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Dienstag, 18. Juni 2013
Ausrangierte Waagen
und Verzicht nach sechs.
und Verzicht nach sechs.
Am 18. Jun 2013 im Topic 'Deckschrubben'
Freudlosigkeit - das ist das Wort, das mir einfällt, wenn ich in Blogs und Foren die vielen, vielen Beiträge lese, die sich mit Figur, Gewicht, Körperformen und Aussehen auseinandersetzen. Hauptsächlich setzen sich da Frauen auseinander, aber es werden zunehmend auch mehr Männer. Zunehmend! Böses Wort.
So ärgerte sich beispielsweise neulich Bloggerkollegin Tama über überflüssige Pfunde. Im Kommentarstrang entspann sich eine mal mehr, mal weniger sachliche Diskussion um Diktate von außen und um Selbstwahrnehmung, gar um Intelligenz (denn sich dem Schlankheitsdiktat zu beugen, sei ja irgendwie schließlich dumm). Anderswo in unserem Bloggerdorf treibt eine junge Mutter der Wunsch um, nach Schwangerschaft und Geburt möglichst schnell wieder zur "Sexy Mum" zu werden und sie fragt sich, ob sie es durchhält, auch bei Besuch weiterhin nach 18 Uhr keine Kohlehydrate zu essen. Frau Journelle hat sich entschlossen, die Personenwaage von ihrer tragenden Rolle in ihrem Leben zu entbinden, dem #waagnis-Phänomen folgend, das Bloggerin Maike ins Leben rief.
Ich möchte nicht behaupten, dass Gewicht und Körperform früher eine geringere Rolle spielten als heute. In meinen alten Burda- und Neue Mode-Heften aus den Sechzigern und Siebzigern finden sich unfassbar viele Inserate für Schlankheitsprodukte, auch wenn immerhin die Schneiderhefte damals noch Modelle in den Größen 34 bis zum Teil sogar 50 lieferten, ohne mit der Wimper zu zucken und das Etikett "Plusgröße" draufkleben zu müssen. Da fand sich eine 42, wie ich sie trage, in der Mitte der Bandbreite, während ich damit heute in der Kategorie XL rangiere. Dabei fühle ich mich gar nicht XL. Allenfalls in der Länge, die ich aber sehr mag.
Zurück zur Freudlosigkeit. Es wird im Zusammenhang mit Körpern, Körperbildern und Körperidealen allenthalben an das und über das Essen nachgedacht. Kasteiung scheint das Gebot der Stunde, Fresserei gilt als maßlos, man befasst sich dauernd mit dem Thema der Nahrungsaufnahme. Mit jeder einzelnen Kalorie. Wann man isst. Was man isst. Wo sich das niederschlägt. Ob das Stück Schokolade einen vom eigenen Ideal entfernt oder ob man sich das "gönnen" darf. Egal, ob man jetzt tatsächlich (nach wessen Maßstäben auch immer) zu dick ist, alles, was wir uns zuführen, muss bewertet werden. Entweder, weil wir uns so oder so schon inakzeptabel fühlen, oder, weil wir nicht riskieren wollen, es zu werden.
Genuss geht anders. Ich liebe Sahne. Ich kann Sahne schlagen, einen Viertelliter, einen halben, mit ein bisschen Vanillezucker, und dann einfach löffeln. Das ist sowas von abartig lecker. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass das für mich nicht mehr länger lecker sein wird, wenn ich mir während des Löffelns den Kopf darüber zerbrechen muss, was ich da eigentlich mache. Oh je, zwei Kugeln Eis - nein, dann lieber nur eine (obwohl ich gerne noch die Geschmacksrichtung Kokos probiert hätte). Oh je, das ist mit Käse überbacken, das ist nicht gut für mich. Oh je, ich merke, ich kriege Lust auf ein Butterbrot mit Salami - aber das soll ich ja nicht... Was es da zu begehren gibt (und das völlig zu Recht), das trägt für uns immer gleich das absolut lustfeindliche Verbot in sich. Und selbst, wenn wir es uns "erlauben", wissen wir, dass wir uns selbst hinterher dafür büßen lassen, weil der Genuss allen Anforderungen an uns selbst entgegensteht.
Das ist die pure Freudlosigkeit. Jemandem, der mit Freude sein Essen genießt, ungeachtet der Zutaten und Nährwerte, und dabei nicht ein einziges Mal eine Spur von Reue zeigt, legt man auch von außen diese Schablone an. Entweder, er ist einfach eine "fette Sau", die kein Maß kennt (und widert uns daher an), oder er ist jemand, der das "Glück" hat, ein schlechter Kostverwerter zu sein (und wir beneiden ihn dieserhalb). Zugrunde liegt allem die Wertung: dünn = diszipliniert = kontrolliert = schön = selbstbewusst. Aber so dermaßen verdammt freudlos.
Ähnlich verhält es sich dann mit Sport und Bewegung. Das ist etwas, zu dem wir uns aufraffen, bei dem wir uns quälen müssen, auch hier spielt Kasteiung, Disziplin, Durchhaltevermögen eine Rolle. Der Schweinehund ist präsent, das dauernde, in das Fell eines besonders hässlichen Viechs gekleidete Müssen. Wir rechnen Eisbecher um in Stunden auf dem Crosstrainer und Grillwürstchen in Trainingseinheiten. Sport ist der Preis, den man für den Genuss zu zahlen hat.
Auch das ist fürchterlich freudlos. Konditionierung auf Sport als Strafe tötet jegliche Freude an Bewegung, die natürlicherweise vorhanden ist. Allein der Gedanke, zu müssen, ist Grund genug, nicht zu wollen. Verloren geht dabei die zen-artige, simple Freude an den Schritten, die man tut, an der Luft, die man atmet, an den Muskeln und Knochen, deren Zusammenspiel man fühlen kann. Verloren geht die Faszination über die Fähigkeit des eigenen Willens, den Körper aus eigener Kraft von hier nach dort zu bringen. Es bleibt nur noch Seitenstechen.
Wann genau wurden das Leben und mit ihm zwei fundamentale Bedürfnisse wie Bewegung und Essen so freudlos? Ich glaube, das ist kein Phänomen, das erst mit den Magermodels in Magazinen und auf Laufstegen auftauchte. Nicht erst, seit Kate Moss hohlwangig schwarz-weiß im Sand lag und über das reine Sein delirierte, gilt die Disziplinierung des eigenen Körpers als anzustrebendes Ziel. Als Wohlstand für alle noch neu war und man in Sonntagsbraten mit Klößen und bunten Platten mit Mettigel und Käsespießen schwelgte, da ging es zuerst noch um das Stillen des Hungers, den man in den Jahren zuvor gründlich kennengelernt hatte. Zugleich entfiel die Notwendigkeit, sich all zu viel bewegen zu müssen. Erst, als genug von allem da war, wurde es Zeit, eine neue Form zu finden. Jetzt, da einem die Wahl der Nahrung nicht mehr durch die äußeren Bedingungen diktiert wird, muss man selbst wählen. Um wählen zu können, muss man sich beschränken. Zur Beschränkung gehört Disziplin. Der Disziplin steht das horrende Überangebot von so gut wie allem entgegen - unkontrollierbar vielfältig. Wir kriegen das Leben in wirklich allen Geschmacksrichtungen serviert.
Wir wollen aussehen wie Menschen, die das kontrollieren können. Der Körper und seine Form wird machbar. Den eigenen Körper zu machen, zu modellieren lässt uns stark wirken. Wir haben die Zügel in der Hand. Damit bestimmen wir auch, ob und von wem wir begehrt werden, welchen Marktwert wir haben. Wir legen ein Versprechen in unser Aussehen - stark zu sein, definiert zu sein, sicher zu sein und Sicherheit zu bieten. Wir sichern uns ab, auch wirklich gewollt zu werden. Unserer Leistung wegen, uns schön und stark zu machen und zu wissen, was wir wollen. Dann braucht der andere das nicht zu tun, und er braucht keine Makel in Kauf zu nehmen, und wir laufen nicht Gefahr, auf Ablehnung zu stoßen.
Nichts ist weiter entfernt davon, selbst zu sein und die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Ich fühle mich nicht deshalb unwohl in meinem Körper, weil ich ihn auf unangenehme Art fühle, sondern weil ich Bilder vor meinem inneren Auge trage, wie er zu sein hat. Vor allem eines soll ich demzufolge erreichen: Ich soll mich in meinem Körper wohlfühlen. Dieses Argument sticht in allen Debatten um Körperformen immer wieder besonders hervor. Der Zwang zum Wohlfühlen und das Diktat darüber, wie sich Wohlfühlen ganz genau anzufühlen hat. Bitte auch noch glücklich sein mit dem, was man tut. Nach erzwungener Schwitzerei mit einem glückseligen Seufzer in die Kissen sinken und den Stolz über das Geschaffte, die Kontrolle, die Disziplin vor sich hertragen wie ein Werbeplakat. Aber kein Mensch fühlt sich immer wohl. Ich fühle mich auch nicht immer gleich wohl. Mit Mitte, Ende 30 macht mein Körper etliche Dinge, die ich nicht so schön finde. Der Kontrollwahn hat auch darauf eine Antwort: Wellnessangebote, von den Krankenkassen finanzierte Kurse in Autogenem Training, Burn-Out-Therapien (für ein paar Wochen in die Klinik - danach geht's Dir wieder besser). Das Unwohlsein zu bekämpfen wird für machbar gehalten. Das ist das Gegenteil von Akzeptanz.
Es geht mir erheblich besser damit, zuzugeben, wenn ich mich gerade nicht wohl fühle, weil ich in fünf Tagen meine Regel bekomme und mich aufgeschwemmt fühle und der Hosenbund kneift und keine Kleidung mehr richtig sitzt. Das ist blöd! Das muss ich mir nicht schönreden, ich muss dagegen keine Dragees, keine Pille nehmen oder Tees trinken oder Selbstliebe-Kurse nehmen. Was hilft ist, den Hosenbund zu lockern und es als gegeben hinzunehmen. Notfalls auch mit dem einen oder anderen kräftigen Fluch.
Es kommt vor, dass dieser Körper sich sehr unangenehm anfühlt. Oft sogar. Das muss er ja wohl auch, denn wie sollte er sich sonst bemerkbar machen und mich auf meine Bedürfnisse hinweisen? Er weiß, was ihm schmeckt, er weiß, wann er Hunger hat, er weiß, welche Belastungen er aushält und welche nicht, er weiß, was weh tut. Mein Körper ist der, der mich anmault, wenn ich das Mittagessen vergesse (wie gerade jetzt), der kribbelig wird, wenn er nicht genug frische Luft bekommt, der, der Fahrradfahren will.
Er weiß ganz genau, wenn ich ihn vergewaltigen und etwas aus ihm machen will, das er nicht ist. Er ist nicht nur ein Werkzeug, er ist nicht nur mein Äußeres. Er ist mein Zuhause, und zwar mein einziges. Schon allein aufgrund dieser Eigenschaft sollte es sich verbieten, ihn einem Ideal anzugleichen. In sich zu wohnen, auch wenn es bisweilen gewaltig zwickt und scheuert, das wäre ein Anfang.
So ärgerte sich beispielsweise neulich Bloggerkollegin Tama über überflüssige Pfunde. Im Kommentarstrang entspann sich eine mal mehr, mal weniger sachliche Diskussion um Diktate von außen und um Selbstwahrnehmung, gar um Intelligenz (denn sich dem Schlankheitsdiktat zu beugen, sei ja irgendwie schließlich dumm). Anderswo in unserem Bloggerdorf treibt eine junge Mutter der Wunsch um, nach Schwangerschaft und Geburt möglichst schnell wieder zur "Sexy Mum" zu werden und sie fragt sich, ob sie es durchhält, auch bei Besuch weiterhin nach 18 Uhr keine Kohlehydrate zu essen. Frau Journelle hat sich entschlossen, die Personenwaage von ihrer tragenden Rolle in ihrem Leben zu entbinden, dem #waagnis-Phänomen folgend, das Bloggerin Maike ins Leben rief.
Ich möchte nicht behaupten, dass Gewicht und Körperform früher eine geringere Rolle spielten als heute. In meinen alten Burda- und Neue Mode-Heften aus den Sechzigern und Siebzigern finden sich unfassbar viele Inserate für Schlankheitsprodukte, auch wenn immerhin die Schneiderhefte damals noch Modelle in den Größen 34 bis zum Teil sogar 50 lieferten, ohne mit der Wimper zu zucken und das Etikett "Plusgröße" draufkleben zu müssen. Da fand sich eine 42, wie ich sie trage, in der Mitte der Bandbreite, während ich damit heute in der Kategorie XL rangiere. Dabei fühle ich mich gar nicht XL. Allenfalls in der Länge, die ich aber sehr mag.
Zurück zur Freudlosigkeit. Es wird im Zusammenhang mit Körpern, Körperbildern und Körperidealen allenthalben an das und über das Essen nachgedacht. Kasteiung scheint das Gebot der Stunde, Fresserei gilt als maßlos, man befasst sich dauernd mit dem Thema der Nahrungsaufnahme. Mit jeder einzelnen Kalorie. Wann man isst. Was man isst. Wo sich das niederschlägt. Ob das Stück Schokolade einen vom eigenen Ideal entfernt oder ob man sich das "gönnen" darf. Egal, ob man jetzt tatsächlich (nach wessen Maßstäben auch immer) zu dick ist, alles, was wir uns zuführen, muss bewertet werden. Entweder, weil wir uns so oder so schon inakzeptabel fühlen, oder, weil wir nicht riskieren wollen, es zu werden.
Genuss geht anders. Ich liebe Sahne. Ich kann Sahne schlagen, einen Viertelliter, einen halben, mit ein bisschen Vanillezucker, und dann einfach löffeln. Das ist sowas von abartig lecker. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass das für mich nicht mehr länger lecker sein wird, wenn ich mir während des Löffelns den Kopf darüber zerbrechen muss, was ich da eigentlich mache. Oh je, zwei Kugeln Eis - nein, dann lieber nur eine (obwohl ich gerne noch die Geschmacksrichtung Kokos probiert hätte). Oh je, das ist mit Käse überbacken, das ist nicht gut für mich. Oh je, ich merke, ich kriege Lust auf ein Butterbrot mit Salami - aber das soll ich ja nicht... Was es da zu begehren gibt (und das völlig zu Recht), das trägt für uns immer gleich das absolut lustfeindliche Verbot in sich. Und selbst, wenn wir es uns "erlauben", wissen wir, dass wir uns selbst hinterher dafür büßen lassen, weil der Genuss allen Anforderungen an uns selbst entgegensteht.
Das ist die pure Freudlosigkeit. Jemandem, der mit Freude sein Essen genießt, ungeachtet der Zutaten und Nährwerte, und dabei nicht ein einziges Mal eine Spur von Reue zeigt, legt man auch von außen diese Schablone an. Entweder, er ist einfach eine "fette Sau", die kein Maß kennt (und widert uns daher an), oder er ist jemand, der das "Glück" hat, ein schlechter Kostverwerter zu sein (und wir beneiden ihn dieserhalb). Zugrunde liegt allem die Wertung: dünn = diszipliniert = kontrolliert = schön = selbstbewusst. Aber so dermaßen verdammt freudlos.
Ähnlich verhält es sich dann mit Sport und Bewegung. Das ist etwas, zu dem wir uns aufraffen, bei dem wir uns quälen müssen, auch hier spielt Kasteiung, Disziplin, Durchhaltevermögen eine Rolle. Der Schweinehund ist präsent, das dauernde, in das Fell eines besonders hässlichen Viechs gekleidete Müssen. Wir rechnen Eisbecher um in Stunden auf dem Crosstrainer und Grillwürstchen in Trainingseinheiten. Sport ist der Preis, den man für den Genuss zu zahlen hat.
Auch das ist fürchterlich freudlos. Konditionierung auf Sport als Strafe tötet jegliche Freude an Bewegung, die natürlicherweise vorhanden ist. Allein der Gedanke, zu müssen, ist Grund genug, nicht zu wollen. Verloren geht dabei die zen-artige, simple Freude an den Schritten, die man tut, an der Luft, die man atmet, an den Muskeln und Knochen, deren Zusammenspiel man fühlen kann. Verloren geht die Faszination über die Fähigkeit des eigenen Willens, den Körper aus eigener Kraft von hier nach dort zu bringen. Es bleibt nur noch Seitenstechen.
Wann genau wurden das Leben und mit ihm zwei fundamentale Bedürfnisse wie Bewegung und Essen so freudlos? Ich glaube, das ist kein Phänomen, das erst mit den Magermodels in Magazinen und auf Laufstegen auftauchte. Nicht erst, seit Kate Moss hohlwangig schwarz-weiß im Sand lag und über das reine Sein delirierte, gilt die Disziplinierung des eigenen Körpers als anzustrebendes Ziel. Als Wohlstand für alle noch neu war und man in Sonntagsbraten mit Klößen und bunten Platten mit Mettigel und Käsespießen schwelgte, da ging es zuerst noch um das Stillen des Hungers, den man in den Jahren zuvor gründlich kennengelernt hatte. Zugleich entfiel die Notwendigkeit, sich all zu viel bewegen zu müssen. Erst, als genug von allem da war, wurde es Zeit, eine neue Form zu finden. Jetzt, da einem die Wahl der Nahrung nicht mehr durch die äußeren Bedingungen diktiert wird, muss man selbst wählen. Um wählen zu können, muss man sich beschränken. Zur Beschränkung gehört Disziplin. Der Disziplin steht das horrende Überangebot von so gut wie allem entgegen - unkontrollierbar vielfältig. Wir kriegen das Leben in wirklich allen Geschmacksrichtungen serviert.
Wir wollen aussehen wie Menschen, die das kontrollieren können. Der Körper und seine Form wird machbar. Den eigenen Körper zu machen, zu modellieren lässt uns stark wirken. Wir haben die Zügel in der Hand. Damit bestimmen wir auch, ob und von wem wir begehrt werden, welchen Marktwert wir haben. Wir legen ein Versprechen in unser Aussehen - stark zu sein, definiert zu sein, sicher zu sein und Sicherheit zu bieten. Wir sichern uns ab, auch wirklich gewollt zu werden. Unserer Leistung wegen, uns schön und stark zu machen und zu wissen, was wir wollen. Dann braucht der andere das nicht zu tun, und er braucht keine Makel in Kauf zu nehmen, und wir laufen nicht Gefahr, auf Ablehnung zu stoßen.
Nichts ist weiter entfernt davon, selbst zu sein und die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Ich fühle mich nicht deshalb unwohl in meinem Körper, weil ich ihn auf unangenehme Art fühle, sondern weil ich Bilder vor meinem inneren Auge trage, wie er zu sein hat. Vor allem eines soll ich demzufolge erreichen: Ich soll mich in meinem Körper wohlfühlen. Dieses Argument sticht in allen Debatten um Körperformen immer wieder besonders hervor. Der Zwang zum Wohlfühlen und das Diktat darüber, wie sich Wohlfühlen ganz genau anzufühlen hat. Bitte auch noch glücklich sein mit dem, was man tut. Nach erzwungener Schwitzerei mit einem glückseligen Seufzer in die Kissen sinken und den Stolz über das Geschaffte, die Kontrolle, die Disziplin vor sich hertragen wie ein Werbeplakat. Aber kein Mensch fühlt sich immer wohl. Ich fühle mich auch nicht immer gleich wohl. Mit Mitte, Ende 30 macht mein Körper etliche Dinge, die ich nicht so schön finde. Der Kontrollwahn hat auch darauf eine Antwort: Wellnessangebote, von den Krankenkassen finanzierte Kurse in Autogenem Training, Burn-Out-Therapien (für ein paar Wochen in die Klinik - danach geht's Dir wieder besser). Das Unwohlsein zu bekämpfen wird für machbar gehalten. Das ist das Gegenteil von Akzeptanz.
Es geht mir erheblich besser damit, zuzugeben, wenn ich mich gerade nicht wohl fühle, weil ich in fünf Tagen meine Regel bekomme und mich aufgeschwemmt fühle und der Hosenbund kneift und keine Kleidung mehr richtig sitzt. Das ist blöd! Das muss ich mir nicht schönreden, ich muss dagegen keine Dragees, keine Pille nehmen oder Tees trinken oder Selbstliebe-Kurse nehmen. Was hilft ist, den Hosenbund zu lockern und es als gegeben hinzunehmen. Notfalls auch mit dem einen oder anderen kräftigen Fluch.
Es kommt vor, dass dieser Körper sich sehr unangenehm anfühlt. Oft sogar. Das muss er ja wohl auch, denn wie sollte er sich sonst bemerkbar machen und mich auf meine Bedürfnisse hinweisen? Er weiß, was ihm schmeckt, er weiß, wann er Hunger hat, er weiß, welche Belastungen er aushält und welche nicht, er weiß, was weh tut. Mein Körper ist der, der mich anmault, wenn ich das Mittagessen vergesse (wie gerade jetzt), der kribbelig wird, wenn er nicht genug frische Luft bekommt, der, der Fahrradfahren will.
Er weiß ganz genau, wenn ich ihn vergewaltigen und etwas aus ihm machen will, das er nicht ist. Er ist nicht nur ein Werkzeug, er ist nicht nur mein Äußeres. Er ist mein Zuhause, und zwar mein einziges. Schon allein aufgrund dieser Eigenschaft sollte es sich verbieten, ihn einem Ideal anzugleichen. In sich zu wohnen, auch wenn es bisweilen gewaltig zwickt und scheuert, das wäre ein Anfang.
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