Sturmflut
Dienstag, 28. Dezember 2010
Glücksdruck und "negative" Gefühle
Ich schrieb schon mal über das Glück. Und irgendwie geht es mir auf den Keks, das Glück. Es scheint eine Art Diktat des Glücklichseins zu geben in der Gesellschaft. Jeder will glücklich sein, sofort und für immer. Dabei ist gar nicht mal sicher, was Glück und Glücklichsein eigentlich ist. Wir wünschen es ständig, uns und anderen. Ich habe versucht, zu definieren, in welchen Momenten ich mich glücklich fühle, und zum Teil ist mir das auch gelungen, aber andauernd diesen Zustand anzustreben wäre doch kontraproduktiv. Man zerstört sich die Möglichkeit schon in dem Moment, in dem man künstlich versucht, sie umzusetzen.

Ich finde es grässlich, dass dieses Glücksdiktat überall so spürbar ist. Wenn man es sich denn antun will, findet man dieses Bild zum Beispiel im Fernsehen. In der Werbung sind die Leute natürlich immer "glücklich". Strahlende Muttis füttern ihre Nachkommenschaft mit glücklichmachenden, familienzusammenhaltfördernden Pralinen, Eintöpfen und Kinderjoghurts ab. Fröhliche Freunde rufen ihre fröhlichen Freunde zum Happy-Wochenende-Tarif an und bringen ihnen zur hippen Wohnungs-Einweihungsparty Wertschätzungs-Süßigkeiten vorbei. Aufziehende Wölkchen, die den Happiness-Himmel trüben könnten, werden mit Wohlfühl-Raumspray weggesprüht. Die miserablen, peinlich offensichtlich auf Glücks-Urinstinkte abzielenden Soaps sind bloß eine Verlängerung des Glücksdrucks. Darin stehen miese Machenschaften und intelligent inszenierte Intrigen nur dem endgültigen Glück der Protagonisten entgegen, aber das Glück als grundsätzlich anzustrebender Zustand wird stillschweigend vorausgesetzt. In dem wenig tiefgründigen Hollywood-Film "The Pursuit of Happyness" (deutsch: "Das Streben nach Glück") aus dem Jahr 2006 spielt zwar vordergründig persönliches Elend eine Rolle, aber schließlich wird das, was die Hauptfigur und die Gesellschaft, in der sie lebt, als Glück definieren, doch erreicht: Eine Anstellung als Investment-Banker.

In einem Artikel der "Psychologie heute", die ich aus der Bibliothek lieh, fand sich etwas differenzierter ein ähnliches Bild. Es ging unter anderem darum, welche aus der Religion entlehnten Konzepte den Menschen zu mehr Wohlbefinden verhelfen könnten. Es ging um Verhaltensregeln, Verzeihen und die Korrektur unerwünschter Gefühle. Also auch hier: Glück um jeden Preis, Psychotherapeut und Pastor als Glückshelferlein. Auch das Unglück der Kinder scheint ein Affront für die Eltern zu sein. Unglücklich zu sein ist nicht in Ordnung, und wenn das Kind unglücklich ist, ist es zugleich auch noch für das Unglück der Eltern verantwortlich, das daraus erwächst.

Mir fällt auf, dass dieser Glücksdruck mit der Realität kollidiert. Ich wage die These, dass genau dieser Umstand den Menschen unglücklicher macht, als er eigentlich zu sein bräuchte, und dass die Bemühungen, dieses "Unglück" abzustellen, wiederum den Glücksdruck noch erhöhen. Man fängt sich in einem Kreislauf des Glücklich-Sein-Müssens, in dem man permanent den Mangel an Glück spürt und darüber unglücklich ist.

Das prägt unseren Umgang mit Gefühlen, die wir als dem Glück abträglich bewerten. Angst und Traurigkeit, Hass, Wut, Neid, Eifersucht, Gier, Scham - all diese Aspekte wollen wir ganz verzweifelt ausblenden, weil wir gelernt haben, dass man, wenn man solche Gefühle hat, nicht glücklich sein kann. Sie werden uns als "Todsünden" untersagt, die es zu bekämpfen gilt. Wir wollen sie uns nicht eingestehen, weil sie nicht akzeptabel sind. Erfolgreich, euphorisch, fröhlich, originell, beliebt, kontaktfreudig wollen wir sein. Nicht die Versager, die heulen, kämpfen, wettern und wüten. Kein Wunder, dass sowohl die mediale als auch die reale Welt immer seichter und oberflächlicher werden. Wir wollen nur noch die charmanten Freunde, nicht die komplizierten. Wir wollen nur noch das nette Geplauder, keine stundenlangen Diskussionen, von denen wir nicht wissen, ob sie uns "etwas bringen". Wir wollen nur noch die aufregenden Sonnenschein-Lebens-Abschnitts-Gefährten, nicht die Menschen mit Macken. Wir blenden an uns und allen anderen aus, was uns am eigenen Glück hinderlich scheint.

Und trotzdem hat diese Gefühle irgendwie jeder Mensch. Das ist das Verrückte daran. Nur weil wir sie nicht sehen wollen, heißt das nicht, dass sie nicht da sind. Im Gegenteil, je weniger wir sie annehmen, um so mehr verselbständigen sie sich. Jedes Gefühl will gesehen und gelebt werden. Verbotene Trauer ist fast noch schlimmer als verbotene Fröhlichkeit. Verbotene Wut richtet sich nach innen, verbotene Gier frisst die Substanz.

Pito kommentierte in meinem damaligen Eintrag treffend: "Selbst die weniger schönen Dinge, die nunmal zum Leben gehören, fügen sich ein und haben ihren Platz. Dieses "Glück" heißt also nicht, dass man sich in jedem einzelnen Augenblick glücklich fühlt, es schließt vielmehr die ganze Gefühlspalette ein. Es ergibt sich aus dem Ganzen, wenn alles "richtig" ist."

Für sich selbst ganz persönlich "richtig" zu sein setzt voraus, dass man sich kennt und akzeptieren kann, was man fühlt. Wie schwierig das eigentlich ist, erlebe ich tagtäglich. Es ist ein automatisierter Mechanismus, mit dem ich aufsteigende Gefühle von Traurigkeit und Wut von mir weise, sie negiere und in den Keller sperre. Immerhin ertappe ich diesen Mechanismus inzwischen dabei, wie er sich einschaltet, und habe (manchmal) den Mut, mir das Gefühl, das ich da unterdrücke, genauer anzuschauen. Wie viele Menschen versinken bewusstlos im Nicht-Fühlen und wundern sich über die Leere in ihrem Inneren? Auch diese Leere kollidiert mit unserem Bild von Glück. Wir wollen uns doch erfüllt und happy fühlen, oder nicht? Wieso nur sind wir dann so unglücklich?

Ich will nicht dauernd glücklich sein, ich will einfach nur sein. Sie hängt mir zum Hals raus, diese Glücks-Mentalität. Glücklichsein ist was für Anfänger, macht ein Achtzigstel meiner Gefühlsmöglichkeiten aus. Ich will mich nicht beschränken aufs Glücklichsein. Es ist nicht so, dass ich lieber permanent traurig wäre, aber wer sagt mir denn, welche meiner Gefühle falsch und welche richtig sind? Es sind doch nur diese Bewertungen, die uns Kopf- und Herzzerbrechen bereiten, nicht die Gefühle an sich.

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