Sturmflut
Rosa, alles rosa!!
Meine zweitälteste Nichte wurde am Samstag eingeschult. Ein paar Mal nicht hingeschaut, und schon ist auch sie so weit - auch wenn mir das Mädchen viel zu klein für die riesige Schultasche scheint.

Das war Anlass für die beiden Großmütter, die Kleine mit allerhand Geschenken zu überhäufen. Und weil natürlich keine Eifersüchteleien aufkommen sollen, wurden gleich Geschwister und Cousins wie Cousinen ebenfalls beschenkt. "Das ist, als wenn Weihnachten ist!", brachte es das frischgebackene Schulkind trefflich auf den Nenner.

Wann immer ein Kinder-Beschenktag stattfindet, komme ich in den Genuss, mir die neuesten Spielzeugtrends anschauen zu können. Der Kleinste und sein Cousin kamen mit kleinen Baggern und Traktoren gut und vergleichsweise konservativ davon. Die Schulanfängerin wurde mit Ruckack und Gummistiefeln in rosa beglückt, mit einem abschließbaren Tagebuch in rosa und mit der Hello-Kitty-Wundertüte, die reichlich gefüllt war mit rosa Glitzerstickern und anderem Tand. Krönung für die Schwestern waren allerdings die "Filly Unicorns", kleine Einhörner-Figuren aus PVC, natürlich mit Glitzersteinchen-Diadem.

Kannte ich noch nicht. Die Figuren werden beim Hersteller unter der Rubrik "Sammelthemen" geführt, und wenn die Kids sammeln, dann ist natürlich ein gutes Geschäft immer schon einmal gesichert. Keine ungeschickte Strategie. Auch wir haben als Kinder schon gesammelt. Ich wurde neugierig und wollte wissen, was denn die herzigen "Fillies" nun genau sind, und es verschlug mich auf die genannte Website.

Ich bin wirklich keine radikale Verfechterin des Gender-Mainstreamings, aber bei so viel Harmonie im Mädchenspielzeug wurde mir dann doch schlecht. Mal ganz davon abgesehen, dass es wirklich nicht nötig ist, die Kinder bis zum Gehtnichtmehr mit allem möglichen Kram zu beschenken, war das dann doch auch inhaltlich absolut schmerzgrenzwertig. Denn die "Fillies", so lehrte mich mein Ausflug in deren wunderbare Glitzerwelt, leben auf tollen Kristallinseln, die alle ein unterschiedliches Thema haben: Alles dreht sich um Liebe, Romantik, Schönheit, Träume, Partys und Freundschaft.

Eine perfekte Vorbereitung auf das spätere Mädchenleben. Schon hier gibt es eine "Filly"-Beauty-Queen zu erwerben, und einige der Viecher sind allein für die neuesten Trends "zuständig". Hurra! Meine Nichte ist erst sechs. Ich hoffe sehr, dass das Plastiktier möglichst schnell in irgendeiner staubigen Kinderzimmerecke verschwindet.

Es ist zweifelsohne der Initiative des Spielzeugfabrikanten geschuldet, dass alles so zuckrig ausfällt. Klar, Kinder schleppen Trends wie Seuchen aus dem Kindergarten und der Schule nach hause, aber so einen Kappes kann sich kein Kind ausdenken und geschlechtsspezifischerweise wollen. Zum einen ist es die reine Geldschneiderei, die mich an sowas aufregt. Aber Brechreiz erzeugt mir vor allem die Glitzer-Harmonie-Freundschafts-Zucker-Welt, die den kleinen Mädchen da als Rollenmuster angeboten wird.

Es ist mir bewusst, dass ein grottenhässliches Plastiktier aus einem kleinen Mädchen noch keine zukünftig unselbständige, dämliche Tussi macht. Aber in allem enthalten ist die Prämisse "Mädchen sind so!". Sie sind nicht so, genau wie die Jungs keine stacheligen Power-Rangers sind, die sich fortlaufend beweisen und prügeln müssen.

Jungen und Mädchen unterscheiden sich, und das ist auch okay. Ich frage mich nur, wie anders das Bild wohl aussähe, wenn der ganze Klimbim drumherum, den die Spielzeughersteller (und später die Bekleidungs- und Kosmetikkonzerne) so gekonnt in Szene setzen, wegfiele. Inklusive der unbewussten Rollenschemata, die Eltern ihren Kindern vorleben. Sanktioniert wird, was nicht in die eigene Vorstellung passt: Das aggressive Mädchen, der anlehnungsbedürftige Junge. Das aktive, neugierige Mädchen, der passive, stille Junge. Und zwar von Beginn an.

Wie sehr solche Umstände menschengemacht sind, kann man ganz gut erkennen, wenn man Kinderfotos von einst und heute nebeneinanderhält. Vor 30 Jahren, als ich klein war, trugen wir Latzhosen in rot und blau, Pullis in orange und grün, in den kräftigen Farben der Siebziger.



Alles sehr kindlich-lebendig, und man hat mich schon auch mal in khaki Cord gesehen. Heute sind die Mädchen in rosa und rot, die Jungs in blau, braun und schwarz unterwegs. Auf einen Blick kann man erkennen, welche Rucksack-, Brotdosen- oder Trinkflaschengarnitur für Lilly und welche für Leon ist. Die Zeiten, in denen ein Geschwisterpaar unterschiedlichen Geschlechts mit demselben Tornistermodell in die Schule ging, sind definitiv vorbei.

Ich bin gespannt-besorgt, wohin das Rosatum wohl führen wird. Zumal diese Form der Kategorisierung durch konservative bis radikal-rückschrittliche Tendenzen in Erziehung, Familienleben und Rollenverteilung untermauert wird. Wenn's anderweitig eng wird, braucht man halt Schubladen, in denen man sich festkrallen kann. Ich hoffe, dass die Nichten und Neffen dem nicht längerfristig zum Opfer fallen.

Ergänzung:
Ein spannender Überblick über die Geschichte der geschlechtsgebundenen Blau-Rosa-Farbgebung findet sich hier. Ein angenehmer Gegenpol zu den lustigen biologistischen Offenbarungen mancher Forscher, Mädchen liebten Rosa, weil das nun einmal die Farbe der Beeren (die die Steinzeitfrauen sammelten) oder der Haut der Babys (die die Steinzeitfrauen hüteten) sei und Blau eben die Farbe des Himmels (unter dem sich die Steinzeitmänner meistens aufhielten)...