Sturmflut
Mittwoch, 1. Dezember 2010
"Ich entscheide...
...wer mich beleidigt!"
Ach, wie schön wäre das, wenn es mir gelingen würde, diese Haltung zu leben.

Kleiner Überblick: "Wer glaubt, dass Abteilungsleiter Abteilungen leiten, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten." - diese sinnige Aussage trifft auf die Situation mehrerer Kollegen einer anderen Abteilung zu, die sich mit uns das Büro teilen. Über die mangelnden Fähigkeiten besagten Zitronenfalters in den Bereichen Leitung, Durchsetzungsvermögen, Problembewältigung und Interessenvertretung wird sich denn auch regelmäßig ausgetauscht. Er ist ein Weichei, um es mal schlicht auf den Punkt zu bringen. Jemand, der am laufenden Band über die Zumutungen und Anforderungen seiner Arbeit lamentiert, aber nichts tut, um daran etwas zu ändern, aus Angst davor, anzuecken und das warme Mäntelchen allseits zustimmenden Lächelns ablegen zu müssen. Er quittiert viele Probleme, die sich im Arbeitsprozess ergeben, schlussendlich mit einem lahmen "Ich mach' nur noch, was man mir sagt!". Unter Leitung stellt man sich gemeinhin etwas anderes vor. Darüber kann man sich aufregen, das sehe ich ein. Besonders, wenn man "unter" demjenigen arbeiten muss und dessen Unfähigkeit, klare Aus- und Ansagen zu machen, einen immer wieder in Schwierigkeiten in Form von Mehrarbeit und redundanten Tätigkeiten bringt. Also habe ich durchaus großes Verständnis dafür, dass sich insbesondere ein bestimmter Kollege (ich nenne ihn mal den Misanthropen) immer wieder über diese Vogel-Strauss-Taktik aufregt und das auch dem Zitronenfalter gegenüber zum Ausdruck bringt.

Vor ein paar Tagen platzte mir aber dennoch der Kragen (und jetzt komme ich zum Kern):
Der Misanthrop regte sich mal wieder über seinen besagten Abteilungsleiter auf. Nachdem dieser ein Problem geschildert und ausgiebig darüber gejammert hatte, meinte der Misanthrop: "Mein Gott, du bist echt wie 'ne Frau!" Das Weichei seinerseits rechtfertigte sich dann händeringend dafür, warum er ausgerechnet in dieser Sache nicht konsequenter und direkter zu Werke ginge. Nach Beendigung des Rechtfertigungs-Schwalls wiederholte der Misanthrop beharrlich: "Ja, aber du bist echt wie 'ne Frau! Wirklich, du bist echt total wie 'ne Frau!"

Angesichts der Tatsache, dass ich die einzige Frau in diesem Büro bin, bin ich zugegebenermaßen hellhörig auf diesem Ohr (und aus noch ein paar anderen Gründen, die zu erläutern jetzt wahrscheinlich ein wenig zu weit führen würde). Wie immer, wenn der Misanthrop mit Aussagen über "typisch weibliche" Eigenschaften aufwartet, brachte mich das auch dieses Mal dazu, mich zu fragen, was wohl gemeint sei. Bezogen auf das Zitronenfalter-Weichei konnte das nur bedeuten: "Du bist in deiner konfliktvermeidenden, lahmen, irrationalen und wenig durchsetzungsfähigen Art den Frauen gleich!" Es ist mir bewusst, dass ich die Freiheit habe, mir diesen Schuh anzuziehen oder es bleiben zu lassen. Ich zog ihn mir an, denn ich hatte die Schnauze so gestrichen voll davon, dass in diesem Büro das Wort "Frau" und die Eigenschaft "weiblich" als verdecktes, wenn auch nicht sehr subtiles Schimpfwort verwendet wird. Möglicherweise hätte mich das nicht ganz so sehr getroffen, wüsste ich nicht, dass der Misanthrop genau diese Eigenschaften des Weicheis über alle Maßen verabscheut und eben dieser Verachtung mit einem großen Maß an Gehässigkeit durch den Satz "Du bist echt wie 'ne Frau!" Ausdruck verlieh.

Einem Mann zu sagen, er sei wie eine Frau, impliziert ein Wertigkeitsgefälle. Würde man das im Straßenversuch testen und unvermittelt auf Männer zugehen und ihnen sagen, sie benähmen/verhielten sich oder wirkten wie eine Frau, dann würden sich viele dadurch vermutlich angegriffen fühlen, insbesondere die jüngeren. Dieses Wertgefälle ist für mich deutlich spürbar, und auch dem abmildernden Kommentar einer Kollegin, sie fände das erfrischend und spaßig, kann ich leider nicht viel abgewinnen. Mir wurde gesagt, da sei ich viel zu empfindlich. Ich denke, ich bin vielleicht noch längst nicht empfindlich genug.

Angesichts dieses gehaltvollen Dialogs spürte ich, wie mir die Wut den Nacken hochkroch. Mir wurde kalt, ich spürte die Gänsehaut auf den Armen und meinen schneller werdenden Puls. Nun lehrte mich die Erfahrung, dass es mir massive Magen- und Seelenschmerzen verursacht, diese aufziehenden Gefühle zu ignorieren. Also bin ich geplatzt.

Ich: "(...), bitte! Lass es einfach!"

Er: "Was?!?!"

Ich: "Diese Frauen-Scheiße. Mich kotzt das einfach ohne Ende an. Wenn Du (...) scheiße findest, dann sag' ihm, Du findest ihn scheiße, aber komm' nicht mit diesem Frauen-Mist!"

Er: "Du kannst mir nicht den Mund verbieten und mir vorschreiben, was ich sage und was nicht!"

Ich: "Da hast Du natürlich vollkommen Recht, das kann ich nicht. Nimm es trotzdem zur Kenntnis, dass mich das nervt!"


Kurze Schweigepause.

Ich: "Ich habe natürlich meine Gründe, warum ich das zum Kotzen finde, aber ich nehme mal an, sie interessieren Dich nicht!"

Er: "Stimmt genau. Die interessieren mich wirklich nicht!"


(Klar, dass er meine Steilvorlage aufgreift. Der Misanthrop kommt schließlich nicht umsonst zu diesem Namen, er ist ein intelligenter Mensch, der aber gern demonstriert, wie egal ihm alle anderen auf dieser Welt angeblich sind...)

Seitdem ist Stille.

Okay.
Ich habe mich provozieren lassen.
Ich habe nicht den Weg der konstruktiven Aussprache gesucht.
Ich habe mit ihm in einem Ton gesprochen, den Eltern benutzen, wenn sie mit ihren Kindern schimpfen.
Es war klar, dass er darauf auch antworten würde wie ein trotziges Kind.
Ich bin jetzt die Zicke. Auch das war klar.

Aber mal ehrlich: Es geht mir damit bedeutend besser als die x Male, die ich es heruntergeschluckt und mich innerlich beschwichtigt habe mit den Worten "Du überreagierst!" und "Wahrscheinlich meint er es nur spaßig!" Ob ich es als Affront auffasse, wenn er solche Sachen sagt, liegt in meiner Hand und meiner Verantwortung. Es stimmt, ich muss selbst für mich entscheiden, wer mich beleidigt und wer nicht. Aber selbst, wenn mir das Ärger und einen Adrenalinschub verpasst, ist es doch wichtig, anzuerkennen: So sind meine Gefühle und Bedürfnisse jetzt. Ich fühle mich jetzt in diesem Moment davon angegriffen und beleidigt, und ich gebe diesem Gefühl Ausdruck. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Das anzuerkennen gibt mir die Stärke, meine Meinung zu vertreten und entschieden zu bleiben. Ich habe meine Grenzen, und ich zeige sie. Natürlich liegen die Grenzen anderer Menschen anderswo.

Richtig, ich wünsche mir manchmal mehr Gelassenheit und Entspanntheit in diesen Dingen - insbesondere in Geschlechterfragen. Andererseits sind die Fronten jetzt geklärt. Das macht mich auch irgendwie zufrieden.

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