Sturmflut
Mittwoch, 3. Februar 2010
Da sein, so sein, jetzt sein
Glück ist etwas, das irgendwie allen immer erstrebenswert scheint. Geht es aber darum, Glück zu definieren, dann wird es schwierig. "Glücklich werden!", das liegt in der Zukunft. Es bleibt vage, wenig greifbar und der Begriff an sich ist sehr dehnbar. Die gesamte Bandbreite menschlicher Erlebnisse und Erfahrungen kann in der Vorstellung von Glück enthalten sein. Vom Banalen (Geld) bis hin zum Tiefgründigen (zusammen alt werden) ist alles dabei. Fest steht aber, dass Glück etwas ist, auf das man offensichtlich hinarbeiten oder zumindest doch hin-sehnsüchteln sollte.

Wenn ich überlege, wann ich Glück empfunden habe, dann hatte das bemerkenswerterweise immer etwas mit der Gegenwart zu tun. Glücklich bin ich, wenn ich vollkommen darin aufgehe, mit dem Pinsel in der Hand und Terpentingeruch in der Nase meine Schuppentür anzustreichen. Glücklich bin ich auch dann, wenn ich nur stumm und mit offenen Ohren dasitze und Musik höre - bewusst und Ton für Ton. Glücklich bin ich, wenn ich im Sattel meines Fahrrades die Bewegung und den Wind im Haar spüre. Oder wenn ich in Begegnungen und Gesprächen die Gegenwart (!) anderer Menschen genieße.


Ein kluger Mensch hat mir mal gesagt, es sei ungesund, zu sehr außerhalb der eigenen Gegenwart zu sein. Das Hadern mit Fehlern, Verfehlungen und Defiziten der Vergangenheit nimmt mir ebenso die Luft zum Atmen wie Angst vor der Zukunft und die damit verbundenen Grübeleien. Vergangenheit und Zukunft sind Teil meines Daseins, aber sie sind, was sie sind: Vergangen oder noch nicht geschehen. Wenn ich mich in ihnen aufhalte, bin ich mit mir selbst ungleichzeitig.

Sich gegenwärtig sein kann euphorisch machen. Man wird innerlich leiser und aufmerksamer für das, was gerade geschieht und wie es sich anfühlt. Bewertungen treten in den Hintergrund, Beobachtungen in den Vordergrund. Mit der Vergangenheit tritt auch das Messen der Gegenwart an Gewesenem zurück. Gegenwärtig sein heißt auch, sich selbst nicht als etwas noch zu werdendes zu begreifen, sondern einen Wandel zu beobachten in dem Moment, in dem er geschieht. In der Gegenwart besteht die Welt nicht mehr aus aufgehäuften Schulden und noch auszugleichenden Defiziten. Im Jetzt ist Erlebnis, Erfahren und Befreiung von dem Zwang des Bewerten-Müssens. Es ist, wie es ist.

Es ist ein verführerischer Gedanke: In den Tag hineinleben, leben, als gebe es kein gestern und kein morgen, carpe diem. Das ist dauerhaft wohl kaum möglich und lebbar. Dem zum Trotz übe ich fleißig, die Gegenwart bewusster werden zu lassen. Von den Früchten dieses Übens kann ich lange zehren. Ich nähere mich mir selbst immer wieder neu, so, wie ich im Hier und Jetzt bin, mit wachsender Akzeptanz. Nicht die schlechteste Ernte.

Meine Musik des Tages:
Alexi Murdoch - Breathe

Permalink



... früher