mitteilte. Und es mag sein, dass nicht alles glatt läuft, nicht alles in meinem Sinne abläuft - dennoch... Da ist plötzlich ein Vertrauen in das Leben, das trägt. Wie auch immer es schließlich laufen wird, ich werde am Leben bleiben.
Wie anders als noch letztes Jahr mein Inneres tickt, verriet mir neulich ein Traum. Ich bin beinahe nur Katastrophenträume gewohnt, in denen ich verfolgt werde, mich rechtfertigen oder wehren muss, gezwungen bin, bei meinen Eltern wieder einzuziehen, in denen Dinge schiefgehen oder ich gewalttätig werde. Aber jüngst träumte ich von (m)einem Gespräch mit dem Chef. Ich sagte ihm, was ich gern wollte, und er saß mir gegenüber und lächelte und sagte: "Mensch, Frau Sturmflut, wir haben uns auch schon den Kopf darüber zerbrochen, was wir ohne Sie tun sollen. Gut, dass sie sich so entschieden haben!" Und schließlich feierte die Belegschaft mit mir meine Festanstellung.
Wenn es in mir stimmt, was soll dann schiefgehen? Ich spürte im Traum die Wertschätzung, vor allem meine eigene mir selbst gegenüber. Und ich weiß, dass ich Freunde habe und die unendlich warmen Arme meines Mannes, dass ich mir Liebe nicht verdienen muss. Dass es Stimmen gibt, die mich ermutigen und Menschen, die mich unerwartet mit Worten beschenken.
2012 wird gut. Es ist das Ende des Bilanzierens und Bewertens, die Ankunft in meiner eigenen Nähe und eine wirkliche Chance auf Leben, frei von dieser neurotischen Angst, die mich so lang in ihren kalten Klauen hielt.
Das meine ich durchaus so, wie ich es schreibe. Jedes Jahr, immer wieder aufs Neue, kristallisierte sich all meine Erwartungsangst zum Jahresende. Hier schlugen sich all die Gedanken nieder, "Ich sollte..." und "Ich muss!" und "Ich habe immer noch nicht...!".
Mit jedem Tag wurde die Annahme schmerzhafter, dass ich nicht alles bin, was ich sein könnte. Dass mir das neue Jahr Dinge abverlangen würde, die ich nicht erfüllen könnte. Dagegen verrannen die letzten Tage des alten Jahres wie Sand in den Händen und der Kokon, die Wärme und die netten Ereignisse, auf die ich mich zurückziehen konnte, wurden immer kleiner, immer weniger. So, als zöge sich eine Schlinge zu um meinen Hals.
Die Entscheidungen, die ich mehr oder weniger getroffen habe, haben das geändert. Jetzt muss ich damit umgehen, so zu sein, wie ich bin, und ehrlich gesagt habe ich damit beinahe weniger Schwierigkeiten, als damit, erst noch jemand anders werden zu müssen, um in Ordnung zu sein. Das Scheitern ist plötzlich in Ordnung.
Nur - wie ein konditioniertes Tier vermisse ich beinahe den innerlichen Stress, der mich so lange begleitete. So, als machte mir die Wärme der Sonne Angst, die draußen vor der offenen Türe der Gefängniszelle auf mich wartet. Genau so war es, als sich meine Schlafstörungen langsam besserten - abends im Bett liegend fragte ich mich, ob da nicht noch irgendeine Sorge, eine Schande, ein Schmerz warten müsste, der mich am Schlafen hindert. Nicht mehr. Nun nicht mehr.
Es wird nicht alles einfacher. Es wird nicht alles gleich anders. Aber nach dem Fehlen der Furcht festzustellen, dass es nichts zum Fürchten mehr gibt, das ist ein guter Ausblick.
Im neuen Jahr steht ein Gespräch mit dem Chef über die Festanstellung an. Zugleich "feiere" ich im April meine fünfjährige Firmenzugehörigkeit, wie mir die firmenintern herumgeschickte Agenda in dieser Sache neulich mitteilte. Und es mag sein, dass nicht alles glatt läuft, nicht alles in meinem Sinne abläuft - dennoch... Da ist plötzlich ein Vertrauen in das Leben, das trägt. Wie auch immer es schließlich laufen wird, ich werde am Leben bleiben.
Wie anders als noch letztes Jahr mein Inneres tickt, verriet mir neulich ein Traum. Ich bin beinahe nur Katastrophenträume gewohnt, in denen ich verfolgt werde, mich rechtfertigen oder wehren muss, gezwungen bin, bei meinen Eltern wieder einzuziehen, in denen Dinge schiefgehen oder ich gewalttätig werde. Aber jüngst träumte ich von (m)einem Gespräch mit dem Chef. Ich sagte ihm, was ich gern wollte, und er saß mir gegenüber und lächelte und sagte: "Mensch, Frau Sturmflut, wir haben uns auch schon den Kopf darüber zerbrochen, was wir ohne Sie tun sollen. Gut, dass sie sich so entschieden haben!" Und schließlich feierte die Belegschaft mit mir meine Festanstellung.
Wenn es in mir stimmt, was soll dann schiefgehen? Ich spürte im Traum die Wertschätzung, vor allem meine eigene mir selbst gegenüber. Und ich weiß, dass ich Freunde habe und die unendlich warmen Arme meines Mannes, dass ich mir Liebe nicht verdienen muss. Dass es Stimmen gibt, die mich ermutigen und Menschen, die mich unerwartet mit Worten beschenken.
2012 wird gut. Es ist das Ende des Bilanzierens und Bewertens, die Ankunft in meiner eigenen Nähe und eine wirkliche Chance auf Leben, frei von dieser neurotischen Angst, die mich so lang in ihren kalten Klauen hielt.
Dienstag, 20. Dezember 2011
Durch die Hintertür
Am 20. Dez 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Liebe A.,
gestern traf Dein Paket ein. Damit habe ich nicht gerechnet. Und irgendwie doch. Denn schließlich sagte mir G., Du wollest noch wissen, was ich mir zu Weihnachten wünsche.
Seit nunmehr drei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen, das schließt auch zwei Weihnachtsfeste ein. Ich habe mich nicht zu Euren Geburtstagen gemeldet, und ich dachte, es sei auch deutlich geworden, dass ich von Euch Geschenke weder erwarte noch wünsche. Ich frage mich, ob es meinerseits an Deutlichkeit oder Nachdruck gemangelt hat. Denn an meinem diesjährigen Geburtstag schenktet Ihr mir dieses Zeitungsabonnement (schwer zu retournieren, übrigens). Ich habe das angenommen, aber das war, scheint's, ein Fehler. Denn jetzt geht Ihr davon aus, dass noch mehr drin ist.
Warum fühle ich mich bestochen und schmutzig, wenn ich von Euch etwas geschenkt bekomme? Diese Reaktion ist so unmittelbar, dass mir beinahe übel davon wird. Dieses Paket. Deine Worte auf einer selbstgebastelten Klappkarte. So, als sei nichts gewesen.
Ja ja, ich weiß schon, wenn ich noch immer so täte, als ob tatsächlich nichts gewesen wäre, dann würden wir auch in diesem Jahr wieder bei Euch unterm Baum sitzen, in Eurem steifen Interieur, per Small-Talk mühsam die Klippen umschiffend, gegen die wir mit zunehmendem Alkohol-Pegel dann doch in voller Fahrt krachen würden. Wir würden Freude heucheln und uns mies fühlen, weil Ihr, wenn Ihr schenkt, das Gefühl vermittelt, ewige Dankbarkeit zu verdient zu haben. Ehrlich, allein Deine Frage "Ist es denn jetzt dann auch gut?", die Du schon immer nach jedem Geschenk stelltest, zeigt, wie wenig es Dir um die Beschenkten zu tun ist.
Dieser Pappkarton, den L. am gestrigen Abend aus der Packstation mitbrachte, trägt Deine Handschrift, und wir beide dachten "Oh nein!" und sagten es auch. "Ich will nichts geschenkt von Deinen Eltern!" sagte L. Und ich will es auch nicht, schon längst nicht mehr.
Normalerweise neigst Du dazu, teure, exklusive Geschenke zu machen, so als sichere Dir das am ehesten die Anerkennung Deiner Mitmenschen. Gleichzeitig bist Du ungeheuer geizig und immer auf der Suche nach den Dingen, die teuer aussehen, aber günstiger zu haben sind. Wenn man das weiß, dann schätzt man Deine Geschenke erst recht so richtig. Als Du mich mal fragtest, was ich mir zum Geburtstag wünsche, antwortete ich Dir: "Ein Gespräch unter vier Augen!" Gewünscht habe ich mir eigentlich Deine Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Anteilnahme. Inzwischen wünsche ich nichts mehr. Denn Deine Worte sind genau so kalt und hart wie Deine Geschenke.
Ja, A., Du bist eine gute Mutter! Wenn Du willst, dann sage ich Dir das noch zehnmal, zwanzigmal, Hauptsache, Du lässt mich dann mit Deinen Geschenken in Ruhe. Du hast extra für mich gestrickt, und ja, der Schal gefällt mir. So viel Herzblut wie Du hat noch niemals eine Mutter in einen Schal gestrickt. Wirklich nicht. Du bist die Größte. Die fürsorglichste, anteilnehmenste, warmherzigste Mutter der Welt. Du hast nichts falsch gemacht. Niemals. Und auch, dass Du "Liebe Grüße von Papa!" in die Karte schriebst, ist großartig von Dir (ehrlich - als könnte ich jemals vergessen, dass ich einen "Papa" habe, wo er mir doch immer und immer wieder begegnet, wenn es in meinem Schlafzimmer zu Intimitäten kommt).
Du schreibst, Du willst mich treffen im neuen Jahr. Und dann? Werden wir uns im Café gegenüber sitzen und uns übers Wetter unterhalten? Natürlich könnte ich das. Aber weshalb sollte ich dafür Zeit verschwenden? Damit Du Dein Selbstbild von der liebevollen Mama wieder aufbauen, Dich über die Qualität unserer Beziehung belügen kannst?
Bitte, schenke mir nichts mehr.
gestern traf Dein Paket ein. Damit habe ich nicht gerechnet. Und irgendwie doch. Denn schließlich sagte mir G., Du wollest noch wissen, was ich mir zu Weihnachten wünsche.
Seit nunmehr drei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen, das schließt auch zwei Weihnachtsfeste ein. Ich habe mich nicht zu Euren Geburtstagen gemeldet, und ich dachte, es sei auch deutlich geworden, dass ich von Euch Geschenke weder erwarte noch wünsche. Ich frage mich, ob es meinerseits an Deutlichkeit oder Nachdruck gemangelt hat. Denn an meinem diesjährigen Geburtstag schenktet Ihr mir dieses Zeitungsabonnement (schwer zu retournieren, übrigens). Ich habe das angenommen, aber das war, scheint's, ein Fehler. Denn jetzt geht Ihr davon aus, dass noch mehr drin ist.
Warum fühle ich mich bestochen und schmutzig, wenn ich von Euch etwas geschenkt bekomme? Diese Reaktion ist so unmittelbar, dass mir beinahe übel davon wird. Dieses Paket. Deine Worte auf einer selbstgebastelten Klappkarte. So, als sei nichts gewesen.
Ja ja, ich weiß schon, wenn ich noch immer so täte, als ob tatsächlich nichts gewesen wäre, dann würden wir auch in diesem Jahr wieder bei Euch unterm Baum sitzen, in Eurem steifen Interieur, per Small-Talk mühsam die Klippen umschiffend, gegen die wir mit zunehmendem Alkohol-Pegel dann doch in voller Fahrt krachen würden. Wir würden Freude heucheln und uns mies fühlen, weil Ihr, wenn Ihr schenkt, das Gefühl vermittelt, ewige Dankbarkeit zu verdient zu haben. Ehrlich, allein Deine Frage "Ist es denn jetzt dann auch gut?", die Du schon immer nach jedem Geschenk stelltest, zeigt, wie wenig es Dir um die Beschenkten zu tun ist.
Dieser Pappkarton, den L. am gestrigen Abend aus der Packstation mitbrachte, trägt Deine Handschrift, und wir beide dachten "Oh nein!" und sagten es auch. "Ich will nichts geschenkt von Deinen Eltern!" sagte L. Und ich will es auch nicht, schon längst nicht mehr.
Normalerweise neigst Du dazu, teure, exklusive Geschenke zu machen, so als sichere Dir das am ehesten die Anerkennung Deiner Mitmenschen. Gleichzeitig bist Du ungeheuer geizig und immer auf der Suche nach den Dingen, die teuer aussehen, aber günstiger zu haben sind. Wenn man das weiß, dann schätzt man Deine Geschenke erst recht so richtig. Als Du mich mal fragtest, was ich mir zum Geburtstag wünsche, antwortete ich Dir: "Ein Gespräch unter vier Augen!" Gewünscht habe ich mir eigentlich Deine Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Anteilnahme. Inzwischen wünsche ich nichts mehr. Denn Deine Worte sind genau so kalt und hart wie Deine Geschenke.
Ja, A., Du bist eine gute Mutter! Wenn Du willst, dann sage ich Dir das noch zehnmal, zwanzigmal, Hauptsache, Du lässt mich dann mit Deinen Geschenken in Ruhe. Du hast extra für mich gestrickt, und ja, der Schal gefällt mir. So viel Herzblut wie Du hat noch niemals eine Mutter in einen Schal gestrickt. Wirklich nicht. Du bist die Größte. Die fürsorglichste, anteilnehmenste, warmherzigste Mutter der Welt. Du hast nichts falsch gemacht. Niemals. Und auch, dass Du "Liebe Grüße von Papa!" in die Karte schriebst, ist großartig von Dir (ehrlich - als könnte ich jemals vergessen, dass ich einen "Papa" habe, wo er mir doch immer und immer wieder begegnet, wenn es in meinem Schlafzimmer zu Intimitäten kommt).
Du schreibst, Du willst mich treffen im neuen Jahr. Und dann? Werden wir uns im Café gegenüber sitzen und uns übers Wetter unterhalten? Natürlich könnte ich das. Aber weshalb sollte ich dafür Zeit verschwenden? Damit Du Dein Selbstbild von der liebevollen Mama wieder aufbauen, Dich über die Qualität unserer Beziehung belügen kannst?
Bitte, schenke mir nichts mehr.
Dienstag, 6. Dezember 2011
Würdelos und abhängig.
Am 6. Dez 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Was ist das nur? Nach Jahren greift das immer noch nach mir.
Ich finde mich plötzlich wieder in einer absolut unwürdigen Situation, mein Inneres verkrampft, ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin vollkommen unterwürfig und vorauseilend gehorsam. Mein Kern schrumpft auf die Größe einer Erbse. Jedes Wort anderer seziere ich und über mir hängt die Drohung im Raum... Ja, was eigentlich für eine Drohung?
Verbalisieren würde ich das so:
"Was, wenn er schlecht von mir denkt?"
"Was, wenn sie mich verachtet?"
"Was, wenn ich ihm eine Last bin?"
"Was, wenn sie mich nicht verstehen?"
"Was, wenn...??"
Aber Worte reichen nicht aus, um diesen Zustand zu beschreiben. Es ist die tief verwurzelte Angst, so zu sein, wie ich bin und so, wie ich bin, nicht in Ordnung zu sein. Die Angst davor, das nicht gesagt zu bekommen, obwohl es die Menschen in meinem Umfeld denken. Die Angst, insgeheim abgrundtief verabscheut zu werden.
Ich weiß, das ist niemand anders. Die Menschen in meinem Umfeld würden nicht annähernd so schlecht über mich denken wie ich selbst. Das bin ich, die da spricht. Das ist mein tief eingegrabener Selbsthass. Erbarmungslos läuft diese Maschinerie. Sie arbeitet nicht mit Worten. Wären es nur Worte - sie wären wenigstens greifbar. Die Maschinerie arbeitet mit tiefen Empfindungen. Zuvorderst mit dem Gefühl, nicht existenzwürdig zu sein. Daraus folgt der Zwang, den Menschen in meinem Umfeld alles aus dem Gesicht abzulesen, auf jede Kleinigkeit zu achten, jede Bewegung, jede mimische Regung korrekt zu interpretieren und das eigene Verhalten daran auszurichten. Ich bin keine Person, ich bin ein atmender Sensor, ich bin ganz Antenne. Ich habe keine Berechtigung zum Sein, wenn ich es nicht schaffe, konform zu sein um jeden Preis. Denn wenn ich es nicht richtig mache, wenn ich Zorn auf mich ziehe, wenn ich nicht bereits zehn Schritte im Voraus erahne, was ich soll, dann habe ich kein Recht auf Existenz. Dann überlebe ich nicht. Ich bin keine Person, keine Persönlichkeit, ich bin nicht ich. Ich bin nur da dank ihrer Gnade, und sie können mich fortwischen.
(Anmerkung der Verfasserin: Die meiste Zeit bin ich eine Person. Eine Persönlichkeit. Ich. Jemand, der sich doch im Leben zurechtfindet, sich Zentimeter um Zentimeter eigenes Territorium erobert. Der zunehmend beginnt, zu leben. Ich lerne mich kennen, ich lerne, mich zu verstehen. Ich sehe am Horizont die ganze Fülle, die ich bin.)
Aber warum heute? Welche unsichtbar gespannte Schnur hat mich dieses Mal zum Stolpern und Fallen gebracht? Welche Kraft ist das, die mit einem einzigen Handstreich dafür sorgt, aus einem Menschen einen Käfer zu machen?
Je härter und unerbittlicher die Stimmen, je erbarmungsloser die Abwertungen, je grundlegender der Hass auf meine Person - das habe ich heute über mich gelernt -, umso größer ist der alte Schmerz. Er verhält sich analog zum Ausmaß meiner Selbstverleugnung. Mit jedem neuen Schlag in meinem Inneren wird mein Kern, mein Ich immer kleiner, und je kleiner es wird, um so mehr verabscheue ich es.
Wer hat mir das so gründlich beigebracht? Es ist eine Abscheu auf Gedeih und Verderb. Ich will den Anfang kennen und ich will verstehen. Ich will den Schmerz aus der Vergangenheit begreifen und annehmen. Anders geht es nicht, auf andere Weise lässt sich dieser Kreis nicht durchbrechen. Aber ich komme nicht richtig heran. Es ist nonverbal. Das macht mich so hilflos.
Was war an diesem Kind so scheußlich, um so gehasst zu werden?
Ich finde mich plötzlich wieder in einer absolut unwürdigen Situation, mein Inneres verkrampft, ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin vollkommen unterwürfig und vorauseilend gehorsam. Mein Kern schrumpft auf die Größe einer Erbse. Jedes Wort anderer seziere ich und über mir hängt die Drohung im Raum... Ja, was eigentlich für eine Drohung?
Verbalisieren würde ich das so:
"Was, wenn er schlecht von mir denkt?"
"Was, wenn sie mich verachtet?"
"Was, wenn ich ihm eine Last bin?"
"Was, wenn sie mich nicht verstehen?"
"Was, wenn...??"
Aber Worte reichen nicht aus, um diesen Zustand zu beschreiben. Es ist die tief verwurzelte Angst, so zu sein, wie ich bin und so, wie ich bin, nicht in Ordnung zu sein. Die Angst davor, das nicht gesagt zu bekommen, obwohl es die Menschen in meinem Umfeld denken. Die Angst, insgeheim abgrundtief verabscheut zu werden.
Ich weiß, das ist niemand anders. Die Menschen in meinem Umfeld würden nicht annähernd so schlecht über mich denken wie ich selbst. Das bin ich, die da spricht. Das ist mein tief eingegrabener Selbsthass. Erbarmungslos läuft diese Maschinerie. Sie arbeitet nicht mit Worten. Wären es nur Worte - sie wären wenigstens greifbar. Die Maschinerie arbeitet mit tiefen Empfindungen. Zuvorderst mit dem Gefühl, nicht existenzwürdig zu sein. Daraus folgt der Zwang, den Menschen in meinem Umfeld alles aus dem Gesicht abzulesen, auf jede Kleinigkeit zu achten, jede Bewegung, jede mimische Regung korrekt zu interpretieren und das eigene Verhalten daran auszurichten. Ich bin keine Person, ich bin ein atmender Sensor, ich bin ganz Antenne. Ich habe keine Berechtigung zum Sein, wenn ich es nicht schaffe, konform zu sein um jeden Preis. Denn wenn ich es nicht richtig mache, wenn ich Zorn auf mich ziehe, wenn ich nicht bereits zehn Schritte im Voraus erahne, was ich soll, dann habe ich kein Recht auf Existenz. Dann überlebe ich nicht. Ich bin keine Person, keine Persönlichkeit, ich bin nicht ich. Ich bin nur da dank ihrer Gnade, und sie können mich fortwischen.
(Anmerkung der Verfasserin: Die meiste Zeit bin ich eine Person. Eine Persönlichkeit. Ich. Jemand, der sich doch im Leben zurechtfindet, sich Zentimeter um Zentimeter eigenes Territorium erobert. Der zunehmend beginnt, zu leben. Ich lerne mich kennen, ich lerne, mich zu verstehen. Ich sehe am Horizont die ganze Fülle, die ich bin.)
Aber warum heute? Welche unsichtbar gespannte Schnur hat mich dieses Mal zum Stolpern und Fallen gebracht? Welche Kraft ist das, die mit einem einzigen Handstreich dafür sorgt, aus einem Menschen einen Käfer zu machen?
Je härter und unerbittlicher die Stimmen, je erbarmungsloser die Abwertungen, je grundlegender der Hass auf meine Person - das habe ich heute über mich gelernt -, umso größer ist der alte Schmerz. Er verhält sich analog zum Ausmaß meiner Selbstverleugnung. Mit jedem neuen Schlag in meinem Inneren wird mein Kern, mein Ich immer kleiner, und je kleiner es wird, um so mehr verabscheue ich es.
Wer hat mir das so gründlich beigebracht? Es ist eine Abscheu auf Gedeih und Verderb. Ich will den Anfang kennen und ich will verstehen. Ich will den Schmerz aus der Vergangenheit begreifen und annehmen. Anders geht es nicht, auf andere Weise lässt sich dieser Kreis nicht durchbrechen. Aber ich komme nicht richtig heran. Es ist nonverbal. Das macht mich so hilflos.
Was war an diesem Kind so scheußlich, um so gehasst zu werden?
Freitag, 2. Dezember 2011
Worte gefunden.
Am 2. Dez 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
"Das Leben ist seinem inneren Wesen nach ein ständiger Schiffbruch.
Aber schiffbrüchig sein heißt nicht ertrinken... Das Gefühl des Schiffbruchs, da es die Wahrheit des Lebens ist, bedeutet schon die Rettung.
Darum glaube ich einzig an die Gedanken Scheiternder."
José Ortega y Gasset, 1934
Aber schiffbrüchig sein heißt nicht ertrinken... Das Gefühl des Schiffbruchs, da es die Wahrheit des Lebens ist, bedeutet schon die Rettung.
Darum glaube ich einzig an die Gedanken Scheiternder."
José Ortega y Gasset, 1934
Samstag, 26. November 2011
Geschichtsstunde
Am 26. Nov 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Angeregt von Sabine Bodes "Kriegsenkel" habe ich mich ein wenig auf Spurensuche in die Geschichte begeben. Klar, als Geschichtsstudentin hat man sich vieles schon angeschaut, auch örtliche und Alltagsgeschichte. Aber das alles blieb natürlich trotzdem immer abstrakt und allgemein, die Beschäftigung damit immer doch distanziert und theoretisch, das Erkenntnisinteresse wissenschaftlich.
Es ist etwas anderes, nach den Spuren der eigenen Familie zu suchen und nach der Geschichte des Ortes meiner Kindheit. Das stellte ich schon fest, als ich nach dem Tod meiner Großmutter den Inhalt ihres Wohnzimmerschrankes in die Hände bekam. Vor allem viele, viele Fotos waren dabei, die ich zum Teil noch kannte, zum Teil nicht. Aber auch alte Briefe, Feldpost, Urkunden, Orden, zerfledderte Lebensmittelkarten. Das alte Papier in Händen zu halten hat mich sehr bewegt, und ich habe dann anhand eines kostenlosen Genealogieprogramms versucht, mir einen Überblick über meine eigene Verwandtschaft zu verschaffen, was auch ganz gut gelang. Immerhin, bis zur Generation der Ur-Ur-Großeltern war mir das gelungen.
Wie viel das eigentlich ist angesichts der brutalen Wurzellosigkeit der Vertriebenen, das wurde mir klar, als ich am Donnerstag wieder einmal auf I.s Sofa saß, die mir das Buch von Bode überhaupt erst empfohlen hatte. Ihr sei beim Lesen vieles klar geworden, hatte sie mir erzählt. Ihre beiden Eltern waren als ganz kleine Kinder auf der Flucht und kamen erst nach Kriegsende in diesen Landstrich hier, und so hat auch I. heute kein Gefühl von Heimat, von Verbindung und Geschichte, das sie an diesen Ort bindet. Zwar ist er ihr durchaus ein Zuhause, das aber ist selbstgemacht und nicht ererbt.
Für mich reichte schon ein Minimum an Nachforschungen in der städtischen Bibliothek, die eine recht umfangreiche heimatgeschichtliche Abteilung hat, um auf die Namen und Spuren meiner Vorfahren zu stoßen. Ich warf Münzen in den Zähler des Kopierers, lieh Jahrbücher und blätterte in alten Bildbänden, und da waren sie: Mein Urgroßvater in einer verschwommenen Schwarzweißfotografie vor seiner Schmiede zwischen den Pferden, mit Holzschuhen an den Füßen. Meine Großtante väterlicherseits, die der örtlichen Tageszeitung ein Interview über ihre Erlebnisse bei Kriegsende gegeben hatte und auf dem Zeitungsbild ihren Rotkreuz-Schwestern-Ausweis in die Kamera hält. In einer Ausgabe der Vierteljahresbeilage der Tageszeitung von 1968 die lückenlose Aufstellung der Generationenfolge meines Großvaters, zurückgehend bis in das Jahr 1718.
Ich lebe natürlich in einem überschaubaren Umfeld. Das macht die Sache leichter, die Recherche weniger anstrengend, aber die Literaturlage auch dünner. Immerhin, der hiesige Heimatverein hat sich schon immer sehr engagiert und in seinen Jahrbüchern viele interessante und zum Teil auch persönliche Themen aufgegriffen. Dennoch kommt aber auch hier eine Kriegsamnesie zum Tragen, die das Grausame weitestgehend ausblendet oder zumindest doch sehr stark verzerrt oder wertet.
Ich weiß inzwischen, dass der Ort meiner Kindheit und Jugend eine Nazi-Hochburg war und im Gegensatz zu der Stadt meiner Geburt, in der ich auch jetzt wieder lebe und in der mein Vater aufwuchs, zu Kriegsende einen heftigen Häuserkampf erlebte. Ich weiß, dass in diesem Ort ein NSDAP-Kreisleiter sein Unwesen trieb und mit seiner Gesinnung nicht unbedingt auf taube Ohren stieß. Er pflasterte seinen Hof mit den Grabsteinen des jüdischen Friedhofes, und einmal trieb das Dorf unter seiner Anleitung ein junges Mädchen im Fackelzug durch die Straßen, das sich des "Kontakts mit einem Fremdarbeiter schuldig gemacht" hatte. Zuvor hatte man ihr die Haare geschoren und ihr ein Pappschild umgehängt. Sie kam später ins KZ. Von alledem nichts mitbekommen haben zu wollen, ist in diesem Fall (und bei rund 1800 Einwohnern zur damaligen Zeit) zweifelsfrei eine Schutzbehauptung - vor allem, wenn ich bedenke, wie in diesem Ort heute noch getratscht wird.
Über meine jetzige Heimatstadt las ich in einem Bericht (verfasst um 1958) über die einmarschierenden alliierten Truppen:
"Allenthalben drangen größere und kleinere Trupps abends in die Häuser, begnügten sich hier und da mit Räubereien, machten sich aber auch vielfach seßhaft, besonders dann, wenn sie einige Vorräte an Alkohol aufgestöbert hatten. Dann gab es für die weiblichen Mitglieder der Familie wahrhaftig nichts zu lachen. Sie erlebten die Gewalt der Sieger am unmittelbarsten, und manche ***in denkt nur noch mit Grauen an diese Stunden zurück."
Die, die da kamen, waren keine Russen.
Unabhängig von jeglicher moralischer Wertung schreibt sich - das weiß ich inzwischen - das Erlebte in die Seelen der Beteiligten, und also ist die Geschichte auch meine eigene Geschichte. Wie die ganz persönlichen Geschichten meiner Vorfahren aussehen, das kann ich zum Teil nur noch erraten, zum anderen Teil hindern mich die Animositäten und das Unbehagen im Bezug auf meine Familie daran, unbefangen zu fragen.
Ich möchte mehr wissen, um einordnen zu können, und ich werde bald einmal den Versuch machen, mit der Schwester meiner Mutter zu sprechen, die 1939 geboren wurde. Dennoch bleibe ich natürlich immer abhängig von der Bereitschaft meiner Angehörigen, vor allem über subjektives Erleben und Gefühle zu sprechen. Denn allein um die Fakten geht es mir ja nicht. Auch nicht um Verurteilung und Schuldzuweisung. Sondern um die Muster, die in den Stoff meines eigenen Lebens gewebt wurden.
Übrigens ist mir dieser Tage, da sich die Rechercheergebnisse auch in meine Träume schleichen, angesichts allen "Volkssturms", der "Sturmbannführer" und anderen Stürmereien schon beinahe zu viel Sturm in meinem Namen...
Es ist etwas anderes, nach den Spuren der eigenen Familie zu suchen und nach der Geschichte des Ortes meiner Kindheit. Das stellte ich schon fest, als ich nach dem Tod meiner Großmutter den Inhalt ihres Wohnzimmerschrankes in die Hände bekam. Vor allem viele, viele Fotos waren dabei, die ich zum Teil noch kannte, zum Teil nicht. Aber auch alte Briefe, Feldpost, Urkunden, Orden, zerfledderte Lebensmittelkarten. Das alte Papier in Händen zu halten hat mich sehr bewegt, und ich habe dann anhand eines kostenlosen Genealogieprogramms versucht, mir einen Überblick über meine eigene Verwandtschaft zu verschaffen, was auch ganz gut gelang. Immerhin, bis zur Generation der Ur-Ur-Großeltern war mir das gelungen.
Wie viel das eigentlich ist angesichts der brutalen Wurzellosigkeit der Vertriebenen, das wurde mir klar, als ich am Donnerstag wieder einmal auf I.s Sofa saß, die mir das Buch von Bode überhaupt erst empfohlen hatte. Ihr sei beim Lesen vieles klar geworden, hatte sie mir erzählt. Ihre beiden Eltern waren als ganz kleine Kinder auf der Flucht und kamen erst nach Kriegsende in diesen Landstrich hier, und so hat auch I. heute kein Gefühl von Heimat, von Verbindung und Geschichte, das sie an diesen Ort bindet. Zwar ist er ihr durchaus ein Zuhause, das aber ist selbstgemacht und nicht ererbt.
Für mich reichte schon ein Minimum an Nachforschungen in der städtischen Bibliothek, die eine recht umfangreiche heimatgeschichtliche Abteilung hat, um auf die Namen und Spuren meiner Vorfahren zu stoßen. Ich warf Münzen in den Zähler des Kopierers, lieh Jahrbücher und blätterte in alten Bildbänden, und da waren sie: Mein Urgroßvater in einer verschwommenen Schwarzweißfotografie vor seiner Schmiede zwischen den Pferden, mit Holzschuhen an den Füßen. Meine Großtante väterlicherseits, die der örtlichen Tageszeitung ein Interview über ihre Erlebnisse bei Kriegsende gegeben hatte und auf dem Zeitungsbild ihren Rotkreuz-Schwestern-Ausweis in die Kamera hält. In einer Ausgabe der Vierteljahresbeilage der Tageszeitung von 1968 die lückenlose Aufstellung der Generationenfolge meines Großvaters, zurückgehend bis in das Jahr 1718.
Ich lebe natürlich in einem überschaubaren Umfeld. Das macht die Sache leichter, die Recherche weniger anstrengend, aber die Literaturlage auch dünner. Immerhin, der hiesige Heimatverein hat sich schon immer sehr engagiert und in seinen Jahrbüchern viele interessante und zum Teil auch persönliche Themen aufgegriffen. Dennoch kommt aber auch hier eine Kriegsamnesie zum Tragen, die das Grausame weitestgehend ausblendet oder zumindest doch sehr stark verzerrt oder wertet.
Ich weiß inzwischen, dass der Ort meiner Kindheit und Jugend eine Nazi-Hochburg war und im Gegensatz zu der Stadt meiner Geburt, in der ich auch jetzt wieder lebe und in der mein Vater aufwuchs, zu Kriegsende einen heftigen Häuserkampf erlebte. Ich weiß, dass in diesem Ort ein NSDAP-Kreisleiter sein Unwesen trieb und mit seiner Gesinnung nicht unbedingt auf taube Ohren stieß. Er pflasterte seinen Hof mit den Grabsteinen des jüdischen Friedhofes, und einmal trieb das Dorf unter seiner Anleitung ein junges Mädchen im Fackelzug durch die Straßen, das sich des "Kontakts mit einem Fremdarbeiter schuldig gemacht" hatte. Zuvor hatte man ihr die Haare geschoren und ihr ein Pappschild umgehängt. Sie kam später ins KZ. Von alledem nichts mitbekommen haben zu wollen, ist in diesem Fall (und bei rund 1800 Einwohnern zur damaligen Zeit) zweifelsfrei eine Schutzbehauptung - vor allem, wenn ich bedenke, wie in diesem Ort heute noch getratscht wird.
Über meine jetzige Heimatstadt las ich in einem Bericht (verfasst um 1958) über die einmarschierenden alliierten Truppen:
"Allenthalben drangen größere und kleinere Trupps abends in die Häuser, begnügten sich hier und da mit Räubereien, machten sich aber auch vielfach seßhaft, besonders dann, wenn sie einige Vorräte an Alkohol aufgestöbert hatten. Dann gab es für die weiblichen Mitglieder der Familie wahrhaftig nichts zu lachen. Sie erlebten die Gewalt der Sieger am unmittelbarsten, und manche ***in denkt nur noch mit Grauen an diese Stunden zurück."
Die, die da kamen, waren keine Russen.
Unabhängig von jeglicher moralischer Wertung schreibt sich - das weiß ich inzwischen - das Erlebte in die Seelen der Beteiligten, und also ist die Geschichte auch meine eigene Geschichte. Wie die ganz persönlichen Geschichten meiner Vorfahren aussehen, das kann ich zum Teil nur noch erraten, zum anderen Teil hindern mich die Animositäten und das Unbehagen im Bezug auf meine Familie daran, unbefangen zu fragen.
Ich möchte mehr wissen, um einordnen zu können, und ich werde bald einmal den Versuch machen, mit der Schwester meiner Mutter zu sprechen, die 1939 geboren wurde. Dennoch bleibe ich natürlich immer abhängig von der Bereitschaft meiner Angehörigen, vor allem über subjektives Erleben und Gefühle zu sprechen. Denn allein um die Fakten geht es mir ja nicht. Auch nicht um Verurteilung und Schuldzuweisung. Sondern um die Muster, die in den Stoff meines eigenen Lebens gewebt wurden.
Übrigens ist mir dieser Tage, da sich die Rechercheergebnisse auch in meine Träume schleichen, angesichts allen "Volkssturms", der "Sturmbannführer" und anderen Stürmereien schon beinahe zu viel Sturm in meinem Namen...
Donnerstag, 24. November 2011
Pflaster drüber, und gut?
Am 24. Nov 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Wieder mal hat jemand nach dem Begriff "verstoßene Eltern" gesucht und ist bei mir gelandet.
Und da fällt mir zum wiederholten Male auf, wie unglaublich larmoyant, verlogen und unerwachsen ich diesen Terminus finde. Bei "verstoßen" kommen mir an Autobahnraststätten ausgesetzte Hundebabys in den Sinn, oder von Heim zu Heim geschobene Kinder. Aber erwachsene Menschen, mit eigener Existenz und Lebensleistung? Das sind nicht diejenigen, die ich dabei vor Augen habe.
Gestern lief auch im Regionalfernsehen wieder einmal ein Bericht über eine "verstoßene" Mutter. Die Moderatorin kommentierte treffend im Nachhinein, dieser Beitrag sei doch ein wenig einseitig gewesen. Ja, ehrlich, ich kann sie auch nicht mehr sehen, die auf dem Sofa sitzenden, alternden Mütter mit den herabhängenden Mundwinkeln, die betroffen-selbstmitleidig in die Kamera blicken und nicht müde werden zu betonen: "Ja, also ich bin gesprächsbereit, aber mein Kind will ja nicht!" Sie hängen mir zum Hals raus, diese ewig Zukurzgekommenen, die demonstrativ leiden müssen, um sich anerkannt zu fühlen.
Angebracht wäre es, wirklich mal hinzuschauen, und zwar auch in die eigene Geschichte - um Defizite zu erkennen, anzuerkennen und dann auch souveräner mit den eigenen Fehlern umzugehen. So viele Menschen stürzen sich todesmutig in die eigene Geschichte, suchen nach den Ursachen für ihr So-Sein und nach Möglichkeiten, authentischer und weniger qualvoll mit sich und anderen umzugehen, aber diese? Gehen selbstgerecht davon aus, dass es nicht nötig sei, sich zu entwickeln und sich selbst anzusehen, an sich zu reifen und dann den Problemen entschlossen und fair entgegenzutreten. Verkriechen sich statt dessen in ihre Schutzburgen, wollen vordergründig "über alles reden", klammern aber die wirklich wichtigen Bereiche aus und hüten sich sorgfältig davor, die eigenen Verletzungen und die ihrer Mitmenschen zu sehen und zu akzeptieren. Ehrlich, was soll man da auch noch reden?
So erlebt mit meiner Mutter (die die wesentlichen Dinge, die ich ihr zu sagen hatte, mit kühler Reserviertheit an sich abperlen ließ und seitdem nichts lieber täte, als wieder die Small-Talk-Bühne zu betreten und sich irgendwie rückzuversichern, dass ich sie immer noch "lieb habe"). Und gesehen an zahlreichen anderen Beispielen, im Netz, im TV, in Büchern. Groß im Ignorieren ist sie, diese Generation.
Gerade beendete Lektüre: "Kriegsenkel" von Sabine Bode. Sehr aufschlussreich, bewegend und anregend - auch zur Geschichtsforschung in eigener Sache. Die Ergebnisse dazu gibt es in einem gesonderten Beitrag.
Meine Musik des Tages:
Maria Mena - Internal Dialogue
Daraus beschäftigen mich fortwährend die Zeilen:
"I tried to look positive at things,
Faced myself but didn't look
That was not honest
I was not healthy
I am not honest, honest."
Ergänzung (26.11.):
Mich verschlug es noch mal auf die Seite von Angelika Kindt, die ein Buch über ihr Dasein als "verlassene Mutter" verfasst hat und sich immer noch darüber wundert, dass ihre Tochter Maya nichts von sich hören lässt. Wenn ich so lese, was sie schreibt, wundert es mich nicht. Zwar postuliert sie gleich zu Beginn, keine Täter- und Opferzuschreibungen machen zu wollen und sich statt dessen um Verständigung und Verstehen zu bemühen, aber liest man in den Kommentaren auf ihrer Seite, dann bietet sich ein anderes Bild. Da schreibt eine Tochter sehr sachlich, klar und bewusst über die Geschichte ihrer Trennung von der Mutter und davon, welche Verletzungen sie in dieser Beziehung erlitten hat, und Frau Kindt bügelt die sehr offene Geschichte ab mit den Worten "Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß ich mich nicht mit dem Thema mißbrauchte, vernachlässigte oder mißhandelte “Kinder” beschäftigt habe und werde. Mich erstaunt an diesem Kommentar die Überheblichkeit."
Jemand, der ein solches Verhalten für Bereitschaft zu Dialog und Verstehen hält, ist meines Erachtens irgendwie auf dem falschen Planeten. Wie soll sie da verstehen, wie es ihrer Tochter Maya ergeht, wenn sie bestimmte Aspekte von vornherein ausblendet?
Eines fällt mir immer, immer wieder auf beim Lesen der Äußerungen "verlassener/verstoßener Eltern" auf: Auf der einen Seite werden sie es nicht müde, regelrecht gebetsmühlenartig zu wiederholen, wie sehr sie ihre Kinder geliebt haben und noch lieben, auf der anderen Seite sind beinahe alle Kommentare von einer derartig vorwurfsvollen Bitterkeit erfüllt, dass es mich nicht im geringsten wundert, dass die Kinder nicht mehr sprechen wollen. Beides zusammen geht nicht. "Gott vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" lamentiert eine Mutter. Wer auf einem so hohen Ross sitzt, sollte ehrlich gesagt nicht mehr nach den Gründen für die Trennung fragen müssen.
Und da fällt mir zum wiederholten Male auf, wie unglaublich larmoyant, verlogen und unerwachsen ich diesen Terminus finde. Bei "verstoßen" kommen mir an Autobahnraststätten ausgesetzte Hundebabys in den Sinn, oder von Heim zu Heim geschobene Kinder. Aber erwachsene Menschen, mit eigener Existenz und Lebensleistung? Das sind nicht diejenigen, die ich dabei vor Augen habe.
Gestern lief auch im Regionalfernsehen wieder einmal ein Bericht über eine "verstoßene" Mutter. Die Moderatorin kommentierte treffend im Nachhinein, dieser Beitrag sei doch ein wenig einseitig gewesen. Ja, ehrlich, ich kann sie auch nicht mehr sehen, die auf dem Sofa sitzenden, alternden Mütter mit den herabhängenden Mundwinkeln, die betroffen-selbstmitleidig in die Kamera blicken und nicht müde werden zu betonen: "Ja, also ich bin gesprächsbereit, aber mein Kind will ja nicht!" Sie hängen mir zum Hals raus, diese ewig Zukurzgekommenen, die demonstrativ leiden müssen, um sich anerkannt zu fühlen.
Angebracht wäre es, wirklich mal hinzuschauen, und zwar auch in die eigene Geschichte - um Defizite zu erkennen, anzuerkennen und dann auch souveräner mit den eigenen Fehlern umzugehen. So viele Menschen stürzen sich todesmutig in die eigene Geschichte, suchen nach den Ursachen für ihr So-Sein und nach Möglichkeiten, authentischer und weniger qualvoll mit sich und anderen umzugehen, aber diese? Gehen selbstgerecht davon aus, dass es nicht nötig sei, sich zu entwickeln und sich selbst anzusehen, an sich zu reifen und dann den Problemen entschlossen und fair entgegenzutreten. Verkriechen sich statt dessen in ihre Schutzburgen, wollen vordergründig "über alles reden", klammern aber die wirklich wichtigen Bereiche aus und hüten sich sorgfältig davor, die eigenen Verletzungen und die ihrer Mitmenschen zu sehen und zu akzeptieren. Ehrlich, was soll man da auch noch reden?
So erlebt mit meiner Mutter (die die wesentlichen Dinge, die ich ihr zu sagen hatte, mit kühler Reserviertheit an sich abperlen ließ und seitdem nichts lieber täte, als wieder die Small-Talk-Bühne zu betreten und sich irgendwie rückzuversichern, dass ich sie immer noch "lieb habe"). Und gesehen an zahlreichen anderen Beispielen, im Netz, im TV, in Büchern. Groß im Ignorieren ist sie, diese Generation.
Gerade beendete Lektüre: "Kriegsenkel" von Sabine Bode. Sehr aufschlussreich, bewegend und anregend - auch zur Geschichtsforschung in eigener Sache. Die Ergebnisse dazu gibt es in einem gesonderten Beitrag.
Meine Musik des Tages:
Maria Mena - Internal Dialogue
Daraus beschäftigen mich fortwährend die Zeilen:
"I tried to look positive at things,
Faced myself but didn't look
That was not honest
I was not healthy
I am not honest, honest."
Ergänzung (26.11.):
Mich verschlug es noch mal auf die Seite von Angelika Kindt, die ein Buch über ihr Dasein als "verlassene Mutter" verfasst hat und sich immer noch darüber wundert, dass ihre Tochter Maya nichts von sich hören lässt. Wenn ich so lese, was sie schreibt, wundert es mich nicht. Zwar postuliert sie gleich zu Beginn, keine Täter- und Opferzuschreibungen machen zu wollen und sich statt dessen um Verständigung und Verstehen zu bemühen, aber liest man in den Kommentaren auf ihrer Seite, dann bietet sich ein anderes Bild. Da schreibt eine Tochter sehr sachlich, klar und bewusst über die Geschichte ihrer Trennung von der Mutter und davon, welche Verletzungen sie in dieser Beziehung erlitten hat, und Frau Kindt bügelt die sehr offene Geschichte ab mit den Worten "Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß ich mich nicht mit dem Thema mißbrauchte, vernachlässigte oder mißhandelte “Kinder” beschäftigt habe und werde. Mich erstaunt an diesem Kommentar die Überheblichkeit."
Jemand, der ein solches Verhalten für Bereitschaft zu Dialog und Verstehen hält, ist meines Erachtens irgendwie auf dem falschen Planeten. Wie soll sie da verstehen, wie es ihrer Tochter Maya ergeht, wenn sie bestimmte Aspekte von vornherein ausblendet?
Eines fällt mir immer, immer wieder auf beim Lesen der Äußerungen "verlassener/verstoßener Eltern" auf: Auf der einen Seite werden sie es nicht müde, regelrecht gebetsmühlenartig zu wiederholen, wie sehr sie ihre Kinder geliebt haben und noch lieben, auf der anderen Seite sind beinahe alle Kommentare von einer derartig vorwurfsvollen Bitterkeit erfüllt, dass es mich nicht im geringsten wundert, dass die Kinder nicht mehr sprechen wollen. Beides zusammen geht nicht. "Gott vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" lamentiert eine Mutter. Wer auf einem so hohen Ross sitzt, sollte ehrlich gesagt nicht mehr nach den Gründen für die Trennung fragen müssen.
Donnerstag, 10. November 2011
Vollkommen inakzeptabel
Am 10. Nov 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Ich bin zwar halbwegs fit in Sachen Computer. Doch als gestern dann schließlich meine Platte voll war, fragte ich mich, wie das denn wohl sein könne und was zum Henker dort so viel Platz beansprucht. Nach einem Nachmittag, auf den ich mich sehr gefreut hatte und den ich eigentlich mit Basteleien verbringen wollte, war ich am Ende doch ziemlich genervt von allerhand Problemen, die dem genussvollen Werkeln in die Quere kamen und einfach keinen Spaß machten. Derart frustriert ging ich irgendwann zum Gatten hinunter und fragte ihn wegen der Platte.
"Ja, was hast Du denn da drauf, dass 40 Gig einfach so voll sind?", fragte er mich.
Ich habe ziemlich hochaufgelöste Scans gemacht. Ich habe da einiges an rohen Bildern herumliegen. Aber ob es daran lag, wusste ich nicht. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Außer "Das weiß ich nicht!"
Damit fing das Drama an.
"Das weiß ich nicht!" ist die Antwort, die ich auf keinen Fall geben darf. Nicht wegen des Gatten oder seines eventuell dünnen Geduldsfadens. Nicht, weil ihn das irgendwie nerven würde. Es hat mit dem Gatten gar nichts zu tun. Es ist die Vergangenheit, deren eiskalter Griff sich um meine Knöchel schließt und mich unter Wasser zieht.
"Wer nicht fragt, bleibt dumm!", hieß es mal im Vorspann einer Kindersendung. Ich habe das anders verinnerlicht. "Wer fragt, ist dumm!", heißt es in meinem ganz persönlichen Programm. Das allerbeste: Gar nicht erst fragen. Sonst prasselt auf mich ein: "Wieso weißt Du das nicht? Das solltest Du aber wissen. Meine Güte, bist Du blöd!" Wenn man fragen muss, dann ganz vorsichtig. Nett. Auf keinen Fall, ohne alle verfügbaren Informationen mitzuliefern, die man schon hat.
Was da abläuft, ist gnadenlos. Es fühlt sich an, als drückte mich ein gigantischer Daumen unangespitzt in den Erdboden. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Was soll das heißen, Duweißtesnicht? Wieso nicht? MannbistDudumm! Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm! Du bist dumm!!
Ich bin wieder ein kleines Kind, dem man das sagen kann. Die innere Stimme, die da auf mich einprügelt, die mir die Tränen in die Augen treibt und mich mit herabgesunkenen Händen stehen lässt, die ist nicht von heute, die ist bar jeder Vernunft, wider jedes bessere Wissen. Ich weiß, dass ich nicht dumm bin. Aber das da, das ist so tief in mir, das ist eingeschrieben wie eine Tätowierung. Wie kann es sein, dass es mich so eiskalt erwischt? Wie ein Schlüsselreiz für einen dressierten Hund.
"Keiner kann alles wissen. Wir kriegen das schon wieder hin!", sagt mein Mann liebevoll. Und bekommt von mir nur zur Antwort: "Ich bin so ein dummes Huhn!" Kein Wunder, dass auch er sich mit hängenden Händen stehengelassen fühlt.
"Ja, was hast Du denn da drauf, dass 40 Gig einfach so voll sind?", fragte er mich.
Ich habe ziemlich hochaufgelöste Scans gemacht. Ich habe da einiges an rohen Bildern herumliegen. Aber ob es daran lag, wusste ich nicht. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Außer "Das weiß ich nicht!"
Damit fing das Drama an.
"Das weiß ich nicht!" ist die Antwort, die ich auf keinen Fall geben darf. Nicht wegen des Gatten oder seines eventuell dünnen Geduldsfadens. Nicht, weil ihn das irgendwie nerven würde. Es hat mit dem Gatten gar nichts zu tun. Es ist die Vergangenheit, deren eiskalter Griff sich um meine Knöchel schließt und mich unter Wasser zieht.
"Wer nicht fragt, bleibt dumm!", hieß es mal im Vorspann einer Kindersendung. Ich habe das anders verinnerlicht. "Wer fragt, ist dumm!", heißt es in meinem ganz persönlichen Programm. Das allerbeste: Gar nicht erst fragen. Sonst prasselt auf mich ein: "Wieso weißt Du das nicht? Das solltest Du aber wissen. Meine Güte, bist Du blöd!" Wenn man fragen muss, dann ganz vorsichtig. Nett. Auf keinen Fall, ohne alle verfügbaren Informationen mitzuliefern, die man schon hat.
Was da abläuft, ist gnadenlos. Es fühlt sich an, als drückte mich ein gigantischer Daumen unangespitzt in den Erdboden. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Duweißtesnicht. Was soll das heißen, Duweißtesnicht? Wieso nicht? MannbistDudumm! Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm! Du bist dumm!!
Ich bin wieder ein kleines Kind, dem man das sagen kann. Die innere Stimme, die da auf mich einprügelt, die mir die Tränen in die Augen treibt und mich mit herabgesunkenen Händen stehen lässt, die ist nicht von heute, die ist bar jeder Vernunft, wider jedes bessere Wissen. Ich weiß, dass ich nicht dumm bin. Aber das da, das ist so tief in mir, das ist eingeschrieben wie eine Tätowierung. Wie kann es sein, dass es mich so eiskalt erwischt? Wie ein Schlüsselreiz für einen dressierten Hund.
"Keiner kann alles wissen. Wir kriegen das schon wieder hin!", sagt mein Mann liebevoll. Und bekommt von mir nur zur Antwort: "Ich bin so ein dummes Huhn!" Kein Wunder, dass auch er sich mit hängenden Händen stehengelassen fühlt.
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