Sturmflut
Dienstag, 20. Mai 2014
Landverbunden
Ich lebe wirklich gern auf dem Land. Das wurde mir neulich erst wieder so richtig bewusst, als ich zurück in meiner Studienstadt war. Zwar schön, mit Straßenfest in großem Maßstab, definitiv mehr Kultur als hier, mehr Möglichkeiten zum Einkaufen, mehr von allem. Aber eben auch mehr Dreck, mehr Menschen, mehr Verkehr und deutlich weniger Platz, weniger Himmel, weniger Luft und weniger Grün.

Das ist, was mich hier so sehr hält, mich Landei. Die Stille zwischen den Feldern, das üppige Grün, die Tatsache, dass der Abstand bis zur nächsten Häuserwand deutlich größer ist. Mich mit dem Rad nicht zwischen zwei Fahrspuren von LKWs zerquetschen lassen zu müssen. Die Gerüche in der Luft, unverschleiert von Kanalgestank und Abgasen. Landleben ist für mich Lebensqualität pur.

Wenn jetzt eine gute Fee käme und mir einen Wunsch erfüllen wollte, dann hätte ich gleich einen parat. Ich wünschte mir, die Maxime der Wirtschaftlichkeit im Verkehrswesen würde abgeschafft und mein liebes, ländliches Gebiet erhielte endlich eine ordentliche Infrastruktur. Eine, die einen Verzicht auf massenhaften Individualverkehr möglich machte.

Ich lasse mal all die "abers" außer Acht, die (zum Teil auch berechtigt) bei dem Thema aufkommen. Hier ist mein Utopia:

Ich steige in meinem Heimatort unter die Erde und in eine U-Bahn ein und komme in zwanzig Minuten an meinem Arbeitsort wieder heraus. Oder ich nehme die Buslinie, die im Zwanzig-Minuten-Takt den ganzen Tag lang fährt, mit geräumigen, pünktlichen Bussen zu vernünftigen Preisen. Ich kann einen Job weit draußen annehmen, weil ich nicht um fünf Uhr aufstehen muss, um pünktlich anzukommen. Ich kann problemlos mein Nachbarland erreichen, ohne das Auto zu benutzen, weil es grenzüberschreitende Straßenbahnen gibt. Ich darf mein Fahrrad in all diesen Verkehrsmitteln gratis mitnehmen und kann das auch, weil es dafür eigens konzipierte, geräumige Fahrradabteile gibt.

Ich könnte das noch weiterspinnen. Aber zwangsläufig schleicht sich ja doch immer wieder der Gedanke ein: Ja, das wäre alles ganz toll, aber es lohnt sich nicht und niemand wird so etwas bezahlen können!

Ich liebe öffentliche Verkehrsmittel. Es ist wirklich so. Ich finde kaum etwas entspannender, als mich von Bus und Bahn durch die Weltgeschichte schaukeln zu lassen. Natürlich trübt sich diese Liebe etwas, sobald besagte Öffis überfüllt und unpünktlich sind, was leider ziemlich oft vorkommt. Aber grundsätzlich...

Hier auf dem Land sind die Busse häufig ziemlich leer. Eine Bahn fährt durch meine (gar nicht so kleine) Stadt überhaupt nicht. Da stelle ich mir dann immer die Frage nach der Henne und dem Ei. Würden mehr Leute die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, wenn die Verbindungen besser wären und die Preise moderater, beziehungsweise wenn es sie überhaupt gäbe? Oder sind die Verbindungen so schlecht, weil sich engerer Takt, weitere Haltestellen und Linien nicht lohnen, weil hier ja keiner damit fährt?

Beantworten kann man das wohl nicht abschließend, weil es zu teuer wäre, es einfach auszuprobieren. Ich jedenfalls würde ein Angebot mit großer Begeisterung nutzen.

Kleiner Exkurs: Auf dem Land sterben die Dörfer vor sich hin, teilweise gibt es eklatanten Leerstand und Verfall, junge Leute ziehen weg, weil sie keine Arbeit finden, und Unternehmen siedeln sich gar nicht erst an, weil die Infrastruktur so mau ist. Gleichzeitig explodieren in den großen Städten die Mieten, man muss sich um Wohnungen regelrecht bewerben, es wird abgezockt, was das Zeug hält. Mal abgesehen von denjenigen, die die Stadt aufgrund des urbanen Feelings bevorzugen - wie viele Menschen würden wohl auf dem Land bleiben, wenn sie die Stadt gut und schnell erreichen könnten?

Das Gedankenspiel ist zu schön, um wahr zu werden. Aber man wird noch träumen dürfen.

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