Sturmflut
Dienstag, 6. Mai 2014
Herr Gauck besucht Theresienstadt
Das berichtete bereits gestern die Tagesschau. Auf dem neuen großen Display im neuen großen Tagesschaustudio sah man den Bundespräsidenten mit einer roten Rose in der Hand zwischen Grabsteinen stehen.

"Hauptsache Friedhof", mag man sich in der Bildredaktion der Tagesschau gedacht haben, denn dem Besuchsort Theresienstadt gebührt natürlich per se ein gewisser notwendiger Ernst. Dennoch: Der gezeigte Friedhof war dieser hier, und Herr Gauck stand am Grabmal von Bedřich Smetana.

Man mag das für eine Lappalie halten, und wer weder in Theresienstadt noch auf dem Vyšehrad jemals war, dem fällt es vermutlich nicht auf. Man kann auch nicht sagen, dass das Bild bewusst aus dem Kontext gerissen wurde, denn im Wortlaut der dazugehörigen Nachricht ist nirgendwo die Rede davon, dass das Bild Herrn Gauck beim Besuch in Theresienstadt zeigt.

Aber.

Aber diese zufällige Entdeckung wirft in mir die Frage auf, wie häufig solche Fehlkombinationen (seien sie nun bewusst oder unbewusst vorgenommen worden) wohl im Alltag vorkommen und wie viele falsche Schlüsse wir als Medienkonsumenten daraus ziehen. Wenn ein Geschehnis nicht so harmlos ist wie der Besuch des Bundespräsidenten in Tschechien, dann wird das nämlich schon pikanter.

Wer sind die Menschen mit den Masken wirklich, die uns das Fernsehen zur Zeit zeigt, wenn es um die Ukraine geht? Sind das zwei brennende Hubschrauber oder nur einer aus zwei unterschiedlichen Perspektiven? Wie ist der Ausschnitt gewählt, wenn die Kamera in einem Flüchtlingslager für Syrer "draufhält"? Wie viele im Mittelmeer abgesoffene Seelenverkäufer werden erst gar nicht gefilmt?

Selektive, parteiische Berichterstattung ist überhaupt nichts Neues, darüber bin ich mir im Klaren. Am Beispiel des reisenden und gedenkenden Herrn Gauck, das tatsächlich eher den Charakter einer Bagatelle hat, wurde mir nur mal wieder klar, wie groß die Macht der Bilder ist und wie sehr es von der Benutzung des eigenen Gehirns abhängt, ob man ausgewogene und weitgehend den Tatsachen entsprechende Informationen erhält.

Selektive Wahrnehmung kann auch sehr bequem sein. Sie schützt den Rezipienten davor, sich allzu viele Gedanken machen zu müssen und teilt, ganz je nachdem, was für eine Brille er trägt, die Welt so wunderbar fein säuberlich in Schwarz und Weiß ein. Es vermittelt ja Sicherheit, zu "wissen", wer die Guten und wer die Bösen sind, wer Recht hat und wer Unrecht.

Könnte es auch ganz anders sein?

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