Sturmflut
Freitag, 12. Februar 2010
Vergänglichkeit
In einem Bildband von Isolde Ohlbaum, den mir irgendwann einmal eine liebe Freundin in die Hand drückte, stieß ich auf eindrucksvolle Fotos alter Grabskulpturen. Klar, es ist Frau Ohlbaums talentiertem Auge geschuldet, dass die Bilder an sich faszinieren. Interessanter noch fand ich aber, dass sich jemand in Bild und gesammelter Lyrik mit Tod und Ästhetik gleichzeitig auseinandersetzte, und das in einer Zeit, in der der Gedanke an das Sterben und den Tod ausgesprochen unpopulär ist. Gestorben wird allenfalls noch im Film (dann garniert mit viel Blut und Kugeln oder viel Dramatik und Poesie). Oder in wirklich guten Fernsehserien, die allerdings leider Ausnahmeerscheinung bleiben.

Wir haben ja eigentlich keine richtige Trauerkultur mehr. Unsere Friedhöfe werden immer uniformer, der Trend geht zum anonymen Gräberfeld. Wenn es hochkommt, dann gibt es überdimensionale Herzen aus Granit. Ich finde die Sepulkralkultur vergangener Zeiten so bewegend. Besonders beeindruckte mich in dieser Hinsicht eine Reise nach Wien, die leider schon ein wenig zurückliegt. Natürlich war der Zentralfriedhof (330.000 Gräber!) Besichtigungspunkt. Viele Grabstätten berühmter Persönlichkeiten, aber vor allem Kunst am Grab. Aber auch sonst... Immer wieder fand ich irgendwo im Wiener Stadtbild, im Vorbeilaufen, hier einen steinernen Schädel, dort eine Begräbnisstätte.

Ich weiß noch, wie ich mich als Kind immer erschreckte, wenn es irgendwo ein Skelett oder einen Schädel zu sehen gab. Ich hatte irgendwie verinnerlicht, dass das etwas Gruseliges ist und mir wurde flau im Magen, aber da war trotz allem auch immer eine gewisse Faszination. Vielleicht war es auch diese Faszination, gepaart mit einem Quantum Voyeurismus, die mich mal in einen Vortrag von Mark Benecke trieb - danach schlief ich zwei Nächte schlecht und träumte von Maden und Leichen. Etwas Zeit ging ins Land, ich ging ein zweites Mal, träumte ein zweites Mal schlecht... Aber mir wurde auch wieder einmal bewusst, wie vergänglich unsere Körper sind und dass es der Natur relativ egal ist, wer man vor dem Tod war, was man hatte, wen man kannte. Die Menschen früher wussten das irgendwie noch.

Da gab es zum Beispiel die Sitte, ein kleines hölzernes oder elfenbeinernes "Tödlein" oder auch "Memento mori" mit sich herumzutragen, um sich an die eigene Vergänglichkeit zu erinnern.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein hat man die gerade Verstorbenen auf dem Totenbett oder im Sarg arrangiert, mit Blumenbouquett und den schönsten Kleidern, und ein Erinnerungsfoto machen lassen. Die Totenbettfotografie mutet aber den meisten heute wohl eher makaber oder unheimlich an. Ich finde das aber auf eine eigenartige Weise respektvoll und zugleich auch realistisch - sieht doch ein Toter eben tot aus. Der Fotograf Walter Schels und die Journalistin Beate Lakotta trauten sich das - Fotos von Sterbenden vor und nach deren Tod zu machen und deren Geschichten zu erzählen. Das Ergebnis ist beeindruckend und in keiner Weise pietätlos.

Sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, ohne gleich in die Gothic-Ecke (Gruftis nennt man sie ja heute nicht mehr) gesteckt zu werden ist gar nicht so leicht. Im Gespräch kamen auch schon Reaktionen wie "Was machst Du Dir darüber einen Kopf, Du bist doch noch jung...". Dennoch habe ich Freunde sterben sehen. Es ist zutreffend: Nichts ist so sicher wie die Tatsache, dass wir sterben, und nichts so ungewiss wie der Zeitpunkt. Ab und an kann es nicht schaden, sich das ins Gedächtnis zu rufen.

Meine Musik des Tages:
Midlake - Acts Of Man

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