Sturmflut
Samstag, 10. April 2010
Angst und Trotz
Ich weiß, ich lebe in ländlicher Idylle und verglichen mit einem Großteil aller Städte auf der Welt geradezu im Paradies. Ich habe sozusagen nicht die geringste Ahnung vom "wahren Leben" vieler Menschen, und wahrscheinlich hängt es auch mit diesem glückseligen, permanenten Abgeschnittensein von beinahe jeglicher Form von Straßengewalt, Drogenszene, Bandenkriegen und Prostitution zusammen, dass ich wie eine Mimose auf Großstadtverhältnisse reagiere.

Dennoch beschleicht mich auch hier immer wieder eine eigenartige Mischung aus Angst und Trotz, wenn ich auf eine bestimmte Sorte Mensch treffe - auch wenn es nur die Landeier-Version ist. Die Menschen, die mir eine solche Angst einjagen können, sind junge Männer, im Alter vielleicht irgendwo zwischen noch grünen 14, 15 Jahren und Mitte Zwanzig. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich es wirklich nicht abwertend meine (man muss ja schon deshalb vorsichtig sein, weil sämtliche einmal gewählten Bezeichnungen für gesellschaftliche Randgruppen mit negativer Bewertung belegt werden... Sogar der Begriff Randgruppe selbst), aber meistens sind es Jungen mit offenkundigem Migrationshintergrund, die in mir diese Furcht erzeugen.

Ich fahre sehr häufig Bus, und meistens sind da auch die noch berufs-un-tätigen besagten jungen Männer, sich breitbeinig auf den hinteren Bänken fläzend und alle mit einem abschätzenden, herablassenden Blick bedenkend. Besonders die mitfahrenden Frauen. Die jungen Mädchen, die mit ihnen fahren, sind meistens züchtigst kopftuchverhüllt, an der eigenen Schwester gibt es also im Allgemeinen wenig abschätzig zu bewerten. Aber im Bezug auf alle anderen Frauen unter dem Alter ihrer eigenen Großmütter reicht die Verhaltenspalette von bösen Blicken bis zu übelsten sexistischen Sprüchen und Brüllereien.

Die Aggression, die darunter zu spüren ist, ist für mich kaum aushaltbar, auch wenn ich das nach außen natürlich nicht zeige. Das Mustern und Starren allein ist schon ein Affront, den sich bei den weiblichen Angehörigen dieser Jungens wahrscheinlich kein fremder Mann einfach so erlauben dürfte, ohne gleich die Familienehre zu verletzen. Die Geräuschkulisse tut ein Übriges. Das Testosteron spritzt den jungen Herren regelrecht aus den Ohren, sie sind die Könige der Welt, wie sie da den hinteren Teil des Busses okkupieren, mit einer Selbstverständlichkeit, die Rückschlüsse auf eine gewisse anerzogene Anspruchshaltung ziehen ließe, wüsste man es denn genauer.

Ich habe nun aber auch den Vorteil, eine große Frau zu sein, und es fällt mir bei aller Aggression denn auch schwer, junges Gemüse wirklich ernst zu nehmen, dessen gegelte Haare mir knapp bis zum Kinn reichen. Da hilft auch der coolste Blick nichts. So starre ich dann penetrant zurück, lasse abmessende Blicke über Baggypants und pickelige, beflaumte Gesichter gleiten und sehe oftmals in diesen Situationen einen Hauch von Unsicherheit in den Augen aufblitzen.

Diese Ambivalenz beschäftigt mich. Wie ist es möglich, zugleich Angst und Verachtung gegenüber solch jungen Menschen zu spüren? Und wo bleibt mein Mitgefühl, wo die Annahme, dass sie einen souveränen Umgang mit den eigenen Gefühlen wohl nicht beherrschen und nur deshalb so überkompensieren? Ich weiß es nicht.

Ich habe durchaus Angst davor, dass ich vielleicht eines Tages einmal zu viel abgeschätzt und hingeschaut habe und möglicherweise die Konsequenz ist, dass ich eins auf's Maul bekomme. Aber in das bei ihnen übliche Rollenbild des verschüchterten, verschleierten Weibchens mag ich mich von diesen Machos auch nicht pressen lassen, irgendwo ist eine Grenze.

Gut, dass ich auf dem Land lebe. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich den herrschenden Verhältnissen schon längst anpassen müssen, und auch direkte Zurück-Blicke wären mir nicht mehr möglich, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen.

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